Titel: | Ueber eine Verunreinigung des Chloroforms, welche es zum Einathmen ungeeignet macht; von Soubeiran und Mialhe. |
Fundstelle: | Band 113, Jahrgang 1849, Nr. XCIV., S. 436 |
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XCIV.
Ueber eine Verunreinigung des Chloroforms, welche
es zum Einathmen ungeeignet macht; von Soubeiran und Mialhe.
Aus dem Journal de Pharmacie, Juli 1849, S.
5.
Soubeiran und Mialhe, über eine Verunreinigung des
Chloroforms.
Im Handel kommen unter dem Ramen Chloroform zweierlei
Flüssigkeiten vor, welche, obschon verschiedenen Ursprungs, doch als identisch
betrachtet werden und deßhalb bisher für einander angewandt wurden. Dessenungeachtet
sind sie in ihren Eigenschaften sehr verschieden; die eine, welche durch Einwirkung
des unterchlorigsauren Kalks (Chlorkalks) auf Alkohol entsteht, besitzt alle dem
Chloroform zugeschriebenen Eigenschaften und man kann sie das normale Chloroform nennen; die andere, welche durch Einwirkung des
unterchlorigsauren Kalks auf Holzgeist (Methyloxydhydrat) entsteht, ist von ersterer
so verschieden, daß wir sie deßhalb einer nähern vergleichenden Untersuchung
unterziehen zu müssen glaubten.
Das Chloroform aus Holzgeist, welches wir einstweilen Methyl-Chloroform nennen wollen, besitzt einen ganz andern Geruch
als das normale Chloroform; derselbe ist nicht lieblich und angenehm, sondern
brenzlich, widerlich und lästig. Es ist von geringerer Dichtigkeit als das
gewöhnliche Chloroform, indem dieses eine Dichtigkeit von 1,496, jenes nur von 1,413
hat.Beiläufig sey bemerkt, daß die von Liebig
bestimmte Dichtigkeit des Chloroforms = 1,480 zu gering ist. Wir fanden sie
bei einem vollkommen reinen Chloroform bei 12° C. constant 1,496.
Diese Verschiedenheit rührt ohne Zweifel von der Gegenwart eines
fremdartigen Körpers her, welcher, wie wir bald zeigen werden, vom
Chloroform nicht abgeschieden wurde. Auch scheint sein Siedepunkt kein so hoher zu seyn. Endlich erzeugt die
Einathmung des Methyl-Chloroforms, weit entfernt leicht und angenehm zu seyn,
eine allgemeine Unbehaglichkeit, welcher Schwere des Kopfes, beständige Neigung zum
Erbrechen, manchmal auch wirkliches Erbrechen folgen.
Solche Verschiedenheiten im Charakter dieser beiden Flüssigkeiten ließen uns
vermuthen, daß sie nicht von gleicher Zusammensetzung seyen, und daß die
Eigenschaften der einen durch eine fremdartige Substanz maskirt seyn müssen.
Als wir das Methyl-Chloroform durch mehrere aufeinanderfolgende Destillationen
über Chlorcalcium immer besser zu rectificiren suchten, fanden wir, daß das Salz,
welches am Boden des Wasserbades als Rückstand blieb, nach jeder Destillation eine
gewisse Menge eines eigenthümlichen Oels enthielt, das sich durch Waschen mit Wasser
leicht absondern ließ. Durch wiederholte Rectificationen vermochten wir eine
ziemliche Menge dieses Oels abzuscheiden, dessen Mengenverhältniß bei manchem im
Handel vorkommenden Chloroform in 500 Grammen 30 Gramme betrug.
Dieser neue Körper war flüssig und von öliger Consistenz. Anfangs gelblich, wurde er
durch ein bloßes Rectificiren farblos. Er besaß einen ganz eigenthümlichen, sehr
starken brenzlichen Geruch, den wir als die Ursache des dem Methyl-Chloroform
eigenen Geruchs erkannten. Er war leichter als Wasser. Aus einer Retorte, in welche
ein Thermometer hineingehangen wurde, begann er bei 85° C. (68° R.)
überzudestilliren; die Temperatur blieb aber keineswegs auf diesem Grade stehen,
sondern steigerte sich nach und nach bis auf 133° C. (106 1/2° R.).
