Titel: | Ueber die Wirkung der verdünnten Säuren auf den Zuker; von Malaguti. |
Fundstelle: | Band 59, Jahrgang 1836, Nr. VIII., S. 63 |
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VIII.
Ueber die Wirkung der verduͤnnten
Saͤuren auf den Zuker; von Malaguti.
Im Auszuge aus den Annales de Chimie et de Phisique, Aug.
1835, S. 407.
Malaguti, uͤber die Wirkung der verduͤnnten
Saͤuren auf den Zuker.
Die Wirkung der Saͤuren auf den Zuker wurde nie unter einem allgemeinen
Gesichtspunkt studirt. In den Lehrbuͤchern der Chemie wird nur die theilweise
Wirkung einiger Saͤuren angefuͤhrt, z.B. daß Salpetersaͤure den
Zuker in Kleesaͤure verwandelt; daß verduͤnnte Schwefelsaͤure
in der Kaͤlte den Rohrzuker in Traubenzuker umaͤndert; daß
Salzsaͤure und Schwefelsaͤure in der Waͤrme den Rohrzuker
zersezen und Humussaͤure erzeugen; daß die Arseniksaͤure eine
Zukeraufloͤsung zuerst roth und dann braun faͤrbt; endlich, daß einige
organische Saͤuren bei ihrer Einwirkung auf den Zuker ihm die Eigenschaft zu
krystallisiren benehmen.
Ich beabsichtige in diesem Aufsaz zu beweisen, daß im Allgemeinen die
verduͤnnten Saͤuren bei einer Temperatur, die 95º C. nicht
uͤberschreitet, den Rohrzuker bei Gegenwart von Luft immer in
Humussaͤure (Ulmin) und Ameisensaͤure, bei abgeschlossener Luft aber
bloß in Humussaͤure umaͤndern.
Ich brachte in einen Kolben 4 Gramm concentrirte Salpetersaͤure und eine
Aufloͤsung von 50 Gramm Zuker in 150 Gr. destillirten Wassers; in den Hals
des Kolbens wurde eine im Zigzag gebogene senkrechte Roͤhre gestekt, so daß
die verdampfte Fluͤssigkeit sich in derselben verdichten und wieder in den
Kolben zuruͤkfallen konnte. Nach 15stuͤndigem Kochen hatte sich die
Aufloͤsung dunkelroth gefaͤrbt und es war darin eine schwaͤrzliche
Substanz suspendirt, die bei zuruͤkgeworfenem Lichte betrachtet, zum Theil in
kleinen spiegelnden Schuppen, theilweise aber auch matt und pulverig erschien. Das
Kochen wurde 80 Stunden lang fortgesezt. Die Aufloͤsung war sehr dunkelroth,
besaß den Ameisengeruch und enthielt einen reichlichen schwaͤrzlichen
Niederschlag, den ich abfiltrirte. Die Fluͤssigkeit lieferte dann bei der
Destillation Ameisensaͤure. Der Niederschlag loͤste sich in Ammoniak
zum Theil wieder auf; der aufloͤsliche Theil besaß alle Eigenschaften der
Humussaͤure, der unaufloͤsliche aber bot keine auffallende dar. Ich
werde im Folgenden die in Ammoniak unaufloͤsliche schwarze Substanz der
Kuͤrze wegen Humus nennen.
Schwefelsaͤure, Salzsaͤure, Phosphorsaͤure,
Arseniksaͤure, Kleesaͤure, Weinsteinsaͤure,
Traubensaͤure und Citronensaͤure lieferten dasselbe Resultat wie die
Salpetersaͤure; nur muß man von den schwaͤcheren Saͤuren eine
groͤßere Quantitaͤt anwenden.
Mittelst Schwefelsaͤure und Salzsaͤure uͤberzeugte ich mich, daß
die Saͤuren sich nach dem Versuche vollstaͤndig in der
Aufloͤsung befinden. Ich kochte naͤmlich zwei Aufloͤsungen von
50 Gr. Zuker in 150 Gr. Wasser 60 Stunden lang im Marienbade; die eine dieser
Aufloͤsungen enthielt 2,659 Gr. wasserfreie Schwefelsaͤure, die andere
2,072 Gr. wasserfreie Salzsaͤure. Nach dem Abfiltriren des schwarzen
Niederschlags wurde die Aufloͤsung, welche die Salzsaͤure enthielt,
mit salpetersaurem Silber, die andere mit salpetersaurem Baryt gefaͤllt und
die beiden Niederschlaͤge zuerst mit verduͤnnter Salpetersaͤure
und dann mit siedendem Wasser ausgesuͤßt. Das Chlorsilber entsprach 1,997 Gr.
Salzsaͤure und der schwefelsaure Baryt enthielt 2,587 Gr.
