Titel: | Ueber den Einfluß des der Luft beigemischten Ammoniaks auf die Entwicklung der Pflanzen; von Hrn. Ville. |
Fundstelle: | Band 127, Jahrgang 1853, Nr. C., S. 454 |
Download: | XML |
C.
Ueber den Einfluß des der Luft beigemischten
Ammoniaks auf die Entwicklung der Pflanzen; von Hrn. Ville.
Aus den Comptes rendus, t. XXXV p. 650.
Ville, über den Einfluß des der Luft beigemischten Ammoniaks auf
die Entwicklung der Pflanzen.
I. Wenn man der Luft Ammoniak zusetzt, so wird das Wachsthum dadurch außerordentlich
befördert; vier Zehntausentel dieses Gases machen ihren Einfluß schon in acht bis
zehn Tagen fühlbar, der sich hierauf mit zunehmender Intensität kundgibt.
Die anfänglich blaßgrünen Blätter nehmen fortwährend eine dunklere Färbung an; es
kömmt ein Zeitpunkt wo sie fast schwarz sind. Ihre Stiele sind lang und aufgerichtet
und deren Oberfläche breit und glänzend.
Hat endlich das Wachsthum sein Ende erreicht, so übertrifft die Ernte bedeutend
diejenige von denselben in reiner Luft gewachsenen Pflanzen; überdieß enthält ein
gleiches Gewicht der Ernte fast noch einmal soviel Stickstoff.
Der Luft beigemischtes Ammoniakgas bewirkt also zweierlei: 1) es befördert das
Wachsthum der Pflanzen; 2) es macht das Product stickstoffreicher.
Im Jahre 1850 betrugen die in reiner Luft erhaltenen Ernten 64,19 Gramme (bei
96° R. ausgetrocknet); die in ammoniakalischer Luft erhaltenen 110,06 Gr. Die
ersteren enthielten 1,266 Gr. Stickstoff, die letzteren 4,313 Gr.
Im Jahre 1851 betrugen die in reiner Luft erhaltenen Ernten 68,72 Gr. und enthielten
0,494 Gr. Stickstoff. Dieselben Ernten in ammoniakalischer Luft betrugen 135,20 Gr.
und enthielten 1,501 Gr. Stickstoff.
Im Jahre 1852 lieferten dreißig Weizenkörner in der reinen Luft 11,86 Gr. Stroh und
47 Körner, welche 1,06 Gr. wogen. In ammoniakalischer Luft lieferten ebensoviele
Weizenkörner 21,99 Gr. Stroh und 75 Körner, welche 1,89 Gr. wogen.
Das in der reinen Luft gewachsene Stroh enthielt 0,043 Gr. Stickstoff, das in
ammoniakalischer Luft gewachsene 0,165 Gr.
Die in der reinen Luft gewachsenen Körner enthielten 0,022 Gr. Stickstoff und die in
der ammoniakalischen Luft gewachsenen 0,065 Gr.
II. Außer diesen allgemeinen Wirkungen des Ammoniaks gibt es noch andere, welche
wandelbarer sind und von besondern Bedingungen abhängen, aber ebenfalls unsere
Aufmerksamkeit verdienen.
Mittelst des Ammoniaks läßt sich nämlich nicht nur die Vegetation in größere
Thätigkeit setzen, sondern auch der Verlauf derselben modificiren, die Ausübung
gewisser Functionen verzögern, und die Entwickelung oder Vervielfältigung gewisser
Organe übermäßig steigern.
Wenn die Anwendung dieses Gases nicht gut geleitet wird, so kann es Unfälle
veranlassen. Die im Laufe meiner Versuche vorgekommenen scheinen mir auf den
Mechanismus der Pflanzenernährung ein unerwartetes Licht zu werfen; wenigstens
lernte ich daraus, welche Vorsichtsmaßregeln angewendet werden müssen, um mittelst
des Ammoniaks die Vegetation zu unterstützen. Es versteht sich, daß es sich hier nur
von der Vegetation in Treibhäusern handeln kann.
