Titel: Bericht über das Abtragen der Reste der Mauern, die nach dem lezten großen Brande zu Edinburgh vom 15. und 17. November 1824. noch übrig blieben. Von einem See-Officier.
Fundstelle: Band 17, Jahrgang 1825, Nr. XXX., S. 133
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XXX. Bericht über das Abtragen der Reste der Mauern, die nach dem lezten großen Brande zu Edinburgh vom 15. und 17. November 1824. noch übrig blieben. Von einem See-Officier. Aus dem Edinburgh Philosophical Journal. Jaͤnner. 1825. S. 93. Mit Abbildungen auf Tab. IV. (Im Auszuge.) Ueber das Abtragen der Reste der Mauern. Zu dem Ungluͤke eines Brandes gehoͤrt bei uns nicht bloß der dadurch erlittene Verlust an Waaren, Mobilien etc., nicht bloß der Verlust den der neue Bau verursacht, sondern auch der elende Zeitverlust, der durch das Abtragen der Reste der noch uͤbrigen Mauern etc., die bei dem neuen Gebaͤude nicht mehr benuͤzt werden koͤnnen, entsteht. Wer hat sich nicht mit uns uͤber den Schnekengang geaͤrgert, mit welchem wir Gebaͤude und Mauern abtragen sehen, und fuͤr diejenigen gezittert, die bei dieser gefahrvollen Arbeit so oft ihr Leben fuͤr einige Groschen wagen? Vielleicht, daß die hier beschriebene Methode Haͤuser einzureißen, auch bei uns Nachahmung findet, und uns Zeit und Menschenleben sparen lehrt. „Als der große Brand, der Edinburgh im November vorigen Jahres verheerte, geloͤscht war, zeigte sich, daß eine ganze Reihe der abgebrannten Haͤuser den Einsturz drohte. Dieß war vorzuͤglich bei dem hoͤchsten Hause der Stadt, an der Suͤd-Ost-Eke des Parliaments-Plazes, der Fall, und an der hinteren Mauer des daran stoßenden Hauses: die ausgebrannten Mauern dieser Gebaͤude drohten uͤber Reihen kleinerer, noch erhaltenen Gebaͤude einzustuͤrzen. Hauptmann Head vom Genie-Corps erhielt von dem Commandanten der Stadt den Befehl einen Plan zu entwerfen nach welchem dieser dringenden Gefahr gesteuert werden koͤnnte. Die beiden Steinmassen, die abgetragen werden sollen, befanden sich unter ganz verschiedenen Verhaͤltnissen. Der große Giebel, A, Tab. IV. bildete einen langen und verhaͤltnißmaͤßig schmalen Pfeiler, der durch irgend eine groͤßere Gewalt niedergerissen werden konnte. Er war 34 Fuß breit, und 130 Fuß hoch. Die Mauer, B, war mehr dann zwei Mahl so breit, als der Giebel, und durch eine bedeutende Streke einer anderen Mauer, die senkrecht auf die Mitte derselben stand, noch stark gestuͤzt, so daß man dieselbe nach keiner anderen Richtung, als uͤber die hinter derselben befindlichen Haͤuser, niederreissen konnte. Hauptmann Head schlug vor, um den großen Giebel eine Kette so zu ziehen, daß, wenn man an dem anderen Ende der Kette eine bedeutende Kraft anbringt, dadurch der obere Theil des Giebels auf den Plaz herabgeworfen werden koͤnnte; zugleich mußte aber durch eine sorgfaͤltige Vorrichtung und Spannung der Mittelpunct und der untere Theil der Mauer vor dem Ausbeugen geschuͤzt werden, durch welches fuͤr die darunter befindlichen Haͤuser der groͤßte Nachtheil entstanden seyn wuͤrde. Diese Idee wurde von Capitain Hope d. k. Flotte mit seinen Officieren und Matrosen, und mit Beihuͤlfe des Hauptmannes Head, sehr gluͤklich ausgefuͤhrt. Mit bewundernswuͤrdiger Kuͤhnheit und Geschiklichkeit, und keine Gefahr scheuend, kletterten die