Titel: | Ueber holländisches und französisches Bleiweiß; von Professor W. Stein in Dresden. |
Fundstelle: | Band 137, Jahrgang 1855, Nr. XXXVII., S. 129 |
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XXXVII.
Ueber holländisches und französisches Bleiweiß;
von Professor W. Stein in Dresden.
Aus dem polytechn. Centralblatt, 1855, S.
513.
Stein, über holländisches und französisches Bleiweiß.
Die holländische Fabricationsmethode liefert ein Product, welchem bezüglich seiner
Deckkraft der Vorrang vor dem französischen von Niemanden bestritten wird; sie ist
aber eben so unbestreitbar die unbequemste und kostspieligste, und zwar liegt dieß
theils in der Anwendung des Pferdedüngers und der dadurch bedingten Töpfe, theils in
dem gänzlichen Verluste aller Essigsäure. Der Pferdedünger, welcher nur zum Theil
durch Lohe ersetzt werden kann, hat zwei Functionen zu erfüllen: er muß durch seine
Fäulniß die zur Verdampfung des Essigs nöthige Wärme und zur Zersetzung des
entstehenden Bleisalzes die Kohlensäure liefern. Er wird sonach entbehrlich seyn,
wenn man seine Wirkungen auf entsprechende andere Weise ersetzt. Eine aus dieser
Betrachtung hervorgegangene Fabricationsmethode, welche man die österreichische oder deutsche
nennen könnte, hat den Gebrauch des Düngers gänzlich beseitigt und ist ein nicht
unwesentlicher Fortschritt, da das erzielte Product alle guten Eigenschaften des
holländischen Besitzt. Anstatt der Töpfe werten große Kammern benutzt, welche der
Länge oder Quere nach, in mehrfachen Reihen über einander, von Latten durchzogen
sind, die gewissermaßen die Stelle der Vorsprünge in den Töpfen versehen und über
welche die Bleiplatten, dachförmig gebogen, gehängt werden. Die Stelle des Düngers
vertritt eine directe Zuführung von Kohlensäure und Wärme. Die Erwärmung geschieht
gewöhnlich mittelst tragbarer Windöfen, auf welchen Holzkohle verbrannt wird, um
zugleich die nöthige Kohlensäure zu erzeugen, und damit möglichst wenig Wärme nach
außen abgeleitet werde, sind die Kammern mit doppelten Wänden versehen und die
Zwischenräume mit einem schlechten Wärmeleiter ausgefüllt; zur Beobachtung der
Temperatur gehen an verschiedenen Stellen Thermometer luchtdicht durch die Wände der
Kammern. Der Boden der Kammern stellt einen mit Dielen bedeckten wasserdichten
Kasten dar, in welchem sich der zu verdampfende Essig befindet, den man dadurch
erwärmt, daß man aus einem tiefer gelegenen Dampfkessel nicht Wasserdämpfe, sondern,
indem man diesen mit Essig speist, Essigdämpfe in denselben leitet. Damit die Dämpfe
in die Kammer gelangen können, sind die Dielen, nach Art der Malzdarren,
durchlöchert oder auf irgend andere Weise zweckentsprechend mit Oeffnungen
versehen.
Bei dieser Einrichtung fehlt es wegen Mangel an Luftwechsel häufig an Kohlensäure,
wodurch große Mengen von neutralem essigsaurem Bleioxyd entstehen; auch ist man
genöthigt, öfter zur Unterhaltung des Feuers in die Kammern zu gehen, was wiederum
eine Abkühlung mit sich bringt. Besser ist es daher jedenfalls, die Heizung durch
Dampf oder Wasser oder die heiße Kohlensäure und die Essigdämpfe selbst zu bewirken,
indem man die erstere durch Verbrennen von Holzkohle erzeugt und durch die hierbei
entstehende Wärme den Essig in Dampf verwandelt, Kohlensäure und Essigdämpfe aber in
einer Esse zusammentreten läßt, die, mit einem kleinen Dache versehen, in die Kammer
mündet. In beiden Fällen legt man übrigens die Kammern und Dampfkessel über
einander, jene im ersten Stock, diese zu ebener Erde an.
