Titel: | Ueber Photographie im Allgemeinen und über Niepce's Verfahren zum photographischen Stahlstich; von Hrn. C. Chevreul. |
Fundstelle: | Band 134, Jahrgang 1854, Nr. LXXXIII., S. 297 |
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LXXXIII.
Ueber Photographie im Allgemeinen und über
Niepce's Verfahren zum
photographischen Stahlstich; von Hrn. C. Chevreul.
Aus den Comptes rendus, August und October 1854, Nr. 9 und
14.
Chevreul, über Photographie im Allgemeinen und über
photographischen Stahlstich.
Photographische Verfahrungsarten mit Anwendung einer
organischen oder einer unorganischen für das Licht empfindlichen
Substanz.
Man befolgt in der Photographie zweierlei allgemeine Verfahrungsarten, je nachdem die
angewandte für das Licht empfindliche Substanz unorganischen oder organischen
Ursprungs ist.
Erstes Verfahren. – Bei dem ältesten Verfahren
wandte man eine unorganische Substanz an, nämlich eine
Silberverbindung, meistens Chorsilber. Da diese
Verbindung unter dem Einfluß des Lichts schwärzlichviolett wird, so haben die damit
erzeugten Bilder die verkehrte Schattirung des Originals (Gegenstandes), weil die
lichtesten Theile des Originals die dunkelsten Töne im Chlorsilber entwickeln;
dieses in den Lichtern und Schatten verkehrte Bild hat
man uneigentlich ein negatives genannt, und das richtig hervortretende Bild ein positives. – Es ist gar nicht schwierig, mit einem negativen Bild
ein positives zu machen. Wenn man nämlich eine durchsichtige Fläche, z.B. Glas, oder
eine durchscheinende Fläche, z.B. weißes Papier, mit einem Ueberzug von Chlorsilber
versieht, so erhält man zuerst ein negatives Bild; bringt man nun dieses negative
Bild in Berührung mit einer Fläche, die mit einer Schicht Chlorsilber überzogen ist,
und setzt das Ganze der Sonne aus, so absorbiren die Schatten des negativen
(verkehrten) Bildes das Licht, wogegen die hellen Theile das Licht hindurchlassen,
welches also daselbst die zweite Fläche schwärzt, so daß auf letzterer die Schatten
an den entsprechenden Stellen des Originals hervorgebracht werden.
Zweites Verfahren. – Das zweite Verfahren, wobei
die empfindlicheemfindliche Substanz organischer Natur ist, verdankt man
Joseph Nicephorus Niepce, dem Onkel des Hrn.
Niepce von St. Victor.
Derselbe verfuhr folgendermaßen:
Ein Firniß von Judenpech (Asphalt) und Lavendelöl wird mittelst eines Tupfbällchens
auf eine Zinn- oder Silberplatte aufgetragen, dann acht Stunden lang in der camera obscura exponirt. Nach dieser Zeit wird die
Platte in der Dunkelheit mit einem Lösungsmittel behandelt, welches aus 9 Theilen
Steinöl und 1 Theil Lavendelöl besteht; der durch das Licht nicht modificirte Firniß
wird hierbei aufgelöst, wogegen der modificirte nicht aufgelöst wird; letzterer
entspricht den Lichtern des Gegenstandes und das Bild ist daher ein positives.
– Wegen der geringen Empfindlichkeit des Erdharzes waren acht Stunden
erforderlich, um ein Resultat zu erhalten, was den großen Nachtheil hatte, daß sich
während dieses Zeitraums die Beleuchtung des abzubildenden Gegenstandes änderte.
– N. Niepce copirte jedoch ein gestochenes Porträt
des Papstes Pius VII. und Bilder von Landschaften.
