Titel: | Versuche zur Bestimmung der Festigkeit der Locomotivkessel und der Ursachen, welche deren Explosion veranlassen; von dem Civilingenieur William Fairbairn. |
Fundstelle: | Band 131, Jahrgang 1854, Nr. IV., S. 11 |
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IV.
Versuche zur Bestimmung der Festigkeit der
Locomotivkessel und der Ursachen, welche deren Explosion veranlassen; von dem
Civilingenieur William Fairbairn.
Aus dem Civil Engineer and Architect's Journal, October
1853, S. 362.
Fairbairn's Versuche zur Bestimmung der Festigkeit der
Locomotivkessel.
Diese Versuche wurden in Folge der Explosion eines Locomotivkessels in dem
Maschinenhause der Nordwest-Bahn zu Manchester unternommen. Die unmittelbare
Ursache dieser Explosion war die, daß der Locomotivführer, während er sich mit einem
Collegen unterhielt, das Sicherheitsventil festgeschraubt hatte und es in diesem
Zustande verließ; 25 Minuten nachdem dieses Festschrauben geschehen war, zersprang
der Kessel mit einer fürchterlichen Gewalt, hob einen Theil des Daches von dem
Gebäude ab und tödtete mehrere in demselben befindliche Menschen. Der Kessel war in
ein vollständiges Wrack verwandelt und es war kaum ein Theil davon unbeschädigt
geblieben. Der königl. Inspector, welcher das Wrack des Kessels kurz nach der
Explosion untersuchte, berichtete, daß die Steh- oder Spannbolzen des
Feuerkastens schadhaft gewesen und daß der Kessel nicht die gehörige Festigkeit
gehabt habe, um den gewöhnlichen Dampfdruck, wofür er bestimmt war, auszuhalten. Hr.
Fairbairn war aber anderer Meinung und behauptete,
daß alle Theile des Kessels stark genug waren um dem sechsfachen Druck von dem
gewöhnlich einwirkenden zu widerstehen, und daß der während der 25 Minuten, wo das
Ventil niedergeschraubt gewesen, erzeugte Dampf hingereicht haben müsse, um den
Druck auf 300 Pfd. per Quadratzoll zu steigern. Der k.
Inspector behauptete dagegen, daß die Zeit zu der Hervorbringung eines solchen
Drucks nicht ausreichend gewesen sey. In Folge dieser Meinungsverschiedenheit wurde
eine Reihe von Versuchen unternommen, um die wirklichen Ursachen der Explosion zu
bestimmen und durch deren Veröffentlichung gegen solche Katastrophen zu sichern.
Zuerst machte Hr. Ramsbottom, der
Locomotiven-Aufseher einige Versuche mit den Stehbolzen des zersprungenen
Kessels, woraus hervorging, daß die Kraft, welche erforderlich ist um die Stehbolzen
aus den Platten zu reißen, 340 Pfd. per Quadratzoll
betragen durfte. Es wurden nämlich die alten Bolzen in Kupferplatten geschraubt, wie
sie zu dem Feuerkasten angewendet worden, die Enden aber nicht vernietet. Hr. Fairbairn hatte diese Versuche sorgfältig wiederholt und
fast dieselben Resultate erlangt. Sind nun die Stehbolzen noch vernietet und sonst
unschadhaft, so darf man annehmen, daß ein Druck von 450 bis 500 Pfd. per Quadratzoll erforderlich ist, um die Schrauben aus
den Platten oder die Stehbolzen aus einander zu reißen. Man muß berücksichtigen, daß
der zersprungene Kessel, obgleich erst neuerlich reparirt, doch schon lange im
Gebrauch gewesen war, und da die Cylinder nur 13 Zoll Weite hatten, so wurde die
Locomotive nur zum Schleppen oder zur Hülfe benutzt, um die Züge durch den
Standedge-Tunnel zu führen. Die Bolzen waren 5 bis 5 3/8 Zoll von einander
entfernt, während sie jetzt für die Kessel stärker gemacht, näher an einander
angebracht werden und Quadrate von 4 bis 4 1/2 Zoll bilden, wodurch der Widerstand
so erhöht wird, daß er bis 800 Pfd. per Quadratzoll
betragen dürfte.
