Titel: | Ueber das gleichzeitige Telegraphiren auf demselben Drahte in entgegengesetzten Richtungen. |
Fundstelle: | Band 131, Jahrgang 1854, Nr. LI., S. 191 |
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LI.
Ueber das gleichzeitige Telegraphiren auf
demselben Drahte in entgegengesetzten Richtungen.
Aus dem polytechnischen Centralblatt, 1853,
Liefer. 24.
Mit einer Abbildung auf Tab. III.
Ueber das gleichzeitige Telegraphiren auf demselben Drahte in
entgegengesetzten Richtungen.
Das Problem, auf einem und demselben Telegraphendrahte gleichzeitig zwei verschiedene Nachrichten in entgegengesetzten Richtungen
geben zu können, ist durch den österreichischen Telegraphendirector Hrn. Gintl auf eine sehr sinnreiche Weise gelöst worden. Es
bedarf hierzu auf jeder der beiden Stationen A und B (Fig. 16), zwischen
welchen in der angegebenen Weise correspondirt werden soll, nur eines Einstiftapparates, dessen Construction jedoch in
einigen Theilen von den jetzt gebräuchlichen abweichen muß.
Indem die Construction eines Morse'schen Einstiftapparates
als bekannt vorausgesetzt wird, ist hier zu bemerken, daß die Tastervorrichtung
eines Apparates, welcher gleichzeitig zum Zeichengeben und Zeichenempfangen benutzt
werden soll, aus zwei von einander isolirten Tasterhebeln der gewöhnlichen
Construction bestehen muß, welche am vorderen Ende durch ein isolirendes Querstück
verbunden sind und beim Telegraphiren durch einen darauf befindlichen Knopf
gleichzeitig niedergedrückt werden, so daß die Tasterhebel, welche in den
Scharnieren b und b₁
gehen und im Ruhestande mit den Contactpunkten c
c₁ in leitender Verbindung, von den
Contactpunkten a
a₁ aber durch einen kleinen Zwischenraum isolir
sind, beim Niederdrücken genau zu gleicher Zeit mit letzteren in Berührung kommen.
Der Tasterhebel rechts steht in gewöhnlicher Weise mit der Linien- oder
Telegraphirbatterie, mit dem Relay und der Leitung und mit der Erde in Verbindung,
nämlich der Contactpunkt a₁ mittelst der Klemme
g mit einem Pole der Linienbatterie, deren anderer
Pol mit der Erde verbunden ist, ferner das Scharnier b₁ des Tasterhebels durch die Klemme f mit
dem Relay und der Leitung, und der Contactpunkt c₁ durch die Klemme m mit der Erde.
Das Relay besteht, abweichend von dem gewöhnlichen Morse'schen, aus einem inneren und einem äußeren, d.h. aus einer Anzahl
unmittelbar um die Eisenkerne gewundener Drahtlagen, deren zwei Enden einerseits mit
dem Tasterhebel rechts, andererseits mit der Leitung in Verbindung stehen, und aus
einer darüber gelegten Anzahl Drahtwindungen mit stärkerem Drahte, dessen Enden mit
dem Tasterhebel links und einer besonderen Localbatterie, Ausgleichungsbatterie
genannt, in der in Fig. 16 angegebenen Weise verbunden sind. Die Drahtlagen des inneren und
äußeren Relays sind natürlich von einander isolirt.
Wenn nun auf der Station A der Doppeltaster
niedergedrückt wird, so geht der Strom der Linienbatterie durch die Klemme g und den Amboß a₁
des rechten Tasters in das Scharnier b₁
desselben, durch die Klemme i in die Windungen des
inneren Relays und in die Leitung, hierauf durch das innere Relay der Station B und dort durch die Klemme f, den Amboß b₁, den Contactpunkt c₁ und die Klemme m
zur Erde, in welcher er bis A und zur Linienbatterie
daselbst zurückkehrt. Der Strom der Ausgleichungsbatterie an der Station A geht zu gleicher Zeit durch d,
a, b, e und k in die Windungen des äußeren
Relays und durch die Klemme h zum anderen Pole der
Batterie zurück. Die Stärke der Linien- und der Ausgleichungsbatterie und die
Richtung der Drahtwindungen im inneren und äußeren Relay oder die Einschaltung der
Pole muß so angeordnet seyn, daß der durch den einen Strom im Relay erzeugte
Magnetismus der Eisenkerne durch den anderen, in entgegengesetzter Richtung
wirkenden Strom vollständig aufgehoben wird. Obgleich daher der Strom der
Linienbatterie durch das Relay der Abgangsstation geht, so wird der Hebel dieses
Relays doch nicht von den Eisenkernen desselben angezogen, wohl aber bewirkt
derselbe an der entfernten Station B, wo er nur durch
das innere Relay geht, die Erzeugung von temporärem Magnetismus, folglich auch die
Anziehung des Relayhebels und somit den Schluß der gewöhnlichen Localbatterie durch
das Schreibwerk, welche letztere in der Figur nicht angegeben sind.
