Titel: | Bericht des Hrn. Chatelier über Laignel's Eisenbahnen mit Curven von kleinem Radius und deren Anwendung in Städten. |
Fundstelle: | Band 98, Jahrgang 1845, Nr. XCIV., S. 343 |
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XCIV.
Bericht des Hrn. Chatelier uͤber Laignel's Eisenbahnen mit
Curven von kleinem Radius und deren Anwendung in Staͤdten.
Aus dem Bulletin de la société d'Encouragement, August
1845, S. 331.
Mit Abbildungen auf Tab.
V.
Chatelier, über Laignel's Eisenbahnen.
Die Vortheile, welche aus der Anwendung des Systems des Hrn. Laignel hervorgehen, wonach die Eisenbahnwagen Curven von sehr kleinem
Radius befahren können, sind zu groß, als daß darüber nicht schon öfters geschrieben
worden seyn sollte. Zwei unlängst in Oesterreich erschienene Werke enthalten
Berichte über die Eisenbahnen im nördlichen Amerika, woraus hervorgeht, daß das
System mit Curven von kleinem Radius, welches in Frankreich unter dem Namen:
„System von Laignel“ bekannt
ist, in mehreren Städten der Vereinigten Staaten in großem Maaßstab ausgeführt ist.
Dieses System wurde in Nordamerika von Thomas Simpson
erfunden oder ausgeführt, welcher im Jahr 1831 ein Patent darauf nahm, folglich
später als Hr. Laignel, dessen Patent vom 23. Jul. 1830
datirt ist.
Lezteres und die dazu gehörigen Zeichnungen beweisen, daß zu dieser Zeit Hr. Laignel die Idee hatte, Wagenräder, welche auf derselben
Achse befestigt sind, dadurch in Curven ungleiche Wege zurüklegen zu lassen, daß er
ihren Radius im Verhältniß zur Bahncurve änderte. Einige Worte reichen hin, um das
Princip des Laignel'schen Systems ins Gedächtniß
zurükzurufen.
Bei den jezt gebräuchlichen Eisenbahnwagen liegen die Achsen parallel und die Räder
sind auf denselben so befestigt, daß sich eines nicht ohne das andere drehen kann.
Daraus geht hervor, daß bei Curven von kleinem Radius, weil die beiden Schienen
ungleiche Abwikelungen haben und die Räder nur gleiche Wege zurüklegen können, ein
Gleiten der Räder stattfinden muß, welches einen Theil der Triebkraft absorbirt und
Schienen und Räder bald zu Grunde richtet. Der Umstand, daß die Achsen parallel
sind, veranlaßt die Wagen sich in gerader Linie zu bewegen, und sie müßten
nothwendig von den Schienen ablaufen, wenn nicht die Spurkränze, womit die Räder
versehen sind, sie immer wieder in die Richtung der Bahn brächten. Bei den Curven
der gewöhnlichen Eisenbahnen, deren Radius immer noch Hunderte von Metern beträgt,
hilft man dadurch etwas ab, daß man die Radreife etwas conisch macht und einen
Spielraum von mehreren Centimetern zwischen den Spurkränzen und Schienen läßt. Dieser
Spielraum, eben so wie die Kegelgestalt der Räder, haben jedoch ihre Gränzen, die
wieder das Minimum des Curvenradius bestimmen. Hr. Laignel sezte sich nun vor, und dieß ist der Gegenstand seines ersten
Patentes, die von den äußeren und inneren Rädern durchlaufenen Wege den Abwikelungen
der beiden Schienen von ungleichem Radius anzupassen, indem er momentan den Rädern
einen Radius gibt, welcher im Verhältniß zur Curve steht. Er erreichte diesen Zwek
in der Praxis dadurch, daß er die äußeren Räder auf dem Spurkranze laufen läßt.