Es ist leicht zu erkennen, daß auch bei dieser Einrichtung noch alle Essigsäure
verloren geht; gewöhnlich entweicht sie durch die Fugen der kleinen Fensterladen und
der (doppelten) Thüren. Indessen, sollte man meinen, müßte es doch möglich seyn,
durch zweckmäßige Einrichtungen wenigstens einen Theil derselben wieder zu gewinnen; man
könnte z.B. in der Decke der Kammern Abzugsröhren anbringen, welche in ein durch
Wasser abgekühltes geschlossenes Gefäß mündeten, was seinerseits mit einer Luftpumpe
verbunden wäre. Der ökonomische Vortheil, welcher dadurch zu erreichen wäre, ist
nicht gering; denn selbst unter der Voraussetzung, daß nur
sechstel-essigsaures Bleioxyd gebildet würde, was thatsächlich nicht der Fall
ist, gehen für jeden Centner Blei 9,6 Pfd. Essigsäurehydrat, d.h. 1 1/2 Ctr. Essig
von der gewöhnlichen Stärke, verloren, dessen Preis wenigstens 2 1/2–3 Thlr.
beträgt; bildet sich aber drittel-essigsaures Bleioxyd, so verdoppelt sich
natürlich der Verlust.
Daß die französische Fabricationsmethode den Verlust an Essigsäure jedenfalls auf das
Minimum bringt und überdieß den Vortheil des Fabrikanten noch durch Verringerung der
Anlagekosten und schnellere Beendigung der Arbeit, also Verminderung der
Capitalzinsen überhaupt erhöht, ist bekannt. Das Product hat aber die Meinung der
Abnehmer gegen sich, es soll weniger decken. Obgleich es
gewiß schwierig seyn wird, durch Versuche im Kleinen einen vollgütigen Beweis dafür
zu liefern, so ist doch dem praktischen Urtheile der Anstreicher und Maler
sicherlich seine Berechtigung nicht abzustreiten, und es fragt sich nur, worin diese
Verschiedenheit ihren Grund haben könne.
In früherer Zeit wurde ohne Weiteres angenommen, daß dieselbe in der chemischen
Zusammensetzung beruhe; das holländische Bleiweiß sey basisch, das französische
neutral, und dieß bedinge wiederum, daß ersteres amorph, daher undurchsichtig, und
letzteres krystallinisch, daher durchscheinend, sey. Spätere UntersuchungenS. Hochstetter, Gmelin's Handbuch der Chemie. 4.
Auflage, Bd. III S. 117, und polytechn. Journal, 1842, Bd. LXXXVI S.
204. haben gezeigt, daß der Niederschlag, welcher erhalten wird, wenn man durch
Bleiessig Kohlensäure leitet, bis die Flüssigkeit nicht mehr basisch reagirt,
zweidrittel-kohlensaures Bleioxyd ist, wie das holländische, und daß, unter
dem Mikroskop betrachtet, die physischen Elementartheile von beiden sehr kleine
sphärische Körper sind, deren Durchmesser Hochstetter er
bei beiden Arten von Bleiweiß zu 0,00001 bis 0,00003 und 0,00004 Zoll gefunden hat;
die Kügelchen des französischen Bleiweißes sollen nach ihm etwas größer und
durchsichtiger seyn. Bei einer mikroskopischen Untersuchung, welche ich mit
Kremserweiß, französischem, fabrikmäßig dargestelltem und im Kleinen erzeugten,
sowie mit österreichischem angestellt habe, fand ich die größten Kügelchen vom
Kremserweiß = 0,0025 Millimeter und die des französischen = 0,0037 Millimeter, doch sind die
Mehrzahl weit kleiner. Dieß stimmt, wie man sieht, mit den Messungen von Hochstetter so gut, als dieß bei einem solchen
Gegenstande erwartet werden kann, überein; ich lege indessen auf diese
Uebereinstimmung nur einen geringen Werth, weil ich in vielen Fällen in der Größe
der verschiedenen Bleiweißsorten gar keinen Unterschied wahr, zunehmen im Stande
war.
