Titel: | Neue Thatsachen zur Aufhellung der Theorie über Kalkmörtel. Von Hrn. Vicat, Ingenieur en Chef des Ponts et Chaussées. |
Fundstelle: | Band 17, Jahrgang 1825, Nr. CV., S. 481 |
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CV.
Neue Thatsachen zur Aufhellung der Theorie über
Kalkmörtel. Von Hrn. Vicat, Ingenieur en Chef des Ponts et Chaussées.
Aus den Annales de Chimie. T. 28. S.
142.
Vicat's, Thatsachen zur Aufhellung der Theorie über
Kalkmörtel.
Man nahm zweierlei Arten Sand, den einen weiß und durchaus
quarzig; den anderen granitartig und mit Basalt gemengt; man wusch sie, digerirte
sie mit Hydrochlorsaͤure, wusch sie neuerdings frei im Wasser, und troknete
sie bei einer Temperatur von 100°.
Am 12. Junius 1822 fabricirte man aus diesem Sande zweierlei Arten von Moͤrtel
auf folgende Weise. Man nahm erstens weißen Sand aus dem Schachte, kalt gewogen, 896
Theile; lebendigen Hydrolith-Kalk, wie er aus dem Ofen kam, 300 Theile. Diese
Masse wurde in einem Glase, welches 787 Theile wog, auf die gewoͤhnliche
Weise zu Moͤrtel angeruͤhrt, der sammt dem Glase, 2630 Theile betrug.
Die Differenz gibt das Wasser zu 647 Theilen. Das ganze Gewicht des frischen
Moͤrtels N. 1. betrug 1843 Theile.
Zweitens Granit-Sand mit Basalt gemengt, kalt gewogen, 896 Theile; lebendiger
Kalk, wie oben angewendet, 300 Theile. Menge Wassers, auf obige Weise bestimmt, 612
Theile, 50. Gericht dieses Moͤrtels: 1808, 50.
Diese beiden Moͤrtel hatten, unter den guͤnstigsten Umstaͤnden
zur chemischen Vereinigung ihrer Bestandtheile, nach 15 Monaten 27 p. C. verloren.
Den 4. Februar 1824, d.i. zwei Jahre nach ihrer Verfertigung,Weniger 4 Monate. A. d. Ueb. wurden beide mittelst Hydrochlorsaͤure außer Verbindung gebracht. Der
Sand von N. 1., frei dargestellt, gewaschen, getroknet,
und, wie vorher, kalt gewogen, gab 892 Theile. Der Verlust von 1/223, oder 44
Zehntausendtheilen, darf offenbar nur dem zweiten Waschen zugeschrieben werden. Der
Sand N. 2. wog aber, auf dieselbe Weise behandelt, nur
883 Theile, was einen sehr bedeutenden Verlust von 1/68 gibt. Man nahm noch ein Mahl
500 Theile desselben Sandes, und digerirte sie mit Hydrochlorsaͤure; und da
sich Hize waͤhrend der Aufhebung der Verbindung entwikelte, erhoͤhte
man gleichfalls die Temperatur der Saͤure bei dieser Gegenprobe, und
unterhielt die Wirkung derselben waͤhrend dieser Zeit. Der hierauf
gewaschene, getroknete und gewogene Sand gab einen Verlust von 7 auf 500, oder 1/71,
was von 1/68 wenig abweicht, und uͤber die Ursache des Verlustes an dem
beigemengten Sande keinen Zweifel uͤbrig laͤßt. Man kann hieraus
schließen, daß der Hydrolith-Kalk diesen Sand nicht mehr angreift, als den
reinen Quarzsand. Der Sand, dessen man sich hier bediente, war hartkoͤrniger
Flußsand, von fuͤhlbarem Korne.
Das Festwerden der Moͤrtel aus Hydrolith-Kalk und gemeinem Kalke ist
also nicht, wie die HHrn. John und Berthier meynen, das Resultat einer chemischen Verbindung; es ist aber
auch, auf der anderen Seite, durchaus unmoͤglich, dieses Festwerden als ein
rein mechanisches Zusammenhaͤngen des Sandes
und Kalk-Hydrofilicates, d.i., als eine Einkeilung der
Unebenheiten zu betrachten. Man muß also eine
Molecular-Verwandschaft ohne daraus folgende Vereinigung zulassen, und zwei
Arten von Adhaͤrenz unterscheiden, wovon die erste die mechanische ist, nach welcher z.B. Gyps sich mit Stein oder Holz
verbindet; die zweite ist die innige, analog derjenigen,
durch welche die meisten Incrustationen sich mit den Waͤnden vereinigen, aus
welchen sie sich langsam erzeugten. Wenn Hr. Berthier
sagt, daß er die Haͤrte des Moͤrtels nicht durch Einkeilung der
Theilchen erklaͤren will, so nimmt er offenbar eine nicht mechanische Ursache
an, und hieruͤber sind wir beide einverstanden.
