Titel: | Ueber den Ausfluß und den Druk des Sandes. Schreiben des Hrn. Huber-Burnand an Hrn. Prof. Prevost. |
Fundstelle: | Band 34, Jahrgang 1829, Nr. LXXI., S. 270 |
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LXXI.
Ueber den Ausfluß und den Druk des Sandes.
Schreiben des Hrn. Huber-Burnand an Hrn. Prof. Prevost.
Aus den Annales de Chimie. Junius 1829. S.
159.
Huber-Burnand, uͤber den Ausfluß und den Druk des
Sandes.
(Hr. Huber-Burnand hat vor zwei Jahren der Société de Physique et d'Histoire naturelle de
Genève ein Anemometer vorgelegt, in welchem die Staͤrke und
die Dauer des Windes durch die Menge Sandes bemessen wird, welche durch eine
Oeffnung entweicht, deren Groͤße nach der Staͤrke des Windes
zu- und abnimmt. Hr. Prevost fragte in dieser
Hinsicht: ob der Sand sich nicht, bis auf einen gewissen Grad, wie fluͤssige
Koͤrper verhalt, und ob sein Fall nicht folglich um so viel schneller ist,
als das Gefaͤß, in welchem er sich befindet, groß ist und er hoch in
demselben liegt: er deutete zugleich die Untersuchungen an, die man uͤber die
Art, wie der Sand bei seinem Druke wirkt, anstellen koͤnnte. Hieraus
entstanden folgende Versuche, welche Hr. Huber in seinem Schreiben an Hrn. Prevost mittheilteWenn wir uns nicht tauschen, so ist in den Mémoires der aͤlteren Académie de Bruxelles aus den 80ger oder hoͤchstens
90ger Jahren eine sehr interessante mathematische Abhandlung uͤber
das Rollen und den Druk des Sandes enthalten. Wir sind in dem Augenblike
nicht im Stande den Namen des Verf., oder den Band dieser Mémoires, in welchem die Abhandlung
vorkommt, anzugeben; man wird sie aber gewiß in denselben finden, und es
wird der Muͤhe wer h seyn, sie zu
vergleichen. Es wundert uns, daß Hr. Arago sich
hier nicht derselben erinnerte, und sie anfuͤhrte.A. d. Ue..
Meine fruͤhesten Versuche haben mich gelehrt, daß wenn man einen nur etwas
regelmaͤßigen Fall an dem Sande erhalten will, er durchaus mit der
hoͤchsten Sorgfalt durchgesiebt werden muß, und nie so fein seyn darf, wie
Mehl. Sand, wie ihn die Gießer brauchen, waͤre zu fein zu diesem Zweke; sein
Fall wuͤrde zu oft unterbrochen werden, ohne daß man eben die Ursache hiervon
anzugeben vermoͤchte; er wuͤrde in Massen fallen; dafuͤr taugt
aber derjenige, den die Ziegelbrenner zu Dachziegeln (tuiles) brauchen, wenn man ihn sorgfaͤltig durch einen
Baumwollen-Flor, den man betillesBetilles wird gewoͤhnlich mit Nesseltuch uͤbersezt; Nesseltuch ist aber kein Baumwollenstoff.A. d. Ue. nennt, durchgesiebt hat, desto besser: er fließt mit der groͤßten
Leichtigkeit. Dieser Flor (gaze) hat 15 Faden
durchkreuzt von 18 im □ Centimeter. Noch eine andere Bedingung zum Ausfließen
des Sandes, wenn es ohne Unterbrechung geschehen soll, ist diese, daß die Oeffnung,
durch welche der Sand ausfließt, wenigstens 2 Millimeter Weite hat.
Nachdem ich diese Bedingungen kennen gelernt hatte, konnte ich weiter gehen. Ich
verschaffte mir eine hoͤlzerne Kiste von 8 Decimeter Weite, und eine andere
von 12 Decimeter Hoͤhe und Einen Decimeter im Durchmesser.
