Titel: Crampton's neue Locomotive.
Fundstelle: Band 122, Jahrgang 1851, Nr. LXVI., S. 331
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LXVI. Crampton's neue Locomotive. Aus der Eisenbahnzeitung, 1851, Nr. 43. Mit einer Abbildung auf Tab. V. Crampton's Locomotive. Der XIX. Band der Annales des mines, dritte Lieferung, 1851, enthält einen Bericht von Hrn. Couche, Professor an der Bergwerksschule in Frankreich, über eine zur Londoner Industrie-Ausstellung gelieferte Locomotive, den wir seinem ganzen Inhalte nach hier mittheilen. Unter den Locomotiven, welche die Londoner Industrie-Ausstellung aufwies, erregte keine die Aufmerksamkeit der Ingenieure in so hohem Grade, wie die nach der Angabe Hrn. Crampton's in der Werkstätte R. Stephenson's in Newcastle gebaute und für den Eildienst auf der South-Eastern Eisenbahn in Korrespondenz mit der Nordbahn bestimmte Locomotive Folkstone.“ Der Erfinder, bereits bekannt durch eine von ihm angegebene Construction von Locomotiven für große Geschwindigkeiten, hat sich die Aufgabe gestellt, die seinen Namen führenden Locomotiven weiter zu vervollkommnen, indem er ihre Stabilität vermehrte und hat diesen Zweck vollkommen erreicht.51) Seine neue Locomotive wurde in Gegenwart mehrerer erfahrener Ingenieure zahlreichen Proben unterworfen, wobei sich ergab, daß die vollkommene Regelmäßigkeit ihres Ganges und ihre feste Haltung auf der Bahn bei Geschwindigkeiten bis zu 120 Kilometer in der Stunde, sich um nichts verminderte. Einige Worte über die Eigenthümlichkeiten dieser Locomotive dürften daher nicht ohne Interesse seyn. Wirft man einen Ueberblick über die auf den englischen Eisenbahnen gegenwärtig im Gange befindlichen Locomotiven, so wird man durch eine Thatsache betroffen, nämlich durch die fast allenthalben beliebte Rückkehr zu den innenliegenden Cylindern. In Verbindung mit außenliegenden Rahmen und der Stellung der hinteren Achse hinter dem Feuerkasten charakterisirte diese Anordnung die Mehrzahl der in neuerer Zeit für den Passagierdienst gebauten Locomotiven. Nur auf der Eastern Countiesbahn findet man noch fast ausschließlich den auch in Frankreich allgemein verbreiteten Typus der Passagier-Locomotiven, nämlich außenliegende Cylinder, innenliegende Rahmen, und in Frankreich freitragende Feuerkasten. Bei der Mehrzahl der Locomotiven der Eastern Countiesbahn ist der Rahmen in Beziehung auf die hintere jenseits der Feuerbüchse angebrachte Achse außenliegend, wodurch es möglich wird, die Weite der Feuerbüchse zu vermehren und für die Stellung der Federn einen größeren Raum zu erhalten. Crampton's neue Locomotive hat innenliegende Cylinder, und in Beziehung auf die Tragräder außenliegende Rahmen, und die hintere Achse ist jenseits des Feuerkastens angebracht. Außerdem sind, wie in seinem ersten Modell, die hinteren Räder Treibräder. Außenliegende Cylinder und eine Treibachse hinter dem Feuerkasten scheinen sich auszuschließen; auch bedingte die Kombination dieser beiden Constructionen ein Zwischenglied, nämlich eine gekröpfte Blindachse, welche die Kolbenstöße aufnimmt und mittelst zweier außenliegenden Kurbeln, welche mit den Enden der Blindachse und mit den Naben der Treibräder verkeilt sind, auf die letztere überträgt, und eine Kurbelstange mit paralleler Bewegung, ähnlich den Kuppelstangen. Die Disposition kommt daher in dieser Hinsicht der einer Locomotive gleich, deren hintere Räder gekuppelt sind und deren Treibräder man weggenommen hat, ohne deren Achse zu entfernen. Es ist auf den ersten Anblick schwierig, sich eines gewissen Vorurtheils gegen diese offenbar verwickelte Anordnung zu erwehren, allein man söhnt