Titel: | Ueber die Kartoffelseuche; von Stas, Professor an der polytechnischen Schule zu Brüssel. |
Fundstelle: | Band 98, Jahrgang 1845, Nr. LXXXVII., S. 317 |
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LXXXVII.
Ueber die Kartoffelseuche; von Stas, Professor an der
polytechnischen Schule zu Bruͤssel.
Aus den Comptes rendus, Sept. 1845, Nr.
12.
Stas, über die Kartoffelseuche.
Seit dem Beginn der Krankheit, welche die Kartoffeln befiel, beschäftigte ich mich
unausgesezt mit ihrem Studium. Ich fasse hier die Resultate zusammen, wozu ich
gelangte.
Zuerst bemerkt man an der Kartoffel gelbe, braune und schwärzliche Fleken; ist das
Uebel nur schwach, so sind der Fleken nur wenige, manchmal ist nur einer da,
manchmal mehrere. Unter gewissen Verhältnissen findet man statt der Fleken bloß eine
örtliche Erschlaffung (dépression), ohne Veränderung der
Farbe. In diesem Zustande nimmt man, wenn man die Kartoffel in Schnitten
zerschneidet, durchaus keine besondere Erscheinung in ihrem Innern wahr.
Ist die Krankheit etwas vorgeschritten, so zeigen sich die Fleken zahlreicher oder
die Erschlaffungen sind bedeutender. Beim Schneiden der Kartoffeln findet man an der
Stelle der Fleken gelbe, braune oder schwärzliche Marmorirung. Ist das Uebel noch
intensiver, so ist ein großer Theil der Knollen von diesen Marmorirungen ergriffen.
Ist es nur ein einziger Fleken, so entwikelt er sich in Breite und Tiefe in der Form
eines Kegels, dessen Basis an der Oberfläche, die Spize in der Mitte des Knollens
oder noch drüber hinaus liegt.
In diesem Stadium angelangt, kann der kranke Knollen, je nach den Umständen, worin er
sich befindet, verschiedene Erscheinungen darbieten. Wird er in trokner oder
feuchter Erde aufbewahrt (oder außerhalb des Bodens an einem feuchten Ort, wie in
einem Keller, an einem troknen Ort, wie auf einem Speicher, oder in einem Zimmer),
so sind die Resultate hienach verschieden.
In trokner Erde oder einem troknen, gut gelüfteten Zimmer sind die Fortschritte manchmal sehr langsam; manchmal wird das Uebel begränzt,
der kranke Theil schrumpft in sich zusammen und macht sich von dem gesunden Theil
los. Ich kann diese Erscheinung mit nichts besser vergleichen, als mit dem troknen
Brand beim Menschen. Die Kartoffel verbreitet dann einen ekelhaften Geruch.
In feuchtem Boden, oder sonst an irgend einem feuchten Ort, Luft mag circuliren oder
nicht, pflanzt sich das Uebel ohne Zweifel fort. Der gesunde Theil zeigt dieselbe
Aufeinanderfolge der Symptome, wie der ursprünglich kranke Theil, während dieser
wieder eine neue Reihe von Erscheinungen darbietet. Das kranke Gewebe dislocirt sich, es findet eine
wahrhafte Zersetzung der Bestandtheile der Kartoffel statt. Ich werde weiter unten
sagen, worin diese Veränderung besteht. Der ganze kranke Theil bildet nur noch einen
faulen, stinkenden Schaum, welcher durch die sich entwickelnden Gase manchmal sich
aufbläht, wie gehendes Brod, bisweilen aber ein gummiartiges und spinnendes Ansehen
hat.
Bis zur Epoche des Faulens bleiben die Flüssigkeiten der Kartoffel sauer; zersetzt
sich aber die Substanz, so werden die Flüssigkeiten alkalisch, um am Ende der
Zerstörung wieder sauer zu werden.
Eine mit Fleken behaftete Kartoffel läßt im gesunden Theil unter dem Mikroskop keine
merkliche Veränderung wahrnehmen. Eine dünne Schnitte zeigt in dem braun gefärbten
Theil bei 1000facher Vergrößerung der Durchmesser folgende Erscheinungen: eine feste
braune oder gelbe Substanz hat sich auf dem Gewebe der Zellen abgesezt; leztere aber
sind unversehrt und enthalten Stärkmehlkörner in großer Menge, die jedoch
größtentheils kleiner sind als in der reifen Kartoffel.
Nach dieser einzigen mikroskopischen Beobachtung wage ich nicht zu behaupten, daß die
den Zellenwänden anhangende gelbe Substanz die einzige Ursache ihrer Färbung sey;
unendlich viel wahrscheinlicher ist es, daß die Zellensubstanz selbst, oder
wenigstens einer ihrer Bestandtheile, vielleicht die stickstoffhaltige Substanz,
angegriffen ist.