Beide waren oben offen, und auf ihrem Boden mit vier kreuzweise gestellten und in
Falzen laufenden Schiebern versehen, so daß man den dadurch entstehenden Spalt nach
Belieben verlaͤngern und erweitern konnte. Ich sorgte dafuͤr, diese
Schieber gehoͤrig zu verduͤnnen, indem ich sie gegen den
aͤußeren Rand hin schief abgedacht zuschnitt, damit die Oeffnung nicht durch
die Dike des Holzes litte, wovon ich bereits fruͤher die Nachtheile kennen
gelernt habe. Um leichter arbeiten zu koͤnnen, stellte ich beide Kisten auf
vier Fuͤße, und versah mich mit einer sehr genauen Sekunden-Uhr, die
hier durchaus nothwendig ist. Ich hatte ferner eine graduirte Glasroͤhre, in
welcher ich die erhaltenen Volumen maß und sehr empfindliche Wagen mit den genannten
metrischen Decimal-Gewichten.
Bei den schwierigsten und zartesten Versuchen nahm ich Statt der hoͤlzernen
Schieber metallne, die in Millimeter getheilt waren: indessen ließen auch diese noch
in Hinsicht auf die hoͤchste Genauigkeit manches zu wuͤnschen
uͤbrig.
Ich werde meine Untersuchungen in zwei Theile theilen, wovon die einen das Ausfließen
des Sandes insbesondere, die anderen hingegen mehr den Druk betreffen, und die Phaͤnomene bei
ersterem erklaͤren helfen koͤnnen.
I. Ausfließen des Sandes.
§. 1. Die Menge Sandes, die waͤhrend einer gewissen Zeit aus einer
gewissen Oeffnung ausfließt, war sowohl dem Volumen als dem Gewichte nach,
vollkommen gleich, der Sand mochte im Anfange des Versuches hoch oder tief in der
Kiste stehen, d.h. die Hoͤhe desselben mochte Anfangs noch so verschieden seyn. Indessen hatten zuweilen einige
Abweichungen, um zwei oder drei Gramm zu wenig oder zu viel, Statt, die meistens
durch die Schwierigkeit entstanden, welche man beim Aus- und Einheben des zur
Aufnahme des Sandes bestimmten Gefaͤßes findet. Diese Abweichungen glichen
sich aber aus und verschwanden, wo es sich um Mengen von vier- bis
fuͤnfhundert Gramm handelte.
Gewoͤhnlich brauchte man drei Minuten zu dieser Beobachtung; man wog die zwei
Mal nach einander waͤhrend 90 Sekunden erhaltenen Mengen, und wenn sie gleich
waren, galten sie fuͤr gut, wurden sie zusammengeschuͤttet, und dann
mit anderen verglichen, die man auf aͤhnliche Weise aus anderen Hoͤhen
der Sandsaͤule erhielt. Obschon die Unterschiede in den Hoͤhen des
Sandes zuweilen um das Zehnfache verschieden waren, blieben die Resultate doch immer
vollkommen aͤhnlich.
§. 2. Wenn der Sand durch einen Spalt von 2–3 Millimeter Breite
ausfloß, so stand die Menge desselben immer in geradem Verhaͤltnisse zur
Laͤnge des Spaltes: hieraus laͤßt sich eine hoͤchst brauchbare
Anwendung auf gewisse Maschinen in der Physik ableiten. Die mindeste Abweichung von
der Breite des Spaltes veranlaßt aber eine solche Zunahme in der Menge des
ausgeflossenen Sandes, daß das einfache Verhaͤltniß der Flaͤchen der
Oeffnung uͤberschritten wird: wenigstens ergab sich dieß bei den
unvollkommenen Mitteln, die mir zu Gebote standen.
§. 3. Der Sand, der aus den Seiten-Oeffnungen in den Waͤnden der
Kisten herausfloß, floß mit derselben Geschwindigkeit, die Hoͤhe der
Sand-Saͤule mochte uͤbrigens noch so verschieden seyn. Wenn die
Loͤcher in der Wand der Kiste aber horizontal und nicht beinahe eben so weit
waren, als das Brett dik war; so fiel auch nicht ein Koͤrnchen Sand aus
diesen Seiten-Oeffnungen aus, und wenn der Sand auch noch so hoch in der
Kiste stand.
§. 4. Wenn man Sand in eine, zwei Mal unter einem rechten Winkel
gekruͤmmte, Roͤhre schuͤttet, so steigt er nicht, wie
Fluͤssigkeiten, in der gegenuͤberstehenden Roͤhre empor; er
breitet sich selbst in der horizontalen Roͤhre nur in einer geringen Entfernung von der
Kruͤmmung weg aus.
