Titel: | Der gebrochene Krummzapfen, als Mittel zur Verwandlung der rotirenden Bewegung in die geradlinige; vorgeschlagen von Professor Gerling in Marburg. |
Autor: | Gerling |
Fundstelle: | Band 47, Jahrgang 1832, Nr. XXXII., S. 161 |
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XXXII.
Der gebrochene Krummzapfen, als Mittel zur
Verwandlung der rotirenden Bewegung in die geradlinige; vorgeschlagen von Professor
Gerling in
Marburg.
Mit Abbildungen auf Tab.
III.
Gerling, uͤber einen gebrochenen Krummzapfen.
Wenn in der praktischen Mechanik eine geradlinige Hin- und Herbewegung des
Punktes A in der Linie AB
Fig. 1 in eine
rotirende Bewegung um den Punkt D verwandelt werden;
oder aber umgekehrt eine solche um den Punkt D rotirende
Bewegung in eine geradlinige nach der Richtung AB
uͤbertragen werden soll; so ist das aͤlteste und einfachste Mittel zu
dieser Uebertragung wohl die Kurbel oder der Krummzapfen. Die Uebertragung geht
dann, unmittelbar oder mittelbar, gewoͤhnlich durch eine Verbindungsstange
(Kurbelstange, Blaͤuelstange) AC vor sich,
welche an einem Punkt des um D rotirenden Kreises bei
C (der Kurbelwarze) und an einem Punkt A der geradlinig bewegten oder zu bewegenden Linie AB (des Gestaͤnges) eingehaͤngt
ist.
Diese Verbindungsstange AC faͤllt nun
waͤhrend eines Umlaufes des Punktes C nur zwei
Mal in die Verlaͤngerung der geraden Linie AB selbst, und weicht in allen Zwischenpunkten davon um einen, nach der
Laͤnge der betreffenden Linien verschiedenen, jedenfalls aber periodisch
veraͤnderlichen Winkel ab. – Diese Abweichung bringt aber
Kraft-Zerlegungen mit sich, welche sich auf zweierlei Weise nachtheilig
aͤußern,
1) indem die urspruͤnglich wirksame Kraft bei der einen Bewegung sich nicht
ganz und nicht gleichfoͤrmig auf die andere uͤbertraͤgt.
(Casinual-Verluste);
2) indem ein periodisch veraͤnderlicher Seitendruk auf den Punkt A entsteht, welcher nach Umstaͤnden
schaͤdlich und selbst fuͤr den Mechanismus gefaͤhrlich werden
kann.
In dem Fall nun, daß die geradlinige Bewegung AB
die urspruͤngliche ist (wie z.B. beim Treiben von Muͤhlen, Schiffen
und Fuhrwerken durch Dampfmaschinen), scheint man den unter (1) erwaͤhnten
Nachtheil groͤßten Theils durch Schwungraͤder u.s.w. vermindert zu
haben, ja man hat dieserhalb die Kurbel oder den Krummzapfen wohl ganz zu beseitigen
gesucht (wie z.B. in dem sinnreichen Vorschlag von Henschel in Gilbert's Annalen LXI. S. 412); es bleibt aber der
Nachtheil unter (2) denn doch bestehen, und man sucht ihn, wie es scheint, dadurch
gemeiniglich zu vermindern, daß man den Seitendruk von der Kolbenstange selbst auf
andere Punkte in der Verlaͤngerung derselben uͤbertraͤgt, wo
eine Seitenreibung wenigstens nicht zerstoͤrend wirken kann. (Als Beispiel
dieser Art kann dienen Langsdorf Maschinenkunde Tab.
XXVII. Fig. 325.)
Ist aber umgekehrt die urspruͤngliche Bewegung eine rotirende um den Punkt D (wie z.B. bei durch Wasserraͤder getriebenen
Pumpengestaͤngen, Saͤgemuͤhlen und dergl.); so pflegt man, wie
es scheint, den Nachtheil unter (1) entweder wieder mit Schwungraͤdern u.s.w.
zu vermindern, oder auch wohl ganz außer Acht zu lassen; dagegen aber den Nachtheil
unter (2), wo man ihn nicht außer Acht lassen will oder kann, durch zwischengelegte
Vorrichtungen (z.B. Balancier mit englischem Parallelogramm) wenigstens
naͤherungsweise zu beseitigen.
