Titel: | Nachträgliche Bemerkungen zu dem Aufsaze: „Ueber den gegenwärtigen Zustand und die künftigen Aussichten der Dampfwagen, insbesondere auf gewöhnlichen Straßen.“ Von Ritter Joseph v. Baader. |
Autor: | Honorar-Prof. Dr. Joseph Baader [GND] |
Fundstelle: | Band 48, Jahrgang 1833, Nr. XXIX., S. 168 |
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XXIX.
Nachtraͤgliche
Bemerkungen zu dem Aufsaze: „Ueber den
gegenwaͤrtigen Zustand und die kuͤnftigen
Aussichten der Dampfwagen, insbesondere auf gewoͤhnlichen
Straßen.“ Von Ritter Joseph v. Baader.
(Polytechnisches Journal, Bd. XLVIII. S.
1.)
Baader, uͤber den Zustand der
Dampfwagen.
Der Gedanke, die Kraft des Wasserdampfes statt der Pferde zum
Forttreiben von Raͤder-Fuhrwerken zu benuzen,
entstand in England schon vor mehr als 70 Jahren; und da zu
jener Zeit die Bauart der Eisenbahnen noch sehr unvollkommen,
und ihre Anwendung nur auf sehr kurze Streken und auf den
Transport von Steinkohlen allein beschrankt war; da noch Niemand
an die Moͤglichkeit dachte, diese Bahnen als ein
allgemeines inneres Communicationsmittel zu gebrauchen, so
koͤnnte damals natuͤrlicher Weise nur von
Dampfwagen auf gewoͤhnlichen Landstraßen die Rede seyn.
Schon im Jahre 1759 machte Dr.
Robison zu Glasgow (nachher Professor der Naturlehre
an der Universitaͤt zu Edinburgh), ein Jugendfreund des
großen James Watt, und dessen
Mitarbeiter an der Vervollkommnung der Dampfmaschine, den ersten
Vorschlag zu dieser neuen Anwendung der Dampfkraft.
„Im Jahre 1772 beschaͤftigte sich ein
sinnreicher Mechaniker in Nordamerika, Oliver Evans, mit derselben Idee, und
erfand eine solche fortschaffende Maschine, auf welche er
dort 1787 ein Patent erhielt. Im Jahre 1784 nahm Watt selbst zu Birmingham ein
Patent auf die Anwendung der Dampfmaschinen zum Forttreiben
von Raͤder-Fuhrwerken, wovon er indessen,
durch mehrere mißlungene Versuche belehrt, keinen Gebrauch
machte. Im Jahre 1802 erhielt ein geschikter Ingenieur in
Cornwall, Richard Trevithick, in
Verbindung mit Andrew Vivian, ein
Patent auf einen von ihm neuerfundenen, durch eine
Hochdrukmaschine betriebenen Dampfwagen, mit dem er im
suͤdlichen Wales verschiedene Versuche anstellte,
durch welche zuerst die Moͤglichkeit, mit solchen
Maschinen auf gewoͤhnlichen Straßen zu fahren,
oͤffentlich dargethan wurde. Nachdem er sich indessen
bald uͤberzeugt haͤtte, daß die damit
verbundenen Unbequemlichkeiten, Schwierigkeiten und Kosten
zu bedeutend waren, um ein solches Fuhrwerk im Großen mit
Vortheil einzufuͤhren, gab er diesen Plan wieder auf,
und sezte seine Maschine mit groͤßerem Gluͤke
auf eine Eisenbahn, wo dieselbe, bei einer weit leichteren,
sanfteren und gleichfoͤrmigeren Bewegung,
begreiflicher Maßen um Vieles wirksamer und dauerhafter sich
erwies.
Seit dieser Zeit haben zwar mehrere andere Mechaniker, wie Bellingham zu Dublin im Jahre 1820,
Griffith in London 1821, James und Gordon 1824, Burstall, Hill
und Gurney 1825, Anderson 1828, und Napier 1830 Patente auf die von ihnen
erfundenen und ausgefuͤhrten Dampfkutschen genommen,
uͤber deren glaͤnzende Erfolge und erstaunliche
Leistungen die oͤffentlichen Blaͤtter von Zeit zu
Zeit die pompoͤsesten Berichte erstatteten, indem sie
jedes Mal die baldige Eroͤffnung regelmaͤßig
fortzusezender Dampf-Diligencen auf verschiedenen
Hauptstraßen bestimmt ankuͤndigten. Wehr als hundert
solcher Wagen wurden auf verschiedene Art gebaut und
oͤffentlich producirt, die Erwartungen des Publikums auf
den hoͤchsten Grad gespannt, aber auch jedes Mal wieder
getauscht, und das ganze Resultat blieb immer nur auf ein
unnuͤzes Spielwerk zur Belustigung der großen Menge, oder
auf ein unterhaltendes Experiment fuͤr Liebhaber der
Mechanik reducirt.
Die kluͤgsten Capitalisten und
Geschaͤftsmaͤnner, und die verstaͤndigsten
Mechaniker verzichteten daher auf dieses undankbare Project, an
welchem seit mehr als einem halben Jahrhunderte die
geschiktesten und sinnreichsten Kuͤnstler gescheitert
hatten, und sie wendeten dagegen ihre ganze
Aufmerksamkeit auf die Vervollkommnung der
Dampf-Fuhrwerke auf Eisenbahnen, wo es ihnen denn auch in
der neuesten Zeit gelang, zuerst zwischen Stockton und
Darlington, dann zwischen Liverpool und Manchester, Resultate zu
erhalten, welche, in Hinsicht auf Schnelligkeit des Transportes
und auf Groͤße der fortgeschafften Lasten, alle
fruͤheren Leistungen dieser Maschinen weit
uͤbertrafen, und so befriedigend erschienen, daß der
einige Jahre fruͤher entworfene Plan, die
Hauptstaͤdte Englands und Schottlands mit allen
bedeutenden Handels- und Manufacturstaͤdten und
Seehafen, so wie diese unter sich selbst, durch ein nach allen
Richtungen ausgebreitetes Nez von Eisenbahnen in directe
Verbindung mit einander zu bringen, wieder allgemein zur Sprache
gebracht wurde. Als sich indessen zeigte, daß jene
glaͤnzenden Resultate viel zu theuer erkauft werden sind,
daß die Anlage der Liverpool- und Manchester-Bahn
mit ihren Maschinen das Doppelte des Voranschlages: eine Million
Pfund Sterling, gekostet hat, und daß die Unterhaltung der
lezteren einen ungeheueren Aufwand erfordert, da
schoͤpften die Landstraßen-Mechaniker wieder neuen
Muth, und hofften dieselben Resultate auf gewoͤhnlichen
Straßen wohlfeiler erhalten, und die so kostbaren Eisenbahnen
ganz verdraͤngen zu koͤnnen. Ohne zu bedenken, daß
jener unverhaͤltnißmaͤßige Aufwand nicht im
Princip seinen Grund haͤtte, sondern nur durch
unnuͤze Verschwendungen und Maͤngel in der
Ausfuͤhrung herbeigefuͤhrt ward,
verschuͤtteten jezt diese Herren das Kind mit dem Bade;
und, statt an, eine wohlfeilere, dauerhaftere und leichtere
Construction der Locomotive Engines
auf Eisenbahnen zu denken, wollten sie von diesen
kuͤnstlichen Straßen gar nichts mehr hoͤren!