§. 5. Man mag auf den Sand in der Kiste was immer fuͤr einen Druk
wirken lassen, so hat dieser Druk doch nie einen Einfluß auf die Menge Sandes,
welche durch eine gewisse Oeffnung am Boden oder an der Seite der Kiste ausfließt.
Man hat Versuche unter Druk von 12–25 Kilogramm schweren Eisenstuͤken
angestellt.
§. 6. Wenn man ein Lineal senkrecht in die Sand-Saͤule genau in
der Richtung der unteren Oeffnung einstekt, so senkt es sich in dem Sande und mit
dem Sande, ohne sich auf irgendeine Seite zu neigen, in vollkommen
gleichfoͤrmiger Bewegung beinahe so regelmaͤßig, wie eine Uhr
laͤuft.
Ein Lineal von 38 Centimeter konnte man nach Belieben in einer Sekunde oder in einer
Minute um Ein Centimeter sinken lassen. Ein kleines Eimer-Rad, das man
innerhalb der Kiste angebracht hatte und an dessen Achse außen ein Zeiger befestigt
war, bewegte sich gleichfalls mit erstaunenswerther Regelmaͤßigkeit, aber
hoͤchst langsam. Wenn das Lineal, Statt in den Mittelpunkt der Bewegung
gestellt zu werden, naͤher an die Waͤnde der Kiste gestellt wird, so
neigt es sich mit einer wunderbaren Gleichfoͤrmigkeit, und bewegt sich so
gleichfoͤrmig, wie ein Zeiger an der Uhr. Zu gleicher Zeit senkt es sich
aber, und ruͤkt dem Mittelpunkte der Bewegung naͤher.
Die Geschwindigkeit, mit welcher dieses Lineal sich bewegt, haͤngt also
erstens von der Stelle ab, welche dasselbe in der Kiste einnimmt, und dann von dem
Grade der Weite der Oeffnung, durch welche der Sand ausfließt. Wahrscheinlich
verhaͤlt sie sich auch wie die Proportion, in welcher die Flaͤche der
Oeffnung zur Groͤße der Kiste steht, indem sie von der Menge des Sandes
abhaͤngt, welche jeden Augenblik ausfließt und in der Kiste selbst
zuruͤkbleibt.
Mit etwas mehr Sorgfalt und mit einigen Abaͤnderungen an der Vorrichtung wird
man wahrscheinlich den Gang von beweglichen Koͤrpern, die durch die Reibung
des Sandes in Bewegung gesezt werden, noch regelmaͤßiger machen
koͤnnen.
Ich will hier noch bemerken, daß vielleicht keine andere natuͤrliche Kraft auf
Erden vorhanden ist, die von sich selbst eine vollkommen gleichfoͤrmige
Bewegung erzeugt, welche weder durch Gravitation, durch Reibung, oder durch
Widerstand der Luft leidet. Wir sehen hier, daß die Hoͤhe der
Sand-Saͤule keinen Einfluß auf die Geschwindigkeit der Bewegung des
Sandes hat: sie macht deu Ausfluß des Sandes weder schneller noch langsamer. Was die
Reibung betrifft, so wird sie hier, weit entfernt einen Widerstand zu bilden,
vielmehr selbst die unmittelbar wirkende Ursache der Regelmaͤßigkeit und
Gleichfoͤrmigkeit der Bewegung, wie meine unten anzufuͤhrenden
Versuche erweisen werden. Was endlich den Widerstand der Luft in dem Inneren einer sich bewegenden
Sand-Saͤule betrifft, so muß dieser sehr unbedeutend seyn, weil kein
Koͤrnchen waͤhrend derselben frei faͤllt. Die Sand-Uhr,
diese aͤlteste aller Uhren, beruhte also auf einer weit philosophischeren
Grundlage, als man gewoͤhnlich glaubt, und ich schmeichle mir, daß meine
Untersuchungen vielleicht in Kuͤnsten und Wissenschaften ihr nuͤzlich
seyn koͤnnten.
§. 7. Nachdem ich den Sand in seiner Bewegung kennen gelernt hatte,
untersuchte ich auch sein Verhalten, wenn er auf irgend einer Flaͤche in
einem Haufen da liegt.
