Titel: | Ueber das Enthaaren der Häute mittelst Gaskalk; von A. Lindner. |
Autor: | A. Lindner |
Fundstelle: | Band 137, Jahrgang 1855, Nr. LIX., S. 221 |
Download: | XML |
LIX.
Ueber das Enthaaren der Häute mittelst Gaskalk;
von A. Lindner.
Lindner, über das Enthaaren der Häute.
Auf Veranlassung des Hrn. Lietzmann stellte ich vor
längerer Zeit Untersuchungen über die verschiedenen Enthaarungsmethoden, besonders
aber über das Haarzerstörungsvermögen des Gas-
oder Grünkalks an, welche ein allgemeineres Interesse
darbieten dürften.
Das fettige Gefühl, welches man hat, wenn man die Hand in verdünnte Kali-,
Natron- oder Kalklauge steckt, und welches durch eine theilweise Auflösung
der Epidermis bedingt wird, sollte schon genügend darthun, wie nachtheilig die
gewöhnliche Enthaarungsmethode mittelst Kalkmilch für die Häute ist; und in der That
haben die praktischen Versuche des Hrn. Kampffmeyer
ergeben, daß eine mittelst Grünkalt enthaarte Haut 2 Pfd. mehr wiegt, als eine durch
Kalkmilch enthaarte.Polytechn. Journal Bd. XCIV S. 154 und Bd. XCVIII S. 440.
Das sogenannte Schwitzen, welches man beim Enthaaren schwerer Häute anwendet, beruht
auf einer Zerstörung der Haare durch Fäulniß, und ist wegen der schwierigen
Regulirung der Temperatur eine für die Haute gefährliche, stets aber mehr oder
minder nachtheilige Operation.
Hr. Professor Dr. R. Böttger
erwarb sich daher um die Lohgerberei ein nicht geringes Verdienst, indem er auf die
Anwendbarkeit des Gaskalks behufs des Enthaarens aufmerksam machte.Man vergl. dessen Abhandlung im polytechn. Journal Bd. LXXII S. 455, ferner
Thaulow's Bemerkungen in Bd. LXXIX S.
226. Die damit erzielten guten Erfolge machten es bald wünschenswerth, diese
Enthaarungsmethode auch da anzuwenden, wo man den Gaskalk nicht zur Verfügung
hat.
Da es bisher unentschieden blieb, ob das Calcium-Sulfhydrat der einzige
wirksame Bestandtheil des Gaskalks ist, so suchte ich durch Versuche zu ermitteln,
welche Bestandtheile des Gaskalks die Function des Enthaarens übernehmen und welche
Rolle die anderen Bestandtheile desselben dabei spielen.
Der Gaskalk besteht aus ätzendem, kohlensaurem, unterschwefligsaurem, schwefligsaurem
und schwefelsaurem Kalk; ferner aus Einfach-Schwefelcalcium,
Calcium-Sulfhydrat und Cyancalcium. Ich stellte nun alle diese Stoffe einzeln
dar, und legte in ihre respectiven Lösungen kleine Hautstücke ein.
Die Lösung (Emulsion) des Einfach-Schwefelcalciums,
dargestellt
a) durch Glühen von Schlämmkreide mit
Schwefel: blieb ohne alle Wirkung auf die Haare; nach acht Tagen war noch
keine Spur der Zerstörung bemerkbar;
b) durch Glühen von Gyps mit
Kohlenpulver: verhielt sich wie a.
Die Lösung des Calcium-Sulfhydrats
(Schwefelwasserstoff-Schwefelcalciums), dargestellt
a) durch Einleiten von
Schwefelwasserstoff in Kalkmilch,
b) durch Einleiten von
Schwefelwasserstoff in eine Emulsion von Schwefelcalcium, und
c) durch Einleiten von
Schwefelwasserstoff in eine Emulsion von ausgelaugten Rückständen einer
Sodafabrik: lieferte in allen drei Fällen dasselbe gute Resultat.
