Titel: | Ein Mittel zur Verbesserung und Entsäuerung des Roggenbrodes (Hausbrod, Commisbrod); von Prof. J. v. Liebig. |
Fundstelle: | Band 133, Jahrgang 1854, Nr. CIX., S. 447 |
Download: | XML |
CIX.
Ein Mittel zur Verbesserung und Entsäuerung des
Roggenbrodes (Hausbrod, Commisbrod); von Prof. J. v. Liebig.
Aus den Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. XCI S.
246.
Liebig, Mittel zur Verbesserung und Entsäuerung des
Roggenbrodes.
Es ist bekannt, daß der Kleber der Getreidearten im feuchten Zustande eine
Veränderung erleidet; im frischen Zustande weich, elastisch und unlöslich im Wasser,
verliert er diese Eigenschaften bei Berührung mit Wasser. Einige Tage unter Wasser
aufbewahrt nimmt sein Volum allmählich ab, bis daß er sich zuletzt zu einer trüben
schleimigen Flüssigkeit löst, die mit Stärkmehl keinen Teig mehr bildet. Die
Teigbildung des Mehls wird aber wesentlich bedingt durch die Fähigkeit des Klebers,
Wasser zu binden und dieses in den Zustand zu versetzen, in welchem es, wie z.B. im
thierischen Gewebe, im Fleisch und im coagulirten Eiweiß enthalten ist, in welchem
das aufgesaugte Wasser trockene Körper nicht näßt. Eine ähnliche Veränderung wie im
nassen Zustande erleidet der Getreidekleber beim Aufbewahren des Mehls, indem
dieses, als eine in hohem Grade wasseranziehende Substanz, Wasser aus der Luft
aufnimmt; nach und nach vermindert sich die teigbildende Eigenschaft des Mehls und
die Beschaffenheit des daraus gebackenen Brodes. Nur durch künstliche Austrocknung
und Abschluß der Luft läßt sich dieser Verschlechterung vorbeugen. Bei Roggenmehl
tritt diese Veränderung ebenso rasch, vielleicht noch rascher ein, wie beim
Weizenmehl.
Vor etwa 24 Jahren kam bei den belgischen Bäckern ein Mittel in Gebrauch, durch
dessen Anwendung von Mehl, welches für sich ein schweres, nasses Brod geliefert
haben würde, ein Brod von der Beschaffenheit wie von dem frischesten und besten Mehl
gewonnen wurde. Dieses Mittel bestand in einem Zusatz von Kupfervitriol oder von
Alaun zum Mehl.Man s. Kuhlmann's Abhandlung über die Anwendung
des Kupfervitriols und anderer Salze in der Bäckerei, im polytechn. Journal
1831, Bd. XXXIX S. 439.
Die Wirkung beider in der Brodbereitung beruht darauf, daß sie mit dem in Wasser
löslich gewordenen veränderten Kleber, in der Wärme, eine chemische Verbindung
bilden, wodurch er alle seine verlornen Eigenschaften wiedergewinnt, er wird wieder
unlöslich und wasserbindend.
Die Beziehungen des Getreideklebers zum Käsestoff, mit dem er so viele Eigenschaften
gemein hat, veranlaßten mich zu einigen Versuchen, welche zum Zweck hatten, die
beiden obengenannten, für die Gesundheit und den Ernährungswerth des Brods so
schädlichen Substanzen durch ein an sich unschädliches Mittel von gleicher Wirkung
zu ersetzen. Dieses Mittel ist reines, kaltgesättigtes Kalkwasser. Wenn der zur
Teigbildung bestimmte Theil des Mehls mit Kalkwasser angemacht, sodann der Sauerteig
zugesetzt und der Teig sich selbst überlassen wird, so tritt die Gährung ein, ganz
wie ohne das Kalkwasser. Wird zur gehörigen Zeit der Rest des Mehls dem gegohrenen
Teige zugesetzt, die Laibe geformt und wie gewöhnlich gebacken, so erhält man ein
schönes säurefreies, festes, elastisches, kleinblasiges, nicht wasserrandiges Brod,
von vortrefflichem Geschmack, welches von allen, die es eine Zeitlang genießen,
jedem andern vorgezogen wird.
Das Verhältniß des Mehls zum Kalkwasser ist 19 : 5, d.h. zu 100 Pfund Mehl nimmt man
26 bis 27 Pfund oder Schoppen Kalkwasser. Diese Menge Kalkwasser reicht zur
Teigbildung nicht hin, und es muß natürlich im Verhältniß gewöhnliches Wasser nach
der Hand zugesetzt werden.
Da der saure Geschmack des Brodes sich verliert, so muß der Salzzusatz beträchtlich
vermehrt werden, um ihm die für den Gaumen gehörige Beschaffenheit zu geben.
Was den Kalkgehalt des Brodes betrifft, so weiß man, daß 1 Pfund Kalk hinreicht, um
mehr als 600 Pfund Kalkwasser zu bereiten; er beträgt in dem nach der angegebenen
Vorschrift bereiteten Brode nahe so viel, als wie in einem dem Mehle gleichen
Gewichte der Samen der Leguminosen enthalten ist.
Es kann als eine durch Erfahrung und Versuche ausgemittelte physiologische Wahrheit
angesehen werden, daß dem Mehl der Getreidearten die volle Ernährungsfähigkeit
abgeht, und es scheint nach allem, was wir darüber wissen, der Grund in dem Mangel
des zur Knochenbildung unentbehrlichen Kalks zu liegen. Phosphorsäure enthalten die
Samen der Getreidearten in hinreichender Menge, aber sie enthalten weit weniger
Kalk, als die Hülsenfrüchte. Dieser Umstand erklärt vielleicht manche
Krankheitserscheinungen, die man bei Kindern auf dem Lande oder in Gefängnissen
wahrnimmt, wenn die Nahrung vorzüglich in Brod besteht, und in dieser besonderen
Beziehung möchte diese Anwendung des Kalkwassers von Seiten der Aerzte einige
Aufmerksamkeit verdienen.
Die Ausgiebigkeit des Mehls an Brod wird wahrscheinlich in Folge einer stärkeren
Wasserbindung vermehrt. Auf 19 Pfund Mehl ohne Kalkwasser wurden in meiner
Haushaltung selten über 24 1/2 Pfund Brod erhalten; mit 5 Pfund Kalkwasser verbacken
liefert dieselbe Menge Mehl 26 Pfund 12 Loth bis 26 Pfund 20 Loth gut ausgebackenes
Brod. Da nun nach Heeren's Bestimmungen die gleiche Menge
Mehl nur 25 Pfund 3,2 Loth Brod liefert, so scheint mir die Gewichtsvermehrung durch
die Anwendung des Kalkwassers unzweifelhaft zu seyn.