III. Wenn man Pflanzen, welche noch mehrere Monate von ihrer Blüthe entfernt sind,
der Einwirkung des Ammoniaks aussetzt, so ist an ihrem Wachsthum nichts besonderes
zu bemerken. Dasselbe ist zwar thätiger als in der reinen Luft, aber in der
Aufeinanderfolge der durchzumachenden Stadien entsteht keine Störung. Oft kommen
sogar in reiner Luft gezogene Pflanzen gar nicht zur Blüthe, während die in
ammoniakalischer Luft gewachsenen vollkommene Früchte bringen. Aendert man aber die
Umstände des Versuchs, wartet man bis eine Pflanze auf dem Punkt ist zu blühen, um
sie dann erst der Einwirkung des Ammoniaks auszusetzen, so werden die Erscheinungen
ganz andere. In diesem Falle tritt in der Blüthe ein Stillstand ein; die Vegetation
nimmt einen neuen Aufschwung; die Pflanze macht das zurückgelegte Stadium so zu
sagen noch einmal durch; der Stengel schießt in die Höhe und treibt Zweige in allen
Richtungen, bedeckt sich mit zahlreichen Blättern und dann tritt, wenn die
Jahreszeit nicht schon zu weit vorgerückt ist, die eine Zeit lang unterbrochene
Blüthe wieder ein, aber alle Blüthen sind unfruchtbar.
Stellt man den Versuch mit einer Getreideart an, deren röhriger Stengel (Halm) sich
der Bildung neuer Zweige widersetzt, so nimmt die Erscheinung einen andern Verlauf.
Die Zunahme des, mit seiner Aehre gekrönten, Stengels hält inne, und dem Wurzelhals
entsteigen ganze Büschel von Halmen, welche bald über den Haupthalm hinausgehen.
Auch in diesem Falle gibt die Pflanze keine Frucht.
IV. Alle diese Erscheinungen sind mit den allgemeinen Gesetzen der Physiologie
vollkommen vereinbar. Alle organischen Wesen stehen nämlich unter einem Gesetz der
Compensation, welches die Harmonie zwischen den Functionen aufrecht erhält und die
Entwickelung der Organe regelt. So oft ein Organ sich übermäßig entwickelt,
geschieht dieß auf Kosten eines andern Organs, und sowie eine Function mit zu großer
Thätigkeit ausgeübt wird, geschieht dieß ebenfalls auf Kosten einer andern Function.
Sind es die Vegetationsorgane, nämlich Stengel, Zweige und Blätter, welche sich über
ein gewisses Maaß hinaus entwickeln, so geschieht dieß auf Kosten der
Reproductionsorgane; die Blüthen sind unfruchtbar und die Pflanze trägt keine
Frucht.
Im vorhergehenden Versuche wurde die an der Blüthezeit angelangte Pflanze der
Einwirkung der Ammoniakdämpfe ausgesetzt, welche die Bildung einer gewissen Anzahl
von Blättern hervorriefen. Diese rasche Bildung neuer blattartiger Organe störte das
Gleichgewicht zwischen den Functionen der Vegetation und der Reproduction und machte
die erstern gegen die letztern vorwaltend.
V. Die Wirkung des Ammoniaks zeigt sich nicht in allen Lebensperioden der Pflanzen
gleich thätig. Von der Keimung an bis zur Blüthezeit sind die Wirkungen
augenfälliger, als von letzterer an bis zur Reife der Früchte. Dieser Unterschied
ist leicht begreiflich.
Bis zur Blüthezeit hat die ganze Thätigkeit der Pflanze in den Blattorganen ihren
Sitz. Findet ein günstiger Einfluß statt, so veranlaßt er die Bildung einer größeren
Anzahl von Blättern, welche, da sie Absorptionsorgane sind, ihre Wirkung der Ursache
ihrer Entstehung beifügen.
Von der Blüthezeit an wendet sich hingegen die ganze Thätigkeit der Pflanze den
Reproductionsorganen zu. Ein Theil der Blätter verwelkt und fällt ab; die bleibenden
sind bei weitem nicht so groß als die erstern. Die Absorptionsfläche wurde folglich
kleiner.
Andererseits nähert sich die Pflanze von der Blüthezeit an der äußersten Gränze ihrer
Entwickelung. Durch diese beiden Betrachtungen lassen sich die minder auffallenden
Wirkungen des Ammoniaks während der zweiten Periode des Pflanzenlebens leicht
erklären.
