Titel: | Fahrkunst auf der Grube „Heinrich Wilhelm“ zu Seraing bei Lüttich. |
Fundstelle: | Band 131, Jahrgang 1854, Nr. VIII., S. 21 |
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VIII.
Fahrkunst auf der Grube „Heinrich
Wilhelm“ zu Seraing bei Lüttich.
Fahrkunst auf der Grube „Heinrich Wilhelm“ zu
Seraing.
Diese Fahrkunst, welche im dritten Bande von Ponson's Traité de l'exploitation des mines de houille
(Lüttich 1853), S. 321 bis 327 beschrieben und auf Taf. 57 abgebildet ist, weicht in
manchen Beziehungen von den bis jetzt bekannten ab. Der Durchmesser der beiden
Dampfcylinder beträgt 17,1 Zoll, und die Größe des Hubes der Fahrkunst 14 Fuß. Die
zwischen vier schmiedeisernen Stangen angebrachten Bühnen sind 28 Fuß von einander
entfernt, so daß an jedem Gestänge bei einer Teufe von 150 Lachtern 36 Bühnen
angebracht sind. Auf jeder Bühne können bequem zwei Mann stehen.
Die Gestänge gehen in 1 Minute fünf- bis sechsmal auf und nieder. Die
Fahrkunst ist in der Werkstatt zu Seraing erbauet und kostet mit Dampfmaschine,
jedoch ohne Kessel, 6633 1/3 Rthlr., d. i. das Lachter 44 1/5 Rthlr. Sie ist
durchaus sicher, und obgleich sie schwankt und nicht angenehm zu fahren ist, so
werden doch auf mehreren Tiefbauen in der Nähe von Lüttich solche Fahrkünste
vorgerichtet, weil die Nothwendigkeit derselben sich in Beziehung auf Grubenhaushalt
und Bergpolizei immer mehr herausstellt.
Manche Maschinisten können sich mit den Dampfmaschinen mit directer Wirkung, wie sie
bei dieser Fahrkunst angebracht sind, nicht einverstanden erklären, sondern ziehen
die Maschinen vor, bei denen die Uebertragung der Bewegung durch die
Krummzapfenvorrichtung geschieht, wie am Harz, in Sachsen (Burgk und Potschappel),
Preußen und England; einmal, weil das Umsetzen der direct
wirkenden Maschinen mittelst Katarakt nicht so regelmäßig als mittelst der
excentrischen Scheibe geschieht, und die Pausen häufig plötzlich länger oder kürzer
werden, was den Anfahrenden immer stört; zweitens weil
die Bewegung auf einer Fahrkunst des ersten Systems keine so regelmäßige ist, als
bei der des zweiten Systems. Durch die Pause des Katarakts wird die Bewegung eine
stoßweise, der Anfahrende wird plötzlich gesenkt und plötzlich gehoben, und zwar mit
der bedeutenden Geschwindigkeit von 4 bis 5,5 Fuß in der Secunde, welches ein
unangenehmes Gefühl verursacht. Bei der geringsten Veränderung der Dampfspannung und
bei der geringsten Verstellung der Dampfventile wird die Geschwindigkeit plötzlich
eine andere, was gleichfalls nicht wohlthuend auf den Fahrenden einwirkt. –
Alle diese, wenn auch kleinen Uebelstände finden bei der durch Krummzapfen bewegten
Fahrt nicht statt.
Der Fahrende wird, indem die Bewegung fortwährend statt hat, langsam beginnt, langsam
endet und in der Mitte die größte Geschwindigkeit annimmt, auf die gleichmäßigste,
ruhigste, angenehmste und zum Uebertreten sicherste Weise auf- und
niederbewegt; das Schwungrad verhindert jeden stoßweisen Gang der Gestänge, indem es
die Unregelmäßigkeiten der Dampferzeugung, Dampfspannung und der Dampfvertheilung in
sich aufnimmt und sie auf die arbeitenden Theile allmählich überträgt.
Drittens, weil bei direct wirkenden Maschinen der Wärter
die Steuerung fast immer führen muß, während bei der Krummzapfenmaschine Regulatoren
angebracht werden, welche der Fahrkunst ebenso gut wie den Spinnmaschinen, den
regelmäßigen Gang zu geben im Stande sind.
