Titel: | Anleitung leinen Garn und Zwirn jeder Sorte, in allen Jahreszeiten, unschädlich, schnell und schön weiß zu bleichen. |
Fundstelle: | Band 71, Jahrgang 1839, Nr. XLVIII., S. 234 |
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XLVIII.
Anleitung leinen Garn und Zwirn jeder Sorte, in
allen Jahreszeiten, unschaͤdlich, schnell und schoͤn weiß zu
bleichen.
Aus dem Supplement zu: „Die Kunst vegetabilische und animalische
Stoffe zu bleichen“ von Dr. W. H. v. Kurrer. Nuͤrnberg
1838, bei I. L. Schrag.
Anleitung zum Bleichen von leinen Garn und Zwirn
Erst vor einigen Jahren wurde ein Verfahren ermittelt, Leinengarn ohne allen Schaden
fuͤr die Textur desselben, in ganz kurzer Zeit, durch wechselseitige
Anwendung von alkalischer Lauge und Chlorgas, ohne Auslegen auf die Bleichwiese, vollkommen weiß zu bleichen.
Dieses Verfahren zeichnet sich dadurch vor jeder anderen Chlorbleiche aus, daß die
Textur des Fadens nicht im Geringsten alterirt, und ein vollkommen weiß gebleichtes
Garn erhalten wird; dasselbe besteht in
Folgendem:
Erste Operation.
Das leinene Gespinnst jeder Sorte wird in einer 1 1/2 Grad B. starken kaustischen
Lauge 3 bis 4 Stunden lang, je nachdem es feines oder starkes Gespinnst ist,
ausgekocht, nachher am Flusse gewaschen, gut ausgewunden, durch eine kalte, 2 Grad
starke Potaschenlauge gezogen, ausgewunden, und mittelst einer Presse
moͤglichst scharf ausgepreßt. Je schaͤrfer und fester das Garn
ausgepreßt wird, um so schneller und gleichfoͤrmiger erfolgt das nachherige
Bleichen durch die
Beruͤhrung und Absorption des Chlorgases, und um so weniger consumirt
dieselbe Kalilauge, von welcher Bedingung auch die Quantitaͤt des Chlorgases
abhaͤngig wird.
Das Auskochen des Garnes wird in einem laͤnglich vierekigen Kessel
vorgenommen, der so tief als die laͤngsten Garnstraͤhne seyn muß. Das
Garn wird hiebei auf Stangen gereiht, dicht aneinander eingehangen, und so viel
deren in den Kessel gebracht, als derselbe bequem zu fassen vermag. Wenn der Kessel
auf diese Weile aufgefuͤllt ist, wird so viel Lauge daruͤber gegossen,
bis die Oberflaͤche des Garns ganz damit bedekt ist. Nach dieser Vorrichtung
wird der Kessel mit einem leichten hoͤlzernen Dekel versehen, zum gelinden
Kochen gebracht, und die Garne 3 bis 4 Stunden im Kochen erhalten.
Zweite Operation.
Die mit milder Kalilauge impraͤgnirten, moͤglichst stark ausgepreßten
Garne werden auf Stangen oder einer Art Haspel nebeneinander gereiht, und der
Chlorapparat, der die Form eines Fasses hat, damit vollgehaͤngt. Die
Thuͤr des Fasses wird nach dieser Vorrichtung geschlossen, die Fugen gut
lutirt, und Chlorgas eingeleitet. Fuͤr 115 bis 120 Pfd. Garn werden zur
benoͤthigten Menge Chlorgas eine Zusammensezung von 3 1/2 bis 4 Pfd.
Braunstein mit 10 Pfd. Salzsaͤure, oder 3 1/2 Pfd. Braunstein mit 8 Pfd.
Kochsalz, 5 Pfd. Schwefelsaͤure mit 5 Pfd. Wasser gemischt ausreichen, so
viel Chlor in Gasgestalt zu entwikeln, als zum Bleichen erforderlich wird. Es
laͤßt sich uͤbrigens bei den Zusammensezungen das Verhaͤltniß
des Chlorgases leicht ermitteln, ob mehr oder weniger desselben der Groͤße
des Gefaͤßes und der Quantitaͤt des Garnes entsprechend erforderlich
wird, indem nicht mehr Gas noͤthig ist, als gerade zur vollkommenen Saͤttigung des Kalis und Entfaͤrben des Garnes
erforderlich ist. Chlorgas im Uebermaaße eingeleitet, so daß dasselbe nicht
absorbirt werden kann, wirkt hoͤchst nachteilig, indem die Textur des Fadens
angegriffen wird und die Dauerhaftigkeit desselben leidet.