VI. Die Anwendung des Ammoniaks in Treibhäusern wird ohne Zweifel Eingang finden. Die
Resultate, welche ich damit erhielt, sind so augenfällig, daß die praktische Frage
als endgültig gelöst zu betrachten ist. Mit 0,025 Grammen Ammoniak per Kubikmeter Luft ertheilte ich der Vegetation eines
Orchideen-Treibhauses eine außerordentliche Thätigkeit.
VII. Während großer Sommerhitze kann das Ammoniak Unfälle veranlassen, man muß daher
die Anwendung desselben während der Monate Juni, Juli und August aussetzen. Die von
mir beobachteten Unfälle traten immer unter gleichen Umständen ein und mit
Merkmalen, deren Beständigkeit einen bestimmten Vorgang kundthut. Sie zeigen sich
vorzüglich bei Pflanzen, deren Vegetation schon vorgeschritten ist. Die Blätter
werden gelb, runzelig und vertrocknen, obgleich die Atmosphäre mit Feuchtigkeit
gesättigt ist; das Uebel dehnt sich auf eine Anzahl Gipfelblätter aus und die
Pflanze unterliegt.
Dieser Erfolg ist das Resultat einer plötzlichen Störung des Gleichgewichts zwischen
der Quantität der von den Blättern und von den Wurzeln absorbirten Elemente. Ich
will mich deutlicher machen:
Im Allgemeinen sind die Wurzeln dazu bestimmt, die Pflanzen mit Mineralsubstanzen zu
versehen. Wenn die Absorption dieser Substanzen eine gewisse Gränze überschreitet,
so können die Pflanzen nicht alles, was ihnen zugeführt wird, nutzbar machen, und es
bilden sich salzige Efflorescenzen auf der Oberfläche der Blätter. Wenn nach starkem
Regen wieder trockene
Witterung eintritt, sieht man auf den großen Blättern der Cucurbitaceen häufig
solche Efflorescenzen.
Wenn durch das Zusammenwirken verschiedener Umstände die Thätigkeit der Blätter über
diejenige der Wurzeln die Oberhand bekömmt, so wird die Absorption der organischen
Elemente vorherrschend. Wegen Mangels einer hinreichenden Menge Mineralsubstanz
können diese Elemente nicht zur Verwendung kommen. Es findet dann eine merkwürdige
Erscheinung statt; was nämlich die Wurzeln der Pflanze nicht zuführen konnten,
schöpft die Pflanze aus sich selbst; die Substanz einer gewissen Anzahl von Blättern
wird resorbirt.
Man kann in der Natur solche Beispiele einer Resorption der ältern Organe zu Gunsten
von Organen neuerer Bildung häufig beobachten.
Wenn man einen in Blüthe stehenden Portulakstock ausreißt und im Schatten auf ein
Blatt Papier legt, so wächst er fort, der Same bildet sich und reift. Nun können in
diesem besondern Fall die im Samen enthaltenen Mineralsubstanzen nicht aus dem Boden
kommen, sie müssen daher aus den Geweben der Pflanze selbst kommen. Die oben
angedeuteten Unfälle bieten eine Erscheinung derselben Art dar.
VIII. Aus allen diesen Thatsachen ziehe ich folgende Schlüsse:
1) Wenn man der Luft vier Zehntausentel Ammoniak zusetzt, so bekommt die Vegetation
eine merkwürdige Thätigkeit.
2) Die unter solchen Umständen erhaltenen Ernten enthalten bei gleichem Gewichte viel
mehr Stickstoff, als diejenigen derselben Pflanzen, welche in der reinen Luft
gewachsen sind.
3) Wenn man mit der Anwendung des Ammoniaks zwei oder drei Monate vor der Blüthezeit
der Pflanzen beginnt, so hat die Vegetation ihren gewöhnlichen Verlauf und es
entsteht gar keine Störung in der Aufeinanderfolge der Stadien, welche sie
durchzumachen hat.
4) Beginnt man aber mit der Anwendung dieses Gases zur Blüthezeit, so wird diese
Function aufgehalten oder verzögert. Die Pflanze bedeckt sich mit Blättern, gibt
aber keine Früchte.