Titel: | Ueber das Verderben der Kartoffeln; von Payen. |
Fundstelle: | Band 98, Jahrgang 1845, Nr. XLII., S. 150 |
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XLII.
Ueber das Verderben der Kartoffeln; von Payen.
Aus den Comptes rendus, Sept. 1845, Nr.
10.
Payen, über das Verderben der Kartoffeln.
Die Kartoffelfelder in Deutschland, Belgien und Frankreich werden gegenwärtig yon
einer Krankheit heimgesucht, welche einen Theil der Ernte zu Grunde richtet Einige
schreiben sie der Wirkung eines mikroskopischen Pilzes zu, andere aber halten die
kryptogamische Vegetation für secundär und für eine natürliche Folge der in den
Organismen vorgegangenen Veränderung.
Die Verschiedenheit der Meinungen hinsichtlich der vorzüglichsten Einwirkungen dieser
Krankheit auf die Kartoffeln ist, wie ich glaube, noch größer. Ich meinerseits
machte mich, sobald durch eine Mittheilung des Hrn. Elisée Lefebvre an die Central-Akerbaugesellschaft eine Anzeige von dieser
Erscheinung in der Umgegend von Paris gemacht wurde, an das Studium derselben und
der befallenen Knollenbüschel (pieds), welche er aus
seinen Feldern genommen hatte. Hr. Akademiker Rayer
beobachtete diese Krankheit zu Andilly, Boulogne, Epinay, Enghien, Ormesson, und war
so gütig, mir von zweien dieser Orte Proben einzusenden; ich selbst verschaffte mir
deren von dem Baumgärtner Hrn. Pourette und dem
Gutsbesizer Hrn. Delamarre zu Brunoy, wo die Seuche große
Flächen ergriff, gleichwohl aber hie und da einzelne Felder verschonte.
Folgendes sind die Resultate der Beobachtungen und Versuche, welche ich bis jezt
anstellen konnte.
Allenthalben fand ich die Blätter und Stengel vor den Knollen angegriffen; die
nachtheilige Veränderung scheint sich mithin von den der Luft ausgesezten Stengeln
auf die Knollen zu übertragen. Davon überzeugt man sich noch mehr, wenn man sieht,
wie die eigenthümliche Veränderung der Knollen sich an den den Stengeln zunächst
gelegenen Punkten zeigt und von da aus, unter der Epidermis, um den ganzen Knollen
verbreitet, sich dann allmählich der äußern Schicht bemächtigt und so von der
Peripherie gegen die Mitte zu sich fortpflanzt.
Oft ist es der Fall, daß dieser die Rinde darstellende, in gleichem Gewicht mehr
Stärkmehl als das Uebrige enthaltende Theil ganz davon ergriffen ist, während der
mittlere (médullaire) Theil noch gesund ist. Seltener
dringt das Verderbniß gegen die Mitte vor, ohne sich im größten Theil der Rinde
verbreitet zu haben; übrigens ist dieß eher bei den länglichen als bei den runden
Kartoffeln der Fall.
Nach einem in das Genaueste gehenden Studium der Wirkung dieser Veränderung glaube
ich ihr Wesen nun ermittelt zu haben in einer Weise, welche mit zwei Hauptpunkten
der Beobachtungen Decaisne's übereinstimmt.
Wenn man eine Kartoffel in einer in der Achse liegenden oder durch die Mitte gehenden
Fläche durchschneidet, so entdekt man mit freiem Auge von einer röthlichen Färbung
ergriffene Theile; der deutliche Pilzgeruch, den sie entwikeln, erinnert an jenen
charakteristischen Geruch, welchen im Jahr 1843 das durch eine außergewöhnliche
kryptogamische Vegetation so schnell verderbende Komißbrod von sich gab.Polytechn. Journal Bd. XCI S. 200 und Bd. XCII S.
466. Wo sich diese Erscheinung zeigt ist das Gewebe
erweicht und es verliert leichter seinen Zusammenhang, als in den gesunden,
weißlichen und festen Theilen.