Nun wurde die Destillation unterbrochen, weil das Thermometer nicht mehr tief genug
in die Flüssigkeit tauchte. Diese Temperaturzunahme während der Destillation
beweist, daß fragliches Oel ein Gemenge mehrerer Körper ist. Dieses heterogene Oel
entzündete sich leicht und verbrannte mit einer sehr intensiven rußigen Flamme.
Unter seinen Verbrennungsproducten findet sich Chlor, welches also ein Bestandtheil
desselben ist.
Obwohl mehrmals rectificirt, hatte das Chloroform, woraus dieses Oel erhalten wurde,
doch den ihm eigenen brenzlichen Geruch noch beibehalten. Wir suchten daher eine
Substanz auszumitteln, welche auf das Chloroform selbst nicht einwirkt, aber das
noch darin enthaltene Oel abzuscheiden oder zu zerstören vermag. Nach einigen
Versuchen schien uns die concentrirte Schwefelsäure hiezu
geeignet; sie erzeugte in dem noch unreinen Chloroform eine bräunlichrothe Färbung,
welche um so intensiver war, je mehr Oel sich in der Mischung befand. Diese Färbung, welche sie
auch, und zwar in noch höherm Grade, im isolirten Oel hervorrief, rührt von der
Verkohlung, der Zerstörung desselben her, so daß wir durch Destillation des unreinen
Chloroforms mit einer gewissen Menge Schwefelsäure ein Product erhielten, welches
von dieser Säure nicht mehr gefärbt wurde und keinen brenzlichen Geruch mehr
besaß.
Nun konnten wir das so gereinigte Chloroform analysiren und seine Eigenschaften mit
jenen des normalen vergleichen. Elementar-Zusammensetzung, Siedepunkt,
Dichtigkeit in flüssigem und im Dampfzustand, alles wurde gleich gefunden und wir
überzeugten uns, daß es nur Ein Chloroform gibt, und daß das aus dem Holzgeist
gewonnene sich von dem Alkohol-Chloroform gar nicht unterscheidet, wenn alles
Oel von jenem abgeschieden wurde. Eine vollkommene Abscheidung ist uns jedoch nicht
gelungen, sondern es blieb eine äußerst kleine Menge von dem Oel darin, welche auf
die Dichtigkeit und die Resultate der Elementar-Analyse keinen Einfluß hatte,
sich aber durch den Geruch offenbarte, der nach Verdampfung einer ziemlich großen
Menge solchen Chloroforms zurückblieb. Besonders zeigte er sich bei Ermittelung der
Dichtigkeit des Dampfes; im Kolben war nach der Operation der Geruch noch deutlich
zurückgeblieben. Die letzten Spuren dieses Oels zu beseitigen, ist fast unmöglich;
sie widerstehen der Einwirkung der concentrirten Schwefelsäure, selbst wenn man das
Chloroform längere Zeit darüber stehen läßt.
Es gibt also nicht zweierlei Chloroform, sondern nur das bei der Einwirkung des
Chlorkalks auf den Holzgeist entstehende eigenthümliche Oel verursacht die
vermeintlichen Verschiedenheiten.
Nun mußten wir noch untersuchen, ob sich bei der Bereitung des Chloroforms mittelst
Alkohol nicht ein ähnlicher Körper erzeuge. Diese Vermuthung bestätigte sich. Das
rohe Chloroform wurde zuerst mit Wasser, dann mit kohlensaurem Natron gewaschen; man
ließ nun lange Zeit Chlorcalcium darin liegen, um ihm das Wasser zu entziehen;
endlich wurde es filtrirt und im Wasserbad aus einer Glasretorte destillirt. In der
Retorte blieb eine flüssige aromatische Substanz zurück, deren Geruch von dem des
Chloroforms verschieden war; das Verhältniß derselben war sehr klein, denn sie
betrug nicht 40 Gramme bei einer mit 20 Kil. Chloroforms vorgenommenen
Rectification.