Ueberdieß fand er, daß wenn man eine geeignete saure Flüssigkeit auf die Zinn-
oder Silberplatte gießt, das bloßgelegte Metall geätzt wird, während das durch
modificirtes Erdharz repräsentirte Bild unangegriffen bleibt, daher man sich der
Platte wie einer mit Scheidewasser geätzten Kupferplatte zum Drucken bedienen
konnte.
Von 1835 bis 1837 ersetzte Daguerre das Judenpech durch
eine unorganische Substanz, das Jodsilber, und das Lichtbild erzeugte sich nun in
der camera obscura sechzig- bis achtzigmal
schneller als bei dem Verfahren von N. Niepce. Die aus
der camera genommene Platte setzte Daguerre dem Quecksilberdampf aus, welcher durch eine Temperatur von 30
bis höchstens 60° C. entwickelt wurde. Endlich nahm er sie durch eine
wässerige Lösung von Kochsalz oder unterschwefligsaurem Natron, welche das vom Licht
nicht modificirte Jodsilber auflöst, und auf den Stellen welche den Lichtem des
Gegenstandes entsprechen, das Silber amalgamirt hinterläßt. Die Oberfläche des
Metalls, welches sein Jodsilber an das unterschwefligsaure Natron abgegeben hat,
repräsentirt die Schatten des Gegenstandes, wenn das Auge des Beschauers eine solche
Stellung hat, daß es das Licht nicht empfängt, welches spiegelnd vom Silber
reflectirt wird.
Dieß ist in Kürze die Geschichte der Entdeckungen, welche N. Niepce und Daguerre nach einander machten.
Verbesserung des anfänglichen Verfahrens mit Anwendung einer
organischen für das Licht empfindlich en Substanz.
Ich will mm auf die gegenwärtige Richtung der Photographie übergehen.
Abgesehen von der geringen Empfindlichkeit des gewöhnlichen Judenpechs, mußte N. Niepce den Firniß, welchen dasselbe mit Lavendelöl liefert, wegen seiner
Klebrigkeit mit einem Tupfbällchen auf die Metallplatte auftragen, was den Nachtheil
hatte, daß die empfindliche Schicht mehr oder weniger ungleich ausfiel.
Endlich gelang es der Ausdauer und Geschicklichkeit des Hrn. Niepce von St. Victor das Verfahren seines
Onkels in folgender Weise zu verbessern.
Er fand, daß wenn man möglichst reines Judenpech in Benzin auflöst, welches mit
Citronenöl (durch Pressen der Schalen dargestellt) oder besser noch mit
Bittermandelöl versetzt ist, der erhaltene Firniß zwei Eigenschaften besitzt, welche
demjenigen von Nicephorus Niepce fehlen. Der neue Firniß
ist nämlich vollkommen flüssig und verbreitet sich gleichförmig auf der Platte ohne
Beihülfe des Tupfbällchens; und während der frühere acht Stunden lang dem Licht
exponirt werden mußte, um das Bild zu empfangen, genügen bei dem neuen Firniß in der
camera obscura fünfundzwanzig Minuten bis höchstens
eine Stunde, und wenn es sich um eine Copie durch bloßen Contact handelt, bloß vier
bis acht Minuten. – Um das Bild zu entwickeln, wendet er ein Lösungsmittel
an, welches aus 3 Theilen Steinöl und 1 Theil Benzin besteht. Endlich widersteht das
vom Licht veränderte oder modificirte Erdharz den Säuren, welche das bloßgelegte
Metall ätzen, so daß es möglich ist, eine nach dem verbesserten Verfahren behandelte
Metallplatte mit Scheidewasser zu behandeln.
Mitwirkung des Sauerstoffs bei der Veränderung des Judenpechs
durch das Licht.
