Titel: | Ueber Bestimmung des Gehaltes an Gerbstoff in Gerbmaterialien; von Prof. Dr. Fehling. |
Fundstelle: | Band 130, Jahrgang 1853, Nr. XII., S. 54 |
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XII.
Ueber Bestimmung des Gehaltes an Gerbstoff in
Gerbmaterialien; von Prof. Dr. Fehling.
Aus dem württembergischen Gewerbeblatt, 1853, Nr.
38.
Fehling, über Bestimmung des Gehaltes an Gerbstoff in
Gerbmaterialien.
Es gibt noch viele Gewerbe, welche bis jetzt nach alt gewohnter rein empirischer
Methode ihre Stoffe verwenden, ohne daß sie wissen, wie sich dieselben in Bezug auf
die Quantität des wirksamen Bestandtheils darin verhalten. Ein Beispiel hiefür
liefern hauptsächlich die Gerbematerialien; jeder Gerber weiß, daß Eichenrinde sehr wechselnd in ihrem
Gehalt an Gerbstoff ist; das einzige Mittel, welches der Gerber hat, diesen
wechselnden Gehalt vor dem Kauf der Rinde zu erkennen, ist sein Geschmack, ein
höchst unsicheres Mittel; nach diesem kauft er im Walde seine Rinde, ohne einen
genaueren Anhaltspunkt über den Werth derselben zu haben; ohne einen weiteren
Anhaltspunkt bestimmt er die Menge der jedesmal zum Gerben zu verwendenden Rinde.
Ebenso bestimmt er ziemlich willkürlich die nöthigen Mengen anderartiger Gerbstoffe,
namentlich ausländischer, die in neuester Zeit mehrfach verwendet werden, ohne zu
wissen, warum er so viel nimmt, ob die Quantität nicht zu groß oder nicht zu klein
ist; man kann gewiß annehmen, daß hier meist an Gerbematerial verschwendet wird. Es
fehlt bis jetzt allerdings an einer praktischen Methode, schnell, leicht und sicher
den Gerbestoffgehalt in Gerbematerialien zu bestimmen.
Als ich vor zehn Jahren veranlaßt war, eine größere Anzahl verschiedener
Eichen- und Fichtenrinden auf ihren Gerbestoffgehalt zu untersuchen, habe ich
eine große Reihe von Versuchen gemacht, eine zweckmäßige und einfache Methode
aufzufinden. Das von mir gewählte Verfahren läßt noch manches zu wünschen übrig, in
Ermangelung eines bessern aber kann es jedoch für den angegebenen Zweck gute Dienste
leisten, und bei vielfachen seit zehn Jahren angestellten Versuchen hat sich
ergeben, daß die auf diesem Wege erhaltenen Resultate für praktische Zwecke genau
genug sind.
Es gibt bekanntlich verschiedene Stoffe, welche die Fähigkeit haben, Gerbestoff aus
seinen Lösungen zu fällen, so Leim, Chinin, die thierische Haut, Eisenoxydhydrat,
Thonerdehydrat u.s.w.
Die thierische Haut ist früher namentlich als das geeignetste Mittel hiefür
wiederholt empfohlen worden, um gelösten Gerbstoff zu fällen und durch ihre
Gewichtszunahme seine Menge erkennen zu lassen. Diese Methode empfiehlt sich
dadurch, daß der im Großen zu betreibende Proceß hier im Kleinen zuerst ausgeführt
wird, und daß alle Substanzen, welche beim Gerben im Großen das Gewicht der Haut
vermehren, Gerbstoff, Farbestoff und andere, auch hier im Kleinen denselben Effect
hervorbringen müssen; dieses Verfahren der Gerbestoffbestimmung ist daher von vielen
Seiten als besonders zweckmäßig gerühmt; über seine Ausführung finden sich aber
nirgends detaillirte Angaben. Ich habe diese Methode wiederholt versucht mit
verschiedenen Arten thierischer Haut, auch mit Blase, sowie mit Abschnitzeln von
thierischen Häuten, die in einer Gerberei bis zu dem eigentlichen Gerbeproceß fertig
vorbereitet waren; ich habe die Häute mit einer Lösung, die im Verhältniß zur Hautmenge nur wenig
Gerbesäure enthielt, zusammengebracht, bei gewöhnlicher Temperatur, wie bei erhöhter
von etwa 30° C.; nie jedoch habe ich dahin gelangen können, daß der
Gerbestoff vollständig gefällt wurde, dagegen fing die Lösung meist bald an zu
schimmeln. Nach vielfach abgeänderten, aber immer ungünstigen Versuchen habe ich
deßhalb diese Methode verlassen. Versuche mit Chininlösung den Gerbestoff zu
bestimmen, gaben auch ein unsicheres Resultat, weil das gerbsaure Chinin nicht
unlöslich im Wasser ist. Ebensowenig entsprachen Versuche mit frischgefälltem
Eisenoxydhydrat oder Thonerdehydrat meinen Erwartungen, das Auswaschen der
entstandenen Niederschläge ist umständlich und zeitraubend, das Gewicht derselben
aber im trockenen Zustande nicht constant, weil beim Auswaschen immer etwas
Gerbestoff entzogen wird.
