Titel: | Ueber die Anwendung der Dampfwagen zum Transporte von Waaren und von Reisenden auf gewöhnlichen Landstraßen. |
Fundstelle: | Band 49, Jahrgang 1833, Nr. XLVI., S. 244 |
Download: | XML |
XLVI.
Ueber die Anwendung der Dampfwagen zum Transporte
von Waaren und von Reisenden auf gewoͤhnlichen Landstraßen.47)
Ueber Dampfwagen zum Transporte von Waaren und
Reisenden.
Unter dieser Aufschrift enthaͤlt eine der lezten Nummern des Journal du commerce einen Aufsaz, welcher in dem
gegenwaͤrtigen Augenblike, da die moͤglichste Erleichterung der inneren Verbindungen die
allgemeine Aufmerksamkeit auch in Deutschland in Anspruch zu nehmen beginnt, und da
uns von Dampfkutschen auf gewoͤhnlichen Straßen neuerlichst wieder so
wunderbare Kunden zukommen, fuͤr die Leser des polytechnischen Journals nicht
ohne Interesse seyn kann, und von welchem ich daher eine woͤrtliche
Uebersezung, mit eigenen Anmerkungen begleitet, liefern zu duͤrfen
glaube.
––––––––––
„„Die Idee von leichten und eleganten Dampfkutschen, in welchen
Reisende schnell und wohlfeil auf allen unsern Straßen gefuͤhrt weiden
koͤnnen, hat fuͤr das Publikum sehr viel Anziehendes. Den
Actionnaͤren großer Eisenbahn-Unternehmungen und den Ingenieuren,
welche sich mit dem Baue dieser Bahnen beschaͤftigen, will jedoch diese
Neuerung nicht gefallen, weil sie davon eine fuͤr sie gefaͤhrliche
Rivalitaͤt mit den Eisenbahnen zu befuͤrchten scheinen. Wir wollen
sehen, in wie weit die Erwartungen von einer, und die Besorgnisse von der
anderen Seite gegruͤndet sind. Ein Artikel, welcher unlaͤngst in
den Annales des ponts et chaussées erschienen
ist, gibt uns zur Beantwortung dieser Frage einige Belege. Hier die
vorzuͤglichsten in diesem Artikel gelieferten Thatsachen:
„„Die Dampfwagen, welche man gegenwaͤrtig in England auf
gewoͤhnlichen Landstraßen einzufuͤhren sucht, ersteigen mit ihrer
gewoͤhnlichen Ladung die steilsten Anhoͤhen, ohne daß es ihnen an
dem hiezu noͤthigen festen Anhalt oder Eingreifen der Raͤder in
den Boden fehlt. Sie werden nur dann in ihrem Fortschreiten gehemmt, wenn sie
uͤber Anhoͤhen, welche neu beschuͤttet oder bekieset sind,
sich hinauf arbeiten sollen, wo wegen Mangel fester Stuͤzpunkte an den
losen Steinen die Raͤder schleifend sich umdrehen, ohne vorwaͤrts
zu kommen.48) Diese Maschinen bewegen sich mit einer anhaltenden Geschwindigkeit von 3
bis 4 Lieues (3 1/4 bis 4 1/2 bayerische Stundenlaͤngen) in einer Stunde
(wahrscheinlich mit ihrer vollen Ladung) und haben auch schon eine Schnelligkeit
von 12 bis 13 Lieues (13 bis 15 Stundenlangen) in derselben Zeit erreicht
(wahrscheinlich ohne alle Ladung.)49) Eine solche Maschine wiegt beilaͤufig 3 Tonnen (20 Ctr.) und zieht
ungefaͤhr ein gleich großes Gewicht (mit welcher Geschwindigkeit, wird
nicht angegeben).
„„Diese Dampfwagen sind so gebaut, daß ihr Gang keinen besondern
Laͤrmen macht, wodurch die ihnen auf derselben Straße begegnenden Pferde
scheu werden koͤnnten. Die Zerstoͤrung der Straßenbedekung, welche
bei den gewoͤhnlichen Postwagen groͤßten Theils durch die
Einwirkung der Hufe der Pferde verursacht wird, und mit ihrer Geschwindigkeit
zunimmt, waͤhrend die Einwirkung der Raͤder davon
unabhaͤngig ist, wird bei den Dampfwagen, die mit großer Schnelligkeit
sich bewegen, weniger merklich, als bei den von Pferden gezogenen Eilwagen. Die
Gefahr, welche fuͤr die Reisenden vom Bersten einiger Maschinenteile
entstehen koͤnnte, ist keiner Erwaͤhnung werth.50)
„„Was die Oekonomie des Transportes betrifft, glaubt der erste
Erfinder dieser Dampfkutschen, Hr. Gurney selbst, daß fuͤr eine kleinere Geschwindigkeit als
1 1/4 Lieues in einer Stunde die Anwendung der Pferdekraft wohlfeiler als jene
des Dampfes sey.51)
„„Diese Resultate waren zum Theil von Jedem leicht vorauszusehen,
der weiß, welche ungeheuere Lasten von Dampfwagen, deren Gewicht nur 6 bis 7
Tonnen betraͤgt, auf Eisenbahnen fortgeschafft werden koͤnnen, auf
welchen die Adhaͤsion der Nader weit geringer ist, als auf einer
gewoͤhnlichen Straße. Aber, wie der Redacteur der Annales des ponts et chaussées sehr richtig bemerkt, wenn diese
neuen Dampfkutschen auch auf gut unterhaltenen Landstraßen mit Leichtigkeit sich
bewegen, so koͤnnen sie doch uͤber gefrorene oder mit Glatteis
bedekte Anhoͤhen, oder auf neu beschotterten oder schlecht unterhaltenen
und ausgefahrenen Straßen nicht fortkommen.
