Titel: | Ueber das gleichzeitige Telegraphiren in entgegengesetzten Richtungen auf demselben Leitungsdrahte mit dem dazu eingerichteten elektro-chemischen Schreibapparate; von Dr. Wilhelm Gintl, k. k. Telegraphen-Director in Wien. |
Fundstelle: | Band 137, Jahrgang 1855, Nr. XLVI., S. 166 |
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XLVI.
Ueber das gleichzeitige Telegraphiren in
entgegengesetzten Richtungen auf demselben Leitungsdrahte mit dem dazu eingerichteten
elektro-chemischen Schreibapparate; von Dr. Wilhelm Gintl, k. k. Telegraphen-Director in Wien.
Aus der Zeitschrift des
deutsch-österreichischen Telegraphen-Vereins, Februar 1855, S.
25.
Mit Abbildungen auf Tab.
III.
Gintl, über das gleichzeitige Telegraphiren in entgegengesetzten
Richtungen auf demselben Drahte mit dem elektro-chemischen
Schreibapparat.
Von der Ansicht ausgehend, daß wenn dem Wesen der Elektricität, gleich jenem des
Schalles, der Wärme und des Lichtes, Vibrationen eigenthümlicher Art zum Grunde
liegen, hier der ähnliche Fall, wie z.B. bei der Fortpflanzung des Schalles
eintreten müsse, von welchem es bekanntlich nachgewiesen ist, daß sich die Wellen
desselben durch eine Röhrenleitung in entgegengesetzter Richtung gleichzeitig und
unbeirrt auf weite Distanzen fortpflanzen; habe ich mit dem von mir construirten
elektrochemischen Schreibtelegraphen mehrere darauf bezügliche Versuche angestellt,
welche ich schon am 9. Juni 1853 in der Sitzung der
mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften zur Sprache brachte, weil sie mir für den Telegraphenbetrieb eben so
wichtig, als wie in wissenschaftlicher Hinsicht von besonderem Interesse
erschienen.
Ich constatirte nämlich durch meine Versuche, daß während ein elektrischer Strom in
dem Telegraphendrahte von einer Station zur anderen übergeht, durch denselben Draht
ein zweiter elektrischer Strom von der letzteren Station zur ersteren geleitet
werden kann, und daß jeder der beiden sich gleichzeitig durch den Telegraphendraht
fortpflanzenden Ströme auf der entgegengesetzten Station gerade so anlangt, als wenn
er für sich allein in dem Drahte dahin geleitet worden wäre.
Hieraus schöpfte ich die Ueberzeugung, daß man durch Benutzung der beiden im
Telegraphen-Leitungsdrahte circulirenden Ströme von zwei verschiedenen
Stationen aus gleichzeitig correspondiren und daher einen einfachen Telegraphendraht
als Doppelleitung gebrauchen könne, was bei den gegenwärtig in Anwendung stehenden
Morse'schen Schreibapparaten nicht der Fall war.
Ich beschäftigte mich seither auf Grund der von mir in dieser Beziehung angestellten
vielfältigen Versuche und der bei dieser Gelegenheit gemachten Erfahrungen mit der
Einrichtung der dazu nöthigen Apparate, deren Beschreibung ich hier liefern will,
wobei jedoch die genaue Kenntniß der Einrichtung und Wirkungsweise des von mir
construirten elektro-chemischen Schreibtelegraphen, dessen Darstellung sich
im Januarhefte des ersten Jahrganges der deutsch – österreichischen
Telegraphen-Vereins-Zeitschrift (daraus im polytechn. Journal Bd.
CXXXI S. 194) befindet, bei dem Leser dieser Zeilen vorausgesetzt wird.
Der Apparat besteht für jede der zwei Stationen, zwischen welchen die
Doppelcorrespondenz gleichzeitig geführt werden soll, aus einem elektrochemischen
Schreibtelegraphen, einem eigens hierzu construirten Doppeltaster, einem Rheostaten,
einer Weckerboussole und einem Polwechsel.
An dem elektro-chemischen Schreibapparate befinden sich zwei Doppelklemmen,
wovon eine mit dem Schreibstifte und die andere mit dem Metallstege in Verbindung
steht, um mittelst derselben je zwei Leitungsdrähte an dem Metallstege befestigen zu
können.
Der Doppeltaster ist eine compendiöse Vereinigung zweier Taster um den gleichzeitigen
Schluß der Kette für den elektrischen Strom der Linien- und der Localbatterie
auf eine bequeme und sichere Weise zu bewerkstelligen. Zu diesem Behufe besteht der
Tasterhebel Fig.
