Titel: | Ueber die Anwendung von Gegengewichten an den Triebrädern der Locomotiven; vom Ingenieur Couche. |
Fundstelle: | Band 131, Jahrgang 1854, Nr. CXI., S. 416 |
Download: | XML |
CXI.
Ueber die Anwendung von Gegengewichten an den
Triebrädern der Locomotiven; vom Ingenieur Couche.
Nach seiner Abhandlung in den Annales des mines, 1853, t. III, bearbeitet vom
Ingenieur-Assistenten Tellkampf; hier aus dem Notizblatt des hannoverschen Architekten-
und Ingenieur-Vereins Bd. III Heft 1.
Mit Abbildungen.
Couche, über die Anwendung von Gegengewichten an den Triebrädern
der Locomotiven.
Bei der Bewegung aller Locomotiven, und namentlich der Maschinen mit außenliegenden
Mindern, zeigen sich mancherlei störende Kräfte und Schwankungen, welche durch die
abwechselnde Einwirkung der Dampfkraft auf die beiden rechtwinkelig gegen einander gestellten
Kurbeln der Triebachse hervorgerufen werden und für die Praxis leider unvermeidlich
zu seyn scheinen. Um so wichtiger ist es aber zur Erreichung der nöthigen
Stabilität, daß wenigstens diejenigen Unregelmäßigkeiten der Bewegung, die aus der
Trägheit von einzelnen oscillirenden oder rotirenden Maschinentheilen entspringen,
nach Möglichkeit beseitigt werden, was durch Anwendung von Gegengewichten an den
Triebrädern freilich zum Theil, aber niemals ganz vollkommen, zu erreichen ist. Man
kann nämlich die Gegengewichte so anordnen, daß entweder nur die horizontalen, oder
nur die verticalen störenden Kräfte dadurch vernichtet werden. Da bis jetzt noch
keine allgemeinen Regeln über die Anwendung der Gegengewichte existiren, so
erscheint es nicht unwichtig, die Zweckmäßigkeit jener beiden verschiedenen Systeme,
wovon das erste in England, das zweite in Deutschland und Frankreich fast allgemein
gebräuchlich ist, genau zu untersuchen und zu vergleichen. Zunächst mögen deßhalb
für eine Maschine mit unabhängigen Triebrädern und horizontal liegenden Cylindern
die Größen der störenden Kräfte, welche durch die Trägheit der beweglichen
Maschinentheile entwickelt werden, unter der Voraussetzung, daß keine Gegengewichte
vorhanden sind, zu ermitteln seyn.
Nach einem bekannten Naturgesetz können in einem Körpersystem oder einer Maschine
worin nur innere Kräfte thätig sind, auch nur innere relative Bewegungen der
einzelnen Körper oder Maschinentheile vorkommen; es muß aber dabei der Schwerpunkt
des ganzen Körpersystemes immer in völliger Ruhe bleiben, weil eben jede innere
drückende oder ziehende Kraft immer gleich stark nach beiden Seiten hin drückt oder
zieht. Dasselbe Gesetz findet auch unmittelbar auf die Bewegung der Locomotiven
Anwendung, wenn man die wirkliche Fortbewegung derselben, welche durch die äußere
Kraft der Adhäsion zwischen Rädern und Schienen bewirkt wird, ganz außer Acht läßt.
Die Kraft des Dampfes in den Cylindern der Locomotive ist eine innere Kraft; sie
wirkt gleich stark nach entgegengesetzten Richtungen hin auf den Kolben und auf die
kreisförmige Bodenfläche des Cylinders, und treibt deßhalb gleichzeitig die
bewegenden Maschinentheile, nämlich den Kolben, die Lenkstange und die Kurbel an der
Triebachse, nach der einen Seite, die gesammte übrige Masse der Maschine aber
entsprechend weit nach der andern Seite, so daß der Schwerpunkt der ganzen Maschine
immer in Ruhe bleibt. Es zeigt sich also, ähnlich wie bei abgeschossenen Gewehren,
so auch bei den Locomotiven ein Rückstoß oder Rückprall der ganzen Maschine, und
zwar abwechselnd nach vorn und hinten, nach oben und unten, je nachdem die genannten
oscillirenden Maschinentheile sich in der entgegengesetzten Richtung bewegen.
