Titel: | Neue Zukerrübe. |
Fundstelle: | Band 91, Jahrgang 1844, Nr. XL., S. 158 |
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XL.
Neue Zukerruͤbe.
Neue Zukerrübe.
Vor ungefähr 5 Jahren habe ich die ersten Besorgnisse ausgesprochen, die Kostbarkeit
des Runkelrübenbaues könnte die ganze europäische Zukerfabrication noch einmal in
die Gefahren sezen, welche sie nach der Aufhebung der französischen
Continentalsperre lief, und welche sie nicht nur in der öffentlichen Meinung zu
Grunde richteten, sondern beinahe vertilgten. Wenn sie sich nach jenem tödtlichen
Schlage später allmählich wieder aufrichtete, so geschah dieß nur durch die
Fortschritte, mit welchen die Chemie ihr zu Hülfe kam und durch die Erfindung des
Dumont'schen Filters. Kaum aber hat sie sich im
vorigen Jahrzehend einigermaßen belebt, so sehen wir sie in der lezten Zeit wieder
kränkeln, welken, und hinter den Erwartungen zurükbleiben. Es hat sich mittlerweile
die Colonialproduction Vermehrt, und indem sie von der Runkelzukerbereitung Lehren
entlehnte, sich verbessert; die Colonien erzeugen nun wohlfeiler und mehr als zuvor, sie können die
Preise unbeschadet ihres Gewinnes billiger stellen, der Werth des Zukers ist
gefallen und um eben so viel müssen auch die europäischen Zukerproducenten mit ihren
Verkaufspreisen herunter gehen. Der Gewinn ist verringert und kaum vermögen die
cisatlantischen Fabrikanten die Concurrenz mit den transatlantischen zu bestehen.
Wir sehen daher mehr alte Fabriken eingehen als neue aufleben.
Von allen Schwierigkeiten, mit welchen die europäische Zukerfabrication ringt, ist
offenbar der Runkelrübenbau die größte, die, welcher weder Chemie noch Mechanik
beizukommen vermögen. Es handelt sich hier nicht um die Handhabung eines todten
Substrats, das sich der Zerlegung und dem Räderwerk unterwirft, sondern um ein
lebendes Wesen, das von seinen Forderungen zum Gedeihen kein Haarbreit sich
abmarkten läßt, und das man gegen die Wechselfälle und die Launen der Witterung
nicht schüzen kann. Die Erfahrung zeigt, daß der Bau der Runkeln zu mühsam ist, daß
er zu viel Aufmerksamkeit und zu viel verständige Ueberwachung erfordert, um
wohlfeil seyn zu können, und daß die Ernten zu oft nicht ergiebig genug ausfallen um
die große Mühe zureichend zu lohnen. So lange wir keine bessere Pflanze haben, als
die weiße schlesische Runkel, so scheint es wohl, die europäische Zukerfabrication
sey noch nicht geborgen und die Klemme, in welcher sie sich zwischen ihrem zu
theuern Arbeitsmaterial und der steigenden Colonialproduction befindet, könnte
möglichenfalls noch so weit zunehmen, daß sie einst völlig erdrükt würde. Bei dieser
bedenklichen Lage scheint ihr jezt einige Aushülfe in einer neuen Rübenart sehr zu
erwünschter Zeit zu Statten zu kommen, die man neuerlich in Oesterreich aufgefunden
hat. Diese Zukerrübe hat alle Vorzüge der Runkel, aber viele ihrer Fehler nicht und
keine einzige neue Mangelhaftigkeit in ihrem Gefolge. Sie baut sich leichter, mit
weniger Beschwerde und kommt somit namhaft wohlfeiler zu stehen. An Zukergehalt
steht sie der Runkel völlig gleich, und viele Versuche in verschiedenem Boden haben
im Großen und Kleinen dargethan, daß sie, neben der Runkel gebaut, am Saccharometer
stets nur bald ¼ bis ½ Grad mehr, bald weniger als leztere zeigte,
folglich mit ihr unter gleichen Umständen an Süßigkeit übereinstimmt. Aber auf der
andern Seite hat man gefunden, daß ihr Fleisch weniger zäh und mehr spröde ist als
das der Runkel und in Folge dieser Beschaffenheit sich leichter und zu feinerem Brei
zerreibt, leichter auspreßt und dann ein Achtel, oft selbst ein Sechstel mehr Saft
gibt. Dadurch wird sie, wenn gleich ihr Saft an sich nicht süßer ist als der der
Runkel, dennoch absolut um ein nicht ganz Unbedeutendes zukerreicher. Dieser Saft