Ich kam daher wieder zur Anwendung des Leims oder der Gallerte zurück. Hier gab es
nun zwei Wege. Man konnte den Gerbstoff mit überschüssigem Leim fällen, den
Niederschlag trocknen und wägen. Dieses Verfahren erscheint nicht zweckmäßig, weil
das Filtriren und Auswaschen umständlich und zeitraubend ist und der Niederschlag
eine verschiedene Zusammensetzung hat, je nachdem mehr oder weniger Leim zum Fällen
angewendet wurde.
Es blieb daher nur die Analyse nach dem Maaß übrig, d.h. die Menge der Gerbsäure zu
bestimmen durch genaue Ausfällung mittelst einer titrirten Leimlösung; diese Methode
erfordert aber, daß der Niederschlag sich leicht und gut absetze, damit man bei
Zusatz neuer Mengen Leimlösung sogleich erkennen kann, ob noch ein Niederschlag
entsteht oder nicht. Ich habe nun gefunden, daß die meisten Leimsorten einen
Niederschlag geben, der sich schwierig absetzt und bei dem auch die überstehende
Flüssigkeit nie ganz klar ist. Am brauchbarsten zeigte sich mir ein klarer weißer
Knochenleim von Buxweiler bei Straßburg, den ich der Güte des Hrn. Director Schattenmann von dort verdanke.
Ich habe es zweckmäßig gefunden, den Leim nur in verdünnter Lösung anzuwenden;
besonders aber ist es wichtig, die Flüssigkeiten ganz kalt zu nehmen, weil, wenn sie
auch nur wenig warm zusammen kommen, der Niederschlag fein vertheilt bleibt und sich
schwierig absetzt, die darüber stehende Flüssigkeit erscheint sodann milchig trübe
und läßt sich nicht klar filtriren.
Ich bin nun folgendermaßen verfahren:
Zur Darstellung der Leimlösung werden zehn Gramme lufttrockener Buxweiler Leim (er
enthält 18–19 Proc. Wasser) im Wasser eingeweicht, nach 12stündigem Stehen durch
gelindes Erwärmen gelöst, dann mit Wasser auf 1 Liter verdünnt.
Zur Titrirung der Leimlösung wird 0,2 Gramm reine bei 100° C. getrocknete
Galläpfelgerbsäure in 100–120 Gr. Wasser gelöst und dann zu der kalten Lösung
aus einem in gleiche Theile getheilten Glasrohr von der kalten Leimlösung
hinzugetröpfelt. Man rührt um und läßt die Flüssigkeit eine kurze Zeit stehen, wobei
sich der Niederschlag bald absetzt und der obere Theil der Flüssigkeit klar genug
wird, um eine kleine Probe abfiltriren und mit wenig Leimlösung untersuchen zu
können, ob darin noch ein Niederschlag entsteht. Statt zu filtriren, kann man, um
eine klare Probe zu erhalten, ein dünnes Glasrohr nehmen, überbindet die eine Seite
mit ziemlich dichter Leinwand, taucht dieses zugebundene Ende in die klare über dem
Niederschlag stehende Flüssigkeit und saugt von derselben etwas ein; die so
erhaltene klare Probe wird dann in einem Reagensglas mit Leim geprüft; entsteht hier
noch eine Trübung, so muß der Gerbsäurelösung noch mehr Leim hinzugesetzt werden,
bis das Filtrat nicht mehr durch Leim- oder durch Chininlösung getrübt wird,
doch darf auch nicht zu viel Leimlösung zugesetzt seyn, so daß das Filtrat bei
Zusatz von Gerbstoff schon eine merkbare Trübung gibt.
