Titel: | Ueber das Lagern und Reifen des Weins und eine rationelle Gährmethode desselben. |
Fundstelle: | Band 92, Jahrgang 1844, Nr. CVII., S. 462 |
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CVII.
Ueber das Lagern und Reifen des Weins und eine
rationelle Gaͤhrmethode desselben.
Ueber das Lagern und Reifen des Weins und eine rationelle
Gährmethode desselben.
In dem Saft zukerarmer Weintrauben bleibt nach vollendeter
Gährung, nach dem Zerfallen des Zukers in Kohlensäure und Alkohol, eine Menge
stikstoffhaltiger Bestandtheile mit den nämlichen Eigenschaften zurük, die sie im
Safte vor der Gährung besaßen. In dem zukerreichen Safte
der Weintrauben aus südlichen Zonen ist das Verhältniß umgekehrt, es bleibt in
diesem eine Menge Zuker unzersezt, nachdem sich alle stikstoffhaltige Substanz im
unauflöslichen Zustande der Hefe völlig abgeschieden hat. Diese leztern Weine ändern
sich an der Luft nur wenig, eine Säuerung tritt für diese nur bei rothen Weinen ein,
deren Farbstoff leicht veränderlich ist und, mit Luft in Berührung, die Rolle der
stikstoffhaltigen Bestandtheile übernimmt.
Die in dem Weine nach der Gährung bleibenden stikstoffhaltigen Bestandtheile des
Traubensaftes sind die eigentlichen Gährungserreger des Zukers; nach seiner
Entfernung üben sie auf den Alkohol ganz die Wirkung aus, welche das verwesende Holz
besizt79) , sie sind die Erreger und Vermittler des jezt eintretenden
Säuerungsprocesses.
Die Verwandtschaft dieser Substanzen zum Sauerstoff ist sehr groß; in der kurzen Zeit
des Ueberfüllens von Wein aus einem Faß in ein anderes nehmen sie aus der Luft
Sauerstoff auf und versezen den Wein in den Zustand der Säuerung, welcher
unaufhaltsam fortschreitet, wenn er nicht künstlich aufgehalten wird. Man weiß, daß
dieß durch das Schwefeln bewirkt wird. In dem Fasse, welches den Wein aufzunehmen
bestimmt ist, wird ein Stük Schwefelspan verbrannt, die darin enthaltene Luft wird
hiedurch ihres Sauerstoffs beraubt, es entsteht eine seinem Volumen gleiche Menge
schweflige Säure, welche von der feuchten Holzoberfläche des Fasses mit
Schnelligkeit absorbirt wird. Die schweflige Säure besizt eine noch größere
Verwandtschaft zum Sauerstoff, als die im Wein enthaltenen Säuerungserreger; indem
sie sich von der innern Faßoberfläche nach und nach im abgefüllten Wein vertheilt,
und den Säuerungserregern, so wie der Flüssigkeit selbst allen aus der Luft
aufgenommenen Sauerstoff wieder entzieht, wird der Wein in den Zustand zurük
versezt, den er vor dem Abfüllen besaß. Die schweflige Säure findet sich im Wein in
Schwefelsäure verwandelt.
Bei dem Lagern der Weine findet durch die holzwände der Fässer ein beständiger,
wiewohl sehr langsamer Luftwechsel statt oder, was das nämliche ist, der Wein ist
unausgesezt mit einer sehr kleinen Menge Sauerstoff in Berührung, woher es denn
kommt, daß sich nach
einer gewissen Zeit die ganze vorhandene Menge des Säuerungserregers im Wein in der
Form der sogenannten Unterhefe abscheidet.
Die Ausscheidung der Wein- und Bierhefe während der Gährung des Traubensaftes
oder der Bierwürze geschieht in Folge einer Sauerstoffaufnahme oder, was das
nämliche ist, durch einen im Innern der gährenden Flüssigkeit vor sich gehen den
Oxydationsproceß. Der stikstoffhaltige Bestandtheil der Gerste ist für sich im
Wasser nicht löslich; im Malzproceß wird er, während das Korn keimt, löslich im
Wasser, er nimmt dieselbe Beschaffenheit an, welche der im Traubensaft enthaltene
stikstoffhaltige Bestandtheil von Anfang an besizt. Durch Sauerstoffaufnahme
verlieren beide ihre Löslichkeit im Wein oder Bier. Nach den besten hierüber
angestellten Analysen ist die Wein- und Bierhefe weit reicher an Sauerstoff
als die stikstoffhaltigen Substanzen, aus denen sie entsteht.
So lange noch gährende Zukertheilchen in der Flüssigkeit neben diesen Materien
vorhanden sind, ist es die Flüssigkeit selbst, welche durch Zersezung von Wasser
oder einer kleinen Menge Zuker den zu ihrem Uebergang in Heft nöthigen Sauerstoff
liefert; dieser Oxydationsproceß im Innern der Flüssigkeit, der ihre Abscheidung
bedingt, findet mit dem Verschwinden des Zukers seine Gränze; er stellt sich aber
aufs neue ein, wenn die Flüssigkeit durch Zusaz von Zuker in den gährungsfähigen
Zustand zurük versezt wird; er stellt sich ferner ein, wenn die Oberfläche mit Luft
in Berührung gelassen wird; in lezterm Fall geschieht ihre Abscheidung auf Kosten
des Sauerstoffs der Luft, also in Folge ihrer Verwesung.