Nun treten aber meines Wissens in diesem zweiten Fall (wo die geradlinige Bewegung
aus der urspruͤnglich rotirenden abzuleiten ist) nicht selten auch
Umstaͤnde ein, wo man Kraft genug zur Disposition hat, um den Nachtheil (1)
außer Acht zu lassen, selbst etwas vermehrte Reibung nicht zu scheuen, dagegen aber
den (auch von Heuschel a. a. O. herausgehobenen) Vortheil
des Krummzapfens, daß er die Umkehr der geradlinigen Bewegung aufs Sanfteste
vermittelt, sich nur dann zu Nuze machen koͤnnte, wenn der eben unter (2)
angefuͤhrte Nachtheil ohne viel Raum
fuͤllende Zwischen-Vorrichtungen genau
beseitigt waͤre.
Ein solcher Fall findet meines Erachtens z.B. bei unsern gewoͤhnlichen
Luftpumpen Statt. Hier pflegt man, wohl fast allgemein, die
Handkurbel-Bewegung vermittelst des Zahnrads und der gezahnten Stange auf die
Kolbenstange zu uͤbertragen. Dabei faͤllt dann zwar die
Ungleichfoͤrmigkeit (1) weg; dagegen aber muß dann nicht nur zur Beseitigung
des Seitendruks (2), welcher den Schluß der Stopf- oder
Leder-Buͤchse nach und nach zerstoͤren wuͤrde, durch
Frictionsrollen oder dergleichen geholfen werden, sondern es entsteht auch die große
Unbequemlichkeit, daß man mit der Handkurbel nach jedem Kolbenzuge umkehren muß,
wobei der ungeuͤbte Arbeiter den Mechanismus fuͤrchterlich
zusammenstoͤßt, der geuͤbte aber Zeit und Kraft unnoͤthig
versplittert. – Koͤnnte man aber in diesem und aͤhnlichen
Faͤllen einen Krummzapfen so vorrichten, daß jener schaͤdliche
Seitendruk (2) ganz wegfiele; so wuͤrde meines Dafuͤrhaltens hier, wo
nur ein verhaͤltnißmaͤßig geringer Widerstand des Kolbens zu
uͤberwinden ist, der Vortheil eines stetigen Kreislaufes der Handkurbel bei weitem hoͤher
in Anschlag zu bringen seyn, als der Nachtheil des periodisch veraͤnderlichen
Kraftverlustes (1) und einige vermehrte, den Kolben nebst Zubehoͤr aber nicht
afficirende Reibung.
Die Aufgabe nun:
Einen Krummzapfen so einzurichten, daß eine von seiner Warze
getriebene Zugstange ohne Seitendruk genau in gerader Linie hin und her
geht,
fuͤhre ich auf Folgendes zuruͤk.
Ich theile den Arm des Krummzapfens DC
Fig. 2 genau
in seiner Mitte durch ein Gelenk M in zwei
Haͤlften, die innere DM und die
aͤußere MC, und zwinge nun (durch einen
hernach zu erklaͤrenden Mechanismus) die aͤußere Haͤlfte MC sich, waͤhrend die innere um den Punkt
D einen Winkel ADM
beschreibt, um das Gelenk M in die Lage MW zu drehen, so daß der aͤußere Winkel CMW immer doppelt so groß ist und bleibt als der
Winkel ADM, den die innere Haͤlfte DM mit der verlaͤngerten Zugstange BADZ macht.
Dadurch kommt dann die Warze W nothwendig in dieselbe
gerade Linie BADZ und bleibt stetig darin, indem
das gleichschenkelige Dreiek DMW sich
waͤhrend eines Umlaufes der Kurbel zwei Mal in die verlaͤngerte
Richtung der geraden Linie ausstrekt, und zwei Mal so zusammenklappt, daß MW mit MD
zusammenfaͤllt, und beide dann senkrecht auf der verlaͤngerten AB sind.
Um diese Idee zuerst weiter zu erlaͤutern, sind in Fig. 3 acht zu einem
Umlauf gehoͤrige Lagen dieses gebrochenen Krummzapfens gezeichnet und darin
die Stellen des Gelenkes M mit roͤmischen, die
zugehoͤrigen Stellen der Warze W aber mit den
entsprechenden deutschen Ziffern bezeichnet; und bleibt nun nur noch uͤbrig
den Mechanismus zu erklaͤren, durch welchen die gehoͤrige Umdrehung
der aͤußern Haͤlfte MW um das Gelenk
M bewirkt wird. Dieses mache ich folgender
Maßen.