Schwefelsaͤure. Der Unterschied ist so gering, daß er in die unvermeidlichen
Versuchsfehler faͤllt.
Aus diesem Versuche folgere ich nun, daß alle Saͤuren unter diesen
Umstaͤnden gleich und bloß durch ihre materielle Gegenwart wirken. Da nun die
Saͤuren unzersezt bleiben, so muß entweder die Luft oder das Wasser zur
Verwandlung des Zukers in Humussaͤure und Ameisensaͤure beitragen, und
zwar bei seiner Verwandlung in Humussaͤure nur das Wasser, weil der Zuker und
die Humussaͤure bloß im Wassergehalt von einander abweichen, wie dieß
folgende Gleichung zeigt:
Zuker.
Humussaͤure.
Wasser.
C¹²H²²O¹¹
= C¹²H¹²O⁶ +
5 (OH²)
bei der Verwandlung des Zukers in Ameisensaͤure hingegen die Luft, weil, wie
folgende Gleichung zeigt, hiebei eine Oxydation Statt findet:
Zuker.
Ameisensaͤure.
Wasser.
(C¹²H²²O¹¹) + O¹²
=
6 (C²H²O³)
+ 5
(OH²)
Dieß wird auch durch folgenden Versuch bewiesen. Ich richtete meinen Apparat so ein,
daß die angesaͤuerte Zukeraufloͤsung in dem Kolben immer mit einer
Atmosphaͤre von Kohlensaͤure in Beruͤhrung war. Nach
15stuͤndigem Kochen hatte sich Humussaͤure und Humus abgesezt und nach
30stuͤndigem konnte man in der Fluͤssigkeit mit Reagentien noch keine
Ameisensaͤure entdeken, waͤhrend, wenn die Zukeraufloͤsung mit
atmosphaͤrischer Luft in Beruͤhrung ist, die Ameisensaͤure
schon einige Stunden nach der Humussaͤure erscheint.
Ich hatte nun bloß noch die chemische Zusammensezung des Humus zu bestimmen, und
auszumitteln, ob kein anderes Product meiner Beobachtung entgangen war. Da es sehr
schwer ist, den Humus ganz von dem Ammoniak zu befreien, welches zu seiner Trennung
von der Humussaͤure angewandt wurde, so schied ich diese beiden
Koͤrper mit Aezkali von einander, und suͤßte dann den Humus zuerst mit
reinem Wasser, hierauf mit solchem das mit etwas Schwefelsaͤure versezt war,
und zulezt nochmals mit reinem Wasser aus, Drei Analysen desselben mit Kupferoxyd
gaben im Mittel:
Wasserstoff
4,72
Kohlenstoff
57,39
Sauerstoff
37,89
––––––
100,00
und seine Formel wird daher H²C²O¹. Ich werde spaͤter noch ein Mal auf diese Substanz,
welche mit der Humussaͤure gleiche Zusammensezung hat,
zuruͤkkommen.
Ich suchte vergebens mit Reagentien irgend ein anderes Product außer den bereits
angefuͤhrten, in der gekochten Fluͤssigkeit zu entdeken und stellte
uͤberdieß noch einen entscheidenden Versuch an. Alles was naͤmlich
weder Ameisensaͤure, noch Humussaͤure, noch Humus war, mußte
modificirter, und wenn auch unkrystallisirbarer, doch noch immer gaͤhrbarer
Zuker seyn. Die Quantitaͤt, welche davon nach langem Kochen in
ungesaͤuertem Wasser zuruͤkbleibt, ließ sich durch die
Kohlensaͤure, welche er bei der Gaͤhrung liefert, bestimmen. Auf diese
Art konnte ich also nicht nur die relative Menge der bekannten Producte ausmitteln,
sondern auch einen Fingerzeig erhalten, ob noch irgend eine andere Substanz
vorhanden ist oder nicht.
Eine Aufloͤsung von 40 Gramm Candiszuker und 2 Gr. wasserfreier
Schwefelsaͤure in 120 Gr., destillirten Wassers wurde in einen Kolben
gebracht und der Apparat so eingerichtet, daß die Daͤmpfe verdichtet wurden,
und dann wieder in den Kolben gelangten. Nach 84stuͤndigem Kochen erhielt ich
durch Filtriren eine sehr betraͤchtliche Menge Humus und Humussaͤure.