3 der Länge nach aus zwei durch eine dazwischen gelegte Elfenbeinplatte
von einander isolirten Seitentheilen, welche eine gemeinschaftliche Drehungsachse
d, d haben und in der Ruhelage mit den
Contactpunkten kk
', Fig. 1, in leitender
Verbindung stehen, von den Contactpunkten ll',
Fig. 2,
aber durch einen kleinen Zwischenraum getrennt sind. Ueber den sehr nahe aneinander
liegenden Contactpunkten ll' befinden sich an den
beiden Seitentheilen des Tasterhebels kurze Platinzapfen p,
p', Fig.
3, wovon der eine mittelst der Stellschraube s, Fig.
1 u. 3, vor- oder zurückgeschraubt und daher so gestellt werden kann,
daß beim Niederdrücken des Tasterhebels beide Platinzapfen p,
p' gleichzeitig mit den gegenüber liegenden Punkten ll' in Contact treten. Der so eingerichtete
Doppeltaster steht rechts mit der Linienbatterie und mit dem Schreibapparate, durch
diesen mit der Telegraphenleitung und mit der Erde in Verbindung. Es ist nämlich der
Contactpunkt l, Fig. 2, mittelst der
Klemme g mit einem Pole der Linienbatterie, der andere
Pol derselben aber mit der Erde leitend verbunden; ferner die Drehungsachse d, d des Tasterhebels mittelst der Klemme h mit dem Schreibapparate und durch diesen mit der
Telegraphenleitung, und der Contactpunkt k' durch die
Klemme m mit der Erde. Links am Taster befindet sich der
Contactpunkt l' durch die Klemme o mit einem Pole der Localbatterie und der Contactpunkt k' mittelst der Klemme r mit
dem Schreibapparate in Verbindung. Hierbei kommt zu bemerken, daß wenn man an einer
der beiden Stationen den positiven Pol der Linienbatterie mit dem Contactpunkte l' und den negativen Pol derselben mit der Erde in
Verbindung setzt, die Drehungsachse d, d des
Tasterhebels durch die entsprechende Klemme k mit dem
Schreibstifte des Apparates und folglich der Metallsteg desselben mit der
Telegraphenleitung verbunden werden muß; oder umgekehrt, wenn der negative Pol der
Linienbatterie mit dem Contactpunkt l und der positive
Pol mit der Erde in leitende Verbindung gesetzt wird, so muß die Drehungsachse d, d durch die entsprechende Klemme mit dem Metallstege
des Apparates und daher der Schreibstift desselben mit der Telegraphenleitung
verbunden werden. Am vortheilhaftesten zeigt es sich für die Doppelcorrespondenz,
wenn man die eine der zwei vorerwähnten Verbindungsarten des Tasters mit der
Linienbatterie, dem Schreibapparate, der Leitung und der Erde auf der einen Station,
und die andere auf der Station anwendet. Es ist übrigens gleichgültig, welche von
beiden Verbindungsarten man auf der einen Station in Anwendung bringt, wenn nur die
entgegengesetzte auf der anderen Station angewendet wird. Man kann aber auch von den
zwei vorher betrachteten Verbindungsarten nur erstere mit Erfolg an beiden Stationen
anwenden. Ferner muß noch bemerkt werden, daß immer jener Pol der Localbatterie mit
dem Contactpunkte l' verbunden werden soll, welcher
demjenigen entgegengesetzt ist, mit dem die Linienbatterie an dem Contactpunkte l durch die Klemme g
befestigt ist.
Der Doppeltaster hat den Zweck durch gleichzeitigen Schluß der Kette an der
Local- und Linienbatterie beiden Strömen den Durchgang durch den
Schreibapparat in entgegengesetzter Richtung zu gleicher Zeit zu gestatten, und
somit zu bewirken, daß die chemische Wirkung des Linienstromes am eigenen Apparate
durch die Gegenwirkung des Localstromes aufgehoben wird, folglich auf dem
Papierstreifen das daselbst gegebene Zeichen nicht erscheint, so daß derselbe zur
Aufnahme des gleichzeitig von der anderen Station gegebenen Zeichens geeignet
bleibt.