sich in dem Maaße mit derselben aus, in welchem man die Elemente der Stabilität und Sicherheit erkennt, welche dieselbe in sich schließt: weit abstehende und stark belastete äußere Achsen; – Entfernung jeder Belastung von der gekröpften Achse, deren Bruch eben dadurch beinahe unmöglich, wenn er aber gleichwohl eintreten sollte, gefahrlos gemacht wird, – jederzeit ausreichende Adhäsion; – Beseitigung der übertriebenen Länge der Kurbelstangen, während gleichwohl die Cylinder weit von den Treibrädern abstehen; – sämmtliche Theile des Mechanismus unmittelbar balancirt durch die äußeren Kurbelstangen und die Transmissionsstangen; – endlich und hauptsächlich die Stellung der Treibachse zu den Cylindern unabhängig von den Schwankungen des Kessels, mit einem Worte, eben so unwandelbar wie bei einer stehenden Maschine; – dieß sind die Vorzüge, welche die beschriebene Disposition besitzt, und auf deren Vereinigung man, wo immer die Trace der Bahn es gestattet, gewiß großen Werth zu legen hat. Ueber alles dieses trotzt aber der unerschütterlich ruhige Gang der Maschine, selbst bei weit größerer Geschwindigkeit als die gewöhnliche, jeder Kritik. Auch das System der Aufhängung der Crampton'schen Locomotive verdient bemerkt zu werden. Wenn es einerseits im Interesse der Stabilität der Maschine von Wichtigkeit ist, daß das durch die Lage der äußersten Stützpunkte über den Schienen gebildete Rechteck eine möglichst große Länge besitze, und im Interesse der Erhaltung des Oberbaues, daß das Gewicht der Maschine auf eine hinreichende Anzahl von Stützpunkten vertheilt werde, so unterliegt es andererseits keinem Zweifel, daß die Maschine von den Unregelmäßigkeiten des Oberbaues um so weniger leiden wird, je geringer die Zahl der Federn ist, welche zwischen den Achsen und dem Rahmen angebracht werden, und wenn die Zahl dieser Federn, mit andern Worten, die Stützpunkte des Rahmens auf ein Minimum reducirt wird, nämlich auf drei, so wird die Vertheilung der Last auf diese drei Stützpunkte, mithin auf die denselben entsprechenden sechs Achsenbüchsen, vollkommen unabhängig von den Unebenheiten der Bahn. Hr. Crampton reducirt demgemäß sein ganzes System der Aufhängung auf drei Federn. Die beiden vorderen Längenfedern sind seitswärts zur Rechten und Linken des Kessels über dem Rahmen angebracht, welcher an dem Band der Feder hängt, deren Enden mittelst zweier die Langbalken des Rahmens durchdringender Stützen auf den Achsenbüchsen zweier hinter einander stehenden Räder ruhen. Nach hinten stützt sich der Rahmen mittelst eines starken Querriegels auf die Mitte der dritten Feder, einer Querfeder, welche mit ihren beiden Enden auf der Achsenbüchse der Treibräder ruht. Der Kessel, auf diese Art gleichsam in ein Gehäuse eingeschlossen, bleibt von den verticalen Schwankungen sichtlich unberührt. Die Art der Aufhängung an beiden vorderen Räderpaaren findet sich auch bei mehreren anderen Locomotivensystemen, z.B. bei den achträderigen Passagierlocomotiven der Great-Westernbahn; bei denen, welche Bury für die London-North-Westernbahn nach dem ersten Crampton'schem System baute; R. und W. Hawthorn habe diese Art der Aufhängung sogar bei den drei Achsen der Locomotive mit Außencylindern, innenliegenden Rahmen und zwischenliegenden, unabhängigen Treibrädern angewendet, mit welcher sie die Ausstellung beschickten.52) Bei dieser Anordnung der Federn ist allerdings nicht, wie bei den gewöhnlichen sechsrädrigen Locomotiven die Möglichkeit gegeben, die Belastungen der drei Achsen innerhalb der Gränzen, welche durch ihre Stellung zu dem Schwerpunkte des aufgehängten Gewichtes bestimmt sind, variiren zu