Man kennt die nüzlichen Anwendungen dieses Systems in Frankreich und in Belgien bei
Specialeisenbahnen, wo der Gütertransport mittelst Pferden stattfindet. Eine
ähnliche aber weit größere Anwendung hat dieses System in mehreren Städten
Amerika's, vorzüglich in Philadelphia und Baltimore gefunden. In diesen Städten
erstreken sich die Eisenbahnen bis mitten in die bevölkertsten Quartiere, münden da
in einander ein, und durchkreuzen sich; sie gehen bis zu den Hafenkais, wo die
Waaren auf- und abgeladen werden, und erstreken sich wieder bis in die
Magazine der bedeutendsten Kaufleute. Wir lassen hier im Auszug die Beschreibung
folgen, die einer der Ingenieure, welche die österreichische Regierung in die
Vereinigten Staaten schikte, um dort die Construction der Eisenbahnen zu studiren,
in seinem Werke: „die Eisenbahn von Baltimore zum Ohio durch die Kette der
Alleghanys, Wien 1844“ mittheilt: „Für die Theile der
Eisenbahn, welche in der Stadt Baltimore liegen und des Uebergangs von einer Straße
in die andere wegen Curven von sehr kleinem Radius, z. B. 60, 50, 40 englische Fuß,
und noch weniger erfordern, mußte man zu einem eigenthümlichen Mittel seine Zuflucht
nehmen, um diese Curven für die Wagenzüge mit Sicherheit und ohne Beschwerlichkeit
passirbar zu machen. Die Schienen sind in das Straßenpflaster eingelassen, da sie
nicht über dasselbe vorstehen dürfen, und bestehen, so weit die Bahn in gerader
Linie fortgeht, aus Gußstüken, welche mit einer Rinne versehen sind, in die der
Spurkranz zu liegen kommt. Bei den Curven besteht die äußere Schiene aus Gußplatten,
auf welchen der Spurkranz der äußeren Räder läuft. Der gewöhnliche Radius dieser
Curven, zu welchem die Höhe des Spurkranzes im Verhältniß steht, beträgt 50 Fuß; man
konnte ihn füglich annehmen, um unter einem rechten Winkel von einer Straße in eine
andere zu gelangen. Doch hat man noch andere Curven, die dazu dienen, um die Wagen
von der Hauptbahn in die Magazine, in Buchten und zu den Stationshäusern für
Passagiere und Waaren zu bringen; der Radius dieser Curven beträgt zuweilen 35,
manchmal aber nur 30 Fuß; dabei machte man aber die flache Schiene, auf welcher
der Spurkranz der äußeren Räder laufen muß, breiter, eben so auch die Rinne, worin
sich der Spurkranz der inneren Räder bewegt, damit die Kegelgestalt der Räder das
Gleiten derselben zum Theil verhindern solle.
Da die amerikanischen Wagen acht Räder haben und ihre Achsen, höchstens 3 Fuß von
einander entfernt, paarweise in Gestellen liegen die sich um einen Reibnagel drehen,
da ferner die Geschwindigkeit innerhalb der Städte nicht mehr als 6–8 Meilen
in der Stunde beträgt, welche Geschwindigkeit beim Befahren der Curven noch
verringert wird, so bietet die Bewegung der Wagen in Curven, deren Radius bald mehr,
bald weniger als der Normalradius von 50 Fuß beträgt, keine Gefahr dar und die Wagen
gehen innerhalb derselben recht gut.