Um nun durch wirkliche Versuche die Festigkeit und Widerstandsfähigkeit der
Locomotivkessel kennen zu lernen, übergaben die Directoren der Nordwest-Bahn
Hrn. Fairbairn eine Maschine, welche gleichzeitig mit der
zersprungenen in der Fabrik der HHrn. Sharp und Roberts zu Manchester angefertigt worden war, und auch
ebenso viele Meilen als jene durchlaufen hatte. Uebrigens befand sich die Maschine
nicht in demselben Zustande der Reparatur wie die explodirte, indem der Feuerkasten
sehr verbogen und die Niete, so wie die Stehbolzen sehr geschwächt waren. Der Kessel
wurde dem Druck einer Wasserpresse unterworfen und als derselbe 207 Pfd. per Quadratzoll betrug, zerbrach einer von den Bolzen
des Querbalkens über dem Feuerkasten, wodurch die Versuche unterbrochen wurden,
indem der Leck so groß wurde, daß mehr Wasser ausströmte, als die Druckpumpe liefern
konnte. Es bewies jedoch dieser Versuch vollkommen, daß die
Feuerkasten-Stehbolzen – auf deren verhältnißmäßige Schwäche soviel
Werth gelegt worden war – nicht die schwächsten Theile eines Locomotivkessels
sind, sondern daß mehr von dem Deckel des Ofens zu fürchten ist, welcher bei starkem
Dampfdruck fast immer zuerst nachgibt. Hr. Fairbairn
bemerkt daher, daß auf diesen Theil des Kessels eine große Sorgfalt verwendet werden
müsse, und daß der Querbalken nicht allein eine große Festigkeit haben, sondern daß
auch die Bolzen, an denen der Deckel des Feuerkastens hängt, gleich stark seyn
müssen, damit keine Ungleichheit existirt, und daß alle Theile einem Druck von 500
Pfd. per Quadratzoll müssen widerstehen können.
Der zunächst durch die Versuche zu bestimmende Punkt war, ob der Dampf des
explodirten Kessels, in dem Zeitraum von 25 Minuten, von einem Druck von 60 Pfd.,
bei welchem er aus dem Sicherheitsventil entwich ehe es festgeschraubt worden war,
bis zu einem Druck von 300 Pfd. per Quadratzoll gesteigert werden konnte. Hr. Ramsbottom stellte einige Versuche über diesen Gegenstand
an, aus denen hervorging, daß mit dem Ofen unter gewöhnlichen Umständen der Dampf in
einem Locomotivkessel in 10 Minuten von einem Druck von 30 Pfd. per Quadratzoll bis
zu einem solchen von 80 Pfd. gesteigert werden kann. Hr. Fairbairn wiederholte diese
Versuche bis zu einem noch höhern Druck mit nachstehenden Resultaten, indem er um 2
Uhr 44 Minuten anfing:
Zeit.
Druckper
Quardatzoll.
Mittlere Temperatur:
Fahrenheit.
2 Uhr 44 Min.
11,75 Pfd.
243,00°
2 – 45 –
14,15 –
247,75
2 – 46 –
16,35 –
251,25
2 – 47 –
19,25 –
255,25
2 – 48 –
22,35 –
259,75
2 – 49 –
25,75 –
264,00
2 – 50 –
28,95 –
268,37
2 – 51 –
32,15 –
273,00
2 – 52 –
35,75 –
277,00
2 – 53 –
39,95 –
282,00
2 – 54 –
44,25 –
286,37
2 – 55 –
48,35 –
291,00
2 – 56 –
52,75 –
295,37
2 – 57 –
57,75 –
300,00
2 – 58 –
63,75 –
304
25
2 – 59 –
68,95 –
308,75
3 –
0 –
75,75 –
313,00
3 –
1 –
80,35 –
317,00
3 –
2 –
87,25 –
322,10
3 –
3 –
93,95 –
326,12
3 –
4 –
101,15 –
331,00
3 –
5 –
108,75 –
335,62
3 – 6 –
111,75 –
Der benutzte Thermometer gab keine höhere Temperatur an.
Man sieht, daß bei diesen Versuchen der Druck in 25 Minuten von 11,75 Pfd. per Quadratzoll bis auf 111,75 Pfd. erhöht wurde. Die
Tabelle zeigt, daß der Druck in einem größern Verhältniß gesteigert wurde, als die
Temperatur. Bei den ersten Versuchen betrug z.B. die Zunahme des Drucks ungefähr ein
Pfund auf zwei Fahrenheit'sche Wärmegrade; bei einer Temperatur von 277° F.
verhielten sie sich wie 3 zu 4; bei 317° nahm der Druck ungefähr um ein Pfund
für jeden Grad zu, und am Ende der Versuche war das Verhältniß 4° Wärme zu 5
Pfd. Druck. Hr. Fairbairn bemerkt, daß er es für ziemlich
gewiß halte, daß wenn die Instrumente auf höhere Temperaturen und höhern Druck
eingerichtet gewesen wären, die Erhöhung des Drucks von 60 Pfd. auf 350 oder 400
Pfd. per Quadratzoll in 28 Minuten erreicht worden
wäre.