lassen, allein diese Möglichkeit erscheint den Garantien gegenüber, welche die Stellung der Treibachse und das System der Aufhängung gegen den Mangel an Adhäsion, gegen eine zufällige Ueberbelastung der Achsenenden und der Schienen, und gegen die bei dem gewöhnlichen System durch die Bewegung der Maschine bewirkten unaufhörlichen Störungen in der Vertheilung der Last bieten, ohne Werth.53) Bei den Maschinen mit sechs unabhängigen Rädern, wo die Treibachse in der Mitte liegt, erscheinen zwei gleich wichtige Bedingungen gewissermaßen unvereinbar, nämlich die Stabilität, welche eine bedeutende Belastung der Vorderachse erfordert, und die Adhäsion, welche nicht zuläßt daß der Antheil der Mittelachse an dem Gewichte der Maschine unterhalb einer gewissen, immer noch hohen Gränze vermindert werbe. Hier ist daher die Anwendung einer eigenen Feder für jedes Achsenende vollkommen gerechtfertigt, weil sie es möglich macht, die Vertheilung der Last je nach den in unserem Klima so veränderlichen atmosphärischen Verhältnissen zu reguliren, das für die Adhäsion wirksame Gewicht zu vermehren, sobald der Reibungscoefficient in Folge des Zustandes der Schienen kleiner wird, und wenn gegentheils dieser Coefficient sein Maximum erreicht, jenes Gewicht zu vermindern, um eine unnöthige Ueberbelastung der Schienen, sowie den schädlichen Einfluß zu vermeiden, welchen eine sehr große Belastung der Mittelachse auf die Stabilität der Maschine ausübt, mit einem Wort, weil sie es möglich macht, zwei sich widersprechende Anforderungen bis auf einen gewissen Grad zu vermitteln. Man hat zu diesem Zweck auf der Nordbahn für die Regulirung der Federn zweierlei Normen adoptirt: die eine für den Sommer, die andere für den Winter. Bringt man aber die Treibachse hinten an, so vereinigt man natürlicherweise die Bedingung der Stabilität mit der der Adhäsion, und eine unveränderliche Vertheilung der Last auf die drei Achsen ist alsdann mit keinerlei Nachtheil verbunden, zumal bei der Crampton'schen Art der Aufhängung, welche jene Vertheilung von den Unregelmäßigkeiten des Oberbaues unabhängig macht.54) Der Mechanismus der Dampfvertheilung in der neuen Crampton'schen Locomotive bietet nichts besonders bemerkenswerthes dar.55) Die Pumpenstangen werden von zwei besonderen Excentriken in Bewegung gesetzt, welche wie die für die Dampfvertheilung auf die Blindachse aufgekeilt sind, jedoch außerhalb der innenliegenden Längenbalken. Hr. Crampton hat, wie die meisten englischen Constructeure, gesucht, die directe Heizfläche mittelst eines in der Heizkammer angebrachten Sieders zu vergrößern. Derselbe ist der Länge nach disponirt und mit dem Röhrenschild in der Weise verankert, daß sie die Mündungen der Siederöhren, deren Zahl durch den Sieder nicht vermindert werden darf, frei läßt. Die Hetzkammer hat zwei Thüren, welche zu beiden Seiten der durch den Sieder gebildeten Scheidewand symmetrisch angebracht sind. Man vermeidet so die Uebelstände, welche ein quer liegender Sieder für die Führung des Feuers mit sich bringt. Hr. Brunel hat übrigens bei den mächtigen Maschinen der Great-Western Eisenbahn diese letzte Disposition beibehalten, welche in Frankreich längst ausgegeben ist und nur von Hrn. Clarke auf der Eisenbahn nach Orleans noch beharrlich angewendet wird. Die Räder der „Folkstone“ bestehen ganz aus Schmiedeisen. Die englischen Ingenieure stimmten übrigens in neuerer Zeit darin überein, daß die gußeisernen Naben nicht allein an den Locomotiven-, sondern auch all den Wagenrädern, wenn sie nämlich ganz aus Schmiedeisen bestehen, zu beseitigen seyen.56)

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