Titel: | Ueber ein neues System von Hängebrücken, Herkules-Brücken genannt; von Girard de Caudemberg, Ober-Ingenieur des Brücken- und Chausseebaues. |
Fundstelle: | Band 127, Jahrgang 1853, Nr. XXXVII., S. 177 |
Download: | XML |
XXXVII.
Ueber ein neues System von Hängebrücken,
Herkules-Brücken genannt; von Girard de Caudemberg, Ober-Ingenieur des
Brücken- und Chausseebaues.
Aus dem Moniteur industriel, 1852, Nr.
1717.
De Caudemberg, über ein neues System von Hängebrücken.
Das Jahrhundert, in welchem wir leben, wird sich in den Augen kommender Generationen
hauptsächlich durch die Sorgfalt unterscheiden, welche man auf die Anlage und
Vervollkommnung der Communicationsmittel verwendet hat. Nun ist es zwar wahr, daß in
dem jetzigen Zeitalter die Ausdehnung des Handels während einer langen
Friedensperiode Arbeiten dieser Art zu einer nothwendigen Bedingung gemacht hat,
aber man kann doch nicht behaupten, daß der wohlfeile Transport von Kaufmannsgütern
die einzige Veranlassung zum Bau der Eisenbahnen gewesen sey und dieselben in die
allgemeine Gunst des Publicums gebracht habe. Im Gegentheil ist es hauptsächlich die
Leichtigkeit und Bequemlichkeit des Reifens, welcher der Erfolg der vielen
Eisenbahnbauten zugeschrieben werden muß; sie entsprechen im höchsten Grade dem
Bedürfniß, andere Gegenden und Länder kennen zu lernen, entfernte Verwandte, Freunde
und Bekannte zu besuchen und Genüsse zu haben, die man in der Heimath entbehren muß.
Die Eisenbahnen vermindern die Dauer und folglich auch die Ermüdung nothwendiger
Reisen, sie vermindern deren Kosten und gewähren die Möglichkeit, persönlich
Geschäfte abzumachen, welche früher auf dem langsamen Wege der Correspondenz
abgemacht werden mußten. Kurz, der Zweck, das Resultat der ungeheuren Kosten, welche
auf den Bau der Eisenbahnen verwendet wurden, wird größtentheils durch die Summe der
neuen Genüsse repräsentirt, welche die Möglichkeit, mit Leichtigkeit sich an die
entferntesten Orte zu begeben, darbietet. Der Genuß ist, beiläufig bemerkt, das
Endresultat aller menschlichen Industrie; er macht alle Speculationen der
Staatsökonomen unsicher, denn es ist dieser Zweck seiner Natur nach veränderlich und
beweglich; deßhalb hat auch das Gedeihen der neuen Straßen alle Berechnungen zu
nichte gemacht und die Erwartungen weit überstiegen.
Um demselben Bedürfniß, dem Vergnügen des Reisens, zu entsprechen, entstehen täglich
neue Dampfschiffe, welche die Flüsse auf- und abgehen, den Ocean und die
Binnenmeere durchfurchen. Und wenn wir jetzt, nach dieser kurzen Abschweifung, auf
den eigentlichen Gegenstand dieser Arbeit zurückkommen, so sind es ebenfalls die
gewünschten leichten Communicationen, welche seit etwa 30 Jahren die Veranlassung zu
den Hängebrücken über fast alle europäischen und viele amerikanischen Flüsse gegeben
haben, Brücken die den großen Vortheil gewähren, daß sie in den Flüssen gar keiner
oder weit weniger Stützpunkte bedürfen als die gewöhnlichen. Es wird dadurch sehr
wesentlich an Anlagekosten gespart und die Schifffahrt auf den Flüssen auch weit
weniger gestört, als dieß bei den gewöhnlichen Pfeiler- und Bogendrücken der
Fall ist; diese Störung der Schifffahrt ist auf manchen Flüssen, z.B. auf dem Rhein,
von jeher und noch jetzt das Haupthinderniß bei der Anlage stehender Brücken
gewesen, da die Durchfahrt zwischen den Brückenpfeilern und unter den Bogen bei
Dampfschiffen eigenthümliche Vorrichtungen erfordert und schon häufig nicht
unbedeutende Unfälle veranlaßt hat. Haben die Brücken aber Klappen zum Durchlassen
der Schiffe, so wird dadurch der Straßenverkehr gehemmt.
