Titel: | Ueber die Kartoffelkrankheit; von H. v. Gasparin. |
Fundstelle: | Band 99, Jahrgang 1846, Nr. CXI., S. 469 |
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CXI.
Ueber die Kartoffelkrankheit; von H. v. Gasparin.
Aus den Comptes rendus, Dec. 1845, Nr.
25.
Gasparin, über die Kartoffelkrankheit.
Man hat sich viele Mühe gegeben die Natur der Kartoffelkrankheit und ihre Ursachen zu
erforschen und versäumte nicht, wie bei allen Epidemien organischer Wesen, sie mit
den ihre Entwickelung begleitenden meteorologischen Umständen in Zusammenhang zu
bringen. Allerdings trat das Jahr 1845 sehr eigenthümlich auf und mußte unter die
kalten und feuchten Jahre gezählt werden; ob aber die Kälte und Feuchtigkeit, welche
diese Pflanze zu ertragen hatte, der Art waren, daß sie diese specielle Störung in
ihrer Organisation hervorbringen konnten, ist die zu lösende Frage, und zu diesem
Behuf hätte man diesen Jahrgang mit ähnlichen früheren vergleichen und ermitteln
sollen, ob die Kartoffeln wirklich früher unter ähnlichen schlimmen
Witterungseinflüssen gelitten hatten. Dieß geschah aber nicht und konnte nicht
geschehen, weil diese Art von Pflanzen-Cholera zum
erstenmal mit solcher Heftigkeit und in solcher Ausdehnung auftrat.
Allein diese Krankheit zeigte sich im Süden Frankreichs unter Umständen, welche
wenigstens einige von den Ursachen, denen man sie zuschreibt, als einflußlos
erweisen.
Wir machen im Süden in einem Jahrgang zwei Kartoffelernten; die erste, im März
gelegt, wird im Junius geerntet; die zweite, im Julius nach der Getreideernte
gelegt, wird im October geerntet; nun blieb aber die erste dieser Ernten von der
Krankheit, welche die zweite befiel, gänzlich befreit. Wir können also die
meteorologischen Zustände dieser beiden viermonatlichen Perioden mit einander
vergleichen und uns dann die Frage stellen, ob wir in den Verschiedenheiten, welche
sie darbieten, Gründe auffinden, das Uebel der Temperatur und Feuchtigkeit
zuzuschreiben, wie viele glauben. Mittelst folgender Tabelle lassen sich diese
beiden Perioden mit einander, so wie auch mit den durchschnittlichen klimatischen
Verhältnissen vergleichen.
Erste Ernte des Jahrs 1845.
Im Jahr 1845.
Allgem. Mittelzahl.
Mittlere Temperatur
13,5°
C.
14,4°
C.
Mittleres Minimum
6,1°
7,2°
Mittlere Sonnentemperatur, um 2 Uhr
31,7°
43,2°
Temperatur der Erde in 1 Meter Tiefe
10,6°
11,6°
Im Jahr 1845.
Allgem. Mittelzahl.
Anzahl der Regenfälle
47,0
32,0
Regenmenge
200,5
Millim.
215,0
Millim.
Verdunstung
781,7
Millim.
918,5
Millim.
Nebligkeit (nebulosité), wovon 100 Theile
einen von undurchsichtigen Wolken völlig bedeckten Himmel
repräsentiren
12,4
12,1
Nordwinde, Anzahl der Tage
75,5
76,6
Geschwindigkeit des Nordwinds in der Secunde und jedem an mittlern
Tag
6,0
Meter
4,8
Meter.
Zweite Ernte des Jahrs 1845.
Im Jahr 1845.
Allgem. Mittelzahl.
Mittlere Temperatur
19,0°
C.
19,6°
C.
Mittleres Minimum
11,0°
12,1°
Mittlere Sonnentemperatur
40,1°
40,5°
Erdtemperatur
17,6°
18,4°
Anzahl der Regenfälle
38,0
30,0
Regenmenge
319,2
Millim.