Die filtrirte Aufloͤsung versezte ich mit einem Ueberschuß von kohlensaurem
Baryt (in breifoͤrmigem Zustande), worauf ich mit verduͤnnter
Schwefelsaͤure allen Baryt aus dem ameisensauren Baryt niederschlug, den
geringsten Ueberschuß von Schwefelsaͤure vermeidend. Da nun außer der
Ameisensaͤure keine andere Saͤure mehr auf den Zuker wirken konnte, so
destillirte ich die Fluͤssigkeit, bis sowohl das Destillat als der
Ruͤkstand nicht mehr sauer reagirte. Die destillirte Fluͤssigkeit
wurde mit concentrirtem kohlensaurem Natron gesaͤttigt und mit einer
Aufloͤsung von Queksilberchlorid gekocht. Die Kohlensaͤure, welche
sich hiebei entband, wurde durch eine ammoniakalische Aufloͤsung von
Chlorbarium geleitet und so 23,724 Gr. kohlensaurer Baryt erhalten, die 1,470 Gr.
Kohlenstoff und 4,473 Gr. wasserfreier Ameisensaͤure entsprechen.
Die Haͤlfte des Ruͤkstandes von der Destillation, worin sich der Zuker
befand, ließ man gaͤhren und die dabei entbundene Kohlensaͤure
entsprach nach der Berechnung 9,362 Candiszuker, was mit 2 multiplicirt, 18,724
gibt.
Der auf einem Filter gesammelte, aus Humus und Humussaͤure bestehende
schwaͤrzliche Saz wurde bei + 110º C. ausgetroknet (da 100°
nicht hinreichen, um alles hygroskopische Wasser auszutreiben; er wog 13,011 Gr.,
die 7,499 Kohlenstoff entsprechen.
Es sind nun 21,276 Gr. Candiszuker von den zum Versuche angewandten 40 Gr. in den
erhaltenen Quantitaͤten von Ameisensaͤure, Humussaͤure und
Humus aufzusuchen. Ich will zuerst den Kohlenstoff dieser drei Producte bestimmen
und ihn dann mit dem des verschwundenen Zukers vergleichen.
4,473 Gr.
Ameisensaͤure
= Kohlenstoff
1,470
13,011 Gr. Humussaͤure und
Humus
=
„
7,499
–––––
8,969
–––––
21,276 Gr. Candiszuker
= Kohlenstoff
9,058
Da die Humussaͤure etwas aufloͤslich ist und so viele Manipulationen
bei diesem Verfahren noͤthig waren, so ist die Differenz von keinem Belang.
Durch diesen Versuch ist es erwiesen, daß nach langedauernder Einwirkung der
verduͤnnten Saͤuren auf den Zuker alles was nicht
Ameisensaͤure, Humussaͤure oder Humus ist, durchaus in Zuker
besteht.
Aus diesen Thatsachen laͤßt sich nun leicht die Theorie der Reaction der
verduͤnnten Saͤuren auf den Zuker ableiten. Vor Allem muß ich aber
bemerken, daß die Saͤuren eigentlich nicht auf den Rohrzuker, sondern auf den
aus ihm entstandenen Traubenzuker wirken. Die Reaction stellt sich naͤmlich
erst nach 15 bis 20 Stunden ein und gerade nach 15–20stuͤndigem Kochen
faͤngt der Rohrzuker an, sich zu veraͤndern und in unkrystallisirbaren
und Traubenzuker uͤberzugehen. Diese Thatsache wurde vor drei Jahren von Pelouze
und mir beobachtet; es
gelang uns durch sehr langes Kochen in Wasser eine gewisse Menge Rohrzuker in sehr
gut krystallisirten Traubenzuker und in unkrystallisirbaren Zuker zu verwandeln.
Bedenkt man nun, daß zur Wirkung des Wassers auch noch die einer obgleich schwachen
Saͤure hinzukommt, so darf man wohl annehmen, daß nach so langem Kochen der
Rohrzuker anfaͤngt sich in Traubenzuker zu verwandeln. Ich habe auch bemerkt,
daß sich in den ersten Tagen weniger Humus und Humussaͤure absezt, als in den
folgenden, woraus hervorgeht, daß die Saͤure um so wirksamer seyn kann, je
mehr Traubenzuker vorhanden ist. Die Gegenwart der Ameisensaͤure muß
ebenfalls auf die schnellere Verwandlung des Rohrzukers in Traubenzuker oder dieses
lezteren in Humussaͤure und Humus von Einfluß seyn. Die Saͤuren
bewirken also beim Kochen zuerst, daß sich Wasser mit dem Rohrzuker verbindet, so
daß Traubenzuker entsteht, dann aber entziehen sie ihm Wasser und man hat
Humussaͤure. Nichts beweist endlich besser, daß die Saͤuren auf den
Traubenzuker und nicht auf den Rohrzuker wirken, als das Verhalten einer
Aufloͤsung von Traubenzuker beim Kochen mit einer geringen Menge
Saͤure: nach sehr kurzer Zeit sezt sich Humus und Humussaͤure ab.
Die erhaltenen Producte entsprechen genau folgender Gleichung:
Traubenzuker.
3 (C¹²H²⁸O¹⁴) +
6 O =
1 (C³⁰H³⁰O¹⁵) 3 (C² H² O¹ )
24 ( H²
O )
= Humussaͤure. = Ameisensaͤure.