Ich fing an einzelne Sandkoͤrnchen auf eine bewegliche Flaͤche zu
legen, die man unter einem beliebigen Winkel neigen konnte. Sie bewegten sich nicht
ehe, als bei einer Neigung der Flaͤche unter wenigstens 30°. Einige
blieben jedoch auch noch unter einem Winkel von 40° liegen: uͤber
diesen hinaus folgte jedes Koͤrnchen dem Geseze der Schwere, und glitt die
schiefe Flaͤche hinab.
Der Sand stellt sich niemals durch sich selbst in eine vollkommene Ebene; die Winkel,
unter welchen er sich am liebsten aufstellt, nachdem er irgendwo in Masse
herabstuͤzte, sind beinahe immer Winkel von 30 bis 33 Graden: selten
haͤlt er sich unter Winkeln von 35°.
In einem Haufen gut durchgesiebten Sandes dienen die unteren Schichten, die unter
einem Winkel von 30° gegen den Horizont geneigt sind, als natuͤrliche
Stuͤze der oberen: der groͤßte Theil des Gewichtes der lezteren aber
wird von jenem Theile der horizontalen Flaͤche getragen, an welchen sie
stoßen. Wenn man jenen Theil des Bodens wegnimmt, auf welchen sie sich
stuͤzen; so fließt alsogleich die ganze Schichte aus, und laͤßt
diejenige unangegangen sehen, auf welcher sie ruhte, und zwar unter einem Winkel von
30 bis 33 Graden geneigt. Hieraus erklaͤrt sich, warum der Sand nie durch
horizontale Oeffnungen ausfließt, wenn sie tiefer als weit sind; denn in diesem
Falle finden die oberen Schichten ihre Stuͤzpunkte an den Waͤnden des
Gefaͤßes selbst, und ein absolutes Hinderniß an den unteren Schichten.
Haͤngt diese Erscheinung von der Form der Sandkoͤrner ab? Wenn sie mehr
Regelmaͤßigkeit in ihrer Form haͤtten, konnte man dieß vermuthen;
allein, wenn man die Sandkoͤrner unter dem Vergroͤßerungs-Glase
betrachtet, so findet man so mannigfaltige Formen, ein solches Mißverhaͤltniß
daß man unmoͤglich bei dieser Idee laͤnger verweilen kann. Der
groͤßte Theil dieser Koͤrner ist nichts anderes, als kleine,
krystallisirte, weiße, abgeplattete Blaͤtter, die auf verschiedene Weise
zulaufen; man findet darunter graues, gelbes, braunes Gestein von so mannigfaltigen
Formen, daß man nimmermehr besondere Kategorien fuͤr sie aufzustellen
vermag.
Um zu bestimmen, ob die Form der Theile bei der Anreihung derselben zu Haufen etwas
vermag, nahm ich auch andere Dinge, als Sand, z.B. Erbsen oder Schrote„Poids ou de la grenaille“
heißt es im Originale. Poids ist offenbar ein
Schreib- oder Drukfehler fuͤr Pois, Erbsen; ob unter grenaille Schrote
verstanden sind, oder was fuͤr Koͤrner, wissen wir nicht.A. d. Ue., obschon sie sich etwas muͤhsamer in Haufen bringen ließen, denselben
Winkel zu erhalten suchten, und in jeder Hinsicht denselben Gesezen folgten.
II. Druk des Sandes und anderer
koͤrnerartigen Dinge.
§. 1. Ich legte ein Ei auf den Boden einer Sand-Kiste, und dekte
dasselbe mit einigen Zoll hoch Sand; den Sand belud ich mit einem Druke von 25
Kilogrammen. Dieser Versuch entsprach der Erwartung, die ich mir im Voraus von
demselben machte: das Ei blieb ganz bei dem ungeheueren Druke, mit welchem ich
dasselbe belud.
Ich habe diesen Versuch wiederholt, und den Sand dabei in Bewegung gebracht, indem
ich ihm einen Ausgang auf dem Boden der Kiste verschaffte: das Resultat blieb hier
dasselbe, das Ei mochte in der Mitte der Sandmasse oder auf dem Boden des
Gefaͤßes aufliegen.