Unglücklicherweise sind diese leichten Baue verborgenen Zerstörungen und gefährlichen
Brüchen unterworfen, welche von den Schwingungen herrühren, die entweder von den
darüber passirenden Menschen, Thieren und Wagen, oder von dem Winde veranlaßt
werden. Durch die ersteren Ursachen sind schon häufig Unglücksfälle veranlaßt
worden, unter denen das Zerreißen der Kettenbrücke zu Angers viele Menschenleben
kostete. Der heftige Wind, welcher zur Zeit des Unglücksfalles herrschte, mag auch
seinen Theil an dem Ereigniß gehabt haben, allein die von den Ingenieuren und den
Localbehörden bestätigten Umstände lassen keinen Zweifel, daß die sehr bedeutenden
Schwingungen von den über die Brücke marschirenden Truppen veranlaßt wurden. Wir
müssen bei dieser Gelegenheit bemerken, daß das durch das Gesetz angeordnete
Marschiren ohne Schritt zu halten, durchaus nicht hinreichend ist, um die
Schwingungen zu vermindern. Es läßt sich auch nur schwer denken, daß eine
Menschenmasse, welche, wie es hier der Fall war, in Sectionen über die Brücke
marschirt, die sich, indem sie eine gewisse Distanze halten, mit gleicher
Geschwindigkeit bewegen, auf die Fahrbahn der Brücke nicht mit gleicher Schwere
einwirken sollte, möge sie nun regelmäßig oder unregelmäßig, die einen mit dem
rechten, die andern mit dem linken Fuß auftreten. Der Marsch in Sectionen war
hauptsächlich dadurch nachtheilig, daß er starke Stöße innerhalb gleicher Zeiträume
veranlaßte. Es muß gesetzlich darauf gehalten werden, daß beim Uebergang über
Kettenbrücken jeder regelmäßige Marsch unterbrochen wird, indem dieß das beste
Mittel gegen ähnliche Unglücksfälle zu seyn scheint.
Wenn man sich aber auch in dieser Beziehung gegen starke regelmäßige Schwingungen
schützen kann, so ist dieß doch beim Winde durchaus nicht möglich, weil derselbe auf
tausendfache Weise wirkt, und besonders wenn er von Thälern umschlossen wird, sehr
heftige Stöße verursacht, wodurch die Brückenbahn von oben nach unten niedergedrückt
oder von unten nach oben gehoben wird und daher sehr gefährliche Schwingungen
erleidet. – Wir wollen hier nur auf einige neuere Beispiele, welche
Frankreich aufzuweisen hat, hindeuten. So wurde vor einigen Jahren die Brücke zu
Beaucaire und ganz neuerlich die prächtige Brücke von la Roche Bernard, die eine
Spannung von 198 Metern hatte und 39,70 Meter über dem Meeresspiegel am Ausfluß der
Vilaine hing, durch einen der letztern Stürme großentheils zerstört, nachdem kurz
vorher eine Eilpost darüber gefahren war. Bei dem Bau dieser Werke war durchaus
keine Sorgfalt gespart, und sie wurden mit Recht als Meisterstücke des Brückenbaues
in Frankreich angesehen.
Besonders nachtheilig für die Dauer der Kettenbrücken ist aber die fortwährende
Oxydation der sogenannten Landketten, da wo sie unter der Sohle in ausgemauerten
Gruben befestigt sind. Die Berichte, welche nach dem Bruche der Brücke zu Angers
erstattet wurden, lassen keinen Zweifel, daß die Stärke der Ketten dadurch um 1/5
vermindert worden war, und ähnliche Erfahrungen hat man auch bei anderen Brücken
gemacht. – Dieß war ein Fingerzeig für die oberste Baubehörde, im Interesse
der öffentlichen Sicherheit zu verfügen, daß die älteren Kettenbrücken jährlich
untersucht werden müssen und bei neu zu erbauenden Vorkehrungen zu treffen sind, um
die Ketten täglich untersuchen zu können. Hierher gehört auch die Verzinkung oder
sogenannte Galvanisirung der Eisenstäbe, ein jetzt allgemein bekanntes
Erhaltungsmittel derselben.
Jedenfalls geht aus sämmtlichen erwähnten Umständen offenbar hervor, daß die
Kettenbrücken nach dem jetzt allgemein angenommenen System, welches übrigens auch
für die Eisenbahnen als unzweckmäßig erkannt wurde, dem Zweck solcher Brücken, die
große Lasten zu tragen haben, durchaus nicht genügen. Sobald man daher dahin gelangt
seyn wird, steife Brücken, bei denen auch Stürme keine Schwingungen hervorbringen
können, wohlfeil und sicher zu bauen, wird die Zeit der Hängebrücken vorüber
seyn.
