Titel: | Einiges über die neue Race der Cachemere-Angora-Ziegen. Von Hrn. William E. Riley. |
Fundstelle: | Band 49, Jahrgang 1833, Nr. LIX., S. 309 |
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LIX.
Einiges uͤber die neue Race der
Cachemere-Angora-Ziegen. Von Hrn. William E. Riley.
Aus den Transactions der Society of
Arts im Repertory of Patent-Inventions. Julius 1833, S.
26.
Riley, uͤber die neue Race der
Cachemere-Angora-Ziegen.
Nach einem mehrjaͤhrigen Aufenthalte in Neu-Suͤd-Wallis,
und nachdem er bereits in den Jahren 1825 und 1828 zwei Heerden der feinsten
saͤchsischen Schafe, welche man in Deutschland auftreiben konnte, dahin
versezt hatte, faßte mein Vater den Entschluß, auch die Zucht der beruͤhmten
Cachemere-Ziege in jenen Gegenden einzufuͤhren, indem er
uͤberzeugt war, daß hieraus nicht nur fuͤr ihn selbst, sondern
fuͤr das Wohl der ganzen Colonie ein wesentlicher Vortheil und Nuzen
erwachsen wuͤrde. Zu diesem Entschluͤsse ermunterte ihn
hauptsaͤchlich das treffliche Gedeihen der saͤchsischen Schafe in dem
guͤnstigen Clima von Neu-Suͤd-Wallis, ein Gedeihen,
welches so anerkannt ist, daß die ausgezeichnetsten englischen Fabrikanten bereits
jezt schon die Wollen von Neu-Suͤd-Wallis und auch jene von
Van-Diemens-Land bei gleichem Preise, allen uͤbrigen Wollen
vorziehen.
Ich richtete daher in dieser Absicht auf einer landwirthschaftlichen Reise, die ich
auf den Continent machte, meine Aufmerksamkeit vorzuͤglich auf die
Cachemere-Heerden des Hrn. Ternaux, und besuchte diesen ausgezeichneten Mann im October 1828
auf seinem Landsize zu St. Ouen, wo sich die Elite seiner Heerden befand. Die
Thiere, welche ich hier sah, waren von verschiedener Groͤße und ihre Farbe
wechselte vom vollkommen Weißen bis zum Schwarzen, so daß sich keine Charactere
einer und derselben Race zeigten.
Alle diese Ziegen trugen langes grobes Haar, und unter diesem war eine so geringe
Menge einer kurzen weichen Floke verborgen, daß eine Ziege im Durchschnitt nicht
mehr als 3 Unzen gab. Unter diesen nicht viel versprechenden Umstaͤnden hielt
es mein Vater daher gerathener, die Absendung einer Cachemere-Heerde nach
Australien noch einige Zeit zu verschieben.
Spaͤter empfahl mir jedoch Vicomte Perrault de
Jotemps die Heerde des Hrn. Polonceau zu Versailles zu besichtigen, indem dieser durch eine
gluͤklich gewaͤhlte Kreuzung eine Race erzeugt habe, deren Floke jene
der Cachemere-Ziege an Menge und Werth uͤber alle Erwartungen
uͤbertreffe. Hr. Polonceau, der wegen seiner großen Vorliebe und seiner gediegenen
Kenntnisse in der Landwirthschaft zum Vorstande der Musterwirthschaft zu Grignon ernannt
worden, hatte sich gleich Anfangs eine Auswahl der urspruͤnglichen, von Hrn.
Ternaux
eingefuͤhrten Cachemere-Ziegen angeschafft. Er sah spaͤter auf
den Guͤtern der Herzogin von Berry einen Angorabok mit ganz seidenartigem
Haare, welches mehr den Charakter einer langen, aͤußerst weichen Floke hatte,
und bat um die Erlaubniß, seine eigenen reinen Cachemere-Ziegen von diesem
schoͤnen Thiere bespringen lassen zu duͤrfen. Die Verbesserung der
Floke, die schon aus dieser ersten Kreuzung erfolgte, war so rasch, daß Hr.
Polonceau auf seinen
Versuchen beharrte. Als ich seine kleine Heerde zum ersten Male sah, befand sich
dieselbe in der dritten Generation, erzeugt durch die Boͤke der ersten
Kreuzung. Da sich Hr. Polonceau jedoch damals weigerte, irgend Jemandem einige Thiere
seiner Heerde abzugeben (er hatte nur dem Koͤnig von Wuͤrtemberg zwei
Maͤnnchen und zwei Weibchen fuͤr die Summe von 3400 Franken
uͤberlassen), so mußte mein Vater seinen Plan bis zu meiner Ruͤkkunft
von den australischen Colonien aufgeben, in der Hoffnung, daß Hr. Polonceau bis dahin seine Heerde
vermehrt haben wuͤrde, und daß die Guͤte dieser Race auch mehr Bestand
gewonnen haben moͤchte.
