Titel: | Locomotive mit röhrenförmigem Kolben; von Hrn. Sangnier, Ingenieur der Lyoner Eisenbahn. |
Fundstelle: | Band 130, Jahrgang 1853, Nr. XVII., S. 100 |
Download: | XML |
XVII.
Locomotive mit röhrenförmigem Kolben; von Hrn.
Sangnier,
Ingenieur der Lyoner Eisenbahn.
Aus Armengaud's Génie industriel, August 1853, S.
75.
Mit Abbildungen auf Tab.
II.
Sangnier's Locomotive mit röhrenförmigem Kolben.
Der Zweck, den der Erfinder zu erreichen gesucht hat, besteht darin, die Ursachen der
Beschädigungen an den Locomotiven zu vermindern und zugleich die Leichtigkeit von
Reparaturen zu befördern.
Bekanntlich bedient man sich bei den Locomotiven zum Leiten des Kolbenganges
verschiedener Theile, welche man mit den Namen Kolbenstangen,
Kreuze, Schlitten, Schlitten-Supports, Coulissen, Kreuzwellen u.s.w.
bezeichnet. Diese verschiedenen Maschinentheile erfordern viele Reparaturen; nachdem
sie einige Zeit in Gebrauch gewesen sind, verziehen und verwerfen sie sich, und
brechen folglich sehr häufig, welches große Nachtheile für die Benutzung und für die
Leistungen der Locomotiven hat und zuweilen auch sehr nachtheilige und betrübende
Unglücksfälle veranlaßt.
Wendet man bei den Locomotiven röhrenförmige Kolben an, so kann man eine directe
Bewegung erhalten, die Zwischen-Maschinentheile weglassen und dadurch die
Brüche vermeiden, denen diese Theile besonders unterworfen sind.
Bei dieser Einrichtung kann man auch den Durchmesser der Cylinder sehr vergrößern und
eine viel bedeutendere Kraft entwickeln. Da ferner das Gelenk des kleinen
Kurbelstangenkopfes an dem Kolben selbst befestigt ist, so vermeidet man alle
Trag- und Führungspunkte, welche bei der jetzigen Einrichtung der Locomotiven
bei der schwingenden Bewegung der Kolbenstange erforderlich sind. Auch hat diese
Einrichtung noch den Vortheil, daß der Kolben unmittelbar mit der Kurbel und durch
eine viel längere Kurbelstange verbunden wird.
Der Spielraum, welchen das System des Hrn. Sangnier
darbietet, gestattet dem Maschinenbauer auch den Durchmesser der Cylinder bedeutend
zu vergrößern, was sehr gute Resultate geben muß; die Erfahrung zeigt nämlich, daß
die Anwendung von Kolben mit großem Durchmesser und kurzem Lauf viele Vorzüge hat.
Da alsdann der Kurbelhalbmesser weit kleiner ist, so können auch Triebräder von
einem sehr großen Durchmesser angewendet werden, ohne den Kessel viel über seine
ursprüngliche Achse zu erhöhen, ohne die Stabilität, welche die Grundlage eines
guten Locomotivenbaues bildet, im geringsten zu beeinträchtigen.
In Beziehung auf Sicherheit und Unterhaltung, sind die Röhrenkolben allen bis jetzt
gebräuchlichen vorzuziehen. Der untere Theil der langen Gestellbäume ist gänzlich
von allen mechanischen Apparaten befreit, wodurch die Reparaturen sehr erleichtert
werden.
Da die Dampfvertheilungsbüchsen und der Apparat zum Umsteuern des Ganges, am Aeußern
der Maschine angebracht und stets unter den Augen des Maschinisten sind, so bieten
sie alle wünschenswerthe Sicherheit dar, sowohl in ihrer Gesammtheit, als auch in
allen einzelnen Theilen und bedürfen daher weit weniger Reparaturen.
Fig. 1 stellt
eine Locomotive nach dem System des Hrn. Sangnier im
Aufriß dar; sie zeigt einen senkrechten Durchschnitt der Vertheilungsbüchse und den
außerhalb angebrachten Mechanismus der Umsteuerung.
Fig. 2 ist ein
Grundriß, zum Theil mit Durchschnitten der Locomotive, deren Kessel jedoch als nicht
vorhanden gedacht ist.
A Kolben mit röhrenförmiger Stange a, a'. B Cylinder, die im Innern der Langbäume P, P' befestigt sind. Diese Cylinder sind mit zwei
Deckeln B² verschlossen; dieselben haben
Stopfbüchsen b, b' von großem Durchmesser, wegen des
Durchmessers der Röhre a. Die Kolben A, A' sind mittelst eines Gelenks C mit den Lenkstangen D, D' verbunden, welche
über die Warzen der Kurbeln E, E' der gekröpften
Triebwelle F greifen.
Um die Gelenke C der Kurbelstangen D schmieren zu können, befestigt man im Innern der röhrenförmigen
Kolbenstangen a eine kleine Röhre, die sich außerhalb
der Kolbenstange in einen kleinen Schmierbecher endigt und innerhalb genau auf dem
Gelenke C.
Die Excentriken H, H' sind außerhalb der Triebräder I auf der Triebwelle befestigt, und der ganze
Umsteuerungs-Mechanismus, die Stangen h, der
Sector J, die Aufhängung K,
der Winkelhebel L' u.s.w. liegen ganz außerhalb der
Maschine. Die Achse N verbindet den
Umsteuerungs-Mechanismus des Ganges zur Rechten mit dem zur Linken.
Uebrigens sind die Langbäume P, P' wie bei anderen
Locomotiven mit Sicherheitsplatten versehen, welche die Schmierbüchsen der
respectiven Achsen F, F¹, F² der Triebräder I und der Laufräder
I¹ und I²
enthalten.
Man wird leicht einsehen, wie sehr eine solche Einrichtung den Mechanismus der
Locomotiven vereinfacht, und folglich, wie wir schon bemerkt haben, die
Möglichkeiten der Beschädigung vermindert, während zugleich die Beaufsichtigung und
die Reparaturen der Maschine erleichtert werden.