Wenn das Faß nach Beendigung der Chlorentwikelung geoͤffnet wird, so erscheint
das Garn weißlich strohgelb und der Geruch, bei Oeffnung
des Fasses muß dem des Borsdorfer Apfels gleichen. Ist dieses hingegen nicht der
Fall, und uͤberschuͤssiges Chlorgas im Fasse vorhanden, so
aͤndert man das Verhaͤltniß, indem die Quantitaͤt desselben, in
einem geringeren Zusammensaze der Quantitaͤt Waare entsprechend, angewendet
wird.
Im Anfange der Chlorentwikelung wird der unten am Bleichfasse angebrachte Hahn so
lange offen gelassen, bis an der Ausmuͤndung desselben Chlorgas entweicht,
wonach derselbe geschlossen wird.
Dieses Oeffnen geschieht aus der Absicht, damit sich das schwere Chlorgas bis auf den
Boden des Fasses gleichfoͤrmig verbreitet.
Das Faß, in welchem die Behandlung der Garne im Chlorgase vorgenommen wird, muß von
der Groͤße seyn, daß zwei Reiben Garne bequem
darin aufgehaͤngt werden koͤnnen. Es geschieht dieses auf einer Art
Haspel. Die Thuͤr des Fasses, welche mit einer Glasscheibe versehen ist, um
den Fortgang im Bleichen beobachten zu koͤnnen, wird mit Papier, das mit
Mehlkleister (Roggenmehl, mit kaltem Wasser angeruͤhrt) bestrichen wird,
verklebt.
Durch das Impraͤgniren der Garne mit milder alkalischer Lauge bewirkt man, daß
das Chlorgas nicht zerstoͤrend auf die Textur des Fadens einwirken kann, und
jezeitig in Disposition gesezt wird, eine gleiche Anziehung zum Chlorgas
hervorzubringen. Je staͤrker das Garn ausgepreßt wird, je
gleichfoͤrmiger erfolgt die Aufnahme (Absorption) des Chlorgases, und um so
weniger Chlorgas wird beim Bleichen erforderlich, weil weniger Bindungsmittel
(Basis) vorhanden ist, um Chlorkali zu bilden; es verbindet sich naͤmlich das
Chlor mit dem anhaͤngenden Kali zum Chlorkali, waͤhrend die
Progression der Verbindung die Entfaͤrbung des Garnes theilweise bedingt,
anderen Theils der Proceß des Bleichens durch das gebildete Chlorkali vollendet
wird.
Dritte und vierte Operation.
Das aus dem Chlorfasse herausgenommene Garn von weißlich strohgelber Falbe wird am
Flusse straͤhnweise gewaschen, gut ausgewunden, nachher in einer 2°
starken Potaschenlauge, wie das erstemal, jedoch nur 2 bis 3 Stunden lang
ausgekocht, unausgewaschen mit der anhaͤngenden
Potaschenlauge ausgewunden, moͤglichst stark ausgepreßt, und der Wirkung des
Chlorgases im Fasse abermals so lange ausgesezt, bis die Entwikelung desselben
vollendet ist. Es ist auch hier noͤthig, die Quantitaͤt des Chlors im
Verhaͤltnisse zur angegebenen Menge Garn zu ermitteln, nach welcher das
Verhaͤltniß bei gleichem Materiale in der Anwendung fuͤr immer
festgestellt werden kann.
Das Garn erscheint nach der zweiten Chlorpassage bei einem Geruche nach Borsdorfer
Aepfeln vollkommen weiß gebleicht. Es wird jezt gut
gewaschen und in freier Luft abgetroknet. Sollte einer oder der andere der
Garnstraͤhne nicht blendend weiß erscheinen, so reicht man noch eine schwache
Kalimaceration, windet aus, preßt gut und unterwirft das Garn einer im
Verhaͤltnisse angemessenen Chlorgaseinstroͤmung. Bei dieser Methode,
leinen Garn zu bleichen, verdienen nachstehende Punkte eine ganz besondere
Beruͤksichtigung.