Als ich im Jahre 1831 nach England zuruͤkkehrte, nahmen wir unseren Plan
wieder auf; ich reiste daher nach Frankreich, um von Hrn. Polonceau, im Falle sich die Erwartungen, zu
denen die Cachemere-Angora-Race berechtigte, bestaͤtigt hatten,
eine kleine Heerde zu erkaufen. Ich fand meine Erwartungen vollkommen
bewaͤhrt, und war nun endlich so gluͤklich, von Hrn. Polonceau zehn traͤchtige
Weibchen und drei Boͤke zu erlangen, die ich gluͤklich nach London
brachte, um sie von hier aus so bald als moͤglich nach Port Jackson zu
schaffen. Von dort aus werde ich sie nach Neu-Suͤd-Wallis
bringen, um sie sich theils unter sich vermehren zu lassen, theils zur Veredlung der
daselbst einheimischen Ziegen zu verwenden. Ich glaube, daß ich lezteren Zwek sicher
erreichen werde, indem Hr. Polonceau, der den Versuch bereits mit der gewoͤhnlichen
franzoͤsischen Ziege anstellte, schon bei der zweiten Kreuzung Thiere
erhielt, die der beruͤhmten Cachemere-Angora-Race nur wenig
nachstanden. Er hat die gewoͤhnliche Ziege auch mit der reinen
Cachemere-Race gekreuzt, erhielt aber dadurch nur eine so langsame Veredlung,
daß 8 bis 10 Generationen noͤthig sind, um eine Floke zu erzielen, welche in
Hinsicht auf Guͤte und Menge der schlechteren Floke der
Cachemere-Angora-Ziegen gleichkommt.
Hr. Polonceau erzeugte die neue
Cachemere-Angora-Race wie gesagt im Jahre 1822 durch Kreuzung der
reinen von Ternaux
und Jaubert eingefuͤhrten Cachemere-Ziegen mit
einem reinen Angoraboke; er ist seither auf der dadurch erzeugten Verbesserung
bestanden, und hat in den verflossenen Jahren erwiesen, daß schon durch die erste
Kreuzung eine vollkommene Vereinigung der Haupteigenschaften der Floke der beiden
Racen, in Hinsicht auf Menge, Laͤnge, Feinheit, Glanz und Weiche erreicht
worden, und zwar ohne daß die Race spaͤter in irgend einer Beziehung wieder
zu den Eigenschaften der urspruͤnglichen Racen zuruͤkgekehrt
waͤre. Er hat daher die aus dieser Kreuzung entsprungene Race
fortwaͤhrend weiter unter sich fortgepflanzt, und dabei nur
sorgfaͤltig darauf gesehen, daß er nur weiße Thiere und solche Boͤke
zur Fortpflanzung waͤhlte, welche die groͤßte Menge feinster Floke und
die geringste Menge von Haaren zeigte.
Gegenwaͤrtig steht die Race in der sechsten Generation; ihre Gesundheit und
Staͤrke, die Bestaͤndigkeit, mit welcher sich ihre Eigenschaften und
Charactere gleich bleiben, ohne irgend eine Entartung zu zeigen, beweisen, daß
dieselbe als eine fest begruͤndete neue Race betrachtet werden kann, die bei
ihrer Fortpflanzung keine weiteren als die gewoͤhnlichen Vorsichtsmaßregeln,
d.h. eine verstaͤndige Auswahl der zur Fortpflanzung bestimmten Individuen,
erfordert. Man kann daher mit allem Recht erwarten, daß die vorzuͤglichen
Eigenschaften dieser Floke sich in einem solchen Clima, wie jenes von
Neu-Suͤd-Wallis ist, eben so sehr heben werden, wie sich die
Wolle der Merinoschafe und jene der saͤchsischen Schafe daselbst
verbesserte.
Hr. Polonceau besizt Ziegen,
die in einem Sommer nicht weniger als 30 Unzen Floke geben; im Durchschnitte gibt
aber, wie er sagt, jedes Individuum feiner Heerde 12 bis 20 Unzen. Vergleicht man
diese Menge mit jener der Floke der reinen Cachemereziege, welche nie uͤber 4
Unzen und gewoͤhnlich nur 2 Unzen gibt, so wird man sich einen Begriff von
den Vortheilen machen koͤnnen, die die neue Race gewaͤhren muß.