Ich theile die eine Haͤlfte des Krummzapfens DM in fuͤnf gleiche Theile (den ganzen Hub des Krummzapfens also in
20). Sodann bestimme ich auf der innern Haͤlfte MD den Punkt N so, daß er um 2 solcher Theile
von M, also um 3 derselben von D absteht; hier in N befestige ich eine Achse
an die inwendige Haͤlfte und steke auf dieselbe ein Stirnrad O, dessen Theilkreis mit einem jener Theile beschrieben
ist. Ein dem O ganz gleiches und in O eingreifendes Rad P
befestige ich an die aͤußere Haͤlfte des Krummzapfens MW, so daß seine Achse mit der Achse des Gelenkes
M dieselbe ist. Dann lege ich endlich ein drittes
Rad Q, welches doppelt so groß ist, und also auch
doppelt so viel Zaͤhne hat als das Rad O, in
welches es eingreift,
fest, so daß sein Mittelpunkt mit dem Mittelpunkt der
rotirenden Bewegung in D zusammenfaͤllt. –
Waͤhrend nun MD um D sich umdreht, laufen in den Raͤdern P
und O so viel Zaͤhne an Q ab, als dem Winkel MDW entsprechen,
und weil O und P nur halb so
groß sind als Q; so muß nothwendig der aͤußere
Winkel CMW doppelt so groß seyn und bleiben als
MDW, welches die geradlinige Bewegung von W nach Obigem begruͤndet.
Wie sich die Sache in der Wirklichkeit etwa ausfuͤhren ließe, ist durch die
Figuren 5,
6 und 7, wie ich
glaube, hinlaͤnglich klar angedeutet.
Fig. 5 gibt
eine Ansicht des Mechanismus von Vorne in der Lage IV Fig. 3 gezeichnet. Fig. 6 zeigt
denselben von Oben in der Lage III Fig. 3. Dieselbe Lage ist
endlich in Fig.
7 noch ein Mal in horizontalem Durchschnitt abgebildet. Die Buchstaben
sind die obigen. Beispielsweise ist die Sache so gezeichnet als ob der Mechanismus
durch eine besonders aufgestekte Handkurbel bewegt werden sollte.
Daß die geradlinige Bewegung der Warze W hiedurch
hergestellt, und dadurch der Seitendruk auf die Zugstange (2) weggeschafft ist,
leuchtet aus Vorstehendem ein. Die kleinen, allerdings auch mitunter wohl
nachtheiligen Seiten-Erschuͤtterungen zu vermeiden, wird Sache der
genauen Ausfuͤhrung seyn, und namentlich von der richtigen Gestalt der
Radzaͤhne abhaͤngen, in welchem lezten Punkt es aber die wahren
Meister auch schon zu einem hohen Grad der Vollkommenheit gebracht zu haben
scheinen. Was aber den dem Krummzapfen eigenthuͤmlichen Kraftverlust (1)
betrifft; so laͤßt sich leicht nachweisen, daß derselbe, wenn man die Reibung
vernachlaͤssigt, und das Material als durchaus fest voraussezt, bei dieser
Einrichtung gerade so groß ausfaͤllt, als ob der Krummzapfen ungebrochen
waͤre (DM
und WM in gerader Linie) und die Zugstange
stets perpendikulaͤr von der Warze herabhinge.
Als ich vor nunmehr zwoͤlf Jahren auf diesen Mechanismus kann hatte ich
Hoffnung ihn zu einem ernstlichen Gebrauch naͤchstens in Metall
ausfuͤhren zu koͤnnen, da sich dieselbe aber bis jezt nicht
realisirte, fertigte ich mir fuͤr jezt einstweilen ein hoͤlzernes
Modell an (wozu ich zwei metallene Raͤder aus einer alten Wanduhr entlehnte
und das dritte bloß feilen ließ) und begnuͤge mich nun, nachdem ich sehe, daß
dieses Modell Alles thut, was ich von ihm verlangte, diese Einrichtung als einen Vorschlag dem sachkundigen Publicum zur Pruͤfung
vorzulegen.Zu jener Zeit kam ich auch schon auf eine zweite Idee, den hier zum Grunde
liegenden geometrischen Gedanken in Wirklichkeit zu sezen; fand diese aber,
so weit sich solches durch bloße Vergleichung der Zeichnungen beurtheilen
ließ, wenn gleich dasselbe leistend, doch in der Ausfuͤhrung viel
schwieriger, und ließ sie deßhalb auf sich beruhen. – Ich ahnete
damals nicht, daß diese zweite Idee nicht neu sey; fand sie aber
demnaͤchst in Langsdorfs Maschinenkunde
§. 427. k. (als „einfach und
sinnreich“) kurz angefuͤhrt und im Wesentlichen ganz
uͤbereinstimmend mit meiner damaligen Zeichnung Tab. XXVIII. Fig. 336
abgebildet, ohne daß ich bis jezt habe ausmitteln koͤnnen, wer sie
zuerst aufgebracht hat. – Die Darstellung der Geometrie des Apparates
kommt bei von Langsdorf uͤbrigens darauf
hinaus, als ob in meiner Fig. 2
MD der Kurbelarm, M die Kurbelwarze und MW eine
durch den Mechanismus immer in die eben naͤher bestimmte Lage
gezwungene Kurbelstange waͤre.
