Titel: | Ueber das Königswasser; von Gay-Lussac. |
Fundstelle: | Band 109, Jahrgang 1848, Nr. LXV., S. 365 |
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LXV.
Ueber das Königswasser; von Gay-Lussac.
Aus den Comptes rendus, Juni 1848, Nr.
24.
Gay-Lussac, über das Königswasser.
Das Königswasser, ein Gemenge von Salpetersäure und Salzsäure in unbestimmten
Verhältnissen, zersetzt sich nach der Annahme der Chemiker beim Erwärmen durch
gegenseitige Einwirkung der beiden Säuren in Chlor und Salpetergas; die neueren
Untersuchungen von E. Davy (1830) und von Baudrimont (1843) sind jedoch damit nicht im
Einklang.
E. Davy beobachtete, daß man durch Behandlung von Kochsalz
mit concentrirter Salpetersäure ein Gasgemisch von orangegelber Farbe erhält,
welches nach seiner Analyse aus gleichen Raumtheilen Chlor und Stickoxydgas ohne
Verdichtung besteht; es gelang ihm aber nicht, beide Gase genau zu trennen, da sie
beide das Quecksilber angreifen.
Nach seiner Untersuchung folgte die von Baudrimont,
welcher durch eine Kältemischung das aus Königswasser sich entwickelnde Gas
condensirte, wodurch er eine bei — 7° C. siedende, tief rothbraune
Flüssigkeit erhielt, deren Zusammensetzung er der Formel NO3Cl2
entsprechend fand, wonach es Salpetersäure wäre, worin 2 Aequivalente Sauerstoff
durch 2 Aeq. Chlor vertreten sind. Er nannte diese Säure Chlorsalpetersäure und
betrachtete sie als den wirksamen Bestandtheil des Königswassers.
Obgleich man sich nicht verhehlen kann, daß die Arbeiten von E. Davy und Baudrimont die Natur des Königswassers
nicht vollständig aufgeklärt haben, so enthalten dieselben doch sehr wichtige
Thatsachen, welche eine größere Aufmerksamkeit verdient hätten, als ihnen von den
Chemikern bisher geschenkt wurde.
Ich will nun in kürze das Resultat meiner eigenen Beobachtungen mittheilen. Man muß
bei dem königswasser die Reaction seiner Bestandtheile, welche eintritt, wenn man es
für sich allein erhitzt, wohl von. derjenigen unterscheiden, welche bei Gegenwart
eines Metalls oder irgend eines andern Körpers stattfindet.
Nach der Vermischung von Salpetersäure und Salzsäure zeigt sich nur dann eine
gegenseitige Einwirkung, wenn die Säuren sehr concentrirt sind; sind sie aber
verdünnt, so ist dazu ein Erwärmen nöthig. Leitet man das gasförmige Product in eine
Kältemischung aus Eis und Salz, so verdichtet sich der chlorsalpetersaure Dampf
darin und läßt sich so vom beigemischten Chlor absondern. Sammelt man den Dampf des
Königswassers in Wasser, so zersetzt er sich darin augenblicklich in Salzsäure und
in Untersalpetersäure. Der Dampf der Chlorsalpetersäure läßt sich durch Quecksilber
zersetzen, welches sich mit dem Chlor verbindet, wobei reines Stickoxydgas
zurückbleibt, dessen Volum ziemlich gleich der Hälfte von demjenigen des angewandten
Dampfs ist.
Nach den Resultaten meiner Analyse entspricht der chlorsalpetersaure Dampf der Formel
NO2CI2 und besteht also
aus gleichen Volumen Chlor und Stickoxydgas. Man kann daher diesen Dampf als
Untersalpetersäure NO4
betrachten, worin 2 Aeq. Sauerstoff durch 2 Aeq. Chlor ersetzt wurden. Das dritte
Aequivalent Chlor, von dem dritten durch die Salpetersäure abgegebenen Aequivalent
Sauerstoff herrührend, entbindet sich mit dem chlorsalpetersauren Dampf, mit welchem
es im Verhältniß von 1 zu 4 vermischt bleibt.
Wenn man dieses Gemisch von chlorsalpetersaurem Dampf und Chlor in Wasser auffängt,
entsteht Salzsäure und Salpetersäure, also ein sehr verdünntes Königswasser, welches
weder das übermangansaure Kali, noch die schwefelsaure Indiglösung entfärbt; während
die Auflösung des bloßen Dampfes durch die in ihm enthaltene Untersalpetersäure jene
Manganauflösung entfärbt und den Indig nicht verändert, weil sie kein freies Chlor
enthält.
Die vorhergehende Analyse, welche zur Formel NO2CI2 führte, drückt die Zusammensetzung einer
normalen Flüssigkeit aus. Ich habe in der That Flüssigkeiten erhalten, welche sehr
nahe diese Zusammensetzung zeigten; unter veränderten Umständen erhält man aber
andere, welche mehr Stickoxydgas enthalten. Es gibt nämlich noch eine Verbindung von
Stickoxydgas mit Chlor, welche weniger Chlor enthält als erstere, und beide
Verbindungen können sich gleichzeitig bilden.
Man erhält diese neue Verbindung durch directe Vermischung der beiden Gase. Bei ihrer
Vereinigung färbt sich das Gemisch orangegelb und verdichtet sich genau um ein
Drittel seines Volums. Die neue Verbindung bleibt bei gewöhnlicher Temperatur
gasförmig; sie verdichtet sich aber in der Kältemischung von Eis und Salz zu einer ähnlichen Flüssigkeit
wie sie das Königswasser liefert; nur ist die Farbe etwas weniger dunkel. Sie ist
auch sehr flüchtig, aber ihren Siedepunkt habe ich nicht bestimmt, weil ich fand,
daß sie eben so wie die Flüssigkeit NO2Cl2 keine constante Zusammensetzung hat.