Man beobachtet diese Erscheinungen so lange, als der kranke Theil sich nicht in sich
selbst zurükgezogen hat, oder fast ganz in Fäulniß übergegangen ist; denn in Bezug
auf die Stärke der Färbung bemerkte ich große Verschiedenheiten, wenn man die kranke
Kartoffel an einem troknen Ort aufbewahrt; der kranke Theil sondert sich dann, so zu
sagen, freiwillig von dem gesunden ab. Bringt man einen möglichst dünnen Streifen
auf das Feld des Mikroskops, so nimmt man bald eine große Confusion wahr; die
Substanz wurde sehr undurchsichtig; mit vieler Mühe nur entdekt man, daß die Gestalt
der Zellen verändert ist, daß die verschiedenen Zellen unregelmäßig aneinander
hängen, ohne jedoch zerrissen zu seyn. Das Stärkmehl ist unversehrt, doch schien es
mir jedesmal undurchsichtig. Behandelt man diesen undurchsichtigen Theil mehrere
Stunden lang mit verdünnter Salzsäure von 1 Proc. Gehalt bei einer Temperatur von
48–72° R., so wird ihm alles Stärkmehl entzogen. Bringt man das Gewebe
hierauf unter das Mikroskop, so findet man alle Zellen leer und unversehrt, von der
Form, welche sie in der, eben so behandelten, gesunden Kartoffel haben.
Essigsäure von 10 Proc. Gehalt bringt dieselbe Wirkung hervor, die Zellen nehmen ihre
ursprüngliche Form wieder an und das Stärkmehl wird wieder leicht wahrnehmbar; man sieht, wie es darin
anschwellt und endlich verschwindet, die leeren, von einer bräunlichgelben Substanz
incrustirten Zellen zurüklassend.
Es geht aus dieser Untersuchung hervor, daß in der zuerst ergriffenen Substanz (dem
marmorirten Theil) und in derjenigen wo sich diese Art troknen Brands entwikelte,
das Stärkmehl unversehrt ist und die Zellenwände nicht zerrissen; daß ferner beim
troknen Brand diese Wände in Folge des Zusammenschrumpfens der troknen Substanz ihre
Gestalt verlieren.
Die diese Zellen färbende und zusammenklebende Substanz muß nach den unten
mitgetheilten analytischen Resultaten größtentheils aus coagulirtem Eiweißstoff
bestehen. Die andere gefärbte Substanz ist mir unbekannt.
Folgendes sind übrigens die Eigenschaften der abgesezten Substanz: im Wasser, Alkohol
und Aether ist sie unauflöslich. Salzsäure macht sie anfangs durchsichtig und einen
Theil davon verschwinden, niemals aber ganz. Schwache
Kalilösung wirkt kalt nicht darauf, erwärmt macht sie die Substanz zähe und stärker
gefärbt. Concentrirtes Aezkali löst sehr viel davon auf, doch gelingt die
vollkommene Entfärbung der Gewebe niemals; selbst die Färbung der Zellenwände nimmt
zu, während die an den Oberflächen haftende Substanz sich lostrennt. Deßhalb
vermuthe ich, daß die Zellensubstanz oder -Substanzen angegriffen werden.
Ablagerung einer eigenthümlichen stikstoffhaltigen Substanz findet nicht statt.
Uebrigens verdient dieser Punkt unsere ganze Aufmerksamkeit; ich werde wieder darauf
zurükkommen.
Die mikroskopische Untersuchung der gefaulten Kartoffel ist leicht. Hat das Uebel um
sich gegriffen, so sind die Zellen dislocirt; man findet nur Bruchstüke ihrer Wände;
die Stärkmehlkörner sind aus ihnen entfernt; die Masse enthält eine Menge
Gasblasen.
Unter den Stärkmehlkörnern findet man mißbildete, andere sind außerordentlich
durchsichtig und scheinen gesprungen zu seyn.
Ist der Zustand der Zersezung sehr weit vorgerükt, so ergibt die Analyse, daß die
Stärkmehlkörner verschwinden, auflöslich werden unter Erzeugung einer ungefärbten,
gummiartig erscheinenden, Jod nicht färbenden Substanz, welche alle Eigenschaften
des Dextrins besizt. Dextrin findet man jederzeit, wenn die kranke Substanz spinnend
wird.