In Wirklichkeit sind nun zwar die Locomotiven, namentlich vermöge der Einwirkung
ihres bedeutenden Gewichtes, nicht im Stande, dem Impulse jenes Rückstoßes ganz frei
zu folgen; allein derselbe äußert sich dann gleichwohl durch einen lästigen
statischen Druck und bringt jedenfalls immer vielfache sehr unangenehme und
gefährliche Störungen und Schwankungen im Gange der Maschinen hervor.
1. Horizontalstörungen.
Der gesammte horizontale Rückstoß, welchen die Maschine erfährt, setzt sich aus den
Bewegungen der beiden rechtwinkelig gegen einander gestellten Kurbeln nebst den
zugehörigen Lenkstangen und Kolben zusammen. Es sey die Masse eines Kolbens mit der
Kolbenstange = K, die einer Lenkstange = L und die einer Kurbel = C;
ferner seyen die Halbmesser der Kreise, welche bei der Umdrehung der Triebachse vom
Schwerpunkt der Kurbel und vom Kurbelzapfen beschrieben werden, = ϱ und = r. Die ganze
Bewegung möge von dem Augenblick an betrachtet werden, wo die eine Kurbel
horizontal, die andere vertical steht. Wenn sich dann die Triebachse um den Winkel
β dreht, so ist die Horizontalverschiebung
des Schwerpunktes der ersten Kurbel = ϱ . (1
– cos β), und die Horizontalverschiebung
des Schwerpunktes der Lenkstange und des Kolbens annähernd = r . (1 – cos β).
Textabbildung Bd. 131, S. 417
Bei der zweiten Kurbel ist während derselben Zeit die Horizontalverschiebung des
Schwerpunktes der Kurbel = ϱ . sin β, und diejenige des Schwerpunktes der
Lenkstange und des Kolbens annähernd = r . sin β.
Textabbildung Bd. 131, S. 417
Wenn nun M die ganze Masse der Locomotive und x den Weg bezeichnet, welchen jene Masse vermöge der
Einwirkung des Rückstoßes in horizontaler Richtung durchläuft, indem der Schwerpunkt
der Locomotive auf derselben Stelle verbleibt, so ist:
Textabbildung Bd. 131, S. 418
Der Einfachheit wegen möge die auf den Kurbelzapfen reducirte Masse der Kurbel c = (C . ρ)/r eingeführt
werden, also
(1) Textabbildung Bd. 131, S. 418
Wenn man die Winkelgeschwindigkeit ω = dβ/dt, womit sich die
Triebachse umdreht, als constant ansieht, so findet sich die Geschwindigkeit der
Bewegung des Rückstoßes gleich
(2) Textabbildung Bd. 131, S. 418
Die Acceleration φ dieser Bewegung ist gleich
(3) Textabbildung Bd. 131, S. 418
Die bei dem Rückstoß ausgeübte Kraft F ist gleich
(4) F = M . φ = (c + L + K) . r . ω² . (cos β – sin
β).
Die beiden Componenten (c + L
+ K) . r . ω² . cos
β und – (c + L + K) . r . ω² . sin β, woraus sich die Kraft F zusammensetzt, bringen nicht allein durch ihre
Vereinigung den Rückstoß hervor, sondern sie suchen auch, da sie zu beiden Seiten
der Maschine in entgegengesetzter Richtung wirken, die ganze Locomotive in
horizontaler Richtung seitwärts zu drehen, was namentlich bei den Locomotiven mit
außenliegenden Cylindern, wobei der Hebelarm dieser Drehkräfte am größten ist,
unangenehme Schwankungen in der Bewegung erzeugt.
Nach Gleichung (2) ist die Geschwindigkeit v der Bewegung
des Rückstoßes = 0 für β = 135° und β = 315°; sie nimmt aber für β = 45° und β = 225° ihren größten Werth an, nämlich:
Textabbildung Bd. 131, S. 418
Die Kraft F des Rückstoßes wird nach Gleichung (4) = 0
für β = 45° und β = 225°; sie wird ein Maximum für β = 135° und β =
315°, nämlich:
F₁ = ± (c +
L + K) . r . ω² .
√2.