– In diesem Wahne haben seit drei Jahren die HH. Gurney, Ogle and Summers, Hancock, Church und Gibbs ihre Versuche auf
gewoͤhnlichen Landstraßen mit dem groͤßten Eifer
erneuert, und durch einige mit scheinbar besserem Erfolge
unternommene weitere Fahrten so viel Aufsehen erregt, daß das
Unterhaus des Parlamentes im Jahre 1831 zur Pruͤfung der
durch diese neuen Erfindungen erhaltenen Resultate eine
besondere Commission zu ernennen sich bewogen fand, welche, nach
Vernehmung vieler Zeugen, ihren Bericht mit der Ueberzeugung schloß:
1) Daß Wagen auf gewoͤhnlichen
Chausseen durch Dampf mit zehn Meilen Geschwindigkeit auf
die Stunde anhaltend sich fortbewegen lassen;
2) daß sie mit dieser Geschwindigkeit
uͤber 14 Passagiere befoͤrdert haben;
3) daß ihr Gewicht, mit Einschluß der
Maschine, des Brennmaterials, des
Wassers und der Bedienung, weniger als drei Tonnen (60
Centner) betragen koͤnne;
4) daß sie Berge von bedeutender Steile
leicht und sicher hinan und hinab fahren
koͤnnen;
5) daß die Reisenden in diesen Wagen durchaus
keiner Gefahr ausgesezt seyen;
6) daß diese Wagen dem Publikum keine
Ungelegenheiten verursachen, oder wenigstens bei
gehoͤriger Einrichtung keine zu verursachen
brauchen;
7) daß sie ein schnelleres und wohlfeileres
Transportmittel als die von Pferden gezogenen Kutschen
abgeben werden;
8) daß die Radreifen oder Felgen ihrer
Raͤder breiter seyn koͤnnen als an anderen
Fuhrwerken, und daß sie wegen des Wegfallens der den Straßen
so aͤußerst nachteiligen Wirkung der Pferdehufe, den
Wegen weniger Schaden zufuͤgen werden, als die von
Pferden gezogenen Kutschen.Man sehe im Edinburgh
Review vom Monat October 1832 einen Auszug
aus dem 1831 in London erschienenen Report from the Select
Committee of the House of Commons on
Steam-carriages. Hoͤchst
auffallend und unbegreiflich ist, daß die von dieser
Commission verhoͤrten Zeugen, mit Ausnahme
von zweien, ganz aus den patentirten Erfindern und
Eigenthuͤmern der neuen Dampfkutschen und
ihren Associés und Werkmeistern bestanden;
daß die Aussagen dieser Leute fuͤr strenge
Wahrheit (Evidence)
angenommen wurden, und, ohne dieselben durch eine
gleiche Anzahl von andern, bei der Sache nicht
interessirten, folglich ganz unbefangenen, Personen
zu controlliren, ein so guͤnstiger Bericht
darauf gegruͤndet worden ist! – B.
Wer haͤtte nun nach einem so uͤberaus
guͤnstigen Berichte einer parlamentarischen Commission
nicht glauben sollen, daß das große Problem vollkommen
geloͤset, daß alle seit 60 Jahren bestandenen
Schwierigkeiten gluͤklich besiegt seyen, und daß die
neuen Dampf-Eilwagen auf den vorzuͤglichsten
Chausseen Englands unverzuͤglich in regelmaͤßigen
Gang kommen wuͤrden? – Daß dieses indessen bis zum
Monat October des vergangenen Jahres, also 1 1/2 Jahr nach der
Bekanntmachung jenes Berichtes, noch nicht der Fall war, geht
aus dem mit gruͤndlicher Sachkenntniß geschriebenen
Aufsaze: Ueber den gegenwaͤrtigen
Zustand und die kuͤnftigen Aussichten der
Dampfwagen, im Foreign Quaterly
Review (einer der gediegensten englischen
Zeitschriften), von welchem ich im vorlezten Hefte des
Polytechnischen Journals eine woͤrtliche Uebersezung
geliefert habe, und wo, S. 6, geradezu behauptet wird:
„daß (wie Jedermann weiß) in diesem Augenblike keine einzige
oͤffentliche Straße in Großbritannien existirt,
auf welcher eine regelmaͤßige Fahrt mit
Dampfwagen nur mit einer gewoͤhnlichen
maͤßigen Geschwindigkeit eingefuͤhrt
ist,“
auf
das Unwiderlegbarste hervor; und daß das erwuͤnschte Ziel
auch am Schluͤsse des Monats Maͤrz des
gegenwaͤrtigen Jahres noch nicht erreicht worden ist,
weiß ich aus den neuesten und glaubwuͤrdigsten
Privatnachrichten aus London.