Sollte uͤbrigens dieser gebrochene Krummzapfen in einem Falle angewendet
werden, wo neben der geradlinigen Bewegung auch noch eine Steuerung fuͤr
Haͤhne und dergl. anzubringen waͤre; so ist dazu hier
uͤberreiche Gelegenheit, da nicht nur jeder Punkt der innern Haͤlfte
einen Kreis, sondern uͤberdieß jeder Punkt der aͤußern Haͤlfte
und ihrer Verlaͤngerung (mit Ausnahme der Warze), wie sich leicht nachweisen
laͤßt, eine Ellipse beschreibt, deren Achsenverhaͤltniß sich durch
seine Entfernung vom Gelenk beliebig bestimmen laͤßt. – Waͤre
etwa waͤhrend der Steuerung ein Stillstand der Zugstange noͤthig; so
ließe sich dieses wieder leicht durch die auch sonst gebraͤuchliche
Einfuͤhrung eines todten Ganges (z.B. durch Anfuͤgung der Zugstange
vermittelst eines geschlizten Loches und dergl.) bewerkstelligen.
Wuͤrden aus einer rotirenden Bewegung zwei geradlinige verlangt, so
wuͤrde man diesen Zwei durch Verdoppelung des Apparates erreichen
koͤnnen, welches zu erlaͤutern die Linien-Zeichnung Fig. 8 dient,
in welcher RS z.B. ein Wasserrad vorstellen mag,
welches zwei Stangenkuͤnste treibt. – In solchen Faͤllen
wuͤrde es aber natuͤrlich um den Nachtheil (1) moͤglichst zu
mindern vortheilhaft seyn, die beiden Kurbelhaͤlften, statt sie, wie hier
gezeichnet ist, einander parallel zu legen, unter rechten Winkeln gegen einander zu
stellen; so daß die eine Kurbel sich ganz ausstrekt, waͤhrend die andere
zusammengeklappt ist; vorausgesezt naͤmlich, daß beide Zugstangen einander
parallel laufen sollten. Dieß Leztere ist aber hier offenbar eben so wenig
nothwendig als bei dem gewoͤhnlichen Krummzapfen; sondern es kommt nur darauf
an, daß beide sich in Linien bewegen, welche senkrecht auf der Rotationsachse sind.
Es muͤssen folglich im Fall des Nicht-Parallelismus die beiden innern
Haͤlften der gebrochenen Krummzapfen unter einem Winkel zusammengestellt
seyn, der den Winkel, welchen beide Zugstangen mit einander machen, zu einem Rechten
ergaͤnzt. – Es ist hiebei uͤbrigens auch nicht gerade
nothwendig, daß die beiden Zugstangen auf verschiedenen Seiten des rotirenden Rades
RS liegen; es muͤssen nur die
aͤußern Kurbelhaͤlften so construirt seyn, daß die beiden Warzen an
einander vorbei koͤnnen, wie in Fig. 9 beispielsweise
angedeutet ist.
Endlich denke ich mir, koͤnnte vielleicht auch in einzelnen Faͤllen bei der umgekehrten
Aufgabe (wo die urspruͤngliche Bewegung geradlinig ist) von dieser
Einrichtung mit Nuzen Gebrauch gemacht werden. Wenn z.B. in Fig. 8 das Rad RS durch ein Paar geradlinig hin und her laufende
Stangen umgetrieben werden sollte; so wuͤrde es zunaͤchst darauf
ankommen, daß der Krummzapfen fortginge, waͤhrend die geradlinige Bewegung
umkehrt, und das koͤnnte sehr einfach dadurch bewirkt werden, daß wieder die
inneren Kurbelhaͤlften rechtwinkelig gegen einander gestellt
wuͤrden.
Doch von allen solchen Anwendungen kann wohl erst dann die Rede seyn, wenn durch
wirkliche Ausfuͤhrung dieser Vorschlag im Allgemeinen als praktisch sich
bewahrt.