Bei den Locomotiven mit gekuppelten Rädern hat man auch noch die auf die Kurbelzapfen
reducirten Massen c₁ der Kuppelungskurbeln und
die Massen L₁ der Kuppelstangen mit in die
Rechnung einzuführen. Wenn die Cylinder außen liegen, so werden die bewegenden
Kurbeln an den Triebrädern auch zur Kuppelung mit benutzt, es ist dann also c = c₁; bei den
Maschinen mit innenliegenden Cylindern befinden sich aber an den Triebrädern
besondere Kuppelungskurbeln, welche den bewegenden Kurbeln an der Triebachse gerade
entgegengesetzt angebracht sind. Es ist für eine Außenseit-Maschine mit 4
gekuppelten Rädern:
F = (2c + L + L₁ + K) . r . ω² . (cos
β – sin β).
Deßgleichen mit 6 gekuppelten Rädern:
F = (3c + L + 2L₁ + K) . r . ω² . (cos
β – sin β).
Für Innenseit-Maschinen mit 4 gekuppelten Rädern ist:
F = (c + L + K – L₁ – 2c₁) . r . ω² . (cos β – sin β).
Deßgleichen mit 6 gekuppelten Rädern:
F = (c + L + K – 2L₁ – 3c₁) . r . ω² . (cos β – sin β).
Die Kuppelstangen und Kuppelungskurbeln sollen bei den Innenseit-Maschinen
auch zugleich als Gegengewichte dienen; ihre vereinigte Masse ist aber bei 4
gekuppelten Rädern zu gering und bei 6 gekuppelten Rädern zu groß, so daß doch noch
immer ein schwächerer horizontaler Rückstoß nach der einen oder andern Richtung hin
übrig bleibt. Bei den Außenseite-Maschinen wird der Rückstoß durch die
Verkuppelung der Räder immer noch bedeutend verstärkt.
2. Verticalstörungen.
Weil das bedeutende Gewicht der Locomotiven dieselben immer fest auf die Schienen
niederdrückt, so darf man sie in verticaler Richtung nicht als frei beweglich
ansehen, d.h. es können die verticalen störenden Kräfte,
welche durch die Trägheit der bewegenden Maschinentheile erzeugt werden, nicht so wie die horizontalen
Kräfte eine wirkliche Bewegung der ganzen Maschine hervorbringen, sondern sie werden
sich an der Stelle wo sie angreifen, nur durch einen entsprechenden Druck nach oben
oder unten äußern. Weil demnach ein gemeinsames Zusammenwirken der zu beiden Seiten der Maschine
erzeugten Verticalkräfte fast gar nicht stattfindet, so genügt es hier, die Bewegung
überhaupt nur für eine Seite der Maschine, also nur für
ein Triebrad und eine
Kurbel nebst Kolben und Lenkstange zu betrachten. Im Anfang der betrachteten
Bewegung möge die Kurbel sich in horizontaler Lage befinden; ferner möge die Länge
der Lenkstange = l und die Entfernung ihres
Schwerpunktes vom Kopf der Kolbenstange = λ seyn.
Wenn nun das Triebrad sich um den Winkel β dreht,
so wird in verticaler Richtung von der auf den Kurbezapfen reducirten Masse der
Kurbel c der Weg r . sin β und vom Schwerpunkt der Lenkstange der Weg
λ/l . r . sin β
zurückgelegt; bei dem Kolben und der Kolbenstange kann eine Verticalverschiebung
natürlicherweise nicht vorkommen. Man erhält nun durch eine ganz ähnliche Rechnung
wie früher die Größe der verticalen störenden Kraft für eine Seite der Maschine
gleich:
(5) F₁
= ∓ (c + λ/l .
L) . r . ω² . sin β.
Es kommt aber vor allen Dingen darauf an, den Verticaldruck zu bestimmen, welchen das
Triebrad erfährt. Die obige Kraft F₁ besteht nämlich aus den zwei Componenten
c . r . ω². sin
β und λ/l . L . r . ω². sin
β, wovon die erste am Kurbelzapfen angreift und ganz und gar auf das
Triebrad übertragen wird, die zweite aber im Schwerpunkt der Lenkstange angreift und
sich theils auf die Geradführung der Kolbenstange und somit auf das darunterliegende
Laufrad, theils auch auf den Kurbelzapfen und folglich auf das Triebrad vertheilt.
Es ist also der Verticaldruck auf das Triebrad gleich:
(6) F₂
= (c + L . λ²/l²)
. r . ω² . sin β.
Dieser Verticaldruck F₂, der abwechselnd nach oben
und nach unten wirkt, äußert sich dadurch besonders schädlich, daß er den Druck der
Triebräder auf die Schienen und folglich die Adhäsion zwischen beiden veränderlich
macht und eine ungleiche, an einigen Stellen besonders starke Abnutzung der Räder
und Schienen veranlaßt.