Ihre Analyse (abgeleitet aus der Verdichtung, welche ihre beiden gasförmigen Elemente
erleiden, wenn man sie in dem Gemisch abwechselnd vorherrschend macht), führt genau
auf eine Verbindung von 2 Volumen Stickoxydgas mit 1 Volumen Chlor, folglich auf die
Formel NO2CI analog derjenigen der salpetrigen Säure NO3 Analysirt man aber
die Flüssigkeit, welche man erhält, wenn man in dieselbe Glocke Chlor und
Stickoxydgas in unbestimmten Verhältnissen leitet, so ergeben sich wandelbare
Resultate, die sich mehr oder weniger der Formel NO2CI nähern und mit
derselben nur dann übereinstimmen könnten, wenn man die beiden Gase genau im
Verhältniß von 2 Vol. Stickoxyd gegen 1 Vol. Chlor mischen würde.
Wenn also die Bestandtheile des Königswassers auf einander wirken, entstehen durch
Vereinigung von Chlor und Stickoxydgas zwei Producte NO2Cl2 und NO2Cl in wandelbaren
Verhältnissen, je nach den Umständen. Diese zufälligen Producte sind aber nicht das
wesentliche Princip des Königswassers, was aus seiner Wirkung auf die verschiedenen
Metalle deutlich hervorgeht.
Behandelt man Blattgold mit Königswasser, so entsteht einerseits chlorsalpetersaurer
Dampf und andererseits löst sich das Gold in dem freien Chlor auf, welches diesen
Dampf begleitet. Die Auflösung des Goldes ist folglich ganz unabhängig von der
Bildung des Dampfs, denn sie erfolgt in dessen Gegenwart und ohne dessen Beihülfe.
Alle anderen Metalle, die nur eine sehr schwache Verwandtschaft zum Sauerstoff
haben, z. B. Platin, Iridium, Osmium etc., werden wie das Gold nur durch das freie
Chlor aufgelöst, welches bei der gegenseitigen Einwirkung der Bestandtheile des
Königswassers entsteht und bleiben also der Bildung des chlorsalpetersauren (oder
gleichzeitig entstehenden chlorsalpetrigsauren) Dampfs ganz fremd.
Behandelt man aber solche Metalle, welche eine stärkere Verwandtschaft zum Sauerstoff
haben, mit Königswasser, so ist der Hergang ein anderer. Angenommen das Königswasser
sey schon durch das Chlor und den in ihm aufgelösten chlorsalpetersauren Dampf
gefärbt, so wird es durch das Metall sogleich entfärbt, indem sich letzteres nicht
nur mit demjenigen Chlor verbindet, welches im freien Zustande vorhanden ist,
sondern auch mit demjenigen des chlorsalpetersauren Dampfs, welchen es zersetzt. Wenn dem
Königswasser aber einmal dieser Dampf entzogen ist, so erzeugt es keinen mehr, oder
doch nur weit von der Oberfläche des Metalls, denn man kann nicht annehmen, daß sich
solcher in Berührung mit dem Metall bildet, um in demselben Augenblick durch
letzteres wieder zersetzt zu werden. Folgendes ist der Hergang zwischen dem
Königswasser und dem Metall.
Die Salpetersäure tritt an den Wasserstoff der Salzsäure allen Sauerstoff ab, welchen
das Metall jener entziehen könnte, um sich aufzulösen, wenn es bloß mit ihr in
Berührung wäre, und das Metall verbindet sich, anstatt mit Sauerstoff, mit dem
erzeugten Chlor. Wir wollen als Beispiel das Kupfer wählen. Wenn es sich in
Salpetersäure auflöst, entwickelt sich Stickoxydgas und folglich wurden durch die
Säure 3 Aequiv. Sauerstoff an das Metall abgegeben. Bei Gegenwart von Salzsäure
tritt aber der Sauerstoff vorzugsweise an deren Wasserstoff, und man erhält 3
Aequiv. Metallchlorid. Die Metalle, welche das Wasser nicht zersetzen, das
Eisenchlorür, der Phosphor, die arsenige Säure etc. geben bei der Behandlung mit
Königswasser dasselbe Resultat, es entwickelt sich nämlich nur Stickoxydgas.
An das Zinnchlorür tritt die Salpetersäure 4 Aequiv. Sauerstoff ab und gibt
Stickoxydulgas; dasselbe Gas erhält man auch durch Königswasser.
Die Metalle welche das Wasser zersetzen, geben bei der Behandlung mit Salpetersäure
bekanntlich Ammoniak, indem der Stickstoff allen seinen Sauerstoff verliert.
Dieselben Metalle geben bei der Behandlung mit Königswasser das nämliche Resultat:
wenn man z. B. 8 Aequiv. Zinn mit einem Gemisch von 1 Aequiv. Salpetersäure und 9
Salzsäure behandelt, so lösen sie sich mit Hülfe der Wärme ohne merkliche
Gasentbindung auf, wobei der wenige im Zinn enthaltene Arsenik zurückbleibt.
Außer dem Gold, Platin etc. geben daher alle Metalle mit Königswasser ganz dieselben
gasförmigen Producte wie mit Salpetersäure. Das Gold wird bekanntlich nicht von
Salpetersäure angegriffen: auch sind die gasförmigen Producte, Chlor und
chlorsalpetersaurer Dampf, welche es mit dem Königswasser gibt, unabhängig von
seiner Gegenwart und werden bloß durch die gegenseitige Einwirkung der Salpetersäure
und Salzsäure auf einander erzeugt.