Ist nun aber der morphoidische Zustand des Bleiweißes als amorph zu bezeichnen? Ich glaube nicht. Der amorphe Zustand ist der der
vollständigsten Homogeneität, der gänzlichen Structurlosigkeit; der des Bleiweißes
zeigt eine sphärische Gestaltung, welche offenbar zwischen dem amorphen und
krystallinischen Zustande in der Mitte steht, mindestens ein Gestaltungszustand genannt werden muß. Darin findet auch das Verhältniß
der verschiedenen morphoidischen Zustände zum Lichte seine Erklärung. Der vollkommen
amorphe und der vollkommen krystallinische (oder besser krystallisirte) Zustand ist
mit Durchsichtigkeit verbunden, weil das Licht bei seinem Durchgange nicht genöthigt
ist von einem Mittel in ein anderes überzutreten, daher kein Hinderniß seiner
Bewegung findet und keine ungewöhnlich starke Zurückwerfung erleidet. Einen amorphen
Niederschlag bemerkt man daher kaum unter dem Mikroskop; erst wenn der
Gestaltungsproceß, die Theilung in mehrere Individuen, eintritt, kann man denselben
beobachten, weil sich nun Gränzen zweier Mittel bilden, die das Licht verschieden
brechen. Bei einer Gummilösung tritt die Kugelbildung und die Undurchsichtigkeit
ein, wenn man sie mit absolutem Alkohol vermischt; sie verschwindet wieder in dem
Maaße, als der Alkohol verdunstet; die Individuen verlieren ihre Selbstständigkeit
und fließen wieder in einander. Man könnte daher den amorphen auch als den
festgewordenen Flüssigkeitszustand oder als den Flüssigkeitszustand der Atome
bezeichnen. Was bei der Gummilösung der Zusatz von Alkohol, das bewirkt bei
Krystallen die Theilung in viele kleine einzelne Individuen, daher ist der verworren
krystallinische Zustand stets von einem größeren oder geringeren Grade von
Undurchsichtigkeit begleitet, und jeder durchsichtige Körper überhaupt wird
undurchsichtig durch mechanische Zertheilung (Diamant, Glas u.s.w. fein gepulvert).
Wenn man einen Tropfen Lösung von essigsaurem Bleioxyd oder Chlorcalcium unter dem
zuvor genau eingestellten Mikroskop mit einem Tropfen kohlensaurer Ammoniaklösung
vermischt, so bemerkt man den entstehenden Niederschlag anfänglich nur da, wo er mit
der einen oder anderen im Ueberschuß vorhandenen Lösung zusammengränzt, in Form
einer structurlosen Membran. Nach einiger Zeit beginnt der Gestaltungsproceß durch
eine Contraction der Materie um einzelne Mittelpunkte herum, wodurch inselartig, und
zwar zuerst an eben diesen Berührungsstellen, sphärische Körper auftreten, deren Entstehung und
Zusammenlagerung zu Krystallen ich indessen nie durch eine Bewegung zu verfolgen
vermochte. Der amorphe Zustand wird, so wie ich ihn eben beschrieben habe, nur
beobachtet, wenn man concentrirte Lösungen von essigsaurem Bleioxyd oder
kohlensaurem Kalk anwendet, und läßt sich am schönsten beobachten, wenn man Lösungen
von arseniksaurem Natron und schwefelsaurem Kupferoxyd benutzt, weil er hier länger
andauert und wegen der Färbung des Niederschlags besser sichtbar ist; in diesem
Falle wird nicht einmal eine concentrirte Lösung erfordert. In manchen Fällen
scheint nun der Gestaltungsproceß mit der Bildung der sphärischen Körper (der
sichtbaren Atome) sein Ende erreicht zu haben, so beim Bleiweiß, wo ich die
Niederschläge beobachtete, welche durch Vermischen von neutralem essigsaurem
Ammoniak, durch Fällung desselben Salzes mittelst gasförmiger Kohlensäure, des
Bleiessigs mit Kohlensäure bei gewöhnlicher Temperatur und kochend, erhalten werden.
