Titel: | Ueber neue Krankheitserscheinungen an der Runkelrübe; von Payen. |
Fundstelle: | Band 103, Jahrgang 1847, Nr. XXXIV., S. 142 |
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XXXIV.
Ueber neue Krankheitserscheinungen an der
Runkelrübe; von Payen.
Aus den Comptes rendus, Oct. 1846, Nr.
16.
Payen, über neue Krankheitserscheinungen an der
Runkelrübe.
Auf einer Reise in den nördlichen Departements Frankreichs und einem Theile Belgiens
wurde ich auf eine neue Krankheit aufmerksam, welche an gewissen Orten, jedoch nicht
häufig, die Runkelrübe zur Zeit ihrer Reife befällt und nach dem Ausreißen derselben
sich weiter verbreitet.
Im allgemeinen war die Runkelrübenernte im Jahr 1846 gut; die Rüben gaben viel und
zuckerreichen Saft. Man erhält nach verschiedenen Verfahrungsweisen ein gutes
Product aus denselben; und doch waren in einigen Fabriken die ersten Stadien der
Fabrication von auffallenden Erscheinungen begleitet. So bemerkte in einer bei
Boussu (Belgien) neu errichteten, mit den Apparaten der HHrn. Derosne und Cail ausgerüsteten Fabrik, der
Director Evrard eine eigenthümliche Beschaffenheit des
Safts; derselbe war nämlich merklich alkalisch, während er in der Regel etwas sauer
reagirt. Die Ursache dieser Anomalie ist ohne Zweifel der unten zu beschreibenden
Erscheinung beizumessen. Zusatz von Kalk im Ueberschuß, um der Läuterung sicher zu
seyn und Anwendung einer größern Menge Knochenkohle reichten jedoch hin um einen Zucker zu erhalten,
dessen Brode unmittelbar mit Zuckersyrup gedeckt und in Handel gebracht werden
konnten.
Bald darauf kam ich nach Lille zu Hrn. Kuhlmann, von
welchem ich erfuhr, daß das Gewächs von 25 Hektaren mit Runkelrüben angebauten,
abgeholzten Waldgrunds eine eigenthümliche krankhafte Veränderung wahrnehmen lasse.
Der erste von dieser Ernte gewonnene Zucker war wie gewöhnlich, aber die befallenen
Wurzeln gaben bald nur noch ein braunes, syrupartiges Product, welches nicht mehr
werth war als Melasse.
Da die Umstände, unter welchen diese Erscheinungen eintraten, ganz ausnahmsweise und
solche seyn können, daß sie nirgends anders mehr zum Vorschein kommen, nahm sich Hr.
Kuhlmann vor, alle darauf bezüglichen Erscheinungen
sorgfältig aufzuzeichnen und mir seine weitern Beobachtungen nebst Proben der
befallenen Rüben mitzutheilen.
Seitdem hatte ich Gelegenheit, diese beiden Thatsachen mit einer dritten, an einem
andern Orte vorgekommenen, zu vergleichen. Ich ging nämlich nach Arras zurück, um
die großen Culturen zu besichtigen, welche mit acht Zuckerfabriken zusammenhängen,
denen Hr. Crespel-Dellisse zum Theil schon seit
dem Jahr 1812 vorsteht. In einer dieser Fabriken, auf dem Gute Sauty, welche von
Hrn. Crespel Sohn dirigirt wird, zeigten sich gerade zu
dieser Zeit Schwierigkeiten bei der letzten Abdampfung oder dem Verkochen. Diese Schwierigkeiten trafen zusammen mit der
Anwendung von Runkelrüben aus einem Felde, worauf man die Blätter schnell gelb und
welk werden gesehen hatte. Die Wurzeln waren gefleckt und die braunen Flecken hatten
seit der Ernte zugenommen.
Auf den ersten Blick schienen mir einige der am stärksten ergriffenen Rüben dieselben
äußern Eigenschaften zu haben, wie diejenigen zu Lille. Hier beschränkte sich das
Uebel auf einen sehr kleinen Theil der Masse und obgleich das Verkochen im
luftleeren Raum ungewöhnlich langsam vor sich ging, bestand der Zucker vom ersten
Gusse doch aus weißen und voluminösen Krystallen, wovon der Syrup leicht abtropfte.