Dieses Oel ist von dem aus dem Holzgeist-Chloroform gewonnenen wesentlich
verschieden. Es ist schwerer als Wasser und hat einen ganz eigenthümlichen scharfen
und durchdringenden Geruch. Bei Bestimmung seines Siedepunkts fanden wir, daß es
ebenfalls ein Gemisch verschiedener Körper ist; denn das Thermometer, welches am Anfang des
Siedens 68° C. zeigte, stieg in dieser Flüssigkeit bis auf 117°, und
gewiß wäre es noch höher gestiegen, wenn uns mehr von diesem Product zu Gebote
gestanden hätte, um das Experiment fortzusetzen. Alle diese öligen Substanzen sind
chlorhaltig, wovon wir uns durch Untersuchung der Verbrennungsproducte
überzeugten.
Durch welche Reaction die chlorhaltigen Oele erzeugt werden, können wir nicht
angeben, weil eine genaue Elementar-Analyse derselben nicht gemacht wurde.
Soviel können wir bemerken, daß sich bei der Bereitung des Chloroforms aus
gewöhnlichem Alkohol desto mehr chlorhaltiges Oel bildet, je weniger Kalk man der
Mischung zusetzt; daß also die Entstehung der öligen Substanz einem Chlorüberschuß
zuzuschreiben ist.
Aus dem Vorhergehenden ersieht man, daß das mit Holzgeist bereitete Chloroform, weil
es von seinem brenzlichen Geruch nicht gänzlich befreit werden kann, zum Einathmen
nicht angewandt werden darf. Höchstens kann es zu Linimenten oder Auflösungen
benutzt werden, aber auch erst nachdem es vorher mittelst concentrirter
Schwefelsäure und Chlorcalcium rectificirt wurde. Die Nothwendigkeit dieser
Rectificationen hebt jedoch den Vortheil wieder auf, welcher von der Anwendung des
Holzgeistes statt des Alkohols zu hoffen wäre.
Das Vorkommen des chlorhaltigen Oels, wenn auch in noch so geringer Menge, selbst in
dem mit Alkohol bereiteten Chloroform, ist von sehr großem Einfluß bei Anwendung
desselben; ihm ist in den meisten Fällen die Uebelkeit, der Brechreiz und das
Erbrechen in Folge der Einathmung von Chloroform zuzuschreiben.
Es ist daher absolut nothwendig, das Chloroform durch Destillation zu rectificiren,
um es von dem darin enthaltenen fremdartigen Körper zu reinigen; und zwar muß man
mit dieser Destillation etwas vor Beendigung der Operation einhalten, um die
Mischung, welche man vermeiden wollte, nicht wiederherzustellen. Das Oel, welches
das Chloroform alsdann enthielte, besitzt im höchsten Grade die Eigenschaft
Schwindel hervorzubringen. Seine Einwirkung auf den Organismus verdient, daß seine
physiologischen Wirkungen näher studirt werden. Wir haben oft Gelegenheit gehabt uns
zu überzeugen, daß wenn das Chloroform vollkommen rein ist, die Uebelkeiten und das
Erbrechen nie stattfinden.
Schließlich haben wir noch eine physische Eigenschaft des Chloroforms anzuführen,
welche bisher übersehen wurde, nämlich das Festwerden
desselben durch freiwillige Verdunstung. Gießt man Chloroform auf ein doppeltes
Filter, so läuft ein großer Theil der schweren Flüssigkeit rasch durch das Papier, während ein anderer
Theil an den Rändern des Filters schnell verdunstet und dadurch so viel Kälte
erzeugt, daß Chloroform in weißen, seidenglänzenden Büscheln erstarrt, welche sich
einige Augenblicke erhalten. Diese Eigenschaft einer Flüssigkeit, durch bloße
Verdunstung zu erstarren, wurde bisher nur bei der Blausäure beobachtet.
Aus Obigem geht hervor:
1) daß das mit Holzgeist bereitete Chloroform identisch ist mit dem eigentlichen
Chloroform;
2) daß aber die Reinigung des mit Holzgeist bereiteten Chloroforms so schwierig ist,
daß seine Anwendung statt des normalen Chloroforms keinen Vortheil gewährt;
3) daß bei der Bereitung des Chloroforms sich stets eine gewisse Menge eines
chlorhaltigen brenzlichen Oels erzeugt, dessen Wirkung auf die thierische Oekonomie
eine höchst nachtheilige ist;
4) daß die Reinigung des Chloroforms von diesem chlorhaltigen Oel unerläßlich ist,
und behufs derselben die Destillation nicht zu weit getrieben werden darf.