Im J. 1837 las ich der Akademie eine (seitdem in deren Mémoires veröffentlichte) Abhandlung über die Wirkung des Lichts
auf die gefärbten Zeuge vor. Ich zeigte darin, daß die organischen Substanzen in der
That viel beständiger sind, als man. allgemein glaubt, und daß Farbstoffe, die in
der Luft durch das Licht gebleicht werden, die Bleichung nicht erleiden, wenn sie
sich während der Einwirkung des Lichtes im leeren Raume oder in Wasserstoffgas
u.s.w. befinden. Zugleich zeigte ich, daß die gleichzeitige Berührung des Lichtes
und der Luft erforderlich ist, um den mittelst der kalten Küpe auf geköpertem
Baumwollzeug befestigten Indigo zu bleichen.Eine Bordüre, mit weißem Muster auf blauem Boden, wurde auf ein als glatter
Blauboden gefärbtes Zeugstück gelegt und damit mehrere Monate dem
Sonnenlicht ausgesetzt) der Blauboden am Rand der Bordüre war dann geätzt
(gebleicht),jedoch nicht auf der Kehrseite; merkwürdig ist
aber, daß das Licht, welches durch das weiße Muster drang, die dem Muster
entsprechenden blauen Stellen des dahinter liegenden als Blauboden gefärbten
Zeugstücks bleichte, so daß auf diesem das Muster in Weiß copirt war. Ich
habe mich natürlich überzeugt, daß der Blauboden, im luftleeren Raum der
Einwirkung des Lichts ausgesetzt, keine Veränderung erlitt, selbst durch
eine mehrere Jahre fortgesetzte Exposition. Man ersieht hieraus, daß der
atmosphärische Sauerstoff und das Licht positive
Bilder auf gefärbten Flächen hervorbringen können, welche unter
diesem doppelten Einfluß farblos werden.
Was ich nun der Akademie mitzutheilen habe, ist, daß die Bilder von Nicephorus Niepce, welche auf dem Judenpech erscheinen, nicht bloß
das Resultat der Einwirkung des Lichts sind, sondern das Product des
gemeinschaftlichen Einflusses des Lichtes und der Luft; sie entstehen daher im
beleuchteten Vacuum nicht.
Dieß geht aus folgenden zwei Versuchen hervor, welche ich gemeinschaftlich mit Hrn.
Niepce von St. Victor
anstellte. Man nahm zwei silberplattirte Kupferplatten, überzog sie mit dem neuen
Firniß (aus 90 Theilen Benzin, 10 Theilen Citronenöl und 2 Theilen Judenpech
bestehend), und ließ sie fünf Minuten lang im Dunkeln trocknen. Auf jede Platte
legte man dann, immer im Dunkeln, ein auf einer mit Eiweiß überzogenen Glasplatte
befindliches Lichtbild. Die eine der Platten wurde nun unter den Recipienten der
Luftpumpe gebracht, und die Luft bis auf 1 Centimeter Quecksilberdruck aus demselben
ausgepumpt. Die andere Platte wurde unter einen ähnlichen, mit Luft gefüllten, neben
der Maschine stehenden Recipienten gestellt. Vor dem Auspumpen der Luft waren beide
Recipienten mit einem schwarzen Zeuge umhüllt. Man öffnete nun ein Fenster und
setzte beide Recipienten mit ihrem Inhalte 10 Minuten lang dem Sonnenlichte aus.
Dann schloß man die Fensterladen, nahm die silberplattirten Kupferplatten aus den
Recipienten, trennte sie von den Glasplatten, und behandelte sie mit einem
Lösungsmittel aus 3 Theilen Steinöl und 1 Theil Benzin. Auf der Platte welche in der
Glocke mit Luft umgeben war, erschien das Bild, dagegen kam auf der Platte, welche
sich während der Einwirkung des Lichtes im Vacuum befunden hatte, keine Spur von
Bild zum Vorschein. – Ein zweiter gleicher Versuch, bei welchem aber die
Stellen, welche die Recipienten einnahmen, vertauscht waren, gab dasselbe
Resultat.
Ich beabsichtige näher zu untersuchen, in welcher Weise der Sauerstoff der Luft auf
das Judenpech einwirkt.