Dessenungeachtet ergriff Hr. Crespel, da er nicht
zweifelte daß, wenn man das Verderbniß sich weiter entwickeln lasse, dieß
Uebelstände nach sich ziehen werde, sogleich Maßregeln, um die sofortige
Verarbeitung der von dem fraglichen Felde herrührenden Runkelrüben zu
bewerkstelligen; es war dieß unstreitig das Beste, was er thun konnte.
Um dieses Beispiel andern nützlich zu machen, nahm ich mehrere befallene Rüben mit
nach Paris, wo ich sie sogleich näher untersuchte.
Folgende Merkmale derselben sind die auffallendsten:
Die Runkelrüben haben auf ihrem ganzen Umfang, vorzüglich aber an den Stellen, wo die
verwelkten Blätter eingesetzt sind, fahlgelbe Flecken, die sich über den Körper der
Wurzel erstrecken und Eindrücke oder selbst mehr oder weniger tiefe gekrümmte
Höhlungen bilden.
Wenn man die Runkelrübe in einer durch die Achse gehenden Fläche entzweischneidet, so
sieht man, daß die fleckigen Theile eine verschiedene Dicke haben und sich mit ihrer
rothen Färbung, den Linien der Gefäßbündel folgend, fortsetzen.
In einer mehr oder weniger eindringenden Zone zeigt sich das Gewebe durchsichtiger
als bei den tiefer in der Erde steckenden von der braunen Substanz nicht erreichten
Portionen der Wurzel.
Diese Veränderungen machen, wenn die Wurzeln sich vereinzelt befinden, nur langsame
Fortschritte, pflanzen sich hingegen in den in Haufen liegenden Rüben rasch
fort.
Wenn man Scheiben der von der rothen Substanz befallenen Runkelrüben zwei Stunden
lang kochen läßt, so erleiden die befallenen Theile eine ziemliche Erhärtung,
während das normale Gewebe weich wird und dem geringsten Druck nachgibt.
Diese Merkmale reichen hin, um diese specielle Veränderung von den gewöhnlichen
Veränderungen zu unterscheiden; verfolgt man aber die Untersuchung weiter, so findet
man, daß die gebräunte Zone ihren Zuckerstoff beinahe gänzlich verloren hat, ferner
daß in den durchscheinender gewordenen Geweben der Gehalt an krystallisirbarem
Zucker vermindert ist und sich eine beträchtliche Menge Kleber erzeugt hat; der Saft
ist nicht mehr merklich sauer, sondern reagirt vielmehr schwach alkalisch. Die
Prüfung unter dem Mikroskop endlich zeigt, daß die gefärbte Substanz in die Zellen
eindringt in Begleitung abgelöster Fäden und kugelförmiger Körnchen.
Obgleich die Erscheinung, deren Studium ich hiemit begann, noch wenig ausgebreitet
ist, so gibt sie uns doch einen sehr zu beachtenden Wink. Soviel ist bereits
erwiesen, daß die Runkelrüben, an welchen sich Spuren dieses Uebels zeigen, so
schnell als möglich verarbeitet werden müssen.
Die Hauptursache dieser krankhaften Veränderung der Runkelrüben ist wahrscheinlich in
ihrem ausschließlichen oder doch zu oft wiederholten Anbau in einem und demselben
Boden zu suchen. Mehrere Landwirthschaft betreibende Fabrikanten zu Arras, Lille und
Valenciennes haben sich von den mit der ausschließlichen Cultur von Runkelrüben
verbundenen Uebelständen überzeugt. Das auf diese Weise 10, 12 bis 15 Jahre nach einander bebaute
Land ist den Insecten preisgegeben, welche die junge Pflanze einmal jährlich
zerstören. Allerdings kann nach einer solchen gänzlichen Zerstörung ein zweiter, auf
demselben Boden wiederholter Anbau gedeihen. Einige Landwirthe berechnen im voraus
die auf diese Weise sich verdoppelnden Kosten der Bearbeitung des Bodens und der
Saat, und finden daß sie dennoch mit einigem Nutzen einen Theil ihres Bodens dieser
kostspieligen Cultur widmen können. Uebrigens ist begreiflich, daß ein solches
Verfahren in ökonomischer Hinsicht nicht das beste Resultat geben kann und daß die
Wechselwirthschaft, wobei die Runkelrübe in 3 oder 5 Jahren nur ein- oder
zweimal wiederkehrt, jetzt allgemein vorgezogen wird. Die neueingetretenen Umstände
dürften eher Veranlassung geben, die Gränzen dieser Wechselwirthschaft noch weiter
auseinander zu stecken.