Die neuen Versuche der HH. Gurney,
Ogle and Summers, Hancock,
Church und Gibbs haben also,
wie es scheint, die Loͤsung jener großen Aufgabe um
nichts weiter vorgeruͤkt, und die angegebenen Resultate
und Erfahrungen, welche zum Theil gar keinen Glauben
verdienen,Die Leichtglaͤubigkeit und Geduld, mit welcher die
genannte Commission von einigen der am Meisten in der
Sache interessirten Zeugen die unverschaͤmtesten
Gasconnaden und die handgreiflichsten Mahrchen sich
aufheften ließ, ist in der That zu bewundern. So z.B.
behauptete Hr. Daniel Ogle,
„„daß er auf einem nassen,
stellenweise bekieseten (also schlechten) Wege mit
einer Geschwindigkeit von 32–35 englischen
Meilen auf die Stunde gefahren, und einen der
hoͤchsten Berge bei Southampton, dessen
Steigen 1 Fuß auf 6 betraͤgt, mit einer
Geschwindigkeit von 16 1/2 Meilen auf die Stunde
hinaufgefahren sey!““ und sein
wuͤrdiger Compagnon, Hr. Wm. Altoft Summers, gab zu Protocoll,
„„daß er an einer schwierigen
Stelle bergan mit der Geschwindigkeit von 15 Meilen
auf die Stunde und haͤufig 4 1/2 Stunden
hintereinander mit einer Geschwindigkeit von 30
Meilen per Stunde
gefahren sey!““ – (S.
historische und praktische Abhandlung uͤber
Fortbewegung ohne Thierkraft mittelst Dampfwagen auf
gewoͤhnlichen Landstraßen, von Alexander Gordon. Aus dem Englischen.
Weimar, 1833. SS. 140–141, 147–448 und
238.) – Ist dieser Kuͤnstler 4 1/2 Stunden
hintereinander mit einer
Geschwindigkeit von 30 Meilen auf die Stunde gefahren,
so hat er in einem Zuge einen
Weg. von 135 Meilen zuruͤkgelegt! – Wer
mit Consequenz luͤgen will, muß ein gutes
Gedaͤchtniß haben, und dieses scheint Hrn. Summers hier verlassen zu
haben: denn er hat vergessen, daß er und sein
Associé Ogle bei einer
anderen Gelegenheit die Commission versichert hatten,
sie muͤßten mit ihren Wagen alle 7–8
Meilen anhalten, um frische Vorraͤthe von Wasser
und Kohlen einzunehmen. Auf einem Wege von 135 Meilen
muͤßte er also wenigstens 17 Mal angehalten, oder
einen 17 Mal groͤßeren Vorrath von Kohlen und
Wasser mitgenommen haben, als sein Wagen, seiner eigenen
Aussage nach, fassen und tragen koͤnnte! –
Abgesehen davon, daß bei einer solchen
Sturmesgeschwindigkeit, wenn sie auch auf einer
gewoͤhnlichen Straße moͤglich
waͤre, der Wagen mit der Maschine und allen
darauf befindlichen Personen jeden Augenblik Gefahr
liefe, umgeworfen, in einen Seitengraben geschleudert,
oder durch Anprellen an andere Gegenstaͤnde in
tausend Stuͤke zertruͤmmert zu werden, daß
dabei andere Fuhrwerke, Reiter und Fußgaͤnger auf
der Straße nicht schnell genug ausweichen
koͤnnten, und Niemand seines Lebens sicher
waͤre, will ich mich hier nur damit
begnuͤgen, die absolute mechanische Unmoͤglichkeit dieser
Leistung durch die einfachste Berechnung zu beweisen.
Nach der eigenen Angabe der HH. Ogle und Summers
wiegt ihr Dampfwagen mit dem noͤthigen Vorrathe
von Brennmaterial und Wasser, mit der Bedienung und 16
Passagieren wenigstens 80 Centner. Wir koͤnnen
die zur Fortbewegung eines
Raͤder-Fuhrwerkes auf einer nassen, stellenweise bekiesten
Landstraße in horizontalem Zuge noͤthige Kraft
nicht geringer als 1/10 der ganzen Last annehmen, also
im gegenwaͤrtigen Falle zu 800 Pfund. Diese Kraft
mit der Geschwindigkeit von 51' multiplizirt gibt das
Product 40,000 als das fuͤr jede Secunde
erforderliche Kraftmoment. Da nun, nach Watt's allgemein angenommener
Bestimmung, das Kraftmoment eines guten Pferdes = 550
fuͤr die Secunde ist, so muß die Maschine des
Hrn. Ogle (ohne
uͤbrigens den bei einer so schnellen Bewegung
nicht unbedeutenden Widerstand der Luft in Anschlag zu
bringen) die dynamische Kraft von mehr als 74 Pferden
bei diesem Rennen ausgeuͤbt haben! –
Allein derselbe Mechaniker hat auf die von der
Commission an ihn gestellte Frage:
„„die Kraft wie vieler Pferde uͤbte Ihre Maschine aus, als Sie 19
Personen befoͤrderten?““
geantwortet: „„Etwa die von 20
Pferden.““ – ! –
Noch auffallender wird der Widerspruch und noch
handgreiflicher die Aufschneiderei bei den Angaben
uͤber das Berganfahren. Hier war, nebst den
Reibungen an den Achsen und am Umfange der
Raͤder, der Widerstand der Schwere zu
uͤberwinden, welcher, bei einer Steigung von 1/6,
8000/6 = 1333 Pfund betragen mußte. Die ganze zur
Bewegung erforderliche Kraft war daher in diesem Falle,
wenn wir auch den Widerstand der Reibungen etwas
geringer annehmen, wenigstens 2000 Pfund, und da die
Geschwindigkeit von 16 1/2 Meilen in einer Stunde, 24
Fuß in jeder Secunde betraͤgt, so muͤßte
die Maschine mit einer Energie von 24 × 2000 =
48,000 Pfund = 87 Pferden gearbeitet haben! –
Wenn daher Hr. Ogle nicht das
bis jezt unentdekte und unbegreifliche Geheimniß besizt,
die dynamische Kraft einer
Dampfmaschine von 20 Pferdekraͤften auf 87 zu
steigern, so ist er – der groͤßte
Gascogner in England. A. d. O. beweisen durchaus nichts fuͤr die praktische Ausfuͤhrbarkeit der Dampf-Fuhrwerke auf
gewoͤhnlichen Straßen, am wenigsten aber fuͤr die
Wahrscheinlichkeit einer Concurrenz dieses Systems mit jenem der
Eisenbahnen. Wir lernen aus diesen Versuchen nicht mehr, als was
wir schon seit 30 Jahren wissen: daß es naͤmlich moͤglich ist,
Raͤderfuhrwerke auf allen gewoͤhnlichen Straßen
durch die Kraft des elastischen Wasserdampfes fortzutreiben. In
der That, wenn es bloß auf die Moͤglichkeit einer verlangten Leistung, ohne
Ruͤksicht auf Kraft-, Stoff- und
Geldverschwendung, ankoͤmmt, und wenn man ein wenig
Hals- und Beinbrechen nicht achtet, kann man im Gebiete
der fortschaffenden Mechanik noch aͤndere, viel
unglaublichere und staunenswuͤrdige Kunststuͤke
und Gewaltstreiche (tours de force)
produciren. Es koͤnnte z.B. Jemand auf den genialen
Einfall gerathen, nicht nur die Eisenbahnen, sondern auch alle
gemachten Straßen, deren Bau und
Unterhaltung in manchen Gegenden nicht viel weniger als jene
der Eisenbahnen kostet, zu ersparen, und alle Waaren
und Reisenden durch ungeheure Riesenmaschinen von 200–300
Pferdekraͤften uͤber alle Felder und
Graͤben, uͤber Stok und Stein fortzuschleppen;
und, beim Lichte besehen, waͤre diese ganz neue Idee von
Ersparung nicht viel ungereimter, als das Project der
Straßen-Dampffahrer: denn in Beziehung auf Kraftersparniß
und Leichtigkeit der Bewegung verhaͤlt sich eine gute
Eisenbahn zu einer guten Chaussee, wie diese zu einem
ungemachten Wege; der Ruͤksprung von der Chaussee zum
ungemachten Wege waͤre nicht weiter, als von der
Eisenbahn zur gewoͤhnlichen Landstraße, und es sollte uns
daher gar nicht wundern, wenn naͤchstens in England ein
Patent auf diese neue großartige Erfindung genommen wird!