Von der oben angegebenen frischbereiteten Leimlösung habe ich auf 0,2 Gramm reine
trockene Galläpfelgerbsäure 32,5 bis 33 Kubikcentimeter gebraucht; ist die
Leimlösung einige Tage alt, so wird zur Fällung der Gerbsäure mehr erfordert, 35 bis
38 und selbst 40 Kubikcentimeter. Es ist daher nöthig, die Leimlösung, wenn sie auch
nur einige Tage gestanden hat, unmittelbar vor dem Gebrauch von Neuem zu titriren,
was keinen Anstand hat, da es sehr schnell geschehen ist.
Soll nun Rinde von Eichen, Tannen u.s.w. untersucht werden, so wird sie zuerst in
einem warmen Zimmer getrocknet und dann sehr fein gestoßen, was namentlich bei
Eichenrinde nöthig ist, um sie vollständig extrahiren zu können. Zu einem Versuch
genügen 10 Gramme Rinde; sie wird mit nicht zu viel Wasser übergossen, damit erwärmt
und dann in einen Verdrängungsapparat gebracht und hier extrahirt. Ich benütze
hierbei ein 1 1/2 bis 2 Fuß hohes und 1 Zoll weites Glasrohr, das unten etwas
ausgezogen und dessen verengter Theil mit Baumwolle lose verstopft ist. Das Rohr
steht mittelst eines durchbohrten Korks auf einer Flasche, ohne diese aber fest zu
verschließen. Mancher Stoff kann, nur mit Wasser angefeuchtet, sogleich in diesen
Apparat gebracht und hier mit warmem oder kaltem Wasser extrahirt werden.
Tannenrinde, Galläpfel, Knoppern u.s.w. lassen sich in diesem Apparat selbst mit
kaltem Wasser vollständig
extrahiren; Eichenrinde muß zuerst in einem Kolben mit Wasser einigemal ausgekocht
und dann in dem Verdrängungsapparat mit heißem Wasser extrahirt werden. Um die
Extraction durch Erhöhung des Druckes zu beschleunigen, kann man auf das weitere
Glasrohr mittelst eines durchbohrten gutschließenden Korks ein engeres, 4 bis 5 Fuß
langes mit Wasser gefülltes Glasrohr noch aufsetzen.
In 1 bis 2 Tagen ist die Extraction in diesem Apparate bei den meisten Substanzen
beendigt, was sich theils an der Farbe der abfließenden Flüssigkeit, theils daran
erkennen läßt, daß sich mit Leim keine merkbare Trübung ergibt. War die Eichenrinde
nicht sehr fein gepulvert und zuvor mit Wasser ausgekocht, so fängt die Flüssigkeit
an zu schimmeln, lange ehe die Rinde extrahirt ist.
Bei richtigem Verfahren beträgt die Menge der ablaufenden Flüssigkeit 1/2 bis 1 Pfd.
Sie wird, wenn sie ganz kalt ist, mit der kalten Leimlösung versetzt, so lange sich
ein Niederschlag zeigt. Bei dem Auszug von Fichtenrinde, Galläpfel etc. scheidet
sich der Gerbstoff-Leim sogleich als ein dickes Coagulum ab, welches sich
bald zu Boden setzt; in dem Eichenrindenauszug entsteht auf Zusatz von wenig Leim
nur eine Trübung, die auf weiteren Leimzusatz sich nicht vermehrt; werden jetzt
einige Tropfen verdünnter Salzsäure hinzugefügt, so entsteht sogleich ein dickes
Coagulum und ein Zusatz von mehr Leim bringt jetzt einen Niederschlag hervor, so
lange noch Gerbesäure in der Lösung enthalten ist.