Sezt man der faulen, spinnenden Substanz Wasser zu, so enthält die filtrirte
Flüssigkeit keine Spur gerinnbaren Eiweißes mehr. Man findet ein Ammoniaksalz darin
(auch fand ich Milchsäure; doch möchte ich nicht behaupten, daß nicht auch eine
andere Säure vorhanden
ist, welche das Ammoniak sättigt). Die Flüssigkeit wird durch Säuren nicht mehr
gefällt. Wasserfreier Alkohol fällt sie, allein der Niederschlag ist in Wasser
wieder auflöslich (Dextrin).
Mit der Umwandlung des Stärkmehls in Dextrin ist die Krankheit noch nicht zu Ende.
Dieses verwandelt sich seinerseits in Milchsäure, die wieder in andere Verbindungen
übergeht, an deren weiterer Erforschung mir nicht liegt.
Die Uebergänge des Stärkmehls in Dextrin und des Dextrins in Milchsäure finden zu
gleicher Zeit statt; doch glaube ich, daß der Dextrinzustand dem der Milchsäure
vorausgeht, weil man am Ende der Zersezung immer mehr Säure findet, als am
Anfang.
Folgendes ist mit wenig Worten die Vorstellung, welche ich mir von der Natur des
Uebels im Innern des Knollens gemacht habe.
Die Krankheit beginnt mit einer Veränderung des stikstoffhaltigen vielleicht auch des
stikstofffreien Bestandtheils der Kartoffel, oder sogar mit einer gleichzeitigen
Veränderung der Zellenwände. Ich stelle mir vor, daß der Eiweißstoff gerinnt, wie im
kochenden Ei. Den Grund der Gerinnung dieser Substanz kann ich mir übrigens nicht
erklären.
Es schien mir, daß die Flüssigkeit des gesunden Theils einer kranken Kartoffel eine
eigenthümliche Neigung zum Gerinnen hat. Wenn man demzufolge den Saft des gesunden
Theils auspreßt und zwölf Stunden lang sich selbst überläßt, so verdikt er sich zu
einer aus Fäden geronnenen Eiweißes bestehenden Masse.
Wie dem auch sey, glaube ich doch wenigstens daß, wenn die Veränderung der
stikstoffhaltigen Substanz auch nicht primitiv ist und der Veränderung der andern
Bestandtheile nicht vorausgeht, ihrer Veränderung doch mit Recht die darauffolgenden
Erscheinungen beizumessen sind, als da sind: jene Art troknen Brandes, bei welchem
das Zusammenkleben der Zellen mit ihrer Entstellung beobachtet wird, vorzüglich aber
die faulige Zersezung, welche mir nur als eine nothwendige und unvermeidliche Folge
der Zerstörung der Stärkesubstanz erscheint.
Meine Untersuchungen ergaben:
1) daß keine Kartoffel die Reife erreichte;
2) daß sie alle mehr Wasser enthalten, als in gewöhnlichen Jahrgängen; daß sie alle
weniger Stärkmehl enthalten; das Maximum des Stärkmehlgehalts war bei einer rothen
Kartoffel 18Proc., bei einer weißen Kartoffel 15 Proc., bei den blauen Kartoffeln,
welche ich mir bis jezt verschaffen konnte, 13 Proc.
3) daß, unter übrigens gleichen Umständen, die Kartoffeln aus feuchtem Boden weniger
Stärkmehl enthalten, als die aus troknem Erdreich;
4) daß die Kartoffeln in diesem Jahr mehr gerinnbares Eiweiß enthalten als in
frühern;
5) daß das Eiweiß früher in größerer Menge vorhanden ist, als bei der Reife;
6) daß die Kartoffeln auch mehr Holzsubstanz enthalten;
7) daß gegen die Reife zu die, vorzüglich in den Knollen sich anhäufende Substanz das
Staͤrkmehl ist; daß jeder Knollen, dessen Blatt und Stengel gänzlich zerstört
sind, sich zu entwikeln aufhört; daß eine Anhäufung von Stärkmehl in der Kartoffel
stattfinden kann, obgleich das Blatt sehr krank ist; daß hingegen ein kranker
Knollen aufhört sich zu entwikeln, obgleich sein Blatt zum Theil noch gesund
ist;
8) daß eine kranke Kartoffel in den gesunden und kranken Theilen zusammen eben so
viel Stärkmehl enthält, als eine gesunde Kartoffel;
9) daß in einem kranken Theil weniger gerinnbares Eiweiß enthalten ist, als in einem
gesunden Antheil derselben Kartoffel.
Aus meinen Analysen ergibt sich folgende Zusammensezung:
Wasser
82,200
Staͤrkmehl und Zellgewebe (Parenchym)
12,390
Gerinnbarer Eiweißstoff
1,987
Aufloͤsliche Stoffe
3,583
––––––––
100,160