Titel: Die Gewinnung der Boraxsäure aus den heißen Gasströmen in Toscana; von Hrn. Payen.
Fundstelle: Band 80, Jahrgang 1841, Nr. LXX., S. 264
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LXX. Die Gewinnung der Boraxsaͤure aus den heißen Gasstroͤmen in Toscana; von Hrn. Payen. Aus den Annales de Chimie et de Physique. Febr. 1841, S. 247. Mit Abbildungen auf Tab. VI. Payen, uͤber die Gewinnung der Boraxsaͤure aus den heißen Gasstroͤmen in Toscana. Die zur Ausbeutung der Boraxsäure in Toscana errichteten Anstalten bieten im Allgemeinen den Anblik eines abhängigen Erdreichs dar, welches durchgehends von Gas- und Dampfströmen unterbrochen ist, die mitten in den Wasserpfüzen flüssige Kegel in die Höhe treiben und sich dann in weißlichen Strudeln in die Luft erheben. Am Fuße dieser Hügel befinden sich die zur Gewinnung der Boraxsäure bestimmten Gebäude. Man trifft in Entfernungen von je 1 bis 2 Kilometern neun solcher Fabriken; sie heißen: Larderello, Monte-Cerboli, San-Frederigo, Castel-Nuovo, Sasso, Monte-Rotundo, Lustignano, Serrazzano und Lago. In diesen Etablissements, in welchen sich unaufhörlich eine enorme mechanische Kraft entwikelt, wo eine 80,000,000 Kilogramme übersteigende Abdampfung ausgeführt wird, und eine jährliche Production von 750,000 Kilogr. krystallisirter Säure stattfindet, wird man weder Maschinen, noch Rohstoffe, noch Brennmaterial gewahr! Die heißen Gasströme (suffioni) liefern dieß Alles; um durch sie die rohe Lösung nebst der Heizung zu gewinnen, braucht man nur ihr mächtiges Gebläse gehörig zu dirigiren. Schwierigkeiten verschiedener Art haben diesem Industriezweig lange Zeit Hindernisse in den Weg gelegt. Hrn. Larderelle gelang es, eines der schwierigsten dadurch zu besiegen, daß er die theure Holzfeuerung durch eine glükliche Anwendung des allenthalben dem Boden entströmenden, überflüssig vorhandenen Dampfes ersezte.Polytechn. Journal Bd. LIV. S. 225. Ehe ich auf die Beschreibung des gegenwärtigen Fabricationsverfahrens, die Aufstellung einer wahrscheinlichen Theorie desselben und auf mögliche Verbesserungen eingehe, theile ich die Resultate meiner Untersuchungen über die Natur der Gase und der von ihnen in die LagunenAuf meiner im J. 1835 in die Maremmen gemachten Exkursion mit allen den HHrn. Larderelle und Sohn zu Gebote stehenden Mitteln versehen, konnte ich diese Arbeit, bei derselben von den HHrn. Brugnelli in Toscana und Schmersahl in Paris unterstüzt, vollenden, und mit Vergnügen drüke ich ihnen meinen Dank hiemit aus. geführten Stoffe mit. Folgende Vorrichtung (Fig. 36) brachten wir über einer der Gasstrom-Mündungen, um das Gas zu sammeln, an. Dieselbe bestand erstens aus einem Cylinder A von 8 Millimeter dikem BleiTroz seines Gewichtes und seiner Belastung mit schweren Balken und Steinblöken wurde er dennoch zweimal von dem Dampfe aufgehoben, eine Art Verklammerung und eine noch stärkere Belastung erhielten ihn kaum, so lange der Versuch dauerte.; eine mit einem Hahn B versehene Röhre diente anfangs, um durch einen großen Dampfandrang die Luft auszutreiben; hierauf geschlossen, wurde sie mit einem hölzernen Faß C in Verbindung gesezt, das mit einem Hahn D versehen und mittelst Röhren mit einer Flasche e, einer ersten starken Liebig'schen Röhre f, welche Aezkalilösung enthielt, einer zweiten, Schwefelsäure enthaltenden, Absorptionsröhre g, und endlich einem zweiten hölzernen, mit Wasser gefüllten und mit einem Hahn i versehenen Faß H in Communication gesezt war. Das erste Faß C wurde ebenfalls mit Wasser angefüllt, welches man dann abließ, indem man es durch Dampf, der mittelst des Hahnes B mäßig eingelassen wurde, ersezte. Wenn aus dem Hahn D Dampf auszutreten anfing, wurde er geschlossen, und man ließ dann die Gase in die andern Theile des Apparates unter gehöriger Regulirung der Oeffnungen der Hähne B und i