Nach zwei Stunden waren nämlich die Haare vollständig aufgelöst. Die Auflösung begann
an den äußersten Haarspitzen und schritt stetig bis zur Haarwurzel vor. Gleichzeitig
schied sich ein grüner Schlamm aus der Lösung ab, dessen Untersuchung ergab, daß er
aus Schwefelcalcium, gemischt mit kleinen Haarpartikeln, bestand.
Die Lösung von Cyancalcium, dargestellt durch
Neutralisation von Kalkmilch mit Blausäure, hatte nach drei Tagen die Haare so mürbe
gemacht, daß man sie
mit Leichtigkeit in die kleinsten Theilchen zerreißen konnte. Hierbei hatte keine
Abscheidung aus der Lösung stattgefunden.
Lösungen von unterschwefligsaurem, schwefligsaurem und schwefelsaurem Kalk, sowie
alle höher geschwefelten Verbindungen des Calciums waren ohne alle Wirkung.
Der haarzerstörenden, aber auch der hautlösenden Eigenschaft des Aetzkalks ist
bereits gedacht worden.
Aus diesen Versuchen geht unläugbar hervor, daß das Calcium-Sulfhydrat das wirksame Princip des Gaskalks ist, und daß
dasselbe durch einen, wenn auch nur geringen Gehalt an Cyancalcium, in seiner
haarzerstörenden Eigenschaft unterstützt wird.
Diese Resultate stimmen mit den Ansichten Mulder'sPhys. Chem. Bd. II S. 573. über die Constitution der Haare überein. Nach diesem Chemiker bestehen
nämlich die Haare aus Proteïnbioxyd und Proteïntritoxyd, in welchen
nur eine gewisse Menge Sauerstoff durch Aequivalente von Schwefel und Stickstoff
vertreten ist. Nimmt man nun an, daß eine weitere Quantität Sauerstoff im Haar durch
eine äquivalente Menge Schwefel ersetzt werden kann, so leuchtet zunächst ein,
weßhalb gerade das Calcium-Sulfhydrat und nicht das
Einfach-Schwefelcalcium die Zerstörung der Haare veranlaßt. Denn einmal
findet jedes Aequivalent aus dem Haar austretenden Sauerstoffes ein Aequivalent
Wasserstoff vor, mit dem es Wasser bilden kann, und dann wird gleichzeitig ein erst
in 500 Theilen Wasser löslicher Körper, das Einfach-Schwefelcalcium,
abgeschieden. Wir wissen aber sehr wohl, welche bedeutende Rolle bei
organisch-chemischen Processen eine statthabende Wasserbildung betreffs der
Verbindung der andern Elementarbestandtheile spielt, und wie oft chemische Actionen
erst dadurch geweckt werden, daß in Folge der Bildung einer Verbindung gleichzeitig
eine andere schwerlösliche sich abscheiden kann. Eine Elementaranalyse der
zerstörten Haarsubstanz würde die Sacke nicht weiter aufklären, weil die aus einer
bestimmten Konstitution herausgerissenen Elementarstoffe oft ganz oder theilweise in
eine große Menge von Verbindungen der verschiedenen Aggregatformen umgelegt werden
können.
Da das Calcium-Sulfhydrat und das Cyancalcium die einzigen wirksamen Stoffe
des Gaskalks hinsichtlich seiner Enthaarungsfähigkeit sind, beide aber in Wasser
sich vollständig auflösen, so wende man nicht wie bisher den Gaskalk als Emulsion
an, sondern als klare Lösung. Man macht sich dadurch unabhängig von dem nachtheiligen
Einfluß des oft bis zu 20 Procent dem Gaskalke beigemischten Aetzkalks.
Will man sich den Gaskalk oder das Calcium-Sulfhydrat selbst bereiten, so
leite man Schwefelwasserstoff, erzeugt aus Schwefeleisen und verdünnter
Schwefelsäure, entweder in Kalkmilch, oder in Einfach-Schwefelcalcium,
welches in Wasser zertheilt ist. Man benutze hierzu einen mit Schraubenrührern
versehenen Woulf'schen Apparat. – Ein Theil der Kosten wird durch das im
Gasentbindungsapparat verbleibende schwefelsaure Eisenoxydul gedeckt.