Officiere der Flotte und die Matrosen auf diese Ruinen. Einige Matrosen wurden auf die benachbarten Haͤuser beordert, und zogen mittelst einer duͤnnen Leine, die sie uͤber den Giebel bei, C, warfen, das Ende eines schwereren Seiles herauf, an welchem ein Hawser von 3 1/2 Zoll befestigt war. Dieß wurde auf den Plaz hinabgelassen, und an einer Rolle befestigt, die an einem Pfosten festgemacht war, welcher durch drei andere gestuͤzt ward, und mehrere Fuß tief in den Grund versenkt wurde: ein starker Balken diente zu seiner Befestigung. Es war nun die Frage, ob die Kette von hinten um den Giebel aufgezogen werden sollte, oder, so wie die Leine, von oben. Mehrere Personen, unter anderen auch der Verfasser dieses Aufsazes, waren der lezteren Meinung; allein Hauptmann Head entschied sich, aus bessern Gruͤnden, fuͤr die erstere. Das eiserne Tau wurde aufgewikelt bei, D, und nachdem man das Ende desselben an dem Hawser fest gemacht hatte, wurde es von den Matrosen, die auf dem Plaze an dem anderen Ende ihre Kraͤfte anwendeten, in die Hohe gezogen. Wie diese Kette aufgezogen wurde, schnitt sie 8 bis 10 Fuß tief ein, und riß dadurch zuerst ein Stuͤk Mauer nieder, und sagte dann das Mauerwerk durch, uͤber welches sie bei, C, lief. Nachdem genug von der Kette aufgezogen war, wurde eine starke Vorrichtung, bestehend aus zwei Rollen daran angeschlungen, und das Ende des Seiles durch eine Rolle geleitet, die an dem Balken befestigt war. Auf diese Weise war nun alles fertig, als eine Schwierigkeit sich zeigte, auf die man nicht gedacht hatte. Die Eke an dem Giebel war mit Hervorragungen besezt, welche die Glieder der Kette, die denselben umfassen sollte, hinderten so hoch hinaufzukommen, daß der mittlere Theil des Restes dieser Mauer sich nicht nach vorwaͤrts ausbiegen sollte. Diesem Uebel ward dadurch abgeholfen, daß man ein kleines Takelwerk, GG, an dem oͤstlichen Fenster des Hauses anbrachte, und die andere Rolle in der Hoͤhe der Kette befestigte. Nachdem dieses aufgezogen war, wurde die Kette von der Eke der Mauer entfernt, und diese Absicht ward dadurch noch leichter erreicht, daß man mittelst eines anderen kleinen Takelwerkes, HH, das Gewicht der Kette unterstuͤzte, und dadurch dieselbe von den Eken und von dem Schutte entfernt hielt. Nachdem Alles so vorgerichtet war, sah es aus wie Fig. 1. auf Tab. IV. Nun zog die ganze Mannschaft an der Kette bei, KKK, spannte dieselbe so sehr wie moͤglich, wikelte sie mehrere Mahle um den Balten, und befestigte sie an diesem. Auf diese Weise ward alle Gefahr, daß der Giebel in die hinter demselben gelegene Gasse (Cow-gate) stuͤrzen wuͤrde, beseitigt. Am folgenden Tage Morgens befahl Hauptmann Head, waͤhrend mehrere kleine Vorbereitungen zum Niederreissen des Giebels gemacht wurden, eine Reihe von Minen oder Bohrloͤchern an an dem unteren Theile der Mauer anzulegen, der die oͤstliche Wand, B, stuͤzte: denn jene war die einzige Stuͤze der lezteren: sie wirkte in einer Richtung als Gegenmauer, und hinderte in der anderen Richtung durch ihre ungeheuere Schwere die Wand, daß sie nicht zuruͤk uͤber die Haͤuser einstuͤrzte. Hauptmann Head sah ein, daß, wenn die Basis oder das untere Ende dieser Mauer gesprengt wird, die Stuͤze wegfaͤllt, und die Gegenmauer augenbliklich in eine mehr als