Für Locomotiven mit außenliegenden Cylindern mit 4 gekuppelten Rädern ist:
F₁ = (2c + L . λ/l + L₁) . r . ω² . sin β.
Deßgleichen mit 6 gekuppelten Rädern:
F₁ = (3c + L . λ/l + 2L₁) . r . ω² . sin β.
Für Innenseit-Maschinen mit 4 gekuppelten Rädern ist:
F₁ = (c + L . λ/l + 2c₁ – L₁) . r . ω² . sin
β.
Deßgleichen mit 6 gekuppelten Rädern:
F₁ = (c + L . λ/l – 3c₁
– 2L₁) . r .
ω². sin
β.
3. Anwendung der
Gegengewichte.
Schon bei den zuerst erbauten Locomotiven war ein kleines Gegengewicht, wodurch nur
die Kurbel im Gleichgewicht gehalten wurde, an den Triebrädern angebracht; dadurch
reducirte sich die Kraft des horizontalen Rückstoßes auf
(L + K) .
r . ω² .
(cos β – sin
β),
und der veränderliche Verticaldruck, welchen ein Triebrad zu erleiden hat, auf
L . λ²/l². r . ω². sin
β.
Die englischen Ingenieure vergrößerten später die Masse diese Gegengewichtes,
freilich nur in der Absicht, um die Centrifugalkraft der Kurbel und der Lenkstange
im Gleichgewicht zu halten. Zu dem Ende brachten sie die Triebräder zwischen die
Spitzen einer Drehbank und vermehrten das Gegengewicht so lange, bis es die Kurbel
und die Lenkstange, welche mit dem einen Ende fest aufgehängt war, im Gleichgewicht
hielt. Auf diese Weise erreichten sie indessen noch mehr als sie beabsichtigt
hatten; denn das so gefundene Gegengewicht, dessen Masse, auf. den Kurbelzapfen
reducirt, = c + L . λ/l ist, reicht
gerade hin, um die verticale störende Kraft F₁
vollständig zu vernichten. Auch wird die horizontale störende Kraft dadurch reducirt
auf
Textabbildung Bd. 131, S. 421
Als man erkannte, daß auch noch durch diesen Rest der horizontalen störenden Kraft
unangenehme Seitenschwankungen der Locomotiven hervorgebracht wurden, so schlug Heaton vor, anstatt der an den Triebrädern befestigten Gegengewichte eine
gleitende Masse vom Gewicht des Kolbens mit der Kolbenstange zu beiden Seiten am
hintern Ende der Maschine anzubringen und dieselbe durch eine zweite Kurbel und
Lenkstange, welche Theile der bewegenden Kurbel und Lenkstange ebenfalls gleich und
entgegengesetzt sind, in oscillirende Bewegung zu versetzen. Hierdurch würden
allerdings sowohl die Horizontal- als auch die Verticalstörungen vollkommen
aufgehoben werden; allein die Anwendung einer so verwickelten Construction und einer
so bedeutenden tobten Masse erscheint für die Praxis als unausführbar.
In Deutschland und Frankreich pflegt man nach Nollau's
Methode am Umfange des Triebrades ein Gegengewicht, dessen Masse, auf den
Kurbelzapfen reducirt, = (c + K + L) ist, anzubringen, wodurch die Kraft des
horizontalen Rückstoßes vollständig, und die Seitenschwankungen wenigstens zum
größten Theil vernichtet werden. Dahingegen wird aber der besonders schädliche
Verticaldruck F₂ auf die Triebräder dadurch noch
etwas vergrößert, nämlich gleich:
[K + L .
(1 – λ²/l²)] . r . ω² . sin β,
während er nach Gleichung (6) bei der Anwendung von gar keinem Gegengewichte nur
gleich (c + L . λ²/l²)
. r. ω². sin
β war. Die übeln Folgen dieses Verfahrens sollen im Nachstehenden
näher untersucht und im Einzelnen beleuchtet werden.