Der Rheostat
Fig. 4 und
5 besteht
aus mehreren Widerstandsrollen, welche in einem hölzernen Kästchen mit ihren
beiderseitigen Drahtenden an metallene im oberen Deckel des Kästchens steckende und
aus demselben etwas hervorragende Klemmen so befestigt sind, daß sich der bei jeder
Drahtrolle 5 Meilen betragende Widerstand summirt, wenn man den einen am Deckel
angebrachten, im Kreise beweglichen metallenen Zeigerarm mit den Metallklemmen in
Berührung bringt, während der andere Zeigerarm auf der Metallklemme ruht, wo das
Anfangsende der ersten Widerstandsrolle befestigt ist.
Durch den Rheostaten soll dem von der entgegengesetzten Station herkommenden Strome
ein solcher Widerstand hinter dem Schreibapparate in den Weg gelegt werden, welcher
viel größer ist als derjenige, den er beim Durchgange im Papierstreifen des
Apparates erfährt, damit er genöthigt wird durch den Apparat zu gehen und nicht etwa
mittelst der am Schreibapparate festgeklemmten Polardrahte der Localbatterie
denselben umgehen kann. Daher muß auch der Rheostat immer in einen der zwei
Polardrähte der Localbatterie eingeschaltet werden.
Da der Gang des elektro-chemischen Schreibapparates keine hörbaren Zeichen
erregt, so bedarf es einer Weckvorrichtung, durch welche die Gegenstation vor dem
Beginne der Doppelcorrespondenz gehörig alarmirt werden kann. Zu diesem Behufe dient
mir eine gewöhnliche Boussole, welche aber aufrecht gestellt ist, um die Magnetnadel
derselben besser vor Augen zu haben. Die Drehungsachse der Nadel steht mit dem Pole
einer kleinen Localbatterie in Verbindung und der andere Pol derselben communicirt
mit einem Platinstifte, welcher isolirt aus der Hinterwand der Boussole hervorragt,
so daß die Magnetnadel bei ihrer Ablenkung nach der Seite des Platinstiftes mit
demselben in Contact kommt und dadurch die Kette der Localbatterie schließt. Sobald
dieß geschieht, wird ein in dieselbe Kette eingeschalteter
elektro-magnetischer Wecker in Thätigkeit gesetzt, und durch sein Läuten die
Gegenstation hinreichend alarmirt. Damit aber während der Doppelcorrespondenz selbst
der Wecker nicht immerfort läute, muß nach gegebenen Allarmzeichen die Richtung des
Linienstromes so geändert werden, daß die Magnetnadel der Weckerboussole nicht mehr
gegen den Platinstift abgelenkt wird, was durch die Umstellung des in die
Polardrähte der Linienbatterie eingeschalteten Polwechsels sehr schnell
bewerkstelligt werden kann.
Die Art wie die eben beschriebenen Bestandtheile des
Doppelcorrespondenz-Apparates unter sich und mit der Telegraphenleitung
verbunden sind, macht das in Fig. 6 dargestellte Schema
anschaulich und bedarf keiner weiteren Erklärung.
Schließlich kann ich nicht umhin zu bemerken, daß zwar, vom theoretischen Standpunkte
aus betrachtet, dasselbe Princip, auf welchem die Einrichtung des
Doppelcorrespondenz-Apparates beruht, auch auf den Morse'schen Schreibtelegraphen anwendbar ist, daß sich aber der
praktischen Ausführung desselben bedeutende Schwierigkeiten entgegenstellen, welche
den Erfolg der gleichzeitigen Doppelcorrespondenz unsicher machen. Der Grund davon
liegt hauptsächlich darin, daß zur vollständigen Aufhebung der magnetischen Wirkung
des elektrischen Linienstromes an den Eisenkernen des Relais immer ein gleich
starker entgegengesetzter Localstrom erfordert wird, während dieses bei der
elektro-chemischen Wirkung dieser beiden Ströme nicht nothwendig ist.
Wollte man also die magnetische Wirkung des durch die Multiplicationsrollen des
Relais gehenden Linienstromes der eigenen Station durch einen localen Gegenstrom
aufheben, so müßte der letztere mit ersterem stets eine gleiche Stärke haben. Da
aber der Linienstrom fortwährenden Veränderungen unterliegt, so müßte man zur
Aufhebung der magnetischen Wirkung dieses variablen Stromes am Relais einen im
gleichen Maaße variirenden localen Gegenstrom anwenden, was jedoch zu erreichen fast
unmöglich ist, weil man nie in vorhinein weiß, in welchem Maaße und Sinne sich der
Linienstrom verändert.