Darauf wurden diejenigen Theile eines Locomotivkessels, welche in den flachen Theilen
des Feuerkastens begriffen sind, den Versuchen unterworfen. Es wurden zu dem Ende
zwei dünne Kasten mit flacher Oberfläche, jeder von 22 Zoll im Quadrat und 3 Zoll
hoch, angefertigt; einer derselben entsprach in der Stärke des Blechs (7/16 Zoll
engl.), in der Entfernung der Stehbolzen von einander und in andern Einzelnheiten den Seiten des
Feuerkastens des zersprungenen Kessels. Der andere bestand aus eben so starkem
Blech, allein die Stehbolzen waren statt 5 nur 4 Zoll von einander entfernt. Der
erste Kasten, welcher 16 Quadrate von 25 Zoll Fläche enthielt, repräsentirte den
explodirten Kessel; der andere mit 25 Stehbolzen von 16 Zoll Fläche entsprach der
neuen Construction der Kessel. Bei Anwendung von hydraulischem Druck auf den ersten
Kasten wurde nicht die geringste Hebung oder Biegung der Seiten wahrgenommen, bis
ein Druck von 455 Pfd. auf den Quadratzoll angewendet worden war, und es betrug die
Hebung alsdann nur 0,03 Zoll. Bei einem Druck von 815 Pfd. zerriß der Kasten, indem
der Kopf von einem der Bolzen durch die Kupferplatte gezogen wurde, welche wegen
ihrer Geschmeidigkeit an demjenigen Theil wo der Bolzen eingelassen war, dem Druck
einen geringen Widerstand entgegensetzte. Kurz vor dem Zerreißen der Platte betrug
die Hebung 0,08 Zoll.
Bei den Versuchen mit dem Kasten, dessen Stehbolzen näher aneinander standen, erhielt
man nachstehende Resultate, indem der Druck bis 1595 Pfd. per Quadratzoll gesteigert wurde. Bei einem Druck von 1625 Pfd. zersprang
der Kasten, indem einer von den Bolzen durch die Platte gezogen wurde, nachdem er
den Druck 1 1/2 Minuten ausgehalten hatte.
Druckin Pfunden per Quardatzoll.
Biegung der
Platte in Zollen.
Druckin Pfunden per Quardatzoll.
Biegung der
Platte in Zollen.
485
0,04
1445
0,12
575
0,06
1475
0,13
635
0,07
1495
0,14
755
0,08
1535
0,16
965
0,09
1565
0,22
1355
0,10
1595
0,34
1385
0,11
Diese Versuche beweisen, daß die flachen Oberflächen eines
Locomotiv-Feuerkastens viel mehr Widerstand leisten als der Deckel und selbst
die cylindrischen Theile des Kessels. Der ungeheure Druck, welchen die flachen
Oberflächen eines Feuerkastens aushielten, der auf die jetzt gebräuchliche Weise mit
Stehbolzen versehen wurde, ist nämlich, wie die zweite Versuchreihe ganz deutlich
nachwies, größer als er bei irgend einem andern Theil des Kessels, mag er noch so
gut construirt und verfertigt seyn, erreicht werden könnte; es gibt wirklich gar keine Gränze
dieses Drucks, welche mittelst einer vermehrten Anzahl stärkerer Stehbolzen nicht zu
erreichen wäre.
Diese Versuche verdienen alle Beachtung auch hinsichtlich der jetzt üblichen
Schiffsdampfkessel mit platten Wänden, indem sie die gegen deren Benutzung gehegten
Vorurtheile beseitigen.
Auf die Frage, ob der von hohen Temperaturgraden begleitete Dampfdruck das Eisen
nicht schwäche, antwortete Hr. Fairbairn, daß die Wirkung
der Hitze auf die Festigkeit des Stabeisens ein Gegenstand sey, den er nächstens
näher untersuchen werde. In Beziehung auf Gußeisen bemerkt er, daß nach seinen
Versuchen die Festigkeit bis zu einer Temperatur von 300° F. oder 149°
C. zunehme, daß sie sich aber bei höhern Temperaturen vermindere.