Sehr dünne Schnitten, unter dem Mikroskop betrachtet, lassen an den Gränzen des
fortschreitenden Verderbnisses eine schwach fahlgelbe Flüssigkeit wahrnehmen, welche
sich in den Zellengängen befindet; diese Flüssigkeit umhüllt nach und nach beinahe
die ganze Peripherie jeder Zelle; in stark ergriffenen Theilen vermehrte sie bald
den Zusammenhang der Zellen unter sich, bald hob sie ihn auf, was das leichte
Auseinandergehen der Gewebe an diesen Stellen erklärt.
Die eine fahlgelbe Flüssigkeit mit sich führenden Körperchen bilden an den Wänden der
Zellen dunklere Körnchen; nach mehreren chemischen Reactionen sind sie mit äußerst
zarten Keimkoͤrnchen zu vergleichen. Sehr viele von dieser Flüssigkeit
erfüllte Zellen behalten ihre Stärkmehlkörnchen unversehrt.
Wenn die Ortsveränderung der Zellen in der Masse einen gewissen Grad erreicht hat,
wird das Gewebe breiig, halbflüssig; man braucht es nur mit dem abgerundeten Ende
einer Glasröhre zu berühren, um so viel davon wegzunehmen, als zur mikroskopischen
Beobachtung erforderlich ist. Zu diesem Zustand der Ortsveränderung gelangt, ist die
Substanz weißlich oder von mehr oder weniger dunkelbrauner Farbe; beinahe alle
Zellen sind zerrissen, zuweilen sogar außer Zusammenhang und lassen große
lappenartige Membranen nur in den winkeligen Theilen sehen, wo der Zusammenhang
unter mehreren Zellen sich erhalten hatte; oft sind auch Myriaden ein Hundertel
Millimeter langer und ein Zehntel Millimeter breiter Thierchen wahrzunehmen, die
sich sehr lebhaft bewegen und die kleinen organischen Trümmer angreifen oder doch in
Bewegung sezen. Merkwürdig aber ist und es dient zum Beweis der bloß peripherischen
Angegriffenheit der
Zellen daß, wenn leztere bis auf diesen Punkt angegriffen sind, dagegen die
Stärkmehlkörner noch unangegriffen sind, ihre Substanz unauflöslich ist, sogar in
40° R. heißem Wasser; nur leichter mechanisch theilbar, verhalten sie sich
gegen Jod, Schwefelsäure, Diastas, wie gesundes Stärkmehl; doch konnte ein schwach
zusammenhängender Antheil der Stärkmehlsubstanz verschwinden.
Wie konnten nun einige beim Wahrnehmen ausgeleerter Zellen hierin eine allgemeine
Auflösung der Stärkmehlsubstanz erkennen, und diese Wirkung der Krankheit der
Kartoffeln zuschreiben?
Ich glaube die Ursache der Verschiedenheit der Meinungen gefunden zu haben. Man sieht
wirklich manchmal Kartoffelknollen im Zustand solcher Leerheit; allein diese bieten
die hier in Rede stehenden Symptome nicht dar. Man findet dieselben eben so gut an
von der Krankheit ganz freien als an den davon befallenen Knollenbüscheln. Es sind
dieß Knollen, welche in der Entwiklung stehen geblieben waren und in denen das
Wachsthum der Stengel und Blätter Nahrungs- und Entwiklungselemente geschöpft
hatte, wie in der Mutterkartoffel.Hr. Rayer und ich beobachteten in dem von der
rothen Substanz ergriffenen Gewebe mit Staͤrkmehl angefüllte Zellen,
welche wieder mit andern Zellen umgeben waren, in denen die
Staͤrkmehlkoͤrner sich vermindert hatten, wenn sie nicht ganz
verschwunden waren.
Da das Stärkmehl in den verdorbenen Kartoffeln größtentheils unversehrt ist, sollte
man glauben, daß es durch das gewöhnliche Verfahren leicht ausgezogen werden könnte.
Dem ist aber nicht so, indem eine große Anzahl wenig oder gar nicht
zusammenhängender Zellen sich, wie in den aufgethauten Kartoffeln, beim Reiben, ohne
sich zu öffnen, von einander trennen und so das noch eingehüllte Stärkmehl
zurükhalten würden, welches dann mit ihnen auf dem Sieb zurükbliebe.