Die Locomotiven bringen den Wagenzug bis in die Vorstädte der Stadt, und von da aus
werden die Wagen durch Pferde bis zur Centralstation geschafft. Jeder große
achträderige Wagen, wie sie auf den dortigen Bahnen gebräuchlich sind, wird mit
drei, höchstens mit vier Pferden bespannt. Die auf diese Weise im Inneren der Stadt
Baltimore errichtete Eisenbahn dient nicht bloß als Verbindungsbahn zwischen der
Ohio- und der Philadelphia-Bahn, welche in zwei entgegengesezt
liegenden Vorstädten ihren Anfang nehmen, sondern sie bildet auch noch einen
Specialweg für den inneren Dienst. Von dieser Bahn laufen sehr viele Seitenbahnen
aus, welche in andere Straßen führen und den Zwek haben die Magazine der Kaufleute
und die Lagerhäuser mit der Hauptbahn zu verbinden, so daß die Waaren unmittelbar
und ohne Umladen auf die Eisenbahnwagen geschafft werden können.“
Aus dem Vorhergehenden leuchtet ein, welche Anwendung man von dem Systeme des Hrn.
Laignel in besonderen Fällen machen könnte. Obgleich
die specielle Construction der amerikanischen Wagen, bei welchen die Achsen
paarweise und einander so nahe als möglich in besonderen Gestellen liegen, der
Anwendung des Laignel'schen Systems sehr günstig ist, so
ist doch nicht zu bezweifeln, daß dieses System auch bei unseren Eisenbahnen sehr
nüzlich angewandt werden könnte, sey es zum inneren Dienst in Waarenhäusern und
Wagenremisen, oder für Eisenbahnen, welche die Hafenkais oder die Kais unserer
Flüsse mit den Stationspläzen verbinden sollen, oder endlich um eine Verbindung
einzelner Bahnhöfe, die in verschiedenen Enden derselben Stadt liegen,
herzustellen.
Fig. 1 stellt
einen Wagen nach Laignel's System, welcher mit doppelten
Rädern versehen ist, im Aufrisse dar;
Fig. 2 Grundriß
der Eisenbahncurve;
Fig. 3
conisches Rad, das sich auf einer vorspringenden Schiene bewegt.
Auszug aus der Patentbeschreibung des Hrn.
Laignel vom 28. Julius 1830.
Um den großen Radius bei Eisenbahncurven vermeiden und denselben bis auf 10 Meter
reduciren zu können, muß man Räder haben, welche sich beliebig drehen können und von
denen jedes mehrere verschiedene Durchmesser hat. Da der Durchmesser a, Fig. 1, kleiner ist als
b, so wirkt das ungleiche Räderpaar wie ein
liegender Kegel und das Rad a legt einen kleineren Weg
zurük als b, weßhalb lezteres vorläuft, so daß beide zu
gleicher Zeit und ohne unnüze Reibung oder Schwierigkeit bei den geradlinigen
Schienen e, e, Fig. 2,
ankommen, und eben so von der geraden Linie in die Curve übergehen. Um den Wagen
jedoch horizontal zu erhalten, ist es nothwendig daß die Schiene e, auf welcher das Rad a
läuft, höher ist als die Schiene d, und zwar um eben so
viel als der Halbmesser des Rades a kleiner ist als der
von b. Der Wagen muß ferner die geraden Schienen in dem
Augenblik verlassen, wo er an der Curve f, f ankommt, und diese muß wieder nach dem
Räderdurchmesser construirt seyn. Um endlich jede Curve mit demselben Wagen
befahrbar zu machen, könnte man conische Räder mit einem Spurkränze wie Fig. 3
anwenden; dann müßte eine Schiene eine Rinne haben und nach der Curve gekrümmt seyn,
wobei jedoch Acht zu geben wäre, daß die Schiene, auf welcher der Kegel läuft, um
eben so viel höher liegt, als der berührende Halbmesser des Kegels kleiner ist als
derjenige des Spurkranzes, wie bei h zu ersehen ist.
Eisenbahn in den Straßen von
Baltimore.
Fig. 4 zeigt
zwei Räder, welche auf einer Achse befestigt sind. Der Spurkranz i des einen Rades tritt in die Rinne der Schiene j ein, während der Spurkranz k des anderen auf der flachen Schiene l
läuft.
Fig. 5
Durchschnitt der Schienen, wie sie in das Straßenpflaster eingelassen sind.
Fig. 6
dieselben von oben gesehen.