ist dünnflüssiger und weniger mit fremden schleimigen Stoffen versezt, wird auch an der Luft weniger
schwarz als der Runkelsaft, und ist somit reiner als dieser, daher in den folgenden
Kochungen leichter zu verarbeiten. — Diese guten Eigenschaften jedoch, wenn
gleich gewiß schäzbar, machen noch nicht die wesentlichen Vorzüge dieses Gewächses
aus; diese kommen nicht sowohl der Werkstätte, als vielmehr dem Aker zu gute. Die
Form der Rübe ist nämlich ganz eine verschiedene. Während die Runkel eine
Mittelgestalt zwischen Birne und Spindel ist, die senkrecht tief in den Erdboden
eindringt, so hat umgekehrt die neue Zukerrübe eine platte Tellerform, mit welcher
sie flach auf dem Boden aufsizt. Sie dringt nicht in die Tiefe, ja sie stekt nicht
einmal in der Erde, sondern sizt entblößt nur oben darauf. In der Mitte ihrer untern
Fläche hat sie ein kleines Büschel 5–6 Zoll langer dünner Wurzelfasern, mit
denen sie nicht tiefer niedergeht, als die gewöhnliche Akerkrume beträgt. Dieß
gewährt für den Anbau ungemeine Vortheile im Vergleiche mit der Runkel. Die
Kostbarkeit der leztern rührt hauptsächlich von der Tiefe her, die man ihr im
Akerboden gewähren muß. Kann sie ihre Wurzel, die den Pfahl sogar 4–5 Schuh
hinabbohrt, wenn sie lokern Untergrund findet, nicht wenigstens 20 Zoll bis 2 Schuh
niedertreiben, so verkrüppelt und verwurzelt sie. Dieß nöthigt den Bauer zu eben so
tiefem Umbrechen seines Feldes, was mit großen Kosten verbunden ist. Deßhalb
unterbleibt es gewöhnlich und hat dann sicher kärgliche Ernte und mißgestaltete
Runkeln im Gefolge. Aller dieser großen Nachtheile wird der Landwirth durch die neue
Zukerrübe überhoben. Er braucht sein Feld nicht mehr tiefer umzuwühlen, als er
gewöhnlich für andere Hakfrüchte, für Kartoffeln, Kraut, Möhren u. dgl. thut; dieß
genügt jener vollkommen und erspart den kostspieligsten Antheil an den Baukosten.
— Ein zweiter fast eben so großer Gewinn geht aus der platten Form der
Zukerrübe für die Ernte hervor. Die Runkelernte ist ein schweres, mühsames, viele
Zeit und Menschenhände in Anspruch nehmendes Geschäft. Denn da die Wurzel tief und
fest im Boden eingekeilt stekt, so ist sie nicht sehr leicht herauszubringen. Ist
der Boden troken und nur etwas lehmig, so ist sie so fest eingewachsen, daß sie beim
Herausstechen sehr häufig abbricht und ein Stük davon im Boden bleibt, das verloren
geht. Ist der Boden naß, so wird die Arbeit ohnehin fast unthunlich. Man braucht
also eine Zeit, die weder troken, noch naß ist, um mit der Ernte gut durchzukommen.
Da aber die Runkel langsam reift und im deutschen Klima meist bis gegen den Oktober
und so lange als möglich im Boden bleiben muß, weil sie gerade in der spätern
Jahreszeit am stärksten wächst, so kömmt man damit in die Zeit der kürzern Tage, des
regnerischen Herbstwetters, der Nachtfröste, ja es ist schon geschehen, daß man aus Mangel an
schiklicher und zureichender Zeit eingefroren ist, ehe man die Ernte vollenden
konnte. Man befindet sich also mit der Runkelernte immer in einer Art von Gedränge
und Gefahr, und diese steigen um so höher, je größer die Menge ist, die eingeheimst
werden soll. Die Runkeln sollen in den meisten Fällen so lange als nur thunlich im
Felde bleiben, zumal nach einem trokenen Jahrgang, dann aber, wenn der Zeitpunkt zur
Ernte eintritt, soll alles schnell auf einmal vollbracht werden, da der Winter meist
drohend vor der Thüre steht. Nun fällt aber diese Arbeit unglüklicherweise in
Deutschland mit der Kartoffelernte zusammen, und wo man auf großen Runkelpflanzungen
Tausende von Händen nöthig hätte, sind sie gerade am wenigsten zu haben, weil der
gemeine Mann überall mit seinen eigenen Kartoffeln vollauf zu thun hat, so oft ein
guter Tag über den Himmel zieht, und dann um keinen Preis im Taglohn sich verdingt.