–
Es gibt in der Bewegungskunst zwei verschiedene Mittel, eine
verlangte Wirkung hervorzubringen: entweder die Kraft nach dem
zu uͤberwindenden Widerstande zu verstaͤrken, oder
diesen selbst so zu vermindern, daß dieselbe Wirkung mit einem
geringeren Kraftaufwande erhalten wird. Das Leztere haben wir
nur selten in unserer Gewalt; wo es uns aber zu Gebote steht, da
waͤre es unverzeihlich, sich dessen nicht zu bedienen.
Dieß ist nun gerade hier der Fall. Durch eine zwekmaͤßig,
mit gehoͤriger Sorgfalt, Genauigkeit und
Soliditaͤt hergestellte Bahn von eisernen Geleisen
erhalten wir das Ideal einer vollkommen harten, glatten und
ebenen Straße, auf welcher die groͤßten Lasten mit dem
geringsten Kraftaufwands fortgeschafft werden koͤnnen.
Ist es nun nicht ungereimt, dieses eben so einfache und
natuͤrliche, als sichere Mittel zu verschmaͤhen,
und dafuͤr zwanzig bis dreißig Mal mehr an Bewegungskraft
und Stoff auf den gewoͤhnlichen, selbst in ihrem besten
Zustande rauhen und holperigen, in mancher Jahreszeit beinahe
unfahrbaren, Landstraßen zu verschwenden? – Man hat noch
vor 50 Jahren in den meisten deutschen Gruben die eisernen
Kolbenrohre an den Wasserkuͤnsten ungebohrt eingesezt,
und es war sehr begreiflich, daß die Reibung der, notwendiger
Weise sehr streng gelederten, Kolben in diesen rauhen, zum Theil
ungleichen Cylindern so außerordentlich stark war, daß nicht nur
ein großer Theil der bewegenden Kraft darauf verwendet werden
mußte, diese Kolben durchzuzwaͤngen, sondern daß auch die
Lederung selbst schnell abgenuͤzt und sehr oft erneuert
werden mußte. Durch das genaueste Ausbohren dieser Kolbenrohre
auf besonders dazu eingerichteten kuͤnstlichen
Bohrmaschinen ist in neueren Zeiten der Gang dieser Maschinen st
erleichtert worden, daß fast die Haͤlfte des sonst
noͤthigen Aufschlagwassers, und an den Kosten der
Lederung mehr als 4/5 erspart werden; und jezt wuͤrde der
gemeinste Kunstknecht einen Projectanten auslachen, welcher die
alten rauhen Kolbenrohre wieder einfuͤhren wollte, um die
kostbaren Bohrmaschinen zu
ersparen.
Bis zur Erfindung und allgemeinern Anwendung der Eisenbahnen war
der wichtigste Theil der Bewegungskunst: die fortschaffende Mechanik, in Beziehung auf
Landtransport und im Vergleiche zur hebenden Mechanik, in dem erbaͤrmlichsten
Zustande; oder vielmehr: wir hatten eigentlich noch keine
fortschaffende, nur eine fortschleppende Mechanik. Erst durch
die Verbesserung der Eisenbahnen und der darauf sich bewegenden
Maschinen haben wir angefangen, uns aus dem Straßenschlamme
heraus zu arbeiten, und das Landfuhrwesen wirklich zu einem
Zweige wissenschaftlicher Mechanik zu erheben. Statt nun auf
einer so viel versprechenden Bahn vorwaͤrts zu schreiten,
und diese Epoche machende Erfindung noch weiter zu
vervollkommnen, sollen wir uns jezt durch die Launen einiger
englischen Projectanten zu einem ebenso zweklosen als
unruͤhmlichen Ruͤkschritt, zum
tausendjaͤhrigen Schlendrian unserer sogenannten.
Kunststraßen zuruͤkwerfen lassen, und, statt auf
spiegelglatten Flaͤchen mit der groͤßten
Leichtigkeit, Annehmlichkeit und
Sicherheit mit Windes Schnelle fort zu gleiten, auf jenen ewig
zermalmten und zermalmenden, ewig zerstoͤrten und wieder
erneuerten Schutt- und Kothhaufen mit ungeheurem
Geld- und Kraft-Aufwande langsam und
muͤhselig uns wieder durcharbeiten, oder, bei einer
widernatuͤrlich erzwungenen groͤßeren
Geschwindigkeit, jeden Augenblik Hals und Bein zu brechen Gefahr
laufen? –
Ich habe meine Meinung uͤber diesen Gegenstand seit 18
Jahren bei verschiedenen Gelegenheiten, und neuerlich im ersten
Octoberhefte dieses Journals vom vorigen Jahre mit meiner
gewohnten Freimuͤthigkeit ausgesprochen, und diese meine
Meinung durch (wie ich glaube) unwiderlegbare Gruͤnde
unterstuͤzt, auf welche ich, um mich nicht selbst
abzuschreiben, die Leser des gegenwaͤrtigen Aufsazes
hinweisen zu duͤrfen bitte. Ich habe alle Achtung
fuͤr das Genie und die Geschiklichkeit, so wie
fuͤr die Geduld und Beharrlichkeit so vieler englischen
Mechaniker, welche sich bisher mit der Loͤsung dieser
wichtigen Aufgabe abgemuͤhet haben; und ich zweifle
nicht, daß es dem menschlichen Erfindungsgeiste noch gelingen
werde, manche schwere Aufgabe zu loͤsen, deren
Loͤsung bis jezt unmoͤglich geschienen hat. Allein
einer vortheilhaften
Einfuͤhrung von Dampf-Fuhrwerken auf
gewoͤhnlichen Straßen, in einem
großen und ausgedehnten Maßstabe, stehen, nach meinem
Dafuͤrhalten, einige bedeutende Schwierigkeiten und
Hindernisse entgegen, welche ihrer Natur nach unbesiegbar
sind.