Man müßte daher ein anderes Verfahren einschlagen, einen Theil des Stärkmehls
ausziehen und das übrige, um es zu gewinnen, in Stärkezuker etc. verwandeln. Dieß
hätte gar keine Schwierigkeit, indem die Wände der Zellen nicht mehr so
undurchdringlich sind, wie in ihrem Normalzustande und folglich der auf dem Sieb
zurükgebliebene und ausgewaschene Antheil Stärkmehl entweder mittelst Wasser und
Diastas bei einer Temperatur von 60° R. oder mittelst schwefelsaurem Wasser
bei 80° R. angegriffen werden könnte.
Ich stellte hierüber entscheidende Versuche an. Der sich bildende Syrup ergießt sich
durch die Zellenmembranen hindurch; man kann leztere sonach durch das Filtrum
trennen, die zukerhaltige Flüssigkeit eindiken, oder indem man sie der geistigen Gährung
unterzieht und dann destillirt, direct anwenden.
Folgerungen.
Die angeführten Thatsachen führen zu einigen unmittelbar anwendbaren Folgerungen.
Bei allen nur schwach ergriffenen Kartoffeln bedarf es bloß der Hinwegnahme einer
mehr oder weniger diken Schale, um die verdorbenen Theile zu entfernen.
Man überzeugt sich leicht, ob die tiefer liegenden Theile gesund sind, durch
Zerschneiden jedes Knollens in vier Stüke.
Mehrere Beobachtungen lassen glauben, daß die wenig veränderten Kartoffeln, wenn man
sie in Wasser kocht, das Wasser aber, welches hiezu diente, wegschüttet, den Thieren
als Nahrungsmittel gegeben werden dürften; doch erfordert es die Klugheit, zuerst
mit einigen die Probe anzustellen und jedenfalls sie nicht als ausschließliches
Futter zu reichen, es sey denn versuchsweise auf einige Tage.
Die Kartoffeln, deren Ausartung schon weiter um sich gegriffen, könnten sicherlich
benuzt werden durch Zertheilung mittelst der Reibe, Auswaschen des Breies auf dem
Sieb, Ausziehung des Stärkmehls auf die gewöhnliche Weise und unmittelbare
Verwendung des ausgewaschenen Breies zur Zukerfabrication oder Austroknen desselben,
um ihn den Fabrikanten zu liefern, die sich mit dieser Verarbeitung befassen.
Sogar die schnell verdorbenen Kartoffeln, welche ganz auseinanderzufallen drohen,
könnten noch auf diese Weise behandelt werden.
Man darf aber nicht damit warten, bis neue nachtheilige Veränderungen, wie der
Angriff der Insecten oder gewisser Larven, wirklich das Verschwinden eines großen
Theils des Stärkmehls herbeigeführt haben.
Wichtigere Fragen knüpfen sich allerdings an die bei dem nächsten Anbau zu treffenden
Vorkehrungen; hier scheinen aber nur Vermuthungen zulässig zu seyn; vielleicht aber
sind dieselben nicht unnüz.
Sollte nicht auf jedem Gute der entfernteste Boden von den in diesem Jahr mit
Kartoffeln bebauten Feldern mit solchen bebaut werden?
Mehrere Thatsachen machen es wahrscheinlich, daß die Frühkartoffeln der Entwiklung
der Krankheit entkommen könnten.
Eine thätige Aufmerksamkeit beim Herannahen der Reife ließe die ersten Anzeichen der
nachtheiligen Veränderung der Stengel an gewissen Stellen wahrnehmen; es könnte von
Nuzen seyn, sie abzuschneiden, außerhalb des Feldes zu verbrennen, das Uebrige aber
zu belassen, um die
ersten Knollen vor dem Einfall der Krankheit benüzen zu können.
Jedenfalls wäre es sehr zu wünschen, daß die Landwirthe genaue Notizen sammelten über
ihre Beobachtungen und ihre Versuche bezüglich der Kalkung, besondern Anbaues etc.,
damit man zu einer vollständigen Geschichte der Krankheit und der Mittel, wodurch
sich in Zukunft ihre beklagenswerthen Wirkungen verhindern lassen, gelangt.