hinlaͤngliche Last verwandelt wird, um die Mauer in der verlangten Richtung niederzureißen. An den Puncten 1, 2, 3, 4, 5, 6, wurde demnach gebohrt, die Bohrloͤcher wurden mit Pulver gefuͤllt und mit Lunden versehen, deren Laͤnge von Nr. 1 bis 6 abnahm. Er hatte hierbei die Absicht, diese Grundfeste nach und nach zu zerstoͤren, und nicht auf ein Mahl in Einem großen Schlage, damit nicht das ganze Gemaͤuer auf die unrechte Seite fiele. Er brauchte nur 4 1/2 Pfund Pulver, wovon uͤbrigens nur 2/3 oder 3 Pfund wirklich losgingen. Ungefaͤhr etwas nach 12 Uhr wurde die Kette mit Capitaͤn Hope's Leuten bemannt, und nach mehreren sehr kraͤftigen Zuͤgen derselben (das Volk, das sie umgab, ermunterte sie durch lautes Geschrei) huͤpfte der obere Theil des großen Giebels von seiner Hoͤhe herab, mitten in das noch uͤbrige Gebaͤude, und ließ bloß einen ungeheuer langen Pfeiler uͤbrig, der auf die sonderbarste Weise da stand. Auch dieser wurde hernach mit der Kette niedergerissen, obschon diese bei dem ersten Bruche des Giebels brach; sie war aber noch hinlaͤnglich in den Ruinen verwikelt, um fest zu halten. Dieser lange schmale Pfeiler stuͤrzte nicht uͤber, sondern senkte sich gerade an der Seite der noch uͤbrigen Wand bis auf 20 Fuß uͤber seiner Grundfeste nieder. Nun befahl Hauptmann Head dem Publicum, sich zu entfernen, und, nachdem der Parliaments-Plaz von allen Zuschauern vollkommen geleert ward, ging er allein auf demselben vorwaͤrts, und commandirte Feuer auf die Lunden. Eine tiefe Stille erfolgte, und Angst und Ungewißheit bemaͤchtigte sich aller Zuschauer. Der erste Schuß schlug einen Theil der Gegenmauer weg, und eine Rauchwolke stieg in die Hoͤhe. Beinahe in einem Augenblike darauf folgte die zweite Explosion, wodurch die Stuͤze vollkommen zerstoͤrt wurde, und das ganze ungeheuere Mauerwerk anfing in Bewegung zu gerathen. Anfangs schien es bloß zu zittern; in dem naͤchsten Augenblike aber sah man es von oben bis unten sich winden; dann fielen einige Steine; dann neigten die ungeheuren Schaͤfte der Schornsteine, und die Giebel des Gemaͤuers ihre Haͤupter nach vorwaͤrts; die mittleren und unteren Theile der Mauern schienen kraftlos aus ihren Fugen zu treten; und als alle diese Bewegungen sich immer mehr und mehr beschleunigt hatten, stuͤrzte das ganze Gebaͤude donnernd und unter fuͤrchterlichem Krachen auf die Erde: eine dichte Staubwolke stieg hoch in die Luft empor. (Siehe Fig. 2.) Gluͤklicher konnte nichts abgelaufen seyn: kein Mensch ward verwundet; kein nahestehendes Gebaͤude beschaͤdigt, obschon mehrere derselben sich nur einige Fuß breit von diesen Ruinen befanden. Es verdient besonders bemerkt zu werden, daß bei dem Einsturze dieser Mauern die Wirkung ihres Falles sich nicht weiter, als auf einige Yards erstrekte. Es scheint, daß man sich diesen Umstand nur dadurch erklaͤren kann, daß man annimmt, die Steine waͤren durch die Zersezung des Moͤrtels, und durch die theilweise Calcination derselben durch das Feuer vollkommen los geworden, so daß, in dem Augenblike, wo das Gleichgewicht aufgehoben wurde, alle einzelnen Theile unabhaͤngig von einander wirkten, und, da kein Zusammenhang mehr zwischen denselben Statt hatte, gerade auf die Erde fielen.“

Tafeln

Tafel Tab.
                                    IV
Tab. IV