Wenn nun an der Station B der Doppeltaster gleichzeitig
niedergedrückt wird, so geht hier der Strom der Linienbatterie ebenfalls durch das
innere Relay und in die Leitung, der Strom der Ausgleichungsbatterie nur durch das
äußere Relay; diese beiden Ströme compensiren sich, gleichwie es an der Station A geschah, in ihrer elektromagnetischen Wirkung, und es
bleibt daher nur der von A herkommende Strom im Relay
der Station B wirksam, d.h. der Relayhebel bleibt
angezogen; oder richtiger gesagt: der Strom der Linienbatterie im inneren Relay wird
durch den von A herkommenden aufgehoben, und es bleibt sonach, so
lange an der Station A Taste gedrückt ist, nur der Strom
der Ausgleichungsbatterie in B wirksam, was natürlich
ein Anziehen des Relayhebels zur Folge hat. Aus ganz demselben Grunde ist aber auch,
so lange in B gleichzeitig Taste gedrückt wird, auf der
Station A
nur der Strom der Ausgleichsbatterie wirksam und bewirkt
auch hier das Anziehen des Relayhebels und den Schluß der Localbatterie. Wird auf
einer Station der Taster losgelassen, so bleibt der Relayhebel daselbst dennoch
angezogen, weil dann zwar der Strom der Ausgleichungsbatterie im äußeren Relay außer
Wirksamkeit tritt, gleichzeitig aber dann der Strom der Linienbatterie von der
entfernten Station her im inneren Relay seine Wirkung äußert. Es ist somit klar, daß
beide Stationen gleichzeitig verschiedene Zeichen geben und empfangen können, ohne
sich gegenseitig zu stören.
Obgleich zwei solcher Apparate in der erwähnten Weise zwischen Prag und Wien schon
mit günstigem Erfolge versuchsweise in Gang gesetzt worden sind, so daß die
Möglichkeit des gleichzeitigen Telegraphirens auf einem
Drahte in verschiedenen Richtungen auch durch die Erfahrung constatirt ist, so
stellen sich doch der dauernden Anwendung dieses Princips zur Zeit noch einige
praktische Bedenken entgegen. Die Linien- und die Ausgleichungsbatterie
müssen fortwährend in solcher Stärke erhalten werden, daß der beim Niederdrücken des
Doppeltasters im Relay erzeugte Magnetismus von beiden Strömen sich vollständig compensirt, was insofern nicht immer leicht
zu erreichen ist, als die Batterie nicht constant bleibt und als der gesammte
Widerstand und folglich auch die Stromstärke in der Leitung durch
Witterungseinflüsse und dergl. öfters variirt. Der Contact beider Tasterhebel mit
den Amboßen a und a₁
muß genau in demselben Momente stattfinden, damit die beiden Ströme, welche das
innere und äußere Relay zu durchfließen haben, genau gleichzeitig in dasselbe
eintreten. Dieß wird sich am vollkommensten dadurch erreichen lassen, daß unter dem
Querverbindungsstücke der beiden Tasterhebel ein aus zwei von einander isolirten
Hälften bestehendes, um seine Mitte sehr schwer drehbares hufeisenförmiges
Metallstück angebracht wird, dessen Enden den Contact mit den beiden Amboßen a und a₁ herzustellen
haben. Dieses Hufeisen wird sich beim Arbeiten mit dem Taster immer von selbst so
stellen, daß die Enden desselben und somit die Tasterhebel immer genau gleichzeitig
mit den darunter befindlichen Amboßen in Berührung kommen.
Die Praxis des Telegraphirens hat gezeigt, daß beim Empfangen von Nachrichten es
nicht selten nöthig ist, den Telegraphisten der entfernten Station noch vor
Beendigung der Depesche zu unterbrechen, um Worte wiederholen zu lassen oder aus
anderen Gründen; eine solche Unterbrechung würde, wenn der Apparat gleichzeitig
Nachricht gibt und empfängt, zur natürlichen Folge haben, daß man auch die eigene,
zu gebende Depesche unterbrechen müßte, wodurch der durch diese Einrichtung erzielte
Gewinn zum Theil wieder aufgehoben werden würde.
Ungeachtet aller Mängel dieses neuen Systems ist dasselbe doch als ein großer
Fortschritt in der Telegraphie zu betrachten, da sich ohne Zweifel noch andere
nützliche Anwendungen daraus werden ableiten lassen. Wesentlich verschieden hiervon
ist das Problem, auf einem Drahte gleichzeitig mehrere
Nachrichten in derselben Richtung hin zu geben, und es
ist nicht unwahrscheinlich, daß auch dieses gelöst werden wird.
G.