„„Einige Berechnungen werden beweisen, daß, wenn wir auch die Moͤglichkeit dieser Anwendung von Dampfkraft
auf unsern gewoͤhnlichen Landstraßen zugeben, die oͤkonomischen Vortheile dieser Anwendung noch immer sehr
problematisch bleiben.
„„Wenn eine solche Dampfkutsche 3 Tonnen wiegt, und eine
Gesammtlast von 3 Tonnen nachzuziehen vermag, so muͤssen von diesen
leztern wenigstens 8 Zehntheile fuͤr das Gewicht der Fuhrwerke in Abzug
gebracht werden. Wir haben daher fuͤr das Bruttogewicht, welches die
Maschine in Bewegung sezt, 6 Tonnen, und von diesen 6 Tonnen oder 120 Centnern
nur 2 und 2/10 Tonnen, oder 44 Ctr. nuͤzliche Last oder reine Ladung.
„„Man hat berechnet, daß auf einer Eisenbahn, unter den
guͤnstigsten Umstaͤnden, bei der besten Construction der
fortschaffenden Maschinen und Wagen, in einer Gegend, wo die Steinkohlen
wohlfeil sind, und wo die Ruͤkfracht gesichert ist, der Transport einer
Tonne, Bruttogewicht, auf jede franzoͤsische Meile (Lieue) 6 Centimen
kostet. Da nun auf einer im besten Stande erhaltenen gewoͤhnlichen Straße
der Widerstand der Reibung wenigstens 10 Mal groͤßer als auf einer
Eisenbahn ist,52) so muͤssen die Kosten des Transportes mit den Maschinen des Hrn.
Gurney, unter
denselben Umstaͤnden, wenigstens 10 Mal so viel, also 60 Centimen
fuͤr eine Tonne und eine Meile oder Lieue betragen. Dieß macht
fuͤr 6 Tonnen Brutto 3 Fr. und 60 Cent., und fuͤr eine Tonne
Waaren 3 Fr. 60 Cent. dividirt durch 2 3/10, d.i. 1 Fr. und 65 Cent.
„„Diese lezte Zahl, das Resultat einer fuͤr die Gurney'schen Maschinen sehr guͤnstigen
Voraussezung, welche nur an wenigen Orten realisirt werden duͤrfte, muß
hinreichen, um die Besorgnisse der Unternehmer und Eigenthuͤmer von mit
Pferden gezogenen Fuhrwerken auf gewoͤhnlichen Landstraßen zu heben. In
der That findet man, daß mit der gewoͤhnlichen Geschwindigkeit unserer
schnelleren Frachtwagen (roulage
accélèré), welche Geschwindigkeit in den meisten
Faͤllen hinreicht, die Transportkosten einer Tonne auf die Entfernung
einer Lieue 1 Fr. und 50 Cent, auf unseren gewoͤhnlichen Landstraßen, auf
einer Eisenbahn hingegen nur 10 bis 15 Centimen betragen.53) Dieser lezte Unterschied ist groß genug, um anzunehmen, daß selbst in
Frankreich, wo die chaussirten Straßen ein sehr großes Privilegium vor den
Eisenbahnen haben, weil die Kosten ihrer Anlage und Unterhaltung von der
Regierung bestritten werden, der Ueberschuß der Kosten, welchen die Eisenbahnen
erfordern, in den meisten Faͤllen reichlich verguͤtet werden
duͤrfte.
„„Nun koͤnnte man zwar der Maschine von Gurney, wenn man ihre Geschwindigkeit vermindern
wollte, eine groͤßere Ladung geben, wenigstens bis auf einen gewissen
Grad, uͤber welchen hinaus die Raͤder beim Aufwaͤrtsfahren
nicht mehr in den Grund eingreifen wuͤrden; und es unterliegt keinem
Zweifel, daß hiedurch das Verhaͤltniß der unnuͤzen Last zur
nuzbaren (oder das Brutto- zum Nettogewicht) und folglich auch die Kosten
des Transportes vermindert wuͤrden. Allein dieselbe Verminderung findet
in einem noch hoͤheren und schneller steigenden Verhaͤltnisse bei
der Anwendung von Pferden Statt, welche desto groͤßere Lasten
fortzuziehen vermoͤgen, je langsamer sie sich bewegen duͤrfen;
weßwegen Hr. Gurney selbst
bei einer Geschwindigkeit unter 1 1/4 Lieue (1/5 bayerische
Stundenlaͤnge) der thierischen Kraft den Vorzug einraͤumt.