Alle diese Niederschläge bestehen aus sphärischen Körpern, in keinem derselben läßt
sich etwas Krystallinisches erkennen, und doch Besitzt namentlich der letztere die
pulverige Beschaffenheit, die man als krystallinisch bei den Niederschlägen zu
bezeichnen gewöhnt ist. Dem Bleiweiß ähnlich verhält sich das arsenigsaure
Kupferoxyd, dessen schleimiger, amorpher Niederschlag nach und nach in einen
pulverigen übergeht, der nur aus sphärischen Elementen besteht. Bei anderen Körpern
dagegen entstehen aus den letzteren endlich die Krystalle, so beim kohlensauren
Kalk. Wenn man eine verdünnte Lösung von Chlorcalcium mit
kohlensaurem Ammoniak vermischt, so tritt eine Art Zwischenzustand zwischen dem
amorphen und sphärischen zuerst ein, es zeigen sich unter
dem MikroskopDie Beobachtung wurde mit einem Oberhäuser und bei 55facher
Linearvergrößerung gemacht. Flocken von scharfen und zackigen Umrissen, denen mancher Gewitterwolken
vergleichbar, an welchen die einzelnen Elementartheile noch nicht erkennbar sind.
Nach einiger Zeit ziehen sich diese Flocken zusammen und gestalten sich zu gegliederten Zweigen, welche auf der Oberfläche der
Flüssigkeit sich bewegen. Unterdessen sind aber an der Oberfläche des Glasplättchens
die mehrgenannten sphärischen Körper als dunkle Punkte entstanden, und haben sich,
ohne daß eine Bewegung derselben bemerkbar gewesen wäre, in Reihen geordnet, die
theils einander parallel laufen, theils sich unter spitzen Winkeln schneiden. Es ist
kaum anders möglich, als daß diese Reihen entstanden sind durch Niedersinken der
einzelnen Glieder der schwimmenden Zweige, welche den Anfang der gänzlichen
Absonderung der sphärischen Elemente bezeichnen. Die Reihen scheinen nun keine
weitere Veränderung zu erleiden, außer daß die dunkeln Punkte in der Mitte
durchsichtiger werden, bis die Flüssigkeit eintrocknet, wo man plötzlich
farrenkrautwedelartige Zeichnungen gewahrt, die aus an einander gelagerten
prismatischen Körpern bestehen, deren Flächen durchsichtig sind, und, wie es scheint, entstehen durch Ineinanderfließen
der sphärischen Körper. Hierdurch hat dieser Zustand mit dem amorphen die größte
Aehnlichkeit; unerklärlich ist es mir aber, daß die sphärischen Körper sofort, wie
vorher, wieder zum Vorschein kommen, sobald man den vertrockneten Niederschlag
wieder mit einem Tropfen Wasser befeuchtet.