Dieser Versuch beweist, daß der Druk der Eisenmasse von 25 Kilogramm durch die
Dazwischenkunft des Sandes nach allen Seiten hin zerstreut und abgeleitet wurde. Er
beweist ferner, daß ein in einer Masse Sandes versenkter Koͤrper von dem
Sande so geschuͤzt wird, wie wenn er sich in einer Fluͤssigkeit
befaͤnde, obschon der Sand ganz anders auf die Waͤnde des
Gefaͤßes wirkt, das ihn einschließt, als eine Fluͤssigkeit auf
dieselben wirkt.
Da diese Schluͤsse etwas paradox zu seyn scheinen, so entschloß ich mich zu
einer noch entscheidenderen Probe.
§. 2. Ich nahm eine an beiden Enden offene Roͤhre, und stelle das eine
Ende derselben senkrecht in eine kleine horizontale hoͤlzerne Roͤhre,
die wieder mit einem ihrer Enden sehr genau in eine senkrechte cylindrische
Buͤchse von Einem Centimeter im Durchmesser und von 21 Centimeter
Hoͤhe paßte.
Ich fuͤllte diese Buͤchse mit Queksilber, wie man das
Queksilber-Gefaͤß an einem Barometer mit demselben fuͤllt. Es
stieg auf seine statische Hoͤhe in der senkrechten glaͤsernen
Roͤhre, und ich bezeichnete diese Hohe an derselben. Hierauf brachte ich an
dieser Buͤchse eine große Roͤhre aus Eisenblech an, die 3 1/2
Centimeter im Durchmesser und 65 Centimeter in der Laͤnge hielt, und
fuͤllte diese sacht mit Sand, damit das Queksilber nicht aus der
Roͤhre aussprizte.
Ich hatte nun ein wahres Barometer, um das Gewicht des Sandes zu bestimmen: der Druk
der Luft war auf beiden Seiten derselbe und Sand und Queksilber konnten sich nach ihren Schweren
in's Gleichgewicht stellen. Obschon ich einen Theil des Resultates voraus gesehen
hatte, so erstaunte ich doch, als ich wahrnahm, daß der Sand das Gewicht der einen
Queksilber-Saͤule in der Buͤchse durchaus um nichts vermehrte.
Das Queksilber blieb, in der glaͤsernen Roͤhre, mit einem kleinen
Unterschiede von ungefaͤhr 2 Millimeter, auf seiner alten Stelle, und dieser
Unterschied entstand nur, wie ich mich spaͤter uͤberzeugte, durch die
augenbliklichen Schwankungen, welche das Queksilber waͤhrend des Versuches
erlitt; als der ganze Apparat in vollkommener Ruhe stand, trat das alte Niveau
wieder ein. Der Versuch ließe sich weit leichter mit einer heberfoͤrmig
gekruͤmmten Roͤhre machen; allein es war keine bei der Hand.
Ich nahm den Sand vom Queksilber weg, in welches er sich durchaus nicht einsenkte,
und schuͤttete Statt des Sandes 1 1/2 Kilogramm trokene Erbsen in die
blecherne Roͤhre. Auf diese legte ich noch ein Gewicht von einem Kilogramm,
und brachte noch uͤberdieß einen so starken Druk mit der Hand an, daß ich
fuͤrchtete die ganze Maschine wuͤrde in Stuͤke brechen. Das
Queksilber blieb in der glaͤsernen Roͤhre auf derselben Hoͤhe
wie vor: es stieg nicht um Ein Millimeter. Ich ließ den Apparat mehrere Tage lang
mit den Erbsen und mit dem Gewichte beladen, ohne ein anderes Resultat zu erhalten.
Das Gewicht des Sandes und der Erbsen wirkte also nicht auf das Queksilber.
Diese Abwesenheit alles Drukes auf den Boden des Gefaͤßes erhellt noch mehr
aus folgenden Versuchen.
§. 3. Ich nahm dieselbe Roͤhre aus Eisenblech, und hing sie an einem
sehr empfindlichen Wagebalken auf; ich brachte sie in's Gleichgewicht, und stellte
sie so, daß sie beinahe bis auf den Fußboden herabreichte. Auf dem Fußboden selbst
brachte ich einen kleinen dichten hoͤlzernen Cylinder von 5 bis 6 Decimetern
Hoͤhe an, dessen Durchmesser aber etwas kleiner war, als jener der blechernen
Roͤhre, so daß diese denselben umfassen und frei in senkrechter Richtung um
denselben auf und nieder spielen konnte, wie der Wagbalken auf und nieder stieg.