Aus einem Brief des Hrn. Kuhlmann an Hrn. Payen heben wir noch folgendes aus:
Die erste Beobachtung wurde auf dem Pachthofe zu Guizancourt, Gemeinde Gouy
(Departement Aisne) gemacht, mit welchem eine Zuckerfabrik verbunden ist. Zur
Erntezeit fand man auf 25–30 Hektaren, daß mehr als die Hälfte der
Runkelrüben violette Flecken hatte und dieselbe stellenweise von einer trocknen
Fäule mit Verschwinden des Gewebes bis zu verschiedenen Tiefen befallen waren. Die
fleckigen oder von der Krankheit befallenen Rüben veränderten sich viel rascher,
nachdem sie herausgenommen waren und überzogen sich mit Schimmel. Bei der
Zuckerfabrication traten große Uebelstände ein; je mehr steckige Runkelrüben in
Arbeit genommen wurden, desto schwieriger wurde dieselbe und desto ungünstigere
Resultate gab sie. Wenn man bloß erkrankte Runkelrüben verarbeitete, so trat keine
Kristallisation ein, sondern man erhielt eine dicke, unangenehm riechende Melasse,
welche beim Verkochen eine Menge Schaum gab. Diese Arbeit hätte bloß noch in der
Absicht fortgesetzt werden können, Melasse zur Destillation zu erhalten; der
Eigenthümer entschloß sich daher alle diese Rüben zu verfüttern.
Auch an anderen Orten zeigten sich dieselben Erscheinungen, aber nirgends in so hohem
Grade wie im obenerwähnten Fall.
Die Art des Düngers scheint nicht als Veranlassung der Krankheit angesehen werden zu
können; die in der Gemeinde Gouy befallenen Felder waren zum Theil mit Stalldünger,
zum Theil mit Preßkuchen und andere wieder mit Schaum vom
Läutern etc. gedüngt, ohne daß die Ernten verschieden beschaffen gewesen
wären.
Gegen die Ansicht, welche die Krankheit dem zu oft aufeinander folgenden Anbau
desselben Gewächses zuschreibt, lassen sich ebenfalls Einwürfe machen. Zu Gouy waren
die erkrankten Rüben größtentheils zwischen Klee und Getreide gewachsen, um Lille
hingegen gibt es Felder, worin 10 Jahre nacheinander Runkelrüben wuchsen, ohne daß
die Krankheit sich gezeigt hätte.
Beim ersten Auftreten der Krankheit waren die Symptome derselben das Welken der
Blätter; dieses trat in den letzten Tagen des Julius ein und wurde damals der
Ungeheuern Trockne zugeschrieben. Einige Zeit darauf erschienen einige neue Blätter
am Rande des Strunkes der ergriffenen Runkelrüben, aber die mittleren Blätter
blieben vertrocknet. Verfolgt man den Gang der Krankheit, so bemerkt man zuerst auf
der Oberfläche der Rüben veilchenblaue Flecken mit rothem Rande; die Haut sinkt an
den ergriffenen Stellen ein; bald dringen schwärzliche Flecken immer tiefer in das
Gewebe, welches dadurch erhärtet, was beim Kochen der Wurzel in Wasser sich
auffallender zeigt. Wenn die Krankheit größere Fortschritte gemacht hat, treten
Verletzungen und äußere Wunden ein, welche oft die ganze Oberfläche überziehen und
das Gewebe zerstörend, tief eindringen. Die Runkelrübe welche im gesunden Zustand
sauer reagirt, zeigt, da wo die Krankheit am meisten vorgeschritten ist, alkalische
Reaction. Endlich verliert der Zucker in dem Maaße, als die Krankheit vorrückt, sein
Krystallisationsvermögen.
So weit Hr. Kuhlmann.
Hr. Thenard empfahl zu versuchen, ob Beseitigung der
Blätter vor der völligen Reife der Rüben nicht der Krankheit vorbeugen würde, so daß
der Gehalt der Rüben an krystallisirbarem Zucker unverändert bliebe. Es wäre
wirklich ein Leichtes, die Blätter mit dem conischen Theil welcher den Stengel
bildet, in einem Tag durch Frauen oder Kinder mittelst einer Art Ausstechmesser
ausschneiden zu lassen; das Abgeschnittene könnte dann vielleicht noch dem Vieh als
Futter gegeben werden.