Im Vorstehenden ist nun zwar nachgewiesen, daß keine Art von Bleiweiß amorph genannt
werden kann, und angedeutet, welches der Grund der Undurchsichtigkeit im Allgemeinen
ist, nicht aber, warum Bleiweiß rücksichtlich seiner Undurchsichtigkeit von anderen
Stoffen und die beiden in Rede stehenden Bleiweißsorten von einander sich
unterscheiden. Was den Unterschied des Bleiweißes und einiger ihm nahe stehenden
Körper, wie Schwerspath und schwefelsaures Bleioxyd, von anderen Stoffen betrifft,
so beruht er in erster Stelle wohl auf einer specifisch verschiedenen
Durchsichtigkeit der „sichtbaren Atome.“ Außerdem scheint
hierbei eine wichtige Rolle das Brechungsverhältniß zwischen den sich berührenden
Medien, also allgemein die Dichtheit derselben, zu
spielen. Je größer die Differenz der beiden Exponenten, je größer mithin der
Exponent für den in das dichtere Medium übergehenden Strahl, um so leichter wird der
Fall der totalen Reflexion beim Wiederaustritt desselben aus dem dichteren in das
weniger dichte Medium eintreten können. Eine Bestätigung dieser Ansicht finde ich in
dem Umstande, daß gepulvertes Glas (und wie dieses verhalten sich viele andere
Körper), wenn seine Theilchen von Luft umgeben sind, undurchsichtig erscheint, seine
Durchsichtigkeit aber zum großen Theile wieder erhält, sobald man es mit Wasser,
oder noch besser mit Terpentinöl, befeuchtet. Nächst diesem kommt jedenfalls die
Größe der „sichtbaren Atome“ in Betracht; einmal darum, weil
ein um so öfter wiederholter Wechsel des Lichtüberganges stattfinden muß, je kleiner
diese Atome sind, je mehr deren also auf gleichem Raume sich beisammen befinden;
sodann aber auch, weil ihre Durchsichtigkeit absolut durch Verschluckung des Lichts
vermindert wird. Als Beweis dafür kann ich anführen, daß diese Atome beim Bleiweiß,
schwefelsauren Bleioxyd und Schwerspath, auch beim kohlensauren Kalk, sehr klein sind. Die Gestalt der Atome scheint von
weniger wesentlichem Einfluß zu seyn, denn während die des Bleiweißes und
kohlensauren Kalks sphärisch, sind die des Schwerspaths und schwefelsauren
Bleioxyds, wenn auch undeutlich, prismatisch. Das Gesetz, was diesen Verhältnissen
zu Grunde liegt, läßt sich vielleicht auffinden, wenn es gelingt, Form und Größe der sichtbaren
Atome, sowie die Lichtmengen genau zu bestimmen, welche gleich dicke Schichten
derselben durch sich hindurchlassen. Es werden sich dann überhaupt erst
Verschiedenheiten in der Deckkraft einander sehr nahe stehender Körper, wie die
verschiedenen Bleiweißsorten, mit Bestimmtheit nachweisen
lassen, die jetzt noch, streng genommen, auf nichts weiter als unvollständig
begründeten Meinungen beruhen. Wenn sie zwischen dem holländischen und französischen
Bleiweiß thatsächlich vorhanden sind, so beruhen sie weder in der Form und Größe der
Atome denn die erstere ist bei beiden Bleiweißarten gleich und die letztere in der
Hauptsache nicht verschieden – noch in der chemischen Zusammensetzung, denn
die Abweichungen, welche bezüglich der letzteren zwischen beiden Arten vorkommen,
sind kaum größer als die, welche sich zwischen holländischen Sorten von
verschiedener Bereitung finden.
Läßt sich aber der verschiedene Grad von Deckkraft, unmittelbar wenigstens, weder
durch die chemische Zusammensetzung, noch durch die Form und Größe der Atome
erklären, so liegt sie am wahrscheinlichsten in der verschiedenen Dichtheit derselben, welche allerdings wohl in Beziehung zur
chemischen Beschaffenheit stehen kann; denn in diesem Falle kommt beim Anstreichen
auf eine gleich große Fläche eine verschiedene, im Verhältniß zur größeren Dichtheit
größere Menge Materie, welche das Licht vollständiger zurückwirft. Um darüber
Aufschluß zu erhalten, habe ich verschiedene Bleiweißarten und Bleiweißsorten auf
doppelte Weise unters sucht. Ich füllte nämlich einestheils in ein Maaßgläschen mit
abgeschliffenem Rande die feingepulverte Probe, unter vorsichtigem Aufstoßen des
Röhrchens auf eine möglichst unelastische Unterlage ein, schob alsdann eine
aufgeschliffene Glasplatte darüber, um den Ueberschuß von Bleiweiß hinwegzuschieben,
und wog. Dabei erhielt ich folgende Resultate:
das Maaßgläschen faßte:
1) von einem kalt
gefällten Niederschlage
4,3720 bis
5,0715 Grm.,
2)
„
„ heiß gefällten
Niederschlage
6,2825 „
6,3145 „
Um zu erfahren, in welcher Weise diese Resultate sich ändern würden, wenn die
zwischen den einzelnen Bleiweißtheilchen befindliche Luft durch Leinöl verdrängt
wird, rührte ich beide Proben mit gleichen Volumen Leinöl an. Nr. 1 lieferte einen
ziemlich dünnflüssigen Brei, der mit Nr. 2 erhaltene war dicker;
das Maaßgläschen faßte nun:
von Nr. 1
5,3725 Grm.,
„
„
2
6,0605 „
Hieraus folgt zunächst, daß man durch kochende Fällung ein französisches Bleiweiß von
größerer Dichtheit erzeugen kann, als durch kalte Fällung, und daß eine größere
Menge davon in einen gleich großen Raum eingeht, wenn es mit Leinöl angerieben, als
wenn es mit Luft untermengt ist.