Zunächst macht der auf die Triebräder wirkende Verticaldruck F₂ die Adhäsion zwischen den Schienen und Triebrädern veränderlich
und bewirkt, daß die Radkränze der Triebräder ungleichmäßig, und zwar an einigen
Stellen vorzüglich stark abgenutzt werden. Hierdurch wird ein öfteres Nachdrehen der
Radkränze erforderlich, was besonders bei den Maschinen mit gekuppelten Rädern sehr
unangenehm und kostspielig ist, weil dabei immer die sämmtlichen verkuppelten Räder
nachgedreht werden müssen, wenn nur eines derselben eine einzige schlechte Stelle
bekommen hat. Uebrigens trägt auch die an der Kurbel angreifende bewegende
Dampfkraft direct dazu bei, um den Verticaldruck auf die Triebräder und folglich
auch die Abnutzung der Räder veränderlich zu machen. Es setzt sich nämlich die
Abplattung der Radkränze aus zwei verschiedenen Ursachen zusammen, theils aus dem
auf die Schienen ausgeübten Verticaldruck, welcher den Radkranz zu zerdrücken sucht,
und theils aus dem Moment der am Kurbelzapfen angreifenden Tangential- oder
Drehkraft, welche alle passiven Widerstände und namentlich die Reaction der Schienen
überwinden muß und
deßhalb fortwährend zur Abnutzung der Radkränze durch Abreiben oder Abschleifen
beiträgt. Wenn P den auf den Kolben ausgeübten wirksamen
Dampfdruck bezeichnet, so ist der veränderliche Theil V
des auf dem Triebrade lastenden Verticaldruckes gleich:
Textabbildung Bd. 131, S. 423
Der Tangentialdruck T am äußeren
Umfange des Radkranzes, dessen Halbmesser = R seyn möge,
ist gleich:
Textabbildung Bd. 131, S. 423
Wenn der Dampfdruck P constant
ist, so werden die Werthe von V und T ein Maximum für β =
90°. Bei allen Maschinen aber, wo Expansion oder Absperrung des Dampfes
stattfindet, ist der Werth von β, wobei V und T ein Maximum werden,
um desto kleiner als 90°, je kürzer die Zeitdauer des freien Dampfzutrittes
ist, wie sich dieses auch aus vielfachen Erfahrungen und angestellten Versuchen
ergibt. Derartige Beobachtungen über die Stellen der größten Abnutzung an den
Radkränzen sind nur mit großer Schwierigkeit und Sorgfalt, mit Sicherheit wohl nur
auf der Drehbank vorzunehmen, weil solche eingedrückte Stellen sich durch das bloße
Auge oder durch einfache Berührung fast niemals erkennen lassen.
Hinsichtlich der nöthigen Festigkeit, die man den Schienen zu geben hat, ist der
Einfluß eines periodisch größeren Druckes der Triebräder auf die Schienen ebenfalls
ein Gegenstand von großer Wichtigkeit, weil man dadurch gezwungen wird, erheblich
stärkere und kostbarere Schienen anzuwenden, als bei einer gleichmäßigen Belastung
derselben nöthig seyn würde. Man pflegt zwar bei der Vertheilung des Gewichtes einer
Locomotive auf deren drei Achsen die der Triebachse zu ertheilende Belastung so
gering anzunehmen, als es die erforderliche Adhäsion nur irgend zuläßt; aber diese
Vorsicht gewährt wenig Nutzen, wenn die Belastung der Triebräder periodisch um 60
bis 80 Procent zu- und abnimmt. Der Einfluß einer solchen veränderlichen
Belastung auf die Schienen kann sich nur bei sehr großen Geschwindigkeiten der Züge,
wobei die Zeitdauer der Einwirkung auf dieselbe Stelle zu kurz ist, verhältnißmäßig
weniger stark äußern; allein aus allen darüber angestellten Versuchen ergibt sich,
daß in diesem Fall auch die constanten Belastungen immer ungemein schädlich auf die
Schienen einwirken, weßhalb das schnelle Fahren überhaupt unzulässig und zu
gefahrvoll ist.