übertreten. Hierauf wurden aus dem lezten Faß drei Flaschen voll Gas auf die Weise herausgenommen, daß man in den obern Boden desselben eine Röhre j einfügte, welche in die mit Wasser gefüllte Flasche das durch das Abfließen dieser Flüssigkeit durch die zweite Röhre K angezogene Gas führte. Die nicht direct condensirten Producte, welche auf diese Weise entweder in den Flüssigkeiten der Kugelröhren, oder in den mit dem Gas des lezten Fasses gefüllten Flaschen erhalten wurden, gaben, so wie das über der Flüssigkeit im ersten Faß oder in den Lagunen gesammelte Gas, bei der Analyse: Nicht condensirtes Gas KohlensäureStikstoffSauerstoffSchwefelwasserstoff 57,3034,81  6,57  1,32 100,00. Die condensirbaren und von dem Dampfstrom mitgeführten Producte sind wandelbar; sie bestehen größtentheils aus Wasser, Thon, schwefelsaurem Kalk, Ammoniak, schwefelsaurer Alaunerde und Eisenvitriol, Salzsäure, organischen Substanzen mit Seefischgeruch und enthalten wenig oder gar keine Boraxsäure; sie sezen in allen engen Spalten und porösen Körpern, durch welche sie streichen, Schwefel ab. Die Temperatur dieser Dämpfe wurde mit Thermometern, welche in mehrere Gasstrommündungen gestekt wurden, bestimmt und variirte nur zwischen + 97 und 100° C. Ungeachtet aller von uns angewandten Sorgfalt ist jedoch keineswegs auf die vollkommene Verlässigkeit der Resultate unserer Versuche zu bauen, welche wir jezt, bei besserer Localkenntniß, zwekmäßiger einzuleiten wüßten; doch wird man, wenn man diese ersten Ergebnisse mit folgenden Beobachtungen zusammenstellt, eine wahrscheinliche Theorie der Erzeugung der Boraxsäure daraus ableiten können. Diese Säure kann nämlich durch Verdichtung der Dampfströme (suffioni) in selbst sehr weiten und langen Röhren nicht erhalten werden. Die Mündungen dieser Dampfströme müssen vielmehr, wenn man die Säure zu Tage bringen will, unmittelbar von der Flüssigkeit der Bassins überdekt werden; man bemerkt dann oft, daß ein Theil des im Augenblik des Anfüllens dieser Lagunen absorbirten Wassers nachher mit den Dampfströmen wieder zurükkömmt. Die Ursache der Gasströme und der Temperatur-Erhöhung scheint demnach seit vielen Jahren immer dieselbe zu bleiben, die Erzeugung, oder wenigstens die Ankunft der Boraxsäure an der Oberfläche des Bodens aber von dem Einbringen von Wasser in die Gasmündungen bedingt zu seyn. Würde das durch irgend eine Spalte in eine große Tiefe durchsikernde Meerwasser darin auf eine sehr hohe Temperatur gebracht und fände es in den suffioni einen Ausweg für die Dämpfe, so wären alle diese Erscheinungen erklärt; denn der mit fortgestoßenem Wasser gemischte Dampf würde auf seinem Wege über Boraxsäurelager diese mit fortnehmen und durch die Einwirkung der von ihm selbst mitgeführten organischen Substanz auf die darin enthaltenen schwefelsauren Salze Sulfuride hervorbringen, aus welchen die Boraxsäure den Schwefelwasserstoff austreiben würde. Diese Thatsachen können auch auf eine wissenschaftlichere Weise erklärt werden. Nehmen wir mit Hrn. Dumas an, daß ein sehr tiefes Lager von Schwefelbor vom Meerwasser erreicht werde, so würde eine heftige Reaction stattfinden; es entstünde Boraxsäure, Schwefelwasserstoff, eine hohe Temperatur, welche diese Producte mit dem Wasser, mit der durch Zersezung der erdigen Chloride freigewordenen Salzsäure und mit dem aus den organischen Substanzen erzeugten Ammoniak fortreißen würde. Fände diese Reaction nicht weit von einem Kalklager statt, so würde die in den Dampfstrom geführte Boraxsäure den kohlensauren Kalk zersezen, und ein Aequivalent Kohlensäure verbände sich mit den andern Gasen; in einer gewissen Entfernung könnte die sublimirte Boraxsäure sich ablagern, und je nachdem das Wasser der Lagunen bis dahinab gelangt oder nicht, würde der Strom die Boraxsäure neuerdings mit fortnehmen oder vorübergehen, ohne sie zu