Hr. Polonceau behauptet, daß
die Cachemere-Angora-Ziegen staͤrker und leichter zu
naͤhren sind, als die gewoͤhnlichen Ziegen, und daß dieselben minder
eigensinnig und leichter in Heerden zu halten sind. Nach der Erfahrung, welche ich
bereits mit denselben machte, finde ich sie sogar gelehriger, als die Schafe. Die
liebste Nahrung ist ihnen, sowie allen uͤbrigen Ziegenarten, das Laub der
Baͤume; sie naͤhren sich uͤbrigens ebenso von Heu und Stroh,
als von gruͤnem Futter, und finden selbst auf Heiden und an den steilsten
Abhaͤngen, wo sich leine Schafe mehr halten lassen, noch hinreichend
Nahrung.
Fuͤr Kaͤlte sind sie so wenig empfindlich, daß sie (in Frankreich und
England) den ganzen Winter in offenen Schuppen aushalten. Die ersten Paar Jahre
hielt es Hr. Polonceau bei
seinen Versuchen gerathen, seinen Thieren von Zeit zu Zeit aromatische
Kraͤuter zu geben; seit sechs Jahren fand er dieß jedoch nicht mehr
noͤthig. Er weiß bisher keine Krankheit, denen diese Thiere besonders
unterworfen waͤren, wenigstens zeigte sich in seiner Heerde keine solche. Er
trifft die Einrichtung so, daß die Weibchen im Maͤrz werfen; starke Thiere
laͤßt er jedoch zuweilen zwei Mal in einem Jahre belegen.
Die Floke beginnt im September zu wachsen, und faͤhrt bis Ende Maͤrz in
ihrer Entwikelung fort, wo sie dann zu wachsen aufhoͤrt und sich von selbst
abloͤst, ausgenommen, sie wird kuͤnstlich abgenommen. Um dieselbe zu
sammeln, wartet Hr. Polonceau
die Zeit ab, zu welcher sie sich von selbst losloͤst, wo er sie dann alle 3
bis 4 Tage ohne Gewalt mit der Hand ausziehen laͤßt. Im Allgemeinen geht sie
zuerst am Naken und an den Schultern aus, und in den naͤchstfolgenden 4 bis 5
Tagen erst an den uͤbrigen Theilen des Koͤrpers. Das Sammeln der Floke
ist in 8 bis 10 Tagen beendigt; zuweilen kann man sie beinahe mit einem Male und in
Form eines ununterbrochenen Fließes abnehmen. Man kann die Thiere auch mit einem
Male ganz scheren; dieses Scheren hat den Vortheil, daß die einzelnen Faden ihren
Parallelismus beibehalten, und daß folglich das Kaͤmmen und das Zubereiten
der Floke um Vieles leichter wird.Wir koͤnnen nicht umhin, bei dieser Gelegenheit neuerdings wieder in
Anregung zu bringen, wie dringend nothwendig es im Interesse unserer
Landwirtschaft waͤre, auch etwas zur Veredlung unserer Ziegen zu
thun. Man wird nicht leicht eine Gegend finden, die sich mehr zur Zucht der
Cachemere- und Cachemere-Angora-Ziegen eignete, als
dieß bei einem großen Theile unserer Gebirgsgegenden der Fall ist. Leider
kuͤmmert sich aber dieser guͤnstigen Umstaͤnde
ungeachtet bei uns auch gar Niemand um diese Sache; man haͤlt
Ziegenheerden, welche nichts eintragen, als etwas Fleisch, ein Paar Felle
und etwas Ziegenkaͤse, waͤhrend man um dieselben Kosten auch
Ziegenheerden halten koͤnnte, die uns die vortrefflichste Floke von
der Welt liefern wuͤrden. Der Englaͤnder fuͤhrt
saͤchsische Schafe, Merino's und
Cachemere-Angoxa-Boͤke und Ziegen mit großem Risico
nach Neu-Suͤd-Wallis, und wir, die wir gar nichts
riskiren wuͤrden, wir treiben uns mit unseren grobwolligen
Landschafen und unseren stachelhaarigen Ziegen herum, und glauben Alles
gethan zu haben, wenn wir einen Bok geschossen haben! Und am Ende wird es
auch noch unter unseren Staats-Wirthschaftlern genug geben, die uns
weiß machen werden, es sey besser, wenn wir unsere Wolle von
Van-Diemens-Land holen, als wenn wir selbst brauchbare Schafe
bei uns ziehen!A. d. Uebers.