Ich waͤgte nun eine gewisse Menge trokener Erbsen, und gab sie in die
blecherne Roͤhre. Diese verlor nun auf der Stelle ihre Beweglichkeit, indem
sie schwerer ward: indessen hatte sie keinen Boden, und die Erbsen mußten ihre
Stuͤze auf der oberen Flaͤche des am Fußboden befindlichen Cylinders
gefunden haben.
Ich legte hierauf in die Wagschale einige Gramm, und fuhr mit dem Zusezen kleiner
Gewichte so lang fort, bis die Wagschale zog, die blecherne Roͤhre uͤber den Cylinder am
Fußboden in die Hoͤhe stieg, und die Erbsen Heraussielen, die in der
Roͤhre enthalten waren.
Das Gewicht, welches ich noͤthig hatte, um die blecherne Roͤhre
uͤber den Cylinder zu heben, war, bis auf ein paar Gramm, der Schwere der
Erbsen gleich, die ich in die Roͤhre gethan hatte: der Unterschied betrug nur
20 Gramm, waͤhrend die Erbsen doch mehr als 1 1/2 Kilogramm wogen. Es schien
demnach, daß die Roͤhre sich mit dem ganzen Gewichte der Erbsen belastet hat,
denen sie als Stuͤze diente.
Dieser Versuch gelang mit den verschiedensten Schweren, und selbst bei noch an den
Erbsen ausgesehen Gewichten: er traf oͤfters bis auf 8–10 Gramm.
Man koͤnnte jedoch noch den Einwurf machen, daß der untere Cylinder gewisser
Maßen das Gewicht der Saͤule stuͤzte. Es mußte demnach die Gegenprobe
vorgenommen werden, und ich kehrte daher den Versuch um.
§. 4 und 5. Ich stellte dieses Mal die Roͤhre fest, indem ich sie
mittelst zwei Schnuͤren an zwei Seiten-Stuͤzen haͤngte,
waͤhrend ich den kleinen dichten Cylinder an der Wagschale anbrachte, so daß,
da das Gleichgewicht vorher hergestellt war, derselbe einen halben Zoll tief in die
blecherne Roͤhre eingefuͤhrt wurde, und bei dem geringsten
hinzukommenden Gewichte derselbe hinabgezogen und seine Ladung fallen lassen
konnte.
Ich schuͤttete nun 1 1/2 Kilogramm Erbsen in die Roͤhre, und dessen
ungeachtet senkte der hoͤlzerne Cylinder sich nicht, der vollkommen frei war.
Ich sezte noch ein Kilogramm und noch andere Gewichte zu, und er wankte nicht. Man
koͤnnte indessen sagen, daß der kleine Cylinder an den Waͤnden der
blechernen Roͤhre haͤngen blieb. Um diesen Einwurf zu beseitigen, und
den Versuch noch einleuchtender zu machen, gab ich den Cylinder gaͤnzlich
auf, und bediente mich bloß einer hoͤlzernen Scheibe von groͤßerem
Durchmesser, als der Durchmesser der blechernen Roͤhre, und brachte diese
gegen das Ende der Roͤhre. Ich mußte aber in die Wagschale das
noͤthige Gewicht legen, um die Scheibe und die Roͤhre immer mit
einander in Beruͤhrung zu erhalten. Dieses Gewicht betrug gewoͤhnlich
zwischen 10 und 15 Gramm.
Ich fuͤllte nun die Roͤhre aus Eisenblech mit 1 1/2, bis 2 Kilogramm
Sand und brachte, noch oben auf der Sand-Saͤule andere Gewichte an.
Die Scheibe, die nur durch das schwache Gewicht von 12 bis 15 Grammen gegen die
Rohre angehalten wurde, machte dessen ungeachtet nicht die geringste Bewegung. Wenn
man eben dieses Gewicht von einigen Grammen auf den Rand der Scheibe gelegt
haͤtte, der rings
um die Roͤhre vorstand, so wuͤrde die Scheibe sicher gezogen haben;
denn sie blieb durch dieses Gewicht allein gegen die Roͤhre gehalten. Bei der
geringsten Beruͤhrung mit dem Finger entwich der Sand unten bei der
Roͤhre, und fiel in das unten angebrachte Beken.