Und viertens weil bei der ersten Fahrkunst durch die
Katarakt-Pausen fortwährend Zeit verloren geht, während die zweite Fahrkunst
stetig arbeitet. Dieser Umstand übt zwar keinen nachtheiligen Einfluß auf die
Leistungsfähigkeit der ersten Fahrkunst, wohl aber auf die Schnelligkeit derselben
aus. Die Gestänge derselben müssen bei einer jedesmaligen Pause von nur 3 Secunden
und 6 Auf- und Niedergängen von 12 Fuß in 1 Minute
(2 . 6 . 12)/(2 . 6 – 1)3 = 144/33 = 4,4 Fuß für 1 Secunde durchlaufen, während die Gestänge der
zweiten Fahrkunst unter denselben Umständen nur eine Geschwindigkeit von
(2 . 6 . 12)/60 = 2,4 Fuß für 1 Secunde annehmen.
So unzweckmäßig nun auch die Umwandlung der kreisförmigen Bewegung in eine
geradlinige bei den Wasserhaltungsmaschinen ist, um so zweckmäßiger sind dieselben
für die Fahrkünste. Dort ist für das Oeffnen und Schließen der Pumpenventile eine
längere wirkliche Pause nöthig; hier ist diese dagegen nur störend.
Der Bergmann muß auf der Fahrkunst wie auf der Fahrt fahren, und der einzige
Unterschied muß der seyn, daß er sich nicht durch seine Kraft von Sprosse zu Sprosse
hebt, sondern daß dieß durch die Maschine geschieht. – Er hat daher die eine
Hand so lange in dem einen Handgriffe, der sich vor ihm befindet, bis er den andern,
sich ihm allmählich nähernden Handgriff gefaßt hat, und tritt dann von der Bühne auf
der er steht, auf die sich allmählich nähernde oder sich allmählich schon
entfernende Bühne über, und muß so in fortwährender Bewegung seyn.
Den Eindruck der größten Sicherheit machen daher die oben erwähnten Harzer etc.
Fahrkünste, vervollkommnet durch größere Bühnen und längern Hub, so wie bei etwas
schnellem Gange, so daß man in einer stetigen ununterbrochenen, langsamen Bewegung
des Ergreifens der Handgriffe und des Uebertretens von Bühne zu Bühne bleibt.
In diesen Gründen ist es auch zu suchen, daß bei der Concurrenz, welche von der
polytechnischen Gesellschaft in Cornwall in der Absicht eröffnet worden war, um die
zweckmäßigsten Mittel kennen zu lernen, die Anstrengungen und den Zeitverlust bei
dem Ein- und Ausfahren zu vermindern, der Entwurf von Loam, die verbesserte Harzer Fahrkunst, den Preis erhielt, und daß nach
diesem System sämmtliche in Cornwall erbauten Fahrkünste construirt worden sind.
Indem wir nun wegen der genauen Beschreibung der Fahrkunst zu Seraing und mehrerer
andern von neuerer Construction um so eher auf unsere Quelle verweisen, indem von derselben bald eine deutsche Bearbeitung von einer
kundigen Feder erscheinen wird, machen wir zuvörderst einige Bemerkungen
über die Frage, warum wohl die Fahrkünste in den
Steinkohlenbergwerken nicht mehr verbreitet sind, zumal dieß in den tiefen
erzführenden Gruben überall der Fall ist; denn ihr Nutzen in Beziehung auf
Bergwerkshaushalt und auf Menschlichkeit ist und bleibt unverkennbar.
Eine Construction dieser Art ist nicht allein kostbar an und für sich, sondern auch
durch ihre Nebentheile, wie Kessel, Gebäude u.s.w.; allein die Anlagekosten werden
auch noch an vielen Orten durch das Absinken eines besondern Schachtes, welcher die
Fahrkunst aufnehmen kann, wesentlich erhöhet. Nun kann man zwar den vorhandenen
Fahr- oder eine Abtheilung des Förderschachtes gebrauchen; allein in Belgien,
z.B. im Couchant von Mons und Anzin, sind die Fahrschächte mit Fahrten häufig in
einer gebrochenen Linie getrieben und dann zur Anlage einer Fahrkunst untauglich. Da
aber, wo, wie an vielen Punkten in Belgien, Nord-Frankreich und auch im
Ruhrbecken, wasserreiches, sogenanntes schwimmendes Gebirge im Hangenden der
Steinkohlenformation vorkommt, ist das Absinken eines neuen Schachtes eine sehr
kostbare Sache. Außerdem kommen noch manche andere Verhältnisse ins Spiel, welche
von der Anlage einer Fahrkunst für eine Steinkohlengrube abhalten.