3) Von französischem Bleiweiß, im trockenen Zustande, aus Heilbronn, faßte das
Gläschen 7,403 bis 7,405 Grm.
Wenn man diese Zahlen mit den vorher angeführten vergleicht, so ist man, um die
bedeutenden Verschiedenheiten zu erklären, genöthigt anzunehmen, daß auf die
Dichtheit der Niederschläge die entstehenden Quantitäten nicht ohne Einfluß
sind.
Das Maaßgläschen faßte ferner:
4) von Kremserweiß unbekannten Ursprungs 8,035 bis 8,045 Grm.,
5) von deutschem Bleiweiß aus Schönebeck 8,160 bis 8,172 Grm.
Andererseits bestimmte ich die Dichtheit durch Wägungen in Aether, wobei sich
folgende Verhältnißzahlen mit Rücksicht auf die verdrängten Aethermengen
ergaben:
Nr. 3
7,274 Grm.,
„
4
7,418 „
„
5
7,466 „
Verglichen mit dem Bleiweiß von Heilbronn, ist das Verhältniß der Dichtheit zwischen
Nr. 3, 4 und 5:
a) nach den Versuchen der ersten Reihe,
wie
1 : 1,086 : 1,103,
b)
„ „ „
der zweiten Reihe, wie
1 : 1,019 : 1,026.
Die Dichtheit der verschiedenen Bleiweißarten und Bleiweißsorten ist daher offenbar
verschieden, und nach den Ergebnissen der ersten Versuchsreihe, die den in der
Praxis zu erlangenden Resultaten jedenfalls am nächsten stehen, auch groß genug, um
eine Verschiedenheit in der Deckkraft als möglich erscheinen zu lassen. Die
Deckkraft eines Bleiweißes ließe sich demgemäß (relativ) wohl am einfachsten dadurch
ermitteln, daß man dessen Dichtheit, mit seinem gleichen Volumen Leinöl angerieben,
in der oben angegebenen Weise bestimmte.
Gehaltsprüfung des Bleiweißes. Wenn man weiß, wie eifrig
und unablässig die Chemiker bemüht sind, für Fabricanten und Käufer Methoden zu
ersinnen und vorzuschlagen, um Güte und Reinheit der Fabricate und Waaren zu prüfen,
so ist es kaum glaublich, daß davon kein Gebrauch gemacht, daß damit kein Nutzen
geschafft werden sollte. Nichtsdestoweniger kann man sehr leicht die Erfahrung
machen, daß Fabrikanten und Käufer nur selten und mit Widerstreben chemische Prüfungsmethoden in Anwendung
bringen, sich vielmehr mit der nur zu oft unzureichenden Beobachtung gewisser
physikalischen Merkmale begnügen. Sucht man nach dem Grunde dieser Erscheinung, so
findet man dafür mehrere Ursachen. Zuerst und vor allen Dingen ist der Mangel an
theoretischchemischen Kenntnissen und praktisch-chemischer Fertigkeit dem
Verständniß und der Anwendung sehr vieler Prüfungsmethoden seitens der Betheiligten
am meisten hinderlich. Diese Ursache wird nur so lange dauern, bis eine technische
Durchbildung in alle Schichten der industriellen und gewerblichen Thätigkeit zum
Heile Aller eingedrungen seyn wird. Eine andere Ursache liegt aber darin, daß sehr
viele Methoden zu umständlich, also zeitraubend, sind, und Apparate erfordern, die
nicht Jedem zu Gebote stehen. Zeit ist aber Geld für jeden Geschäftsmann, Apparate
kosten Geld, und daher kommt es, daß man sich lieber
wissentlich einem Verluste aussetzt, indem man die Prüfung unterläßt, weil man,
gewiß mit Unrecht, befürchtet, einen größeren zu erleiden, wenn man sie unternimmt.