Die Scheibe hielt also den Sand zuruͤk, ohne das Gewicht desselben zu tragen:
dieses Gewicht ruhte ganz auf den Wanden der blechernen Roͤhre. Zehn Gramm
waͤren hinreichend gewesen, um die Scheibe aus ihrer Stellung zu bringen; und
doch behielt sie dieselbe. Sie hatte also nicht den ganzen Druk der
Sand-Saͤule zu tragen.
§. 6. Um alle Zweifel zu beseitigen, gab ich auch die Wage auf. Ich stellte
bloß eine Kufe mit Wasser unter die Roͤhre aus Eisenblech, die ich
befestigte, und legte die Scheibe, mit der glatten Seite oben, auf das Wasser. Ich
zog die Roͤhre herab, daß sie mit ihrem unteren Ende die hoͤlzerne
Scheibe beinahe beruͤhrte, und goß so viel Wasser zu, daß durch das bloße
Gewicht des uͤberschuͤssigen Wassers die Scheibe gegen das untere Ende
des Wassers angedruͤkt wurde. Nun fuͤllte ich die Roͤhre mit
trokenen Erbsen. Die Scheibe ruͤhrte sich nicht von der Stelle. Sie hielt
bloß die Erbsen zusammen, die, ohne sie, in das Wasser gefallen seyn wuͤrden:
die Erbsen druͤkten aber nicht auf sie; denn der mindeste Druk auf die
Scheibe wuͤrde sie von der Roͤhre entfernt und den ganzen Apparat
zerstoͤrt haben.
§. 7. Ich ließ alles in demselben Zustande, und goß Wasser in die
Roͤhre von Eisenblech. Es blieb ziemlich lang mit den Erbsen in derselben,
bis auf ein Mal durch die zusammengedruͤkte Luft, die unten bei der
Roͤhre herausfuhr, die Scheibe schief gestellt ward, und die Erbsen und das
aufgeschuͤttete Wasser zugleich in die Kufe rannen. Einen aͤhnlichen
Versuch hat man auch mit Sand angestellt; man hat viel Wasser auf den Sand
geschuͤttet, das ihn durchdrang, und lang im Sande blieb, ehe es ausfloß.
Bei einem anderen, auf eine etwas verschiedene Weise angestellten Versuche nahm der
Sand mit dem Wasser eine solche Consistenz an. daß man viele Muͤhe hatte, ihn
aus der Roͤhre herauszuschaffen: diese trug hier das Gewicht des Sandes und
des Wassers zugleich sammt dem Druke der nothwendigen Gewalt, um den Sand
herauszutreiben.
§. 8. Man kann alle diese Versuche anstellen, wenn man bloß die blecherne
Roͤhre auf einem kleinen kegelfoͤrmigen Sandhaufen halten will,
waͤhrend sie noch auf der Wagschale haͤngt. Der Sand wird nur dann aus
der Roͤhre entweichen, wann das Gewicht in der anderen Wagschale hinreicht,
um ungefaͤhr die Schwere der Rohre und ihres Inhaltes aufzuwiegen.
Eben diese Versuche gelingen auch mit Korn; ich habe sie mit gleichem Erfolge mit Schroten
(grenaille) versucht, obschon diese sehr schwer
waren.
Man kann sie auch mit einer bloßen Papierrolle anstellen, die mittelst ein paar Faden
festgehalten wird. Sie sind dann um so auffallender, als das Gewicht, welches durch
das Papier hinzukommt, gegen die urspruͤngliche Leichtigkeit desselben um so
mehr absticht.
§. 9. Ich habe diese Versuche mit einer unten erweiterten blechernen
Roͤhre angestellt, die viel groͤßer war, als die vorige Roͤhre:
das Resultat war dasselbe. Es unterliegt indessen keinem Zweifel, daß es eine
Graͤnze geben muß, wo der Sand keine Stuͤze mehr an den Waͤnden
findet; und dieß wird dann seyn, wenn die Neigung dieser Waͤnde gegen den
Horizont dieselbe ist, die der Sand als Haufe auf seiner Abdachung anzunehmen
pflegt, d.h. ein Winkel von ungefaͤhr 30°. Ich habe mehrere dieser
Versuche mit einer cylindrischen Roͤhre von 4 Zoll im Durchmesser mit
demselben Erfolge wiederholt.