Es ist nun erwähnt worden, daß die Gegenwart dieser stikstoffhaltigen Materien neben
Alkohol bei hinlänglichem Luftzutritt die Ueberführung des Alkohols in Essigsäure
bedingt; nur die Ungleichheit ihrer Verwandtschaft zum Sauerstoff ist der Grund, daß
beim Lagern des Weines, wo der Luftzutritt äußerst beschränkt ist, sich nur der
stikstoffhaltige Bestandtheil und nicht gleichzeitig auch der Alkohol oxydirt; in
offenen Gefäßen würde der Wein unter diesen Umständen in Essig übergegangen
seyn.
Es ist nach dem vorhergehenden klar daß, wenn wir ein Mittel hätten die Säuerung des
Alkohols, seinen Uebergang in Essigsäure bei einer unbeschränkten Zufuhr von Luft
oder Sauerstoff zu hindern, wir damit in der kürzesten Zeit dem Wein und Bier eine
unbegränzte Haltbarkeit, die völlige Reife zu geben vermöchten; denn unter diesen
Umständen würden sich alle die Säuerung bewirkenden Materien des Weins und Biers mit
Sauerstoff verbinden, sie würden in unauflöslichem Zustande abgeschieden werden. Mit
ihrer Entfernung würde der Alkohol das Vermögen Sauerstoff aufzunehmen gänzlich verlieren. Dieses Mittel
hat die Experimentirkunst in einer niedrigen Temperatur aufgefunden, und es hat sich
darnach, namentlich in Bayern, ein Gährverfahren
gebildet, auf welches die vollendetste Theorie einfacher und sicherer und den
wissenschaftlichen Grundsäzen mehr entsprechend, kaum hätte führen können. Der
Uebergang des Alkohols in Essigsäure durch Berührung mit einer verwesenden Substanz
findet am raschesten statt bei einer Temperatur von 35 Grad; unterhalb derselben
nimmt die Verwandtschaft des Alkohols zum Sauerstoff ab; bei einer Temperatur von 8
bis 10 Grad (des hunderttheiligen Thermometers) findet unter diesen Umständen keine
Verbindung mehr statt; die Neigung oder die Fähigkeit der stikstoffhaltigen
Substanzen Sauerstoff anzuziehen ist aber bei dieser niedrigen Temperatur kaum
merklich geschwächt. Es ist darnach einleuchtend daß, wenn die
Bierwürze, wie dieß in Bayern geschieht, in weiten, offenen Gefäßen, welche dem
Sauerstoff unbeschränkten Zutritt gestatten, der Gährung überlassen wird und
zwar in einem Raume, dessen Temperatur 8 bis 10 Grad nicht übersteigt, eine
Abscheidung der Säuerungserreger gleichzeitig im Innern und an der Oberfläche
der Flüssigkeit stattfindet. Das Klarwerden des Biers ist das Zeichen,
woran man erkennt, daß keine weitere Abscheidung mehr erfolgt, daß diese Materien
und damit die Ursachen der Säuerung entfernt sind. Eine den Principien gemäß ganz
vollkommene Entfernung derselben hängt von der Erfahrung und Geschiklichkeit des
Brauers ab; sie wird, wie man sich leicht denken kann, nur in einzelnen Fällen
erreicht, allein immer wird nach diesem Gährverfahren ein in seiner Haltbarkeit und
Güte das gewöhnliche weit übertreffendes Bier gewonnen.
Der ausgezeichnete Nuzen, den die Anwendung dieser Grundsäze
auf eine rationellere Weinbereitung haben muß, liegt auf der Hand und kann
in keiner Weise bestritten werden; die unvollkommene Erkenntniß oder die Unkenntniß
derselben ist offenbar der Grund, daß diese Gährmethode nicht längst schon der
Weinbereitung die großen Vortheile verschafft hat, die sich davon erwarten lassen;
denn der darnach bereitete Wein wird sich zu dem gewöhnlichen verhalten wie ein
gutes bayerisches Bier zum gewöhnlichen Bier, zu dessen Darstellung dieselbe
Quantität Malz und Hopfen gedient hat. Der Wein muß dadurch in
der kürzesten Zeit die nämliche Reife und Güte erhalten, die er sonst erst nach
jahrelangem Lagern zeigt. Wenn man sich erinnert, daß die Weinbereitung auf
Ende Oktobers, also gerade in die kühle Jahreszeit fällt, die der Biergährung so günstig
ist, daß hiezu keine andern Bedingungen, als ein sehr kühler Keller und offene weite
Gährungsgefäße gehören, daß die Gefahr der Säuerung beim Wein unter allen Umständen
viel geringer ist als beim Bier, so wird man auf den besten Erfolg mit Sicherheit
rechnen können.
Ganz diesen Principien entgegen findet die Gährung des Weins
am Rhein an sehr vielen Orten nicht in kühlen Kellern, sondern in offenen, viel
zu hoch und deßhalb zu warm liegenden Räumen statt, und man schließt durch
aufgesezte Blechröhren, die mit Wasser gesperrt sind, den Zutritt der Luft
während der Gährung völlig ab. In dieser Hinsicht wirken diese Röhren
jedenfalls nachtheilig auf die Qualität des Weins; sie sind in jeder andern als eine
vollkommen nuz- und zweklose Erfindung eines müßigen Kopfes zu betrachten,
die man eben nachahmt, ohne sich weiter Rechenschaft zu geben. (Aus Liebig's „chemischen Briefen“ in der Augsb. Allg.
Zeitg.)