Alle diese Verhältnisse machen die Runkelernte, hauptsächlich weil sie der tiefen
Einwurzelung wegen nur langsam vor sich gehen kann, stets zu einem peinlichen, von
Mühen, Sorgen und Angst umstellten Geschäfte. Alle diese Gefahr und Bedrängniß
faͤllt bei der Zukerrübe hinweg. Die Ernte läßt sich in der halben Zeit und
mit weniger als den halben Kosten bewerkstelligen. Weil sie auf dem Boden flach
aufsizt und schwach angewurzelt ist, so läßt sie sich mit größter Leichtigkeit
hinwegnehmen; man bedarf dazu nicht einmal eines Spatens, geschweige einer
Stechgabel, wie bei den Runkeln; man darf sie nur am Laube mit der Hand ergreifen
und wegnehmen. Es klebt ihr meist nicht einmal Erde an, geschweige daß Steine sich
darin verwurzelten, wie so häufig zwischen den Schenkeln der Runkel zum Verderben
der Reibmaschinen geschieht. Sie ist daher leicht und schnell gepuzt. — Es
fällt ferner die nicht unbedeutende Mühe hinweg, welche die Runkel nothwendig macht,
den aus der Erde hervorragenden zukerleeren Kopf abzuschneiden; denn da die
Zukerrübe ganz außerhalb des Bodens steht, so hat sie keinen leeren Kopf und ist
durchaus mit Zuker erfüllt. Der hieraus bei den Runkeln sich ergebende doppelte
Verlust an Material und an Arbeitszeit wird demnach bei der Zukerrübe ganz erspart.
— Ein weiterer Vortheil ergibt sich aus der Tellerform der Wurzel für ihre
Ernährung; sie gewährt ihr nämlich bis auf einen gewissen Grad Schuz gegen dürre
Witterung. Indem sie, sobald sie einmal eine gewisse Größe erreicht hat, wie ein
Dekel auf dem Boden sich ausbreitet, hindert sie die unter ihr befindliche nasse
Erde einigermaßen an der Auftroknung und bewahrt auf solche Weise den in ihrer Mitte
angehefteten Wurzelfasern Feuchtigkeit und Nahrung in troknen Zeiten viel länger,
als andere Pflanzen. Wenn man, während das Feld nach langem Regenmangel fast ausgedörrt ist,
eine solche Rübe wegnimmt, findet man die Erde unter ihr immer feucht und für das
Wurzelleben noch zureichend geeignet. Auf diese Weise schüzt sie sich selbst gegen
die Unbill der Witterung. Auf der andern Seite scheint sie überhaupt weniger vom
Boden und mehr aus der Luft zu leben als die Runkel. Sie verträgt merklich besser
anhaltende Trokenheit als diese. Ihre Blätter sind schmäler und länger. Es gibt
davon zwei Abarten, eine ganz weiße und eine rothe; es ist noch nicht ausgemittelt,
welche die süßere ist, der Unterschied ist jedenfalls nicht bedeutend. Im
Ernte-Ertrag gibt sie der Runkel an Menge nichts nach; die einzelnen Rüben
wiegen bis zu mehreren Pfunden in mittleren Böden, und da das Blattwerk überhaupt
etwas schwächer ist als bei den Runkeln, so kann man sie etwas dichter anpflanzen.
Ihre Vegetationszeit ist etwas kürzer als die der Runkel, um etwa 14 Tage; dieß
allein schon gibt ihr für die Ernte einen schäzenswerthen Vorzug. Man hat ihr ein
geringes Samenproductionsvermögen beigemessen; dieß ist ganz falsch; sie lieferte
auf zwei verschiedenen größeren Pflanzungen bei Wien 10–11 Loth Samen von
jeder Rübe im großen Durchschnitt und mehr gibt auch die Runkel nicht. —
Dieser Verein von Vorzügen, den diese neue Zukerpflanze über die Runkel behauptet,
ist so groß, daß man in der That berechtigt ist, sich von dem Erfolg ihres Anbaues
aufs neue eine hoffnungsvolle Laufbahn für die inländische Zukerfabrication zu
versprechen. Sie greift ihr gerade da unter die Arme, wo sie es am allerdringendsten
bedarf, und wo sie seit Achard's Zeiten nicht den
kleinsten Fortschritt zu machen im Stande war. Samen dazu ist wahrscheinlich bei
allen Samenhändlern in Wien zu bekommen, namentlich bei Hrn. Selig, auch bei L. A. Orcony u. a. Ich habe
hier Muster von Rohzuker davon gesehen; wenn es, wie man mir versicherte, Zuker vom
ersten Wurfe ist, so ist er außerordentlich schön zu nennen und von einer Reinheit
und blondem Lichte, wie es bis jezt unmöglich war, im gleichen Stadium Aehnliches
aus Runkeln hervorzubringen. Es ist vorauszusehen, daß diese neue Rübe sich bald in
Europa verbreiten, gute Ernten sicherer machen, dadurch die Preise des Rohmaterials
zur einheimischen Zukererzeugung vermindern und so unsern Fabrikanten es möglich
machen wird, wohlfeiler zu produciren. Dieß wird das Gleichgewicht zu ihrem
Vortheile wieder herstellen. Sie werden die Concurrenz des Rohrzukers nicht mehr zu
fürchten haben und die Continentalproduction nimmt wahrscheinlich neuen
Aufschwung.
R.