§. 10. Nach Allem, was ich wahrgenommen habe, konnte ich vermuthen, daß es
sehr schwer halten muͤßte, den Sand mittelst eines Sezkolbens aus einer
Roͤhre hinaustreiben zu wollen. Ich uͤberzeugte mich hiervon auf
folgende Weise. Ich fuͤllte die blecherne Roͤhre mit Sand und legte
sie dann horizontal. Hierauf nahm ich einen hoͤlzernen Cylinder von mehreren
Fuß Laͤnge und etwas kleinerem Durchmesser als die Roͤhre. Ich
versuchte nun den Sand bei dem einen Ende aus der Roͤhre herauszutreiben,
indem ich an dem anderen Ende mit obigem Cylinder auf denselben druͤkte:
allein es war unmoͤglich; ehe wuͤrden die Waͤnde der
Roͤhre geborsten seyn, als der Sand auch nur einen Zoll breit nachgegeben
haͤtte. Ich neigte die Roͤhre unter einem Winkel von 20° gegen
den Horizont, so daß selbst die Schwere dem Ausfließen des Sandes haͤtte zu
Huͤlfe kommen sollen; auch auf diese Weise war es unmoͤglich, und
wuͤrde es noch mehr gewesen seyn, wenn man die Roͤhre in
entgegengesezter Richtung geneigt haͤtte. Hieraus erklaͤrt sich nun
sehr deutlich, wie es kommt, daß eine Mine oder ein Bohrloch beim Sprengen mit Sand
gefuͤllt eben so gut sprengt, als auf die gewoͤhnliche Art.
Yverdun. 15. Jan. 1829.
P. S. 1) Wenn man in dem Versuche uͤber den Druk
§. 2. Wasser in die Roͤhre gießt, welche die Erbsen enthaͤlt,
so wird man das Queksilber in der entgegengesezten glaͤsernen roͤhre
um 1/14 seiner Gesammt-Hoͤhe steigen sehen, und dieses Steigen
correspondirt mit der specifischen Schwere dieser beiden Fluͤssigkeiten. Das
Wasser wirkt also hier allein auf seine gewoͤhnliche Weise: die Erbsen
hingegen aͤußern keinen Druk auf das Queksilber.
2) Noch eine Art den Versuch mit der Roͤhre anzustellen, ist folgende, die jeder nachmachen
kann. Man nehme eine Roͤhre aus Eisenblech von 3 Centimeter (1 Zoll) im
Durchmesser und von beliebiges Laͤnge: sie sey an beiden Enden offen. Man
nehme ferner ein Blatt feines Papier und rolle es um das eine Ende dieser
Roͤhre, damit es die Form desselben bekommt; ziehe es hierauf von der
Roͤhre ab, mach es an seinen Raͤndern mit Wasser naß, bringe es wieder
auf das Ende der Roͤhre und befestige es auf demselben bloß mittelst seiner
nassen Raͤnder. Man stelle nun die Roͤhre mit diesem, mittelst
Papieres geschlossenem, Ende auf ein Brett und fuͤlle sie mit Sand. Man hebe
sie nun ganz sacht, und man wird sie, senkrecht gehalten, herumtragen
koͤnnen, ohne daß ein Koͤrnchen Sandes entweicht. Das Papier klebt
indessen nur sehr leicht an der Roͤhre.
3) Es waͤre der Muͤhe werth eine Sand-Uhr unter die Glole einer
Luftpumpe zu bringen, und Versuche im luftleeren Raume anzustellen, um zu sehen, ob
einige Veraͤnderung in Hinsicht auf die Schnelligkeit des Ausflusses des
Sandes Statt hatSo sehr man Hrn. Huber-Burnand fuͤr
diese Versuche Dank wissen muß, so sehr waͤre es zu wuͤnschen,
daß sie in einem weiteren Umfange fortgesezt wuͤrden,
vorzuͤglich in Hinsicht auf den Seitendruk, da der senkrechte so
unbedeutend ist. Diese Versuche wuͤrden fuͤr Berg-,
Straßen- und Wasser-Bau aͤußerst wichtig werden
koͤnnen, und manches Unnuͤze und Ueberfluͤssige
wuͤrde sich ersparen, oder mit groͤßerem Vortheile auf das
Nothwendige verwenden lassen.A. d. Ue..