Allein es ist noch ein anderer Umstand, uͤber welchen wir noch weit
auseinander sind; naͤmlich uͤber die Theorie der hydraulischen
Moͤrtel mit fettem Kalke und Puzzolanen. Hier kann die ganz eigene
Verbindung, die man zwischen dem reinen Kalkhydrate und den harten absorbirenden
Theilchen, aus welchen die Puzzolanen bestehen, nicht aus der einzelnen Thatsache
irgend einer Adhaͤrenz ohne daraus folgende Verbindung entstehen. Denn, wenn
man keine Verbindung zugibt, so muß man doch gestehen, daß der Kalk seine
gewoͤhnlichen Eigenschaften, Aufloͤsbarkeit, Causticitaͤt etc.
behaͤlt, und, wenn man dieß zugibt, so folgt unmittelbar, daß alle
Moͤrtel aus fettem Kalke und Puzzolanen, von was immer fuͤr einer Art, ohne Ausnahme,
sobald sie in fließendes Wasser versenkt werden, sich in demselben schnell zersezen
muͤßten; was aber nicht geschieht. Hr. Berthier
scheint diesem Einwurfe dadurch zuvorzukommen, daß er sagt: „man weiß, daß
poroͤse Koͤrper die Eigenschaft besizen, einzusaugen, und eine
Menge gasfoͤrmiger Koͤrper zu verdichten; koͤnnte es nicht
eben dadurch geschehen, daß sie, indem sie eben so auf die in der Luft und in
dem Wasser enthaltene Kohlensaͤure wirken, die Eigenschaft
besaͤßen, die Erhaͤrtung gewisser Stoffe zu
beschleunigen?“
Wir entlehnen unsere Antwort von Hrn. John; es heißt in
der Abhandlung dieses gelehrten Chemikers, daß die Analyse eines 4 Jahre unter
Wasser befindlichen Traß-Moͤrtels, in 100 Theilen, 24,00 Wasser, 33,00
Quarz, 8,00 Kieselerde in Verbindung, 32,75 Kalk mit Spuren von Eisen-Oxid,
2,25 Kohlensaͤure darboth.
Diese Analyse beweist, daß in diesem Moͤrtel der Kalk nicht Kohlensauer,
sondern von der Kieselerde neutralisirt wurde. Der wichtigste Punct ist zu erfahren,
woher diese Kieselerde kam. Hr. John sagt, daß der Kalk
des analysirten Moͤrtels zu Trier gegraben wurde. Alles, was wir von dem
Kalke zu Trier wissen, ist, daß er mager, und wahrscheinlich mittelmaͤßig
hydrolith ist, indem die Franzosen uͤberall, wo sie sich desselben bedienen
mußten, fuͤr unerlaͤßlich erachteten Traß zusezen. Nun wuͤrden
aber 8 Theile Kieselerde auf weniger als 32,75 Kalk (der Traß mußte 3 bis 4 p. Cent
Kalk liefern) beinahe 25 p. C., und einen sehr mageren und sehr hydrolithen Kalk
geben. Es ist demnach sehr wahrscheinlich, daß der Traß einen guten Theil der
verbundenen Kieselerde lieferte.
Alle Hypothese bei Seite gesezt, stellt man doch bei obiger Untersuchung eine auf,
indem man behauptet, daß der Traß, eine aus harten und absorbirenden Theilchen
bestehende Substanz, mit einem Worte, eine wahre Puzzolane, keine
Kohlensaͤure dem Kalke abtritt, mit welchem man denselben mengt. Man wird
doch nicht behaupten, daß dieser Traß, mit dem moͤglich fettesten Kalte (dem
Muschelkalke in Holland) nicht einen guten hydraulischen Moͤrtel gebe. Die
Vermuthungen des Hrn. Berthier uͤber die Ursachen
der Wirksamkeit der Puzzolanen sind also durch die Thatsachen selbst
geschwaͤcht.
Wenn aber, fragt Hr. Berthier, der gemeine Kalk einige
Wirkung auf die Kieselerde der Puzzolanen aͤußert, wie sollte er keine gegen
den rohen Thon zeigen, einen Koͤrper, der uͤberhaupt sich leichter
einer Verbindung hinneigt, als der gebrannte Thon? Wie kommt es, daß der
Feldspathsand, der durch
Aufhebung seiner Verbindung aus dem Granite entsteht, beinahe dieselbe Rolle spielt,
wie reiner Sand?
Diese Fragen koͤnnen wir heute zu Tage beantworten, da es nicht gebrannte,
nicht poroͤse, nicht absorbirende Koͤrper aus schwachen
Grundbestandtheilen gibt, die den fetten Kalk neutralisiren, und einen hydraulischen
Moͤrtel mit demselben bilden. Diese Koͤrper sind erstens gewisse
Feldspath-Sand-Arten, oder verwitterte Granite. Zweitens der
groͤßte Theil der braunen und muͤrben Psammiten in
Nieder-Bretagne.
Diese Thatsachen waren vor wenigen Monaten uns noch unbekannt; sie sind aber
gegenwaͤrtig erwiesen: erstens durch die zahlreichen Erfahrungen des Hrn. Avril, Ingenieur des ponts et
chaussées, beim Canal-Baue von Nantes nach Brest, zu Carhain.
Zweitens durch die Erfahrungen des Hrn. Payen, Ingenieur
bei demselben Canale zu Zosselin. Wir haben mit eigenen Augen die Resultate gesehen,
von welchen wir sprechen; wir haben Gegenversuche gegen jene zu Rennes im Verlaufe
des lezten Decembers angestellt, und werden in einem Jahre die neuen Versuche einer
strengen Pruͤfung unterwerfen. Einstweilen werden wir Hrn. Berthier Muster der angewendeten Substanzen zusenden.