Aus den uͤbereinstimmenden Aussagen der meisten Zeugen,
welche von der erwaͤhnten parlamentarischen Commission
vernommen wurden, geht unter Anderm hervor, daß diese Dampfwagen
uͤberhaupt nur fuͤr den schnellsten Transport von
Reisenden und leichten Gegenstaͤnden von hohem Werthe,
folglich als Diligencen und Eilwagen, keineswegs aber
fuͤr das langsamere Fortschaffen schwerer Guͤter
von specifisch geringem Werthe geeignet sind, indem der Aufwand
von Brennmaterial, Wasser und Bedienung, welcher in geradem
Verhaͤltnisse mit der verbrauchten Zeit steht,
fuͤr den Transport der lezteren Gegenstaͤnde zu
groß waͤre, um durch die zu erhebenden geringeren
Frachtpreise verguͤtet zu werden.Auf die von der Commission an Hrn. Gurney gestellte Frage:„„Sind Sie nicht der Meinung, daß die
Dampfwagen (auf gewoͤhnlichen Straßen) sich
nicht allein dazu eignen wuͤrden, Fuhrwerke
schnell fortzuschaffen, sondern auch, um gewisse
Guͤtertransporte langsam zu
bewirken?““antwortete dieser Ingenieur:„„Ich halte das Leztere fuͤr
moͤglich; allein es wuͤrde sehr
kostspielig seyn: denn nach meiner Erfahrung kostet
das Brennmaterial, wenn man langsamer als vier
Meilen in der Stunde faͤhrt, mehr als die
Pferde.““Darin stimmten auch mehrere andere
der vernommenen Zeugen uͤberein. Wenn nun dieses
in England der Fall ist, wo das Brennmaterial ungemein
wohlfeil, der Ankauf und die
Unterhaltung der Pferde hingegen sehr theuer ist, um wie
viel mehr wuͤrde dasselbe in andern
Laͤndern Statt finden, wo die Kosten des
Brennmaterials und der Pferde in einem umgekehrten
Verhaͤltnisse stehen? – Nun ist es aber gerade eine schnelle
Bewegung, welche diesen Maschinen auf einer gewoͤhnlichen
Straße am nachtheiligsten und gefaͤhrlichsten wird.
Wir wissen, daß die Dampfwagen auf der Eisenbahn zwischen
Liverpool und Manchester, deren Geschwindigkeit im Durchschnitte
20 englische Meilen in einer Stunde nicht uͤbertrifft,
und wo doch die Bewegung so sanft und gleichfoͤrmig als
moͤglich ist, sich so außerordentlich schnell
abnuͤzen, daß sie bei taͤglichem Gebrauche kaum
ein Jahr lang aushalten. Von 24 solchen Maschinen, welche die
dortige Gesellschaft besizt, sind immer nur sechs im Gange,
waͤhrend die uͤbrigen achtzehn in den großen
Werkstaͤtten an beiden Enden der Bahn
unaufhoͤrlichen Flikereien und Reparaturen unterliegen.
Wie lange soll nun eine solche Maschine, deren Bau nothwendiger
Weise complicirt und delicat ist, bei einem Rennen von
25–30 Meilen auf die Stunde, auf einer
gewoͤhnlichen holperigen, neu bekieseten oder
ausgefahrenen Landstraße aushalten, wo alle Theile jeden
Augenblik den heftigsten Stoͤßen und
Erschuͤtterungen und dabei noch der zerstoͤrenden
Einwirkung des Staubes und des aufgeworfenen Straßenkothes
ausgesezt sind?Haͤufige Erfahrungen haben gezeigt, daß große
Feuersprizen, wenn sie ehr schnell gefuͤhrt
werden, durch die heftigen Erschuͤtterungen so
zerruͤttet und verdorben werden, daß sie, an der
Brandstelle angekommen, oft ganz unbrauchbar sind; und
daher haben die besten
Feuerloͤsch-Ordnungen das zu schnelle
Fahren dieser Maschinen verboten. Nun ist aber eine
Dampfmaschine ein ungleich complicirteres und
delicateres Werk als eine Feuersprize. – Durch Federn koͤnnen diese Stoͤße
noch weniger als auf Eisenbahnen vermieden oder gemildert
werden, weil die Haupttheile der Maschine, die Cylinder und
Kolbenstangen, mit den Achsen der Raͤder in einer
unveraͤnderlichen steifen Verbindung stehen
muͤssen, daher in keinem Falle auf Federn gelegt, oder
daran aufgehaͤngt werden koͤnnen. Wenn daher je
ein auf das Vortheilhafteste gebauter Dampfwagen auf unsern
gewoͤhnlichen Landstraßen mit Sicherheit und Dauer, und ohne Gefahr, auf eine
regelmaͤßige Art in Gang gebracht werden sollte, so
duͤrfte derselbe nur mit einer sehr maͤßigen
Geschwindigkeit, hoͤchstens so schnell, als unsere
deutschen Lohnkutscher zu fahren gewohnt sind, betrieben werden;
dabei waͤre aber kein Vortheil, weder fuͤr den
Unternehmer, noch fuͤr die Reisenden oder das handelnde
Publikum, weil das Fahren mit Pferden bei gleicher Schnelligkeit
wohlfeiler zu stehen kaͤme.