verflüchtigen. Die durch das Meerwasser herbeigeschaffte, oder durch die Gase angezogene Luft wird in die Spalten des Bodens dringen und bei der Gegenwart von Schwefelwasserstoff die Bildung von Schwefelsäure veranlassen. Leztere wird sich mit Kalk, Ammoniak, Alaunerde und Eisen verbinden, indem sie den Kalk vom Kalkstein, das Ammoniak den Dämpfen, die Alaunerde und das Eisen dem Thone entzieht. Diese verschiedenen Salze, welche sich in dem Wasser in der Nähe der Erdoberfläche bilden oder auflösen, erklären den geringen Zusammenhalt dieser lezteren. Das Erscheinen von Schwefel und die Gegenwart von etwas Sauerstoff, welche die verschiedenen, in den Gasströmen und dem Schlammwasser der Lagunen enthaltenen Körper begleiten, wären Folge zufälliger Einführung von Luft.Es könnte auch seyn, daß eine andere Ursache einen großen Einfluß bei der Boraxsäurebildung übte, nämlich die Einwirkung der in dem so lose zusammenhängenden Erdreich so reichlich vorhandenen Schwefelsäure, aus den im voraus gebildeten boraxsauren Kalk; es waren vielleicht solche Lager von boraxsaurem Kalk mittelst gehörig geleiteter Bohrungen und Analysen aufzufinden. Die in den neun Fabriken eingeführten Einrichtungen sind, kleine Modificationen ausgenommen, dieselben. Sie bestehen in der Erbauung mit Thon ausgelegter Bassins von grobem Mauerwerk um jeden Mittelpunkt eines Ausbruchs, wo zwei oder mehrere starke Gasströme sich ihre Mündung bahnen; ferner in Hinleitung des Wassers der umgebenden Quellen in das höchste dieser Bassins oder Lagunen, Fig. 37, A. Nach 24stündigem Verweilen, während dessen dieses Wasser durch die unterirdischen Dampfströme beständig in Bewegung gesezt wurde, beseitigt man den Zapfen einer Abzugsröhre O, worauf alle Flüssigkeit über eine Rinne (man sieht dieß genauer bei m, n) in ein unten befindliches Bassin B abfließt, wo sie eben so lange bleibt und sich mit etwas mehr Boraxsäure und den sie begleitenden Substanzen beladet. Man fährt so fort, die Auflösungen nach und nach in die Lagunen C und D übergehen zu lassen und ersezt die aus einem untern Bassin abgelassene Flüssigkeit sogleich mit derjenigen des darüber befindlichen.Alle in der Absicht angestellten Versuche, durch Verdichtung der Dämpfe in den Leitungen unmittelbar Boraxsäure zu gewinnen, waren fruchtlos; man sammelt hiebei nichts als ein säuerliches Wasser, welches keine Boraxsäure enthält. Die am reichsten beladene, in der lezten Lagune D befindliche Lösung kömmt in ein Vasque benanntes Reservoir E von 6 Metern im Gevierte und 1 Meter Tiefe, in welchem sich innerhalb 24 Stunden der größte Theil des Schlammes absezt. Die überstehende Flüssigkeit wird entweder in ein zweites Reservoir F, oder sogleich in zwei Batterien von je sieben bleiernen Kesseln G, G von 2,90 Meter im Gevierte und 0,35 Meter Tiefe abgelassen, welche von starken Holzunterlagen, die auf einer abhängigen Mauer ruhen, getragen werden. Diese Mauer läßt den in Gängen eingeschlossenen Dampf einiger Gasströme bei H eintreten, damit er sich frei unter die stufenweise höher gesezten Kessel (caldaï) hin bis ganz hinauf bewegen kann, wo der überflüssige Dampf sich außerhalb des Arbeitslocals hinaus begibt. Die Auflösung der Boraxsäure in den Reservoirs (vasques) zeigt gewöhnlich 1 bis 1,5 Grad Baumé. Man füllt die ersten vier Kessel jeder doppelten Reihe damit an, indem man durch das obere Spundloch p die geklärte Flüssigkeit abläßt. Nach 24 Stunden wird die ungefähr um die Hälfte ihres Volumens eingedikte Flüssigkeit mittelst der Heber i in die zwei folgenden Kessel jeder Reihe abgelassen und durch eine neue Decantation aus dem Reservoir ersezt. 