1) Wenn der laͤnglich vierekige Laugenkessel mit den garnirten Garnstangen beschikt ist, gießt
man erst die alkalische Lauge hinzu. Der Laugenkessel muß mit einem ziemlich
breiten, nach Innen etwas abschuͤssigen Bord versehen seyn. Auf den Kessel
wird ein leichter Dekel von Holz gestellt, Feuer gereicht und das Kochen bei
gleichfoͤrmiger Temperatur unterhalten. Der hoͤlzerne Dekel von
muldenartiger Form hat in seiner Mitte eine große Oeffnung, wodurch verhindert wird,
daß die im Kessel befindliche Lauge nicht in die Hoͤhe steigt, und im
bestaͤndigen ununterbrochenen Kochen erhalten wird. Durch diese Vorrichtung
bleibt die Hize in dem Kessel concentrirter beisammen, und es werden durch das
Aufwallen der Fluͤssigkeit alle Theile des Garnes gleichfoͤrmig
durchdrungen.
2) Die hoͤlzerne Presse zum Auspressen der mit alkalischer Lauge
getraͤnkten Garne ist von solcher Construction, daß die abfließende Lauge
gesammelt und dem Garne die moͤglichste Pressung gegeben werden kann. Dieses
muß nach dem Auspressen sich in einem Zustande befinden, daß es sich fast troken
anfuͤhlen laͤßt, denn je staͤrker und gepreßter es der
Einwirkung des Chlorgases uͤbergeben wird, um so schneller und
schoͤner weiß erscheint es nach den zwei
vorgeschriebenen Behandlungsarten im Chlorgase.
3) Bei der Behandlung im Chlorfasse ist insbesondere darauf zu sehen, daß fuͤr
eine bestimmt angenommene Quantitaͤt Garn (etwa 115 bis 120 Pfd.) die Menge
der zur Entwikelung des Chlors benoͤthigten Materialien ganz genau ermittelt
werde, damit weder zu wenig, noch zu viel Chlorgas in das Bleichfaß
uͤbergefuͤhrt wird. Es laͤßt sich durch einige Versuche das
Normalverhaͤltniß fuͤr immer aufs Genaueste ermitteln, wenn stets
gleiche Sorten Braunstein, Schwefel- und Salzsaͤure angewendet
werden.
4) Wird dem Garne zu wenig Chlorgas in dem Bleichfasse dargeboten, so erfolgt das
Bleichen gering und unvollstaͤndig, wogegen ein Ueberschuß desselben leicht
nachtheilig auf die Textur des Fadens einwirken kann. Das sicherste Zeichen einer
gelungenen Behandlung im Chlorfasse wird stets dieses bleiben, wenn das nach
Beendigung der Chloroperation aus demselben herausgenommene Garn einen Geruch,
gleich dem der Borsdorfer Aepfel, Verbreiter.
5) Sowohl Garn als Zwirn, welche nach dieser Methode gebleicht werden, behalten ihren
kernigen Faden bei; derselbe wird uͤberhaupt
viel weniger angegriffen, als durch die gewoͤhnliche Luft- oder
Rasenbleiche, oder Bleichen auf andere Weise mit Chlor, oder Chlorverbindungen.
6) Unterzieht man rohes Leinengarn der ersten und zweiten Operation dieser Methode,
so daß dessen Farbe weißlich strohgelb erscheint, und
verarbeitet es in diesem Zustande auf dem Webestuhle, so lassen sich dergleichen
leinene Gewebe viel leichter und schneller bleichen, als andere, bei welchen das
Garn in den Garnsiedereien fuͤr das Schlichten und Weben verarbeitet wird.
Beim nachherigen Bleichen solcher Leinwande wird jedoch der Fermentationsproceß, der
anhaͤngenden Mehlschlichte wegen, ebenfalls nothwendig; allein das Bleichen
gegen gewoͤhnliche Leinwand um vieles erleichtert. Ein Surrogiren dieser Art
statt des Garnsiedens erscheint in der Weberei, und namentlich im Bleichen, von
hoher Wichtigkeit.
7) Es ist nicht zu verkennen, daß sich in der Papierfabrication das mit Kali
impraͤgnirte und scharf ausgepreßte Papiergut (Papierzeug) ebenfalls nach
dieser Methode vortheilhaft, schnell und schoͤn weiß bleichen laͤßt.
Das gebleichte Papierzeug muß, wenn es aus dem Chlorfasse kommt, ebenfalls einen
Geruch nach Borsdorfer Aepfeln besizen.
8) Es versteht sich uͤbrigens von selbst, daß alles Eisenwerk bei den hiezu
benoͤthigten Gefaͤßen recht gut mit Firniß uͤberzogen werde, um
Rostfleke zu verhindern.