Die Vertheidiger des Straßen-Dampffuhrwerkes meinen zwar,
die Hindernisse, welche der allgemeinen Ausfuͤhrung ihres
Systems entgegenstehen, laͤgen bloß in der schlechten
Beschaffenheit und in der vernachlaͤssigten Unterhaltung
der Landstraßen, und man duͤrfte daher nur
alle Chausseen macadamisiren, und so eben, glatt, fest und hart
machen, wie eine Tenne; dann koͤnnten die Dampfwagen auf
denselben so leicht, sanft und schnell, wie auf Eisenbahnen,
fortrollen; oder man sollte zu diesem Zweke die Straßen durchaus
pflastern. Liese Herren scheinen aber nicht zu wissen, oder
wollen nicht bedenken, daß die Herstellung und
bestaͤndige Erhaltung einer so idealisch vollkommenen
Straße, wenn sie auch zu allen Jahreszeiten und bei jeder
Witterung moͤglich waͤre, so wie auch das
Pflastern, weit mehr als die Anlage einer (zwekmaͤßig und
ohne Verschwendung gebauten) Eisenbahn kosten wuͤrde, und
daß auf einem Steinpflaster die heftigsten Stoͤße und
Erschuͤtterungen zwar etwas gemildert, aber doch auch
nicht ganz vermieden wuͤrden. Besser wuͤrden hiezu
die Holzbahnen, nach dem Vorschlage
des kurhessischen Bau-Conducteurs, Hrn. Wagner, sich eignen, welche
uͤberhaupt noch das leidendlichste Surrogat fuͤr
Eisenbahnen, jedoch nur in solchen Gegenden werden
koͤnnen, wo die hiezu tauglichsten Holzarten
außerordentlich wohlfeil zu haben sind, das Eisen hingegen sehr
theuer ist.
Der einzige Vortheil, welcher fuͤr die Dampfwagenfahrt auf
gewoͤhnlichen Straßen vor jener auf Eisenbahnen, nach ihrer gegenwaͤrtigen
Bauart, mit einigem Grunde behauptet werden kann,
besteht darin, daß das Berganfahren mit jenen verhaͤltnißmaͤßig
weniger Schwierigkeiten als mit diesen verursacht; und es ist
sonderbar, daß dieser Vorzug eben in der schlechten
Beschaffenheit der gewoͤhnlichen Straßen und in der
Vollkommenheit der Eisenbahnen gegruͤndet ist, und desto
großer erscheint, je schlechter jene und je vollkommener diese
in Bezug auf Leichtigkeit der Bewegung sind. Da naͤmlich
der eigentliche Vorzug der Eisenbahnen vor den
gewoͤhnlichen Straßen nur in der Verminderung der Reibung besteht, welchen die
Raͤder an ihrem Umfange zu leiden haben, so kann sich
dieser Vorzug nur auf einem ganz horizontalen, oder unmerklich
steigenden Grunde bewahren, wo der Widerstand der Schwere gar
nicht, oder nur in sehr geringem Maße entgegenwirkt. Bei
betraͤchtlich steilen und zugleich langen Anhoͤhen
hingegen verschwindet dieser Vorzug in dem Verhaͤltnisse,
als der Widerstand der Schwere jenen der Reibung
uͤbertrifft; und obwohl der gesammte Widerstand zwar
allemal kleiner ist, als auf einer gewoͤhnlichen, unter
demselben Neigungswinkel ansteigenden Straße, so wird doch der
Unterschied zwischen beiden Arten von Fuhrwerk desto geringer,
je groͤßer dieser Winkel ist; und daher muß beim
Berganfahren auf einer Eisenbahn die Zugkraft in einem weit
groͤßeren Verhaͤltnisse zu jener auf der Ebene
vermehrt werden, als auf einer gewoͤhnlichen gemachten
Straße. So z.B. erfordert ein gewoͤhnlicher Frachtwagen,
welcher, mit 72 Centnern beladen, auf flachem
Lande von sechs Pferden gezogen wird, wenn derselbe uͤber
eine Anhoͤhe hinausgeschafft werden soll, deren Steigung
1 Fuß auf 12 Fuß betraͤgt, noch eine Vorspann von sechs
Pferden, deren jedes mit einer Kraft von 100 Pfund ziehen muß,
um den Widerstand der Schwere zu uͤberwinden, und es ist
also des Berges wegen ein doppelte
Bespannung (von 12 Pferden) noͤthig. Drei solche Wagen
werden auf der Ebene 18 und bergaufwaͤrts 36 Pferde
brauchen. Auf einer guten, horizontal liegenden Eisenbahn kann
dieselbe Ladung von 216 Centnern von einem Pferde fortgezogen
werden; da aber der Widerstand der Schwere auf diesen Bahnen
eben so stark wie auf gewoͤhnlichen Straßen
entgegenwirkt, so wird, wenn diese Ladung uͤber eine
Anhoͤhe von gleicher Steile gezogen werden soll, auch auf
der Eisenbahn ein Vorspann von 18 Pferden hiezu noͤthig
seyn, und die ganze Bespannung, welche
zwar immer um 17 Pferde geringer
als auf der Landstraße bleibt, wird aus 19 Pferden
bestehen, folglich neunzehn Mal
groͤßer als auf der Ebene seyn muͤssen.