Wie bedeutend aber die Vortheile einer Fahrkunst sind, mag in Beziehung auf die oben
erwähnte zu Seraing, nachstehende Berechnung (nach Dieck
in Karsten's Archiv Bd. XXV) beweisen:
Jedes Gestänge macht im Mittel in 1 Minute 5 Auf- und Niedergänge von 14
Fuß.
Mit jedem derselben kommt der Einfahrende um 2 . 14 = 28 Fuß, also in 1 Minute um 5 .
28 = 140 Fuß tiefer; derselbe gebraucht daher bei einer Teufe von 150 Lachtern =
1000 Fuß, 1000/140 = nahe 7,2 Minuten, um vom Tage bis zur Sohle zu fahren.
Befinden sich nun auf jeder Bühne 2 Arbeiter, und sind die beiden ersten auf der
Sohle angelangt, so folgen mit jedem Hube 2 andere nach, also in 1 Minute 5 . 2 = 10
Mann, und es sind mithin bei 150 Einfahrenden
7,2 + (250 – 2)/10 = 7,2 + 248/10 = 7,2 + 24,8 = 32
Minuten erforderlich.
Dieselbe Zeit geht für das Ausfahren verloren.
Der gesammte Zeitverlust beträgt also für das Ein- und Ausfahren einer
Belegschaft von 250 Arbeitern bei einer Schachtteufe von 150 Lachtern, bei einer
Fahrung auf dieser Fahrkunst 2 . 34 = 64 Minuten = 1,07 Stunden.
Die ersten 2 Anfahrenden verlieren
0,12 Stunden
Die letzten
0,53 „
––––––––––
Summa
0,65 Stunden.
Also im Mittel jeder Anfahrende 0,65/2 = 0,325 Stunden, und mithin jeder Ein-
und Ausfahrende 2 . 0,325 = 0,65 Stunden. Daher der Betrag für den Zeitverlust, welchen 250
Bergleute für die Schicht erleiden = (250 . 0,65 . 10)/(8 . 30)
im Gelde, Arbeitslöhnen
= 6 Thlr. 23 Sgr. 1
Pf.
Um
72 Arbeiter, die zugleich gehoben werden, miteiner Geschwindigkeit von
2,5 Fuß in 1 Secundeherauszufordern, hat man eine Kraft von 62
Pferdennöthig.
Diese kostet für 1,07 Stunden =
(62 . 1,07 . 8,5)/(12 . 30)
=
1 „
17 „
– „
–––––––––––––––––––––
Mithin der Betrag für Zeitverlust und
Kosten derMaschine für 1 Schicht
8 Thlr.
10 Sgr. 1 Pf.
und für 1 Jahr
2500 „
25 „
– „
Verlust für Zinsen des Anlagekapitals und
Abnutzungder Fahrvorrichtungen:
Die Anlagekosten betragen
1. Für eine gute Fahrt
600 Thlr.
2. Für die Fahrkunst mit
Maschine,Kessel und Kesselhaus
10,000 „
––––––––––
Summa
10,600 Thlr.
Hiervon 10 Proc. für Zinsen und
Abnutzung geben
1059 „
5 „
– „
–––––––––––––––––––––
Daher der Gesammtverlust für 1
Jahr
3560 Thlr. – Sgr.
– Pf.
Wenn demnach auf einem Schacht wie der fragliche von 150 Lachter
Teufe eine Belegschaft von 250 Mann ein- und ausfährt, so beträgt der
Zeitverlust für 1 Schicht nach den gemachten Erfahrungen:
bei der Fahrung auf der Fahrt
5 Stunden
„ „ „ „
dem Seil
11,72 „
„ „ „ „
der Fahrkunst
1,5
„
Also erfordert die Fahrung auf dem Seil die 2fache Zeit der Fahrung auf der Fahrt,
die 11fache Zeit der Fahrung auf der Fahrkunst.
Der Geldverlust in 1 Jahr beträgt bei der Fahrung:
auf der Fahrt
21,000 Thlr.
auf dem Seile
20,140 „
auf der
Fahrkunst
3,560 „
Hieraus erhellt, daß wenn man auf einer Zeche, wo in einem Schacht von 150 Lachter
Teufe in der Schicht 250 Bergleute auf der Fahrt oder am Seile anfahren, eine
Fahrkunst in dem Fahrschachte einbauet und für dieselbe den hohen Preis von 11,000
Thlr. für 150 Lachter annimmt, schon in dem ersten Jahre
nicht allein die Kosten gedeckt worden, sondern noch ein Ueberschuß von 20,140
– (11,000 + 4520) = 4620 Thaler bleibt.