24 Stunden darauf wird die wieder auf das halbe Volumen reducirte Flüssigkeit in die lezten Kessel der beiden Reihen abgelassen und der Inhalt der oberen Kessel wie oben ersezt. Das Abdampfen in den beiden lezten Kesseln dauert noch 24 Stunden; man vereinigt in denselben die Mutterlauge der vorausgehenden Krystallisation; das Gemenge zeigt dann 10 bis 11° Baume bei 75 bis 85° C. Die ganze Auflösung wird nun in Krystallisationsgefäße Fig. 38, A abgelassen. Dieß sind hölzerne, mit Blei gefütterte Kufen, von 0,78 Meter Durchmesser und 1 Meter Höhe. Die Krystallisation geht nun vor sich und das Product einer 72 Stunden dauernden Abdampfung, welches täglich aus einer Batterie von 14 Kesseln gewonnen wird, beträgt 90 Kilogramme verkäuflicher Boraxsäure. Bei Regenzeit vermindert sich diese Ausbeute. Während der Verdampfung sezt sich sehr viel schwefelsaurer Kalk ab, welcher aus dem Kessel herausgeschafft werden muß. Ist die Krystallisation beendigt, so wird die Mutterlauge abgelassen, um sie in die lezten Abdampfkessel zu bringen. Man läßt die Säure in Körben C abtropfen und breitet sie dann in Trokenkammern D in Lagen von 8 Centimet. aus, welche von Zeit zu Zeit umgeschaufelt werden; wenn sie beim Drüken mit der Hand die Haut nicht mehr befeuchtet, bringt man sie in Haufen und füllt sie dann in Säke, um sie nach Pomerancia zu transportiren, wo sie in Fäßchen gepakt und nach Livorno versandt wird. Die Trokenkammer ist von Ziegelsteinen erbaut und hat einen doppelten Boden, worin der Dampf eines Gasstroms circulirt. Die verschiedenen Fabriken enthalten jede eine bis fünf Batterien mit 14 bis 16 Kesseln und 3 bis 35 Lagunen. In der Fabrik Larderello, der bedeutendsten von allen, sind 80 Abdampfkessel. Die größten Lagunen, welche jedoch nicht regelmäßig rund sind, haben 15 bis 20, die kleinsten 4 bis 5 Meter Durchmesser; ihre Tiefe variirt von 1,5 bis 2,5 Meter. Die Flüssigkeit erhält in denselben eine Temperatur von 93 bis 95° C. Die Operationen dieser Fabriken sind auf vorzügliche Weise verkettet. Leider nimmt die Reinheit der Säure mit jedem Jahre ab, was vielleicht in der zunehmenden nachtheiligen Veränderung des durch die Dampfströme und die Einsikerung des Wassers aufgerührten Erdreichs seinen Grund hat.Die Arbeit der hier Beschäftigten ist nicht ohne Gefahr: beim Füllen und Ausleeren der Lagunen, Ausbessern der häufigen Beschädigung des Mauerwerks und der Leitungen, auf einem aufgewühlten, beständig sich ändernden Boden, geschieht es sehr oft, daß das Erdreich unter ihren Füßen weicht und sie vom Dampf oder siedendheißen Wasser mehr oder weniger bedeutend verbrannt werden. Bei unserm Besuche der Lagunen wäre Hr. Brugnelli beinahe das Opfer eines ähnlichen Vorfalls geworden. Die ersten Producte enthielten 90 bis 92 Proc. reiner krystallisirter Säure; die gegenwärtigen enthalten 18 bis 25 Proc. fremdartiger Substanzen. Diese Verunreinigungen schaden bei mehreren Anwendungen und verursachen eine unnüze Erhöhung der Transportkosten. Man könnte sie abscheiden, wenn man die abgetropfte Säure einem starken Druk unterwerfen, das Product durch zwekmäßiges Auswaschen reinigen und die Mutterlauge für sich behandeln würde, welche dann Alaun geben würde, der benuzt werden könnte, und Rükstände von schwefelsaurem Kalk, Thon etc., die wegzuwerfen wären. Hat man übrigens schon die höchste Production erzielt? Dieß ist nicht wahrscheinlich; um sich davon zu überzeugen und die zu einem höhern Ergebniß günstigen Umstände kennen zu lernen, müßte man untersuchen, ob es zugängliche Lager von boraxsaurem Kalk gibt, auch die Lagunenwässer zahlreichen Analysen unterwerfen, nachdem sie eine bestimmte Zeit mit den Dämpfen in Berührung waren. Auf diese Weise würde das den verschiedenen Umständen entsprechende Ergebniß von Säure ermittelt werden. Vielleicht würde häufiges Zugießen kalten Wassers auf die troken gelegten Gasstrommündungen (suffioni) eine reichlichere Extraction der in den unterirdischen Lagern enthaltenen Säure begünstigen.

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