Man sieht hieraus, daß auch dieser so hoch gepriesene Vorzug der
Dampf-Fuhrwerke auf gewoͤhnlichen Straßen
eigentlich nur scheinbar ist, und daß der Transport auf
Eisenbahnen, selbst in unebenen und bergigen Gegenden, im Ganzen
genommen doch immer einen um Vieles geringeren Kraftaufwand als
auf gewoͤhnlichen Straßen erfordert. Ein zweiter Umstand,
welcher das Berganfahren der Dampfwagen auf Eisenbahnen um
Vieles schwieriger macht, als auf gewoͤhnlichen Straßen,
liegt eben auch in der staͤrkeren Reibung am Umfange der
Raͤder, welche auf einem rauhen und weichen Grunde fest
eingreifen,Dabei werden aber auch die Raͤder eines solchen
Wagens und sein ganzes Maschinenwerk außerordentlich
angegriffen. Merkwuͤrdig ist in dieser Beziehung,
was einer der ausgezeichnetsten Ingenieure, Hr. Farrey, welcher bei keiner solchen
Unternehmung interessirt ist, vor derselben
Commission ausgesagt; hat: „„Es ist mir
noch keine Dampfkutsche vorgekommen, deren
Maschinerie so stark und dauerhaft waͤre, daß
sie, ohne Gefahr zu zerbrechen, auch nur einen
maͤßig steilen Berg hinauffahren
koͤnnte; denn obgleich sie durch
Anhaͤufung ihrer Dampfkraft bergauf fahren,
so werden doch die Maschinentheile dabei so
angestrengt, daß sie auf die Dauer dieser Arbeit
nicht gewachsen seyn duͤrften. Wenn man sie
mit Beibehaltung der jezigen Bauart so stark
anfertigen wollte, daß sie das Berganfahren, an
steilen Bergen gut vertragen koͤnnten, so
wuͤrden sie fuͤr die
gewoͤhnlichen Leistungen (auf der Ebene) zu
schwer ausfallen.““ – Wie
hoͤchst gefaͤhrlich das Anhaͤufen
oder Steigern der Dampfeskraft im Kessel ist, haben wir
bereits bemerkt. waͤhrend sie auf den glatten eisernen Schienen
sich schleifend umdrehen, ohne den Wagen vorwaͤrts zu
bringen. Dieses lezte Hinderniß waͤre indessen noch
leicht zu beseitigen, wenn man es in seiner Gewalt
haͤtte, die Kraft der Dampfmaschine nach Belieben, und,
so wie der Widerstand des Fuhrwerkes sich veraͤndert, zu
verstaͤrken und zu modificiren. Da aber dieses, ohne die
groͤßte Gefahr von Explosionen oder
Unterbrechungen, auch nur bis auf einen kleinen Grad, z.B. auf
eine Verdoppelung der dynamischen Kraft des Dampfes,
unmoͤglich ist, so ist man, nach
dem gegenwaͤrtig angenommenen Systeme, bei der
Anlage von Eisenlahnen genoͤthigt, an jeder schiefen
Flaͤche, welche mehr als 1 auf 90 ansteigt, die Wagen an
langen Seilen durch eine auf dem hoͤchsten Punkte
erbaute, feststehende Dampfmaschine (Stationary Engine) hinaufzuziehen, oder alle
Ungleichheiten des Terrains zu ebenen, und durch Abgraben aller
Erhoͤhungen, Ausfuͤllung aller Vertiefungen,
Auffuͤhrung hoher und langer Daͤmme, durch tiefe
Einschnitte oder unterirdische Galerien (Stollen) ein
kuͤnstliches Niveau auf der ganzen Linie der zu
errichtenden Eisenbahn herzustellen. Beide Mittel sind jedoch
mit sehr bedeutenden Schwierigkeiten und Kosten verbunden. Am
die Wagenzuͤge bei ihrer Ankunft am Fuße einer
Anhoͤhe ohne Aufenthalt weiter zu foͤrdern, muß
das Feuer unter dem Kessel der feststehenden Maschine
bestaͤndig so unterhalten werden, daß dieselbe jeden
Augenblik mit ihrer vollen Wirkung in Gang gesezt werden kann.
Brennmaterial und Dampf muͤssen daher, wenn der Verkehr
nicht so außerordentlich stark ist, daß die Wagenzuͤge
sich in dichten Reihen schnell auf einander folgen, in den oft
Stunden langen Zwischenraͤumen unnuͤz verschwendet
werden. Auch unterliegen die langen Seile einer sehr starken
Reibung und Abnuͤzung, wodurch ihre Unterhaltung sehr
kostbar wird.Die Behandlung dieser schiefen Flaͤchen mit Meilen
langen Seilen ist nicht nur aͤußerst
beschwerlich, sondern selbst gefaͤhrlich. Durch
das Brechen solcher Seile waͤhrend des Zuges sind
in England schon haͤufige
Ungluͤksfaͤlle von der schreklichsten Art
entstanden. A. d. O.
Nach groͤßere Auslagen verursachen die zu einer ganz
ebenen und gleichfoͤrmigen Terrassirung erforderlichen
Erd- und Mauer-Arbeiten, welche, wie wir schon bei
mehreren anderen Gelegenheiten gezeigt haben, in manchen
Gegenden die Kosten der eigentlichen Eisenbahn oft um das
Sechsfache uͤbersteigen.Durch meine, im Polytechnischen Journal, XLI. Band, 1.
Hefte von 1831, und im Allgemeinen Anzeiger der
Deutschen N. 43–44
vom gegenwaͤrtigen Jahre angekuͤndigten
Verbesserungen werden die beiden hier angezeigten Mittel
entbehrlich, und man kann auf einer nach meinem neuen
Systeme gebauten Eisenbahn die schwersten
Wagenzuͤge mit einer bedeutenden Geschwindigkeit
uͤber die steilsten, laͤngsten und
hoͤchsten Anhoͤhen schaffen.
Alle diese Kosten und Schwierigkeiten wuͤrden nun
fuͤglich mit einem Male gehoben, wenn man gar keine
Eisenbahnen mehr brauchte, und alle Arten von Transport durch
Dampf-Fuhrwerke auf gewoͤhnlichen Straßen eben so
leicht, schnell und wohlfeil betreiben koͤnnte. Daß aber
dieser Zwek bisher noch keineswegs erreicht worden, geht aus
allen bis auf den heutigen Tag gemachten Erfahrungen hervor, und
daß er hoͤchst wahrscheinlicher Weise nie erreicht werden
wird, glaube ich in gegenwaͤrtigem Aufsaze und im 1sten
Octoberhefte des Polytechnischen Journals von 1832 durch
unbestreitbare Gruͤnde gezeigt zu haben. Nach dem
Berichte der zur Pruͤfung der neuesten Versuche ernannten
Commission beschrankt sich, wie bereits erwaͤhnt wurde,
die Anwendbarkeit dieser Dampfkutschen nur auf den Transport von
Reisenden mit einer Geschwindigkeit von 10 Meilen auf die
Stunde, also kaum die Haͤlfte von jener, mit welcher auf
der Eisenbahn zwischen Liverpool und Manchester gefahren wird;
und ich glaube bewiesen zu haben, daß selbst diese
Geschwindigkeit ohne die groͤßte Gefahr nicht eingehalten
werden koͤnnte. Der groͤßte Vortheil, welchen die
Substituirung der Dampfkraft an die Stelle der thierischen
Kraͤfte gewahren kann, geht also schon verloren. Da es
sich ferner aus den Aussagen der vernommenen Zeugen selbst
ergibt, daß ein solcher Dampfwagen nur hoͤchstens 16
Passagiere aufnehmen kann, wogegen ein einziger Dampfwagen (der
Simson) auf der Liverpooler Eisenbahn eine Reihe
angehaͤngter Wagen mit 108 1/4 Tonnen Ladung mit einer
mehr als doppelten Geschwindigkeit zu ziehen vermag; was (15
Personen auf eine Tonne gerechnet) zum Fortschaffeil von 1623
Passagieren hinreichen wuͤrde, so ist klar, daß dieser
leztere in derselben Zeit zwei Mal 1623 oder 3246 Reisende eben
so weit bringen kann, als ein Dampfwagen à la Hancock,
Ogle oder Church mit 16 Passagieren gelangt, und daß folglich
fuͤr einen Dampfwagen auf einer Eisenbahn 3246/16 = 202
solcher Dampfwagen auf der gewoͤhnlichen Straße
fuͤr denselben Transport gehalten werden
muͤßten.