„„Von den Canaͤlen, welche nur fuͤr den langsamsten
Transport sich eignen, wobei sie allein die Bedingung der groͤßten
Oekonomie erfuͤllen koͤnnen, ist hier nicht die Rede.
„„Wenn wir gegenwaͤrtig nur mit dem Transport von Reisenden
uns beschaͤftigen, so finden wir, daß auf allen Straßenzuͤgen, wo
ein sehr lebhafter Verkehr dieser Art Statt findet, der oͤkonomische Vortheil, bei
gleichen Geschwindigkeiten, immer auf der Seite der Eisenbahnen ist.54) Die Anwendung der Gurney'schen Dampfwagen
wird daher nur auf solche Streiken von gewoͤhnlichen Landstraßen sich
beschranken, auf welchen die Frequenz von Reisenden nicht stark genug ist, um
die Baukosten einer Eisenbahn zu deken. Wenn man indessen die Anzahl der
Reisenden mit der verbesserten, erleichterten und beschleunigten Art von
Transport multiplicirt, so wird das Product, statt die Anlage einer Eisenbahn
unraͤthlich zu machen, in vielen Faͤllen fuͤr dieselbe
guͤnstig sich zeigen, oder wenigstens die Moͤglichkeit ihrer
Ausfuͤhrung darthun.
„„Eine Eisenbahn ist nichts anderes, als eine moͤglichst
vervollkommnete Straße, deren Oberflaͤche so glatt und hart ist, daß der
Zug auf derselben um 9/10 Theile leichter als auf den besten
gewoͤhnlichen Straßen ist. Was immer fuͤr Verbesserungen
uͤbrigens an den fortschaffenden Maschinen vorgenommen werden
koͤnnen, so wird hiedurch an dem Widerstande nichts veraͤndert,
und der verbesserte Motor kann eben so gut auf einer Eisenbahn, wie auf einer
gewoͤhnlichen Straße angewendet werden, mit dem Unterschiede, daß die
hiedurch erhaltene nuzbare Wirkung immer 10 Mal groͤßer auf jener als auf
dieser seyn wird.
„„Endlich bleibt noch ein lezter (und zwar der staͤrkste)
Einwurf gegen die Anwendung der Dampfwagen auf gewoͤhnlichen Straßen. Man
weiß, daß die Unterhaltung dieser Maschinen bei einer schnellen Bewegung auf den
Eisenbahnen ungeheuere Kosten verursacht.55) Auf gewoͤhnlichen Straßen, auf welchen, selbst in ihrem besten Zustande, die
Erschuͤtterungen ungleich haͤufiger und starker sind,
muͤssen diese Kosten alle Berechnung uͤbersteigen. Eine von Hrn.
Gurney selbst gebaute
Maschine ist auf einer neu belichten englischen Chaussee
zerbrochen.““
––––––––––
Es ist fuͤr mich sehr erfreulich, daß mein schon vor vielen Jahren
oͤffentlich ausgesprochenes Urtheil uͤber die
praktisch-oͤkonomische Unausfuͤhrbarkeit der Dampffahrt auf
gewoͤhnlichen Landstraßen im Großen nunmehr auch von einem
franzoͤsischen Sachverstaͤndigen bestaͤtiget wird, dessen
Ansichten uͤber diesen Gegenstand mit den meinigen so gut
uͤbereinstimmen, daß einzelne Stellen des vorliegenden, aus dem sehr
gediegenen Journal des ponts et chaussées
entnommen, Aufsazes fast einer woͤrtlichen Abschrift meiner im ersten
Maihefte des polytechnischen Journals vom gegenwaͤrtigen Jahre enthaltenen
nachtraͤglichen Bemerkungen uͤber den
gegenwaͤrtigen Zustand und die kuͤnftigen Aussichten der
Dampfwagen, insbesondere auf gewoͤhnlichen Straßen, gleichen. Wir
koͤnnen uns nunmehr der Hoffnung uͤberlassen, daß diese neue, oder
vielmehr alte, seit einigen Jahren wieder mit erneuerter Hize aufgeregte, Manier
auch in England bald ihr Ende erreichen werde, wenn nur erst noch eine halbe Million
Pfund Sterling auf fruchtlose Versuche verschwendet seyn wird, einige Unternehmer
und Aktiengesellschaften sich daruͤber zu Grunde gerichtet, und einige
Liebhaber der Landstraßen-Dampffahrt ihre Haͤlse werden gebrochen
haben. Auf alle Faͤlle sind wir wenigstens in unserem nuͤchternen
Deutschland gegen eine Anstekung dieses Schwindels gesichert, wo es schwerlich
Jemanden in den Sinn kommen wird, Reisende und Waaren mit ungeheueren Kosten,
Unbequemlichkeiten und Gefahren auf schlechten Landstraßen transportiren zu wollen,
um die Anlage von Eisenbahnen zu ersparen, auf welchen derselbe Transport 10 Mal
wohlfeiler, und dabei um Vieles schneller, sicherer und bequemer bewirkt werden
kann.56)
Muͤnchen, den 22. Julius 1833.
Joseph Ritter v. Baader.