Verfahren bei der Darstellung zweier Bilder als
photographischer Stahlstich.
Ich habe der Akademie zwei Bilder übergeben, welche Hr. Niepce von St. Victor nach seinem Verfahren
ausgeführt hat, nämlich ein Porträt des Kaisers Napoleon III. und eine Ansicht des
Louvre. Der bei denselben eingeschlagene Weg bestand in folgenden Operationen:
a) Porträt des Kaisers.
1) Es wurde ein negatives Lichtbild von Hrn. Mayer auf Collodium gemacht;
2) das negative Bild gab ein positives Bild auf
empfindlichem Papier;
3) dieses positive Bild auf Papier gab in Berührung
mit einer Glasplatte, welche mit empfindlichem Eiweiß überzogen war, ein negatives Bild;
4) letzteres negative Bild gab in Berührung mit einer
Glasplatte welche mit empfindlichem Eiweiß überzogen war, ein positives Bild;
5) dieses positive Bild, auf eine Stahlplatte gelegt,
welche mit Erdharzfirniß überzogen und hernach dem Dampf von Bergamottenöl
ausgesetzt worden war, wurde dem Licht exponirt, und gab auf der Stahlplatte ein
positives Bild, welches durch das in Benzin und
Scheidewasser unauflöslich gewordene Erdharz dargestellt wird;
6) das nicht veränderte Erdharz wurde mittelst Benzin entfernt;
7) die nun entblößten Stellen der Platte wurden mit Scheidewasser geätzt und
konnten dann die Kupferdruckerschwärze annehmen.
b) Ansicht des Louvre.
1) Diese Ansicht wurde in der camera obscura auf
einer mit empfindlichem Eiweiß überzogenen Glasplatte aufgenommen; sie war negativ;
2) sie gab ein positives Bild auf einer mit
empfindlichem Eiweiß überzogenen Glasplatte;
3) das positive Bild auf Glas wurde auf eine
Stahlplatte gelegt (und angedrückt), welche zuerst mit Erzharzfirniß überzogen
und dann dem Dampf von Bergamottenöl ausgesetzt worden war. Das Ganze wurde dem
Licht exponirt;
4) das unverändert gebliebene Erdharz wurde mittelst Benzin entfernt;
5) die Stahlplatte wurde hierauf mit Scheidewasser behandelt.
Der Stich vom „Porträt des Kaisers“ wurde nach der
Einwirkung des Scheidewassers schwach retouchirt; die „Ansicht des
Louvre“ aber nicht. Die photographischen Operationen wurden von
Fräulein Pauline Riffaut ausgeführt, und die
Graviroperationen von Hrn. Riffaut.
Wünschenswerthe Vervollkommnung des Verfahrens mit Anwendung
einer organischen für das Licht empfindlichen Substanz.
Soll das Verfahren von Nicephorus Niepce seine
Vollkommenheit erreichen, so muß man in der camera
obscura eine Metallplatte exponiren können, welche mit einer organischen
Substanz überzogen ist, die empfindlicher als der gegenwärtige Firniß ist und ebenso
nach ihrer Modification durch das Licht und die Luft, sowohl in ihrem anfänglichen
Lösungsmittel als in den zum Aetzen der bloßgelegten Platte dienenden Säuren
unauflöslich geworden ist. Nach Erzielung dieses Resultats wird es nicht mehr nöthig
seyn: 1) ein negatives Bild auf Glas darzustellen, dessen Eiweißüberzug durch
salpetersaures Silber empfindlich gemacht ist; 2) von diesem negativen Bild eine
positive Copie auf Glas mit empfindlichem Eiweißüberzug zu machen, um dieselbe dann
in Berührung mit der mit Judenpech überzogenen Metallplatte dem Licht auszusetzen,
denn man kann dann letztere unmittelbar in der camera
obscura exponiren.