Wenn es aber nicht zweifelhaft ist, daß gute Prüfungsmethoden das einzige Mittel
sind, den Fabrikanten wie den Käufer vor Uebervortheilungen zu sichern und das
domoralisirende System der Verfälschung und Verringerung der Waaren zu beschränken,
wenn nicht unmöglich zu machen, so kann nicht dringend genug die Anwendung derselben
empfohlen und zugleich den Chemikern ans Herz gelegt werden, nur möglichst einfache,
leicht ausführbare und nicht kostspielige Apparate erfordernde Methoden in Vorschlag
zu bringen, weil nicht sowohl absolute Genauigkeit, sondern leichte Anwendbarkeit
als oberster Grundsatz hierbei zu betrachten ist.
Die Vermischung des Bleiweißes mit Schwerspath ist bekannt, und gehört, obgleich sie
nicht gerechtfertigt werden kann, streng genommen, nicht zu den Verfälschungen, weil
sie von den Fabrikanten offen zugestanden wird. In Osterreich und Belgien geschieht
sie sogar in bestimmten Verhältnissen, welche für gewisse Sorten unveränderlich und
bekannt sind; dessenungeachtet darf eine Prüfung seitens der Käufer nicht für
überflüssig erachtet werden. Für die einfachste halte ich nach meinen Versuchen die
Bestimmung des Glühverlustes, welcher in directem Verhältniß zur vorhandenen Menge
des kohlensauren Bleioxyds steht. Nach vielen Versuchen mit verschiedenen
Bleiweißproben variirt derselbe bei unvermischten Proben zwischen 13 und 16 Procent
und beträgt im Mittel 14,5 Procent. Absichtlich hergestellte, wohlgetrocknete
Mischungen von Bleiweiß mit: 1) 66 2/3 Proc., 2) 50 Proc., 3) 33 1/3 Proc. und 4) 20
Proc. Schwerspath verloren durch Glühen: 1) 4,5 bis 5 Proc., 2) 6,5 bis 7 Proc., 3)
10 bis 10,44 Proc. und 4) 13 Proc.
Die Prüfung kann in einem tarnten Porzellantiegel, oder in jedem kleinen thönernen
Gefäße, auch in einer kleinen eisernen Schale ausgeführt werden. Die Probe muß zuvor
gut ausgetrocknet seyn und wird nach dem Abwägen in einem Kohlenfeuer oder über
einer Spirituslampe mit doppeltem Luftzuge zuerst
schwach, zuletzt aber bis zum Schmelzen des Rückstandes erhißt. Man bedarf zum
Abwägen nur eine Handwaage, wie sie in den Apotheken gebräuchlich sind, muß aber
jedenfalls Apothekergewicht bis zu einem Gran haben. Wenn man dann 1 1/2 Unzen (3
Loth) zu jedem Versuche verwendet, so drückt der Gewichtsverlust in Granen nahezu
den Gehalt an Bleiweiß in Procenten aus;1,5 Unze = 720 Gran; (14,5 . 720)/100=104,4. verwendet man dagegen nur 1/2 Unze (1 Loth), so braucht man den
Gewichtsverlust in Granen nur mit 2,9 zu multipliciren, um den Procentgehalt an
Bleiweiß zu finden.