Bei sehr gerbsäurereichen Pflanzenstoffen, wie Galläpfel und Knoppern, die auch auf
die angegebene Weise extrahirt werden, genügt es, zu einer Probe 0,5 bis 1 Gramm zu
nehmen. Bei Catechu wird ohne Weiteres die wässerige Abkochung genommen. Nach der
verbrauchten Menge Leimlösung berechnet sich nun leicht der Procentgehalt der
Substanz an Gerbestoff; sind auf 1/10 Gr. reiner Gerbsäure 16,5 Kubikcentimeter
Leimlösung verbraucht, so entsprechen also je 165 Kubikcentimeter Leimlösung 1 Gramm
Gerbsäure. Waren nun zu dem Extract von 10 Grammen Fichtenrinde z.B. 86
Kubikcentimeter Leimlösung erforderlich, so entsprechen diese 86/165, d. i. 0,52
Gramm Gerbstoff; in 10 Gr. Rinde sind also 0,52 oder in 100 Gr. Rinde 5,2 Gerbstoff.
Mit andern Worten ausgedrückt, hat man bei Anwendung von 10 Gr. Rohmaterial die
verbrauchte Anzahl von Kubikcentimetern Leimlösung zu dividiren durch diejenige
Menge, welche zum Fällen von 1/10 Gr. reiner Gerbsäure nöthig ist, um hiedurch den
Procentgehalt der Rinde an Gerbstoff zu erfahren. Auf 10 Gr. Spiegelrinde sind z.B.
verbraucht 320 Kubikcentimeter Leim, die Rinde enthält also 320/16,5 oder 640/33 =
19,3 Proc. Gerbsäure.
Seit zehn Jahren sind nun in meinem Laboratorium wiederholte Untersuchungen sehr
verschiedener Gerbmaterialien auf ihren Gerbstoffgehalt nach dieser Methode
ausgeführt; bei Untersuchung desselben Materials haben sich immerzu noch gleiche
Resultate herausgestellt; bei aller Unvollkommenheit erscheint dieses Verfahren
daher zuverlässiger, als ein anderes bis jetzt bekanntes.
Nach dieser Methode habe ich folgende Resultate erhalten:
Fichtenrinde enthielt
5–7
Proc. Gerbestoff,
alte Eichenrinde enthielt
9
„ „
bessere
„ „
12–16
„ „
beste Spiegelrinde
„
19–21
„ „
Knoppern
„
30–33
„ „
Aleppogalläpfel
„
60–66
„ „
chines.
Galläpfel „
70
„ „
Diese Resultate sind jedenfalls unter einander vergleichbar, und geben dem Gerber
ziemlich sicher an, welchen Werth diese Stoffe für ihn haben. Bei dieser Bestimmung
ist freilich von der Galläpfelgerbsäure ausgegangen und angenommen, daß Gallapfel
denselben Gerbstoff enthalten, wie Eichen-, Fichtenrinde u.s.w.; das ist nun
höchst wahrscheinlich nicht der Fall und die gefundenen Zahlen geben daher
wahrscheinlich nicht den absoluten Procentgehalt an Eichengerbsäure in Eichenrinde,
an Fichtengerbsäure in Fichtenrinde etc. Man kann aber wohl annehmen, daß wenn
verschiedenartige Gerbsäuren unter gleichen Umständen sich mit verschiedenen
Leimmengen verbinden, sie sich auch in denselben relativen Gewichtsverhältnissen mit
der thierischen Haut verbinden werden; gibt daher die Leimprobe auch vielleicht
nicht die absoluten Gewichtsprocente, so bekommt man dadurch jedenfalls die
Werthsprocente und dieß entspricht dem, was der Gerber wissen will, besser, als die
Gewichtsprocente. Erfahre ich also durch den Versuch, daß die in einer gegebenen
Menge Eichenrinde enthaltene Gerbsäure 18 wirkt, während die in der gleichen Menge
Fichtenrinde 9 wirkt, so zeigt dieß mir, daß 1 Thl. Eichenrinde dasselbe leistet,
wie 2 Theile Fichtenrinde, und für die Praxis ist es dabei gleichgültig, ob in der
Fichtenrinde eine andere Gerbsäure enthalten ist, als in der Eichenrinde oder nicht,
und ob von dieser andern Gerbsäure vielleicht mehr oder weniger als 9 Theile,
vielleicht 10 oder 12 Theile in der Fichtenrinde enthalten sind, welche 10 bis 12
Theile aber nur so viel wirken, wie 9 Theile Eichengerbsäure.
Eine andere Frage ist freilich, ob Leimlösung alle die Stoffe fällt, welche sich aus
den Gerbematerialien mit der thierischen Haut verbinden, die Erfahrung muß daher erst
lehren, ob solche Bestimmungen des Gerbstoffgehalts dem Gerber genügen.