Titel: | Notiz über ein Dampfschiff von 22,000 Tonnen und 2600 Pferdekräften, welches jetzt in England gebaut wird. |
Fundstelle: | Band 133, Jahrgang 1854, Nr. II., S. 3 |
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II.
Notiz über ein Dampfschiff von 22,000 Tonnen und
2600 Pferdekräften, welches jetzt in England gebaut wird.
Aus dem Bulletin de la Société
d'Encouragement, April 1854, S. 245.
Notiz über ein Dampfschiff nach neuer Construction.
Die orientalische Dampfschifffahrtsgesellschaft in England läßt jetzt zu Millwall bei
London, in den Werkstätten des Hrn. Scott Russell, ein
Dampfschiff bauen, welches die Aufmerksamkeit der Constructeure auf sich ziehen muß.
Dieses Schiff, welches in zwei Jahren fertig seyn soll, wird auf dem Verdeck 213,5
Meter (680 Fuß rhein.) lang, im Kiel 207,4 Met. (660 2/3 Fuß) lang seyn; im Maximum
wird es 25,3 Meter (66 Fuß) breit und 17,8 Meter (56 3/4 Fuß) tief seyn. Seine
Tragfähigkeit wird 22,000 Tonnen betragen, und daher 22mal größer seyn als diejenige
der größten Handelsfahrzeuge.
Die Constructionsart dieses ungeheuren Schiffs ist nicht minder bemerkenswerth, als
die Größe seiner Dimensionen. Die Wände sind doppelt, sie bestehen aus Eisenblech
und sind beide 0,76 Meter (29 rhein. Zoll) von einander entfernt und durch eine
Menge kleiner, der Quere nach gehender, dichter Scheider mit einander verbunden. Das
Innere des Schiffsraums ist ebenfalls durch dreizehn der Quere nach laufende, und
durch zwei der Länge nach gehende wasserdichte Scheidewände in verschiedene
Abtheilungen getheilt. Diese Construction, das sogenannte Zellensystem, hat den doppelten Vortheil, das Eindringen des Wassers in
die Räume zu localisiren und den Widerstand des Rumpfes gegen den Wellenschlag etc.
zu erhöhen.
Das Schiff wird ein starkes Segelwerk erhalten, um günstige Winde benutzen zu können.
Sein Hauptmotor wird aber in einer Dampfmaschine von 2600 Pferdekräften bestehen,
welche von Watt und Sohn
construirt wird. Die Dampfmaschine wird zwei Propulsatoren treiben, nämlich sowohl
gewöhnliche Ruderräder an den Seiten des Schiffs, als auch eine am Hintertheil
angebrachte Schraube. Die Anwendung eines doppelten Propulsators hat den Vortheil,
alle Nachtheile zu beseitigen, welche die Uebertragung einer Kraft von 2600 Pferden mittelst eines
einzigen Mediums, welches natürlich in seinen Dimensionen sehr beschränkt seyn muß,
etwa haben könnte. Dazu kommt noch der Vortheil, daß die Beladungsweise, wobei die
Ruderräder am wenigsten wirksam sind, gerade diejenige ist, wobei der
Schrauben-Propulsator die besten Resultate gibt, und umgekehrt.
Der Zweck der englischen Gesellschaft beim Bau dieses Riesenschiffes, welches etwa 10
Millionen Francs oder 2 3/4 Millionen Thaler kostet, ist der, Personen und Güter zu
wohlfeilem Preisen, als es durch die gewöhnlichen Dampf-Packetboote geschehen
kann, zu transportiren. Die Geometrie lehrt uns nämlich, daß wenn man die
Dimensionen der Schiffe Proportional vergrößert, ihre Räumlichkeit im Verhältniß der
Kubikzahlen dieser Dimensionen größer wird. Die Erfahrung beweist ihrerseits, daß
die Widerstände des Schiffsrumpfes, d.h. die Kräfte, welche erforderlich sind, um
ihm eine gegebene Geschwindigkeit zu ertheilen, höchstens wie die Quadrate dieser
Dimensionen steigen.Man glaubte lange Zeit, daß der Widerstand schwimmender Körper, für dieselbe
Geschwindigkeit, proportional ihrem größten, unter Wasser befindlichen
Querschnitt zunimmt. Seit mehreren Jahren gesammelte Thatsachen machen es
jedoch wahrscheinlich, daß die Zunahme minder rasch steigt. Es ist daher weniger Triebkraft erforderlich, um eine Tonne Güter auf einem
großen Fahrzeuge fortzuschaffen, als auf einem kleinen.
Die Rheder des beschriebenen Schiffes hoffen, daß sie mit einer Kraft von 2600
Pferden, d.h. mit 1 Pferdekraft auf 8,4 Tonnen Tragfähigkeit, dieselbe
Geschwindigkeit erlangen, welche jetzt die besten englisch-amerikanischen
Dampfer entwickeln, deren Kraft zu 1 Pferd auf 3 Ton. berechnet ist. Der durch diese
Verminderung der Triebkraft verfügbar werdende Raum soll zur Aufnahme von Ladung und
Gütern benutzt werden. Man hofft auf diese Weise 5000 Tonnen Güter und 500
Passagiere 1ster Classe (wozu noch die übrigen Classen kommen) unterbringen zu
können.
Indem auf diese Weise die verfügbaren Räume vermehrt werden, haben die Rheder noch
einen andern Zweck. Das Fahrzeug kann in seinen Räumen 10,000 Tonnen Steinkohlen
aufnehmen, welche für 38 volle Tage die Dampfkraft liefern und womit wenigstens 3600
Seemeilen zurückgelegt werden können, ohne daß der Wind zu Hülfe genommen werden
müßte. Man glaubt daher annehmen zu können, daß man mit Beihülfe des Segelns, bei
günstigen Brisen, mit dem neuen Fahrzeuge nach Australien und von dort zurückgelangen wird, ohne in
irgend einem Hafen anhalten und Brennmaterial aufnehmen zu müssen, also die Fahrt
mit einer bis jetzt nicht erreichten Schnelligkeit machen wird.
Endlich erfordert auch ein so großes Schiff eine verhältnißmäßig geringere Anzahl von
Mannschaft, da letztere im Verhältniß der geringern Tragfähigkeit eines Schiffes
steigt.