Die amerikanischen oder sogenanntensogenaanten
Gitterbrücken, bei denen die Fahrbahn durch die
Brustwehren unterstützt wird, welche aus hölzernem Gittexwerk bestehen, das durch
Nägel so mit einander verbunden ist, daß es seine Form gar nicht verändern kann und
daher einen bedeutenden Widerstand in senkrechter Richtung bietet, gewähren eine Lösung der Frage. Es gibt
Brücken dieser Art von einer sehr bedeutenden Tragkraft; sie widerstehen dem Winde
gut, und zwar bei jeder Richtung desselben. Die Röhrenbrücken des englischen
Ingenieurs Stephenson, welchem es mittelst einer
glücklichen Combination des stärksten Eisenblechs mit dem Gußeisen gelang, in der
Luft hängende Tunnels zu construiren, von solchem Inhalt, daß Eisenbahnzüge
durchfahren können, bilden eine andere und kühne Lösung dieses wichtigen Problems.
Die Conway- und Britannia-Brücken sind bekannte Beispiele dieser neuen
Construction; erstere hat 122 Meter und letztere 141 Meter Spannung; man hat bis
jetzt weder eine Biegung noch einen Bruch daran wahrgenommen, und dennoch ist der
Uebergang von Eisenbahnzügen über eine Brücke die stärkste Probe, welcher sie
unterworfen werden kann.
Diese kurze Auseinandersetzung dessen, was in der neuesten Zeit im Bau großer Brücken
geschehen ist, war als Einleitung zur Betrachtung eines neuen Brückensystems
erforderlich, welches von Hrn. Vergniais zu Lyon erfunden
und von ihm Herkules-Brücken benannt wurde. Nach
dem wörtlichen Ausdruck des Erfinders construirt er „steife und unbiegsame
Hängebrücken oder Viaducte, welche die Festigkeit und die Dauer der steinernen
Brücken mit der Leichtigkeit, Bequemlichkeit, Wohlfeilheit, leichten
Ausführbarkeit und Tragkraft der Kettenbrücken vereinigen.“
Wir besitzen die Zeichnung einer Brücke dieser Art, welche von Hrn. Vergniais über den Lignon zu St.
Etienne-le-Molard, im Loire-Departement, ausgeführt wurde, und
um unsere Leser mit der neuen Erfindung und ihren Vortheilen näher bekannt zu
machen, können wir nichts besseres thun, als das Werk kurz beschreiben, welches am
26sten August 1852 der vorschriftsmäßigen Prüfung unterzogen wurde.
Diese Brücke hat eine Oeffnung von 31 Metern (98 1/2 Fuß), eine Breite von 5,60 Meter
(18 Fuß) und besteht aus zwei großen gußeisernen Bogen, welche die Fahrbahn mittelst
starker schmiedeiserner Stäbe tragen. – Diese Bogen beginnen 2,20 Meter (7
Fuß) über dem Wasserspiegel; es sind Kreisbogen, beschrieben mit einem Halbmesser
von 30 Metern (95 1/2 Fuß), welches bei einer Sehne von 31 Met. für den untern Bogen
eine Entwickelung von 33,60 Meter (107 Fuß) gibt. Der obere Bogen ist mit dem
unteren concentrisch und mit einem Halbmesser von 31,05 Metern beschrieben, so daß
die Kränze der Bogen eine Höhe von 1,05 Meter (3 Fuß 4 Zoll) haben. Sie sind in
Wölbungen von 2,10 Met. mittlerer Länge getheilt, und außerdem besteht jeder Bogen
in seiner Dicke, welche 0,16 Met. (6 Zoll) beträgt, aus zwei ähnlichen Theilen, die
symmetrisch über
einander gelegt und durch Bolzen fest mit einander verbunden sind. Obgleich die
Beschreibung es nicht erwähnt, so müssen wir doch annehmen, daß die Verbindungen der
Wölbungen, in einem der Theile, der Mitte der Wölbungen des anderen entsprechen, um
die Steifigkeit des Ganzen wesentlich zu erhöhen. – Die aus einem Stück
geformten und gegossenen Wölbungen bestehen aus einem Rahmen mit Verstärkungsrippen,
aus zwei einander tangirenden Kreisen und aus einer Traverse, die mit den äußersten
Bogen concentrisch ist. Um endlich die Schwankungen dieser großen und dünnen Bogen
in horizontaler Richtung möglichst zu vermeiden, hat der Erfinder eine starke
Verstärkungsrippe hinzugefügt, die auf der mittleren Traverse befestigt ist, und
außerdem sind von 6 zu 6 Meter gußeiserne Traversen zwischen den beiden Bogen
angebracht.
