Titel: | Ueber die Krystallform der Weinsteinsäure. Von Hrn. Peclet. |
Fundstelle: | Band 21, Jahrgang 1826, Nr. LVI., S. 260 |
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LVI.
Ueber die Krystallform der Weinsteinsäure. Von
Hrn. Peclet.
Aus den Annales de Chimie et de Physique. Januar.
1826. S. 78.
Peclet, über die Krystallform der Weinsteinsäure.
Da ich Gelegenheit habe, große Mengen von weinsteinsaure zum
Krystallisiren zu bringen, so erhielt ich oft einzelne sehr ausgebildete Krystalle,
welche mir gestatteten, ihre Formen genau zu bestimmen. Das Krystallisations-System
dieser Saͤure ist noch nicht bekannt, und ich glaube daher eine Beschreibung
desselben geben zu muͤssen.
Die Krystalle der weinsteinsaure sind sechsseitige Prismen mit je zwei parallelen
Flaͤchen; die vier stumpfen Winkel sind gleich, und messen 129°; die beiden anderen Winkel,
die ebenfalls gleich sind, haben 102°. An den Enden der Prismen sind
dreiflaͤchige Pyramiden, deren Einfallswinkel 102°, 5, 122° und
125° betragen.
Die im Handel vorkommenden Massen von weinsteinsaure bestehen aus Krystallen, die an
einander gedraͤngt sind, so daß bloß ihre Enden zu bemerken sind; die Prismen
lassen sich aber zeigen, wenn man ein Stuͤk solcher Massen in Wasser bringt,
und nach einigen Augenbliken wieder herausnimmt; die Saͤure, welche verworren
krystallisirt ist, und die Krystalle von einander trennt, loͤst sich zuerst
auf, und laͤßt dann die Krystalle deutlich werden. Zuweilen sind die Prismen
parallel mit der Achse stark zusammengedruͤkt, so daß die Krystalle
tafelfoͤrmig werden: man erkennt jedoch noch die beschriebene Flaͤche.
Ich bemerke, daß die Same nur dann flachgedruͤkte Krystalle bildet, wenn die
Aufloͤsung derselben nicht sehr concentrirt war, und laug zum Krystallisiren
brauchte. – Eine der Endflaͤchen der Krystalle besizt oft im
Verhaͤltnisse zu den beiden uͤbrigen eine so große Ausdehnung, daß
diese kaum zu bemerken sind.
An den Krystallen der Weinsteinsaͤure bemerkte ich selbst mit starken
Vergroͤßerungs-Glaͤsern keine Streifen. Ich versuchte auch umsonst
Blaͤtterdurchgaͤnge aufzufinden; denn sie mochten in was immer
fuͤr einer Richtung zerschlagen werden, so erhielt ich doch keine
regelmaͤßigen Spaltungsflaͤchen. Da ich durch den
Blaͤtterdurchgang keine Grundform herausbringen konnte, so suchte ich die
moͤglichen Grundformen ausfindig zu machen; ich fand nur eine einzige. Die
einzige moͤgliche Grundform der Weinsteinsaͤure-Krystalle ist ein
schiefes Parallelopipedum, dessen zweiflaͤchige Winkel, die an den
stumpfesten koͤrperlichen Winkel stoßen, 102°, 5, 122° und
125° messen. Die beschriebene secundaͤre Form entstuͤnde durch
eine einreihige Abnahme der 6 Kanten der Grundform, welche den spizigen
zweiflaͤchigen Winkeln entspricht. Denn, stellt man die Grundform so, daß die
kuͤrzere Diagonale, als Achse angenommen, senkrecht ist, so erhellt offenbar,
daß eine einreihige Abnahme eines der Seitenraͤnder, eine secundaͤre
Flaͤche hervorbringt, welche mit der Achse parallel laͤuft, und daß
folglich eine aͤhnliche Abnahme der sechs Seitenkanten ein sechsseitiges
Prisma erzeugt, an welchem je zwei Flaͤchen parallel sind, und an dessen
Enden sich die dreiflaͤchigen oberen und unteren Eken der Grundform
befinden.
Diese secundaͤre Form hat große Aehnlichkeit mit jener Varietaͤt des
kohlensauren Kalkes, welche Hauy Unitaire genannt hat. An
lezterer ist aber das sechsseitige Prisma regelmaͤßig, weil die Grundform ein
Rhomboid ist.
Dieses Krystallisations-System der weinsteinsaure ist sehr einfach, weil ihre
beobachtete Form bloß von einer einreihigen Abnahme, durch den Abzug eines einzigen
Molekuls herruͤhrt; es stimmt mit einem allgemeinen Geseze uͤberein,
an welchem ich nie eine Abweichung bemerkte, und welches darin besteht, daß die
ersten Abnahmen immer an den spizigsten Winkeln Statt haben. (Den Grund hiervon habe
ich in meinem Traité de Physique p. 85 und 86.
angegeben.) Da ich nur eine einzige Grundform fand, welche im Stande ist, die
beschriebene secundaͤre Form hervorzubringen, so glaube ich, daß das
angegebene Krystallisations-System alle jene Gewißheit besizt, die man in
aͤhnlichen Fallen verlangen kann.
Da ich die angegebenen Winkel nur mit dem gewoͤhnlichen Goniometer messen
konnte, so kann diese Angabe nicht so genau seyn, als wenn sie mit einem
Reflexions-Goniometer gemessen worden waͤren; ich glaube jedoch nicht, daß
der Irrthum, den ich allenfalls begangen haben koͤnnte, mehr als 1/2 Grad
betraͤgt.