Ich habe mich schon im Jahre 1853 längere Zeit bemüht die Doppelcorrespondenz auf
demselben Leitungsdrahte mit dem Morse'schen
Schreibtelegraphen zu Stande zu bringen, und bei meinen in dieser Beziehung
vielfältig auf der Telegraphenlinie zwischen Wien und Prag angestellten VersuchenDie Beschreibung des von mir dabei angewandten Apparates und Verfahrens
findet sich im polytechn. Centralblatt für 1853 S. 1473 (daraus im
polytechn. Journal Bd. CXXXI S. 191). ist es mir zwar gelungen Depeschen dem größten Theile ihres Wortinhaltes
nach gleichzeitig in entgegengesetzter Richtung an ihre Bestimmungsorte zu
befördern, aber oft geschah es, daß bei einzelnen Worten eine Confundirung der
Zeichen auf den beiden Stationsapparaten eintrat, sobald nämlich der Linienstrom
eine Aenderung in seiner Stärke erlitt, und wobei es nicht gleich möglich war die
Stärke des Localstromes in demselben Maaße zu verändern.
Aus diesem Grunde habe ich die gleichzeitige Doppelcorrespondenz mit dem Morse'schen Schreibtelegraphen vorläufig bei Seite
gesetzt und mich an die Durchführung derselben mittelst des
elektro-chemischen Schreibapparates gehalten, welche mir auch vollständig
gelungen ist, wie es aus der am 15. October 1854 in Gegenwart Sr. Excellenz des Hrn.
Handels- und
Finanzministers Frhrn. v. Baumgartner zwischen Wien und Linz gleichzeitig
geführten Doppelcorrespondenz unzweideutig hervorgeht. Die bei dieser Gelegenheit
von Linz aus an Se. Excellenz gerichtete Depesche bestand
aus mehr als 80 Worten, welche eine zusammenhängende Mittheilung bildeten, jene die
gleichzeitig von Wien ausging, war etwas kürzer, bestand aber aus mehreren kurzen in
keinem Zusammenhange stehenden Sätzen, denen Eigennamen und französische Ausdrücke
eingemengt waren, so daß an ein Errathen des Sinnes der Mittheilung bei etwa
unvollkommenem Erscheinen der Telegraphenzeichen nicht zu denken war. Nachdem man
die von Linz ausgegangene Mittheilung in Wien anstandslos erhalten hatte, wurde von Wien aus verlangt, daß die mit jener Depesche
gleichzeitig nach Linz auf demselben Leitungsdrahte
abgegangene nach Wien zurücktelegraphirt werde, und man
erhielt dieselbe hier ganz vollständig. Zur Abtelegraphirung der zwei gleichzeitig
beförderten Depeschen wurde nicht mehr Zeit erfordert, als sonst zur Expedition
einer derselben nothwendig ist, da man wie beim Morse'schen Schreibtelegraphen continuirlich und nicht etwa so telegraphirte,
daß, wenn z.B. ein Zeichen oder ein Wort von Wien nach
Linz gegeben wurde, eine längere Pause gemacht und
während derselben ein Zeichen oder Wort von Linz empfangen worden wäre. Nur bei
einem solchen Vorgange könnte an ein Alterniren der zwei elektrischen Ströme oder
überhaupt daran gedacht werden, daß der Strom von der einen Station ausgehend, in
die Intervalle zwischen je zwei Communicationen der andern Station falle. Den
schlagendsten Beweis aber für die wirkliche Coëxistenz der beiden
elektrischen Ströme in demselben Leitungsdrahte liefere ich dadurch, daß, während
die eine Station einen constanten Strom in die Leitung sendet und folglich einen
continuirlichen Strich auf dem Papierstreifen der anderen Station erzeugt, man von
der letzteren zur ersteren Station anstandslos telegraphiren kann und von derselben
vollkommen verstanden wird.
Wenn ich auch nicht behaupten will, daß es nie gelingen werde, die gleichzeitige
Doppelcorrespondenz auf demselben Leitungsdrahte mit dem Morse'schen Schreibtelegraphen ebenfalls vollkommen zu Stande zu bringen,
da es vielleicht möglich ist, noch ein Mittel zu finden, wodurch das Relais von den
Veränderungen des Linienstromes unabhängig wird, so bin ich doch der Meinung, daß,
worin auch immer dieses Mittel bestehen mag, der beabsichtigte Zweck kaum auf eine
so einfache und verläßliche Art, wie beim elektro-chemischen Schreibapparate
zu erzielen seyn dürfte.