Es ist ferner zu befürchten, daß durch den veränderlichen Verticaldruck, welcher an
jedem Triebrade angreift und bald nach oben, bald nach unten, wirkt, ein
Entgleisen der Triebräder verursacht werde, und zwar nicht ohne Grund, denn dasselbe
ist auf der französischen Nordbahn wirklich dreimal bei Maschinen, die nach dem
Systeme Crampton's erbaut waren, vorgekommen. Obgleich
auch einige andere Umstände, namentlich die bei einer großen Geschwindigkeit leicht
vorkommenden Stöße und eine gewisse Unregelmäßigkeit in der Vertheilung des
Gewichtes der Maschine auf die drei Achsen, zu diesen Unfällen mit beigetragen haben
mögen, so sind dieselben doch hauptsächlich dem Einfluß der trägen Masse des
Gegengewichtes zuzuschreiben. Es ist auch leicht durch Rechnung zu zeigen, daß jener
Einfluß öfters schon fast allein für sich hinreicht, um ein Triebrad in die Höhe zu
heben. Es sey nämlich eine Maschine zu betrachten, welche 27 Tonnen wiegt, und zwar
möge dieses Gewicht gleichmäßig auf alle sechs Räder der Maschine vertheilt seyn, so
daß jedes Rad eine Belastung von 4500 Kilogr. trägt. Das Gewicht der Kolbenstange
sey = 159 Kil., des Kolbens = 20 Kil., der Lenkstange = 135 Kil., das Gewicht der
Kurbel auf den Kurbelzapfen reducirt = 60 Kil., also das Gegengewicht für
horizontales Gleichgewicht, auf den Kurbelzapfen reducirt, = 159 + 20 + 135 + 60 =
374 Kil., der Kurbelhalbmesser r = 0,275 Meter, und das
Verhältniß λ/l = 3/5.
Wenn ferner der Durchmesser der Triebräder = 2,10 Meter ist, und die Locomotive
einen Schnellzug mit einer Geschwindigkeit von 90 Kil. per Stunde oder 25 Meter per Secunde zu
fördern hat, so ist die Winkelgeschwindigkeit ω
der Triebachse = 25/1,05 = 23,81, und es wird für β = – 90° das Maximum der verticalen störenden Kraft
für ein Triebrad gleich:
F₂ = + [(159 + 20) + 135 .
{1 – (3/5)²}] . 0,275 . 23,81².
F₂ = 4217 Kilogramme.
Es erfährt also das Triebrad in dem Augenblick, wenn β = – 90° ist, d.h. wenn die Kurbel
ihre tiefste Stellung erreicht hat, einen Verticaldruck von unten nach oben, welcher
beinahe der auf dem Rade ruhenden Belastung gleichkommt, so daß schon ein geringes
äußeres Hinderniß genügen wird, um das Rad in diesem Augenblick über die Schienen
emporzuheben.
Die Anwendung des Gegengewichtes für horizontales Gleichgewicht bringt endlich auch
noch den Uebelstand mit sich, daß das Gewicht der ganzen Maschine, welches man sonst
doch auf jede mögliche Weise einzuschränken sucht, durch die ausnehmend große todte
Masse des Gegengewichtes so sehr vermehrt wird. Schon das Gegengewicht für verticales Gleichgewicht
erfordert, namentlich bei den Maschinen mit gekuppelten Rädern und außenliegenden
Cylindern, eine ziemlich bedeutende todte Masse.
Wie sich aus den obigen Betrachtungen ergibt, so sind unter den Horizontal-
und Verticalstörungen die letzteren als das größere Uebel bei der Bewegung der
Locomotiven anzusehen und deßhalb vor allen Dingen möglichst vollständig zu
vernichten. Diesen Zweck erfüllt nun das Gegengewicht für verticales Gleichgewicht,
indem es gleichzeitig die Horizontalstörungen erheblich vermindert; die Anwendung
des Gegengewichtes für horizontales Gleichgewicht ist dagegen unzweckmäßig zu
nennen, weil dadurch zwar die Horizontalschwankungen größtentheils beseitigt, aber
die besonders schädlichen Verticalstörungen noch verstärkt werden. Da es nun
unmöglich zu seyn scheint, durch ein einfaches Mittel sowohl die Vertical-
als auch die Horizontalstörungen vollkommen aufzuheben, so muß die einstimmige
Ansicht der englischen Ingenieure, daß man sich am besten mit der Anwendung des
Gegengewichtes für verticales Gleichgewicht begnügt,
unbedingt gebilligt werden, weil dadurch das größere Uebel vollständig beseitigt und
das kleinere fast um die Hälfte vermindert wird. Der Rest der horizontalen störenden
Kraft, welcher bei Anwendung jenes Gegengewichtes noch übrig bleibt, schadet
übrigens auch nur wenig, besonders seitdem in der neueren Zeit mannichfache, auf
eine größere Stabilität hinzielende Verbesserungen in der Construction der
Locomotiven, z.B. die Verlegung der Triebachse unter das hintere Ende bei den
Maschinen für Schnellzüge, eingeführt worden sind.