= Wasser.
Die 13,011 Humussaͤure und Humus verhalten sich naͤmlich zu 4,473
Ameisensaͤure, wie ein Atom der ersteren zu drei Atomen der lezteren.
Man muß also annehmen, daß die verduͤnnten Saͤuren alle auf gleiche Art
auf den Rohrzuker wirken, naͤmlich ihn zuerst in Traubenzuker, dann in
Humussaͤure und (bei Zutritt von Luft) in Ameisensaͤure verwandeln.
Ich vermuthe, daß die schwachen Saͤuren auf dieselbe Art auch auf Gummi und
Staͤrkmehl wirken. Das Gummi wird nach den Versuchen von Biot und Persoz durch
Einwirkung schwacher Saͤuren in gaͤhrbaren Zuker verwandelt und das
Staͤrkmehl kann bekanntlich durch bloßes Wasser in Traubenzuker verwandelt
werden.
Sehr schwache Saͤuren uͤben auf den Rohrzuker sogar schon in der
Kaͤlte eine aͤhnliche Wirkung aus. Eine schwach gesaͤuerte
Zukeraufloͤsung, welche gekocht worden war, wurde durch doppeltes Papier
filtrirt, mit Wasser verduͤnnt und auf der gewoͤhnlichen Temperatur
erhalten. Nach laͤngerer Zeit entstand darin ein Niederschlag von
Humussaͤure ohne Humus, welche kleine, in Alkalien vollkommen
aufloͤsliche Schuppen bildete, und die Fluͤssigkeit enthielt
Ameisensaͤure.
Ich will hier eine Beobachtung mittheilen, die bisher den Chemikern entging und
welche uns erklaͤrt, warum bei der Einwirkung der Saͤuren auf den
Zuker bei hoher Temperatur Ulmin entsteht, bei gewoͤhnlicher Temperatur aber
nicht; sie zeigt auch, warum ich den Humus immer fuͤr eine gleiche Menge
Humussaͤure gerechnet habe.
Wenn man vorlaͤufig ausgetroknete Humussaͤure im Marienbade sehr lange
mit Wasser kocht, so wird sie endlich in den Alkalien unaufloͤslich. War die
Humussaͤure nicht ausgetroknet worden, so wird sie nach mehrstuͤndigem
Kochen ebenfalls in den Alkalien unaufloͤslich. War die Humussaͤure
vor dem Kochen in Schuppen krystallisirt, so wird sie nach dem Kochen pulverig.
Diese unaufloͤsliche Humussaͤure, welche ich Humus nannte, hat aber
dieselbe Zusammensezung wie die gewoͤhnliche.
Polydor Boullay hat eine Analyse der Humussaͤure
und eine Bestimmung ihrer Saͤttigungscapacitaͤt bekannt gemacht,
welche beide in Zweifel gezogen wurden; ich benuzte die guͤnstigen
Umstaͤnde, seine Versuche zu wiederholen. Die Humussaͤure, welche ich
zur Analyse sowohl als zur Bestimmung der Saͤttigungscapacitaͤt
anwandte, war in Schuppen krystallisirt und wurde erhalten, indem man eine vorher
mit Saͤure gekochte Zukeraufloͤsung in der Kaͤlte stehen ließ.
Sie war in Alkalien vollkommen aufloͤslich und hinterließ beim Verbrennen
nicht den geringsten Ruͤkstand. Nachdem sie in einem Strom trokener Luft bei
110º C. ausgetroknet worden war, gab sie im Mittel aus drei Analysen:
Atome.
Wasserstoff
4,76
H²
Kohlenstoff
57,48
C²
Sauerstoff
37,76
O¹
0,408 humussaures Silber hinterließen beim Verbrennen 0,100
metallisches Silber. Die Saͤttigungscapacitaͤt der in Schuppen
krystallisirten, aus Zuker erhaltenen Humussaͤure ist also 2,510, d.h. 1/15
ihres Sauerstoffgehalts.
Um auf eine wohlfeile und schnelle Weise Humussaͤure zu erhalten, kocht man 10
Theile Zuker mit 30 Theilen Wasser und 1 Th. concentrirter Schwefelsaͤure.
Nach ungefaͤhr drei Viertelstunden bildet sich auf der Oberflaͤche der
Fluͤssigkeit ein Schaum, den man mit einem Schaumloͤffel wegnimmt; in
einigen Minuten bildet sich neuerdings einer, den man ebenfalls wegnimmt und so
fort. Dieser Schaum besteht aus Humussaͤure mit sehr wenig Humus, die man
durch Ammoniak von einander trennt. Von Zeit zu Zeit muß man Wasser zugießen, um das
verdampfte zu ersezen.