Diese Einrichtung, welche lediglich diejenige eines gußeisernen Gewölbes ist,
veranlaßt einen sehr bedeutenden Druck gegen die Widerlager, die man daher so stark
macht, daß sie denselben ertragen können. Ueber diesen Widerlagern sind vier Säulen
von 1 Meter (3 1/6 Fuß) Stärke im Quadrat und von 5,60 Meter (17 3/4 Fuß) Höhe
angebracht, welche den Zweck haben, die Schlußbogen von den vier Bogentheilen zu
stützen, welche die Fahrbahn in dem Theile zwischen den Widerlagern und dem
Hauptbogen tragen; sie unterstützen auch die Gewölbswinkel dieser letzteren.
Die Fahrbahn besteht gänzlich aus Stücken von Guß- und Schmiedeisen, welche 3
Centimet. (13 Linien) von einander entfernte Stäbe tragen, über welche eiserne
Bänder gelegt sind; über das Ganze ist eine 3 Centimeter dicke Schicht von Asphalt
gegossen, und auf dieser Decke ruht ein 15 Centimeter (6 Zoll) starkes Pflaster.
Das Ansehen einer solchen Brücke überzeugt uns sogleich von der Festigkeit des
Ganzen, und diese starken Bogen können zu jeder Zeit genau untersucht werden. Wir
dürfen daher annehmen, daß diese Construction eine bedeutende Zukunft haben wird,
besonders wenn erst noch manche Verbesserungen gemacht seyn werden, welche die
Erfahrung ergeben wird.
Der Erfinder des Systems, welcher die Ausführung der Brücke zu St.
Etienne-le-Molard im Accord unternommen hatte, behauptete, sie könne
mit 2000 Kilogr. (40 Centnern) per Quadratmeter (also
mit 4 Centnern per Quadratfuß) belastet werden, so daß
die ganze Fahrbahn eine Belastung von 347,000 Kilogrammen (6900 Centnern) getragen
haben würde. – Diese Behauptung, welche einen Beweis von dem großen Zutrauen
des Constructeurs auf die Festigkeit seines Werkes lieferte, war dennoch gewagt, und
die Behörden des Loire-Departements hielten sich daher an die gesetzlichen
Vorschriften über die Belastung der Kettenbrücken, welche 200 Kilogr. per Quadratmeter, also zehnmal weniger als der Erfinder
vorschlug, beträgt.
Die Probe fand im Beiseyn der obersten Verwaltungsbeamten und vieler Ingenieure
statt, und da man es dem Unternehmer anheimgestellt hatte die Belastung zu erhöhen,
so legte er auf den Quadratmeter 453 Kilogr. (auf den Quadratfuß etwa 90) Pfund).
Unter dieser Belastung senkte sich die Fahrbahn in der Mitte um 5 Centimeter (22
rheinl. Linien), hob sich aber nach der Entfernung der Belastung wieder zu der
vorherigen Höhe empor. Kein Theil der Construction hatte gelitten.
Der Erfinder hofft sein System, welches er sich patentiren ließ, auf noch weit
größere Oeffnungen anwenden zu können, als bei der Brücke von St. Etienne gewählt
wurden. In den uns mitgetheilten Acten befindet sich die Zeichnung einer ungeheuren
Brücke, welche die beiden felsigen Hügel, die zu Lyon das enge
Saône-Thal umschließen, verbinden soll. In der Perspective sehen die
großen Bogen wie ein vollständiger Regenbogen aus, der sich an beiden Enden auf die
Felsen stützt. – Die Ausführung dieser riesigen Unternehmung, auf die von
Hrn. Vergniais vorgeschlagene Weise, scheint sich
allerdings bewerkstelligen zu lassen; man müßte sich aber vorher weit mehr, als es
bisher geschah, mit den Schwankungen der großen dünnen Bogen, welche das Ganze
tragen, beschäftigen, da heftige Winde auf so große Oberflächen, wenn sie noch so
sehr durchlöchert sind, eine sehr bedeutende Einwirkung haben müssen.
Wir rathen übrigens dem Erfinder die Anwendung einer Vervollkommnung, die uns sehr
wichtig zu seyn scheint und auf welche man ganz natürlich kommt; sie besteht darin,
die Fahrbahn mit den Bogen an den Punkten, wo sie sich in der Höhe befinden,
möglichst fest zu verbinden, und so mittelst der starken der Länge nach laufenden
Balken, welche die Bahn tragen, eine vollständige Steifigkeit hervorzubringen.
Endlich empfehlen wir Hrn. Vergniais als Beispiel für die
Vorsichtsmaßregeln gegen jede Art von Zerstörungen, die Einzelnheiten der
Construction an jenen berühmten Schweizer Brücken anzuwenden, welche, wie die zu
Schaffhausen, gänzlich aus Holz bestehen; gewiß würde er an diesen Brücken manches
Nachahmungswerthe finden.