287,6
Millim.
Verdunstung
929,0
Millim.
978,4
Millim.
Nebligkeit
6,9
10,6
Nordwinde, Anzahl der Tage
69,0
74,3
Millim.
Mittlere Geschwindigkeit des Nordwinds per
Secunde und an jedem mittlern Tag
5,2
Meter.
4,4
Meter.
Aus diesen beiden Tabellen geht hervor:
1) daß die Temperatur niedriger war, als die eines mittlern Jahrs, man mag sie nun im
Verhältniß zur mittlern Temperatur, zu den Minimumstemperaturen, zur
Sonnentemperatur, oder endlich zur Erdtemperatur in 1 Meter Tiefe betrachten;
2) daß die Anzahl der Regenfälle, so wie auch die Menge des gefallenen Regens größer
war als die allgemeine Mittelzahl ist;
3) daß die Verdunstung geringer war;
4) daß der Himmel etwas nebeliger war;
5) daß die Nordwinde ungefähr eben so häufig und stärker waren.
Und doch blieb eine Ernte frei und die andere wurde befallen. Und welches war die
befallene Ernte? Die, welche die höhern Temperaturen zeigte, bei welcher die Anzahl
der Regenfälle und die Regenmenge sich nicht mehr vom mittlern Zustand entfernten,
als bei der andern, bei welcher die Verdunstung verhältnißmäßig thätiger und die
Nebel geringer waren als im erstern Fall; kurz eine Periode, welche sich von dem
mittlern Zustand, wobei die Ernten nicht leiden, wenig entfernt.
Während der ersten Ernte, welche gesund blieb, war die mittlere Temperatur
13,5°; während der zweiten, von der Krankheit befallenen, 19°.
Während der ersten hatte man 31,7° Sonnenwärme um 2 Uhr, während der andern
40,1°; die Erdtemperatur war während der ersten 10,6° und während der
zweiten 17,6°.
Während des Wachsens der ersten Ernte fiel 47mal Regen, und während jenes der zweiten
38mal; und wenn auch die Regenwasserschicht bei der zweiten um 100 Millimeter
stärker war, so durchweichte diese Regenmenge, da sie auf die Sommertrockene folgte,
die Erde doch nie so, daß sie 3–4 Tage nach dem Regen noch der Feldarbeit
hinderlich gewesen wäre, während im Jahr 1844, wo die Kartoffeln nicht litten, viele
Erdstrecken im Süden in Folge des durch den Regen verursachten kothigen Zustandes
nicht besäet werden konnten.
Während der Dauer der ersten Periode war das Thermometer im März auf —
5,8°, im April auf Null, im Mai auf + 1,6° gefallen; während der
zweiten waren die absoluten Minima stets über Null und erst im October fielen sie
zwei Tage nach einander auf — 1,12° herab. Will man die Krankheit
dieser Abnahme der Temperatur zur Zeit, wo man die Kartoffeln einzuthun im Begriff
stand, zuschreiben? Wir müssen aber bemerken, daß dieser Morgenfrost, welcher 2
Stunden andauerte, nicht in die Oberfläche des Bodens eindrang und daß im Jahr 1835
das Minimum zur selben Jahreszeit bis auf — 4,2°, im Jahr 1836 auf
— 1,9°, im Jahr 1839 auf — 2,5°, im Jahr 1843 auf
— 1,1° herabgegangen war, ohne irgend einen schädlichen Einfluß auf
die Kartoffeln geübt zu haben.
Es ist ferner zu bemerken, daß die Erscheinung des Frosts während des Wachsthums der
Kartoffeln auf den Bergen gar oft eintritt, ohne schlimme Folgen zu haben.
Aus diesem allem folgt, daß keine meteorologische Erscheinung Ursache des Uebels war,
und daß die Meteorologie hier so wenig, wie bei der asiatischen Cholera, im Stande
ist, die Ursache der Krankheit zu enthüllen.