Da ferner die Abnuͤzung dieser Wagen und Maschinen auf
gewoͤhnlichen Straßen, selbst bei einer langsameren
Bewegung, wenigstens zwei Mal staͤrker als auf einer
Eisenbahn seyn muß, so wild die Unterhaltung von 202 Dampfwagen
auf der Landstraße 400 Mal so viel als die eines einzelnen
Dampfwagens auf der Eisenbahn kosten. Hiezu kommen dann noch:
der zwanzig bis dreißig Na! groͤßere Aufwand von
Brennmaterial, welcher zum Betriebe von so vielen Maschinen
erfordert wird; die Kosten, welche das Beifuͤhren so
bedeutender Massen von Steinkohlen an die
Fuͤllungs-Stationen verursacht, welche am ganzen
Wege, und zwar in weit kuͤrzeren Entfernungen von
einander, folglich in groͤßerer Anzahl errichtet werden
muͤssen, und die kostbare Unterhaltung dieser Stationen
selbst, an deren jeder in einem besonderen kleinen
Gebaͤude ein Brunnen, ein Pumpwerk, ein bestaͤndig
geheizter Kessel und ein Arbeiter sich befinden muͤssen,
um die Behaͤlter der Dampfwagen mit heißem Wasser zu
versehen, weil durch Nachfuͤllen mit kaltem Wasser die
Dampferzeugung in den Kesseln unterbrochen und der
Gang der Maschinen gehemmt, oder wenigstens geschwaͤcht
wuͤrde.Nach der Angabe Robert Stephenson's in seinen 1830 zu Liverpool
erschienenen Observations on the
comparative merits of Locomotive and fixed Engines,
as applied to Railways, Seite 31, betragen die
jaͤhrlichen Kosten einer solchen Station (water Station) 104 Pfd.
Sterl.
Durch eine Zusammenstellung und genaue Berechnung aller dieser
Kosten und bestaͤndigen Auslagen waͤre es leicht,
den Beweis zu fuͤhren, daß die Summe derselben, statt
einer beabsichtigten Ersparung, den Transport ungleich theurer
als auf der kostbarsten Eisenbahn machen wuͤrde, ja daß
man selbst in solchen Gegenden, wo das Brennmaterial
aͤußerst wohlfeil zu haben ist, mit Pferden noch weit
wohlfeiler, und dabei schneller, bequemer und sicherer auf
unseren Landstraßen faͤhrt, als es mit solchen Dampfwagen
moͤglich waͤre.
In keinem Falle ist daher zu befuͤrchten, daß diese alten,
laͤngst aufgegebenen, und jezt mit neuem Eifer wieder
aufgewaͤrmten Hochstraßen-Dampf-Projecte
irgendwo einem rationellen, vollkommneren und
oͤkonomischeren Eisenbahn-Systeme nachtheilig
werden koͤnnen; und die im London
Journal of Arts vom Monat Julius 1832 ausgesprochenen
sanguinischen Hoffnungen des Dr.
Church, „„daß seine Verbesserungen an
den Dampfkesseln einen so gewaltigen Kraftgewinn
gewaͤhren werden, daß die Eisenbahnen an den
gewoͤhnlichen Chausseen einen unuͤberwindlichen Nebenbuhler, und das
Publikum auf den lezteren eine wohlfeilere, gefahrlosere und
eben so schnelle Befoͤrderung finden
werden,““ duͤrften wohl schwerlich
je in Erfuͤllung kommen.Wenn durch irgend eine Verbesserung oder neue
Construction eines Dampfkessels so viel Kraft gewonnen
werden soll, daß ein mit einem solchen Kessel versehener
Dampfwagen auf einer gewoͤhnlichen Landstraße mit
demselben Aufwande von Brennmaterial und mit derselben
Geschwindigkeit eine gegebene Ladung fortzuschaffen
vermag, als gegenwaͤrtig zu derselben Wirkung auf
einer Eisenbahn erfordert wird, so muß ein solcher
Kessel (bei demselben Gewichte) wenigstens zwoͤlf Mal so viel Dampf von
gleicher Spannkraft erzeugen, als die bis jezt auf den
Eisenbahnen angewendeten Kessel unter uͤbrigens
vollkommen gleichen Umstaͤnden erzeugen
koͤnnen. Wenn wir nun auch annehmen, daß eine so
gewaltige Kraftvermehrung
moͤglich, und durch die Verbesserungen des Dr. Church wirklich zu
Stande gebracht sey, so entsteht hiedurch offenbar doch
kein uͤberwiegender Vortheil fuͤr die
Landstraßen vor den Eisenbahnen, sondern nur ein Vorzug
dieser neuerfundenen Dampfkessel vor den bis jezt
gebraͤuchlichen Kesseln; und es wird alsdann
nichts im Wege stehen, dieselben Wunderkessel auch auf
den Eisenbahnen anzuwenden, wo ihre Wirkung jene auf
gewoͤhnlichen Straßen wieder in demselben
Verhaͤltnisse, wie jezt,
uͤbertreffen wird.
Ich mache keinen Anspruch auf die Wundergabe der Prophezeihung;
aber ich getraue mir, mit Jedem, der hiezu Luft hat, eine Wette
einzugehen, daß die Actiengesellschaft, welche
gegenwaͤrtig zur Unternehmung eines regelmaͤßigen
Dampfwagen-Transportes, sowohl fuͤr Guͤter
als fuͤr Reisende, zwischen London und Birmingham sich
gebildet, und dazu vorlaͤufig ein Capital von 200,000
Pfd. Sterl. bestimmt hat – es mag eine auf derselben
Linie projectirte Eisenbahn zu Stande kommen oder nicht –
mit einem Bankerotte endigen wird.Ein Londoner Correspondent des Morgenblattes berichtet in
N. 223 vom 17. September
1832:„„Ueber dem großen Problem der
Dampfwagen auf gewoͤhnlichen Landstraßen geht
in England ein Unternehmen nach dem andern zu
Grunde.““
Muͤnchen, den 10. April 1833.
Joseph Ritter von Baader.