Titel: | Beschreibung der Renn-Chaise des königl. würtemberg. Hrn. Major's von Brecht, für welche derselbe von dem landwirthschaftlichen Vereine zu Stuttgart im Spätjahre 1820 eine Prämie von 20 Dukaten nebst der silbernen Preis-Medaille erhielt. |
Fundstelle: | Band 9, Jahrgang 1822, Nr. XXXV., S. 273 |
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XXXV.
Beschreibung der Renn-Chaise des königl. würtemberg. Hrn. Major's von Brecht, für welche derselbe von dem landwirthschaftlichen Vereine zu Stuttgart im Spätjahre 1820 eine Prämie von 20 Dukaten nebst
der silbernen Preis-Medaille
erhielt61) .
Mit illuminirten Abbildungen auf Tab. V.
Beschreibung der v. Brecht'schen Renn-Chaise.
Diese Chaise verbindet Leichtigkeit mit seltener
Dauerhaftigkeit, und moͤglich hoͤchster Vollstaͤndigkeit und
Bequemlichkeit sowohl fuͤr die Fahrenden, als fuͤr denjenigen, der
kutschirt. Wegen der Leichtigkeit in ihrer Bewegung nannte der Herr Major dieselbe
Renn-Chaise.
Waͤhrend an anderen Kutschen die Reibung an so vielen Theilen derselben die
Bewegung erschwert, ist sie hier nur auf jene Punkte concentrirt, wo sie durchaus
unvermeidlich ist. Die Kraft der Federn ist verstaͤrkt, und so angebracht,
daß die sonst gewoͤhnlichen Stoͤße, und das so vielen Personen
unausstehliche Schaukeln, bei dieser Chaise gaͤnzlich verschwinden. Alles,
was den Wagen nur schwerer macht, ohne ihm mehr Festigkeit und Leichtigkeit bei den Wendungen zu
geben, z.B. Langwied und Schwanenhaͤlse, ist hier weggelassen. In einem weit
kleineren Umfange, als bei anderen aͤhnlichen Kutschen, ist hier fuͤr
3 bis 4 Personen Raum, und alle koͤnnen, das Gesicht nach Vorwaͤrts
gekehrt, und geschuͤzt gegen Regen, bequem in dieser Chaise sizen. Zehn
Taschen in dem Inneren des Kastens, und eine fuͤr sich abgeschlossene Kiste in demselben mit
zwei Behaͤltern unter derselben, (von welchen der eine ganz verborgen
angebracht ist), gewahren hinlaͤnglichen Raum fuͤr die Bagage. Will
man selbst kutschiren, so ist ein beweglicher Sattel hiezu angebracht, auf welchem
man mit den uͤbrigen in der Chaise fahrenden Personen gleichen Schuz gegen
die Witterung genießt, ohne daß die Leitung der Pferde dadurch gehindert oder
gefaͤhrdet waͤre. Der Bediente findet seinen Plaz auf einem
ruͤkwaͤrts an der Chaise angebrachten Sattelboke.
Das Verdek und das Visir oder der Regenschirm laͤßt sich so zusammenlegen und
zuruͤkschlagen, daß man in dieser Chaise bei schoͤnem Wetter ganz frei
und offen sizt, wie Fig. I. 4 zeigt. Das eigentliche Verdek hat 6 Spriegel (Fig. II. 3) und das Visir
oder der Regenschirm 6 Schuppen: Wodurch sich beide weit schoͤner und besser
woͤlben und deken, als gewoͤhnlich mit 4–5 Spriegeln und mit
einwaͤrts gebogenem Schirme. Durch eine neue Einrichtung ist naͤmlich
hier das Gewerbe des Rahmens, Fig. II. vereint, und
durch die abgekroͤpfte Stuͤze, Fig. II. Nr. 2, wird das
vollkommene Zuruͤklegen moͤglich.
Das am Verdeke, wie am Fußsake angebrachte Leder hat seine Fleischseite nach Außen,
die Narbenseite nach Innen gekehrt: es laͤßt sich daher mit Wachs
saͤttigen, und wie ein gewichster Stiefel behandeln, ohne daß dadurch das
vielleicht zweimal im Jahre noͤthige Einschmieren mit Fett gehindert
wuͤrde. Daß hiedurch allein, bei vollkommener Schonung der Narbenseite, die
unerlaͤßliche Wasserdichtheit des Leders erhalten wird, ist offenbar.
Der Sattel, welcher mit dem Hinteren Size in Verbindung steht, kann nach Belieben
augenbliklich hoͤher, tiefer, vor- und ruͤkwaͤrts
gestellt, oder gaͤnzlich herausgenommen werden, und wirkt, durch die unter
demselben angebrachten Federn, hoͤchst wohlthaͤtig auf den Unterleib, dem er eine sanfte
Erschuͤtterung mittheilt.
Der an dem Schnabel dieses Sattels befindliche Ring (Fig. I. 5) dient zum
Einhaͤngen des Leitseiles, welches also hier nimmermehr den Haͤnden
entfallen kann. Daß man, wo man selbst kutschiren will, auf einem solchen Sattel, im
Wagen sizend, anstaͤndiger als vorne auf dem Bote untergebracht ist, und daß
man, weil die Arme frei bleiben, die Pferde um so leichter und sicherer leiten kann,
bedarf wohl nicht erst besonders bemerkt zu werden.
Auf dem Hintersize finden noͤthigen Falles 3 Personen Raum: die Kissen sind
aus Zeug, welcher in elastischen Firniß getraͤnkt ist, luftdicht und mit Luft
gefuͤllt: eine Einrichtung, deren Vortheile die neuesten Erfahrungen erwiesen
haben.
An dem Schlosse der Thuͤrchen befindet sich ein Handegriff (Fig. II. Nr. 5), bei
dessen Umdrehung sich ein Riegel 3 Zoll tief in die Vordersaͤule einwindet,
und wodurch das so laͤstige und haͤufige Aufspringen der
Thuͤrchen vollkommen vermieden wird. Ueberdieß sind die Angeln oder Gewerbe
(Scharniere) der Thuͤrchen mit einem Anschlage versehen, damit diese nicht zu
weit zuruͤkfallen, und den Kasten beschaͤdigen, oder von den
Raͤdern beschaͤdigt werden koͤnnen.
Die Laternen Fig.
1 und 7 werden, wo man sie braucht, nach Aussen gedreht, so daß sie
uͤber die Vorderraͤder zu stehen kommen, und ihr Licht mehr nach
Vorwaͤrts und Aussen verbreiten koͤnnen, und nicht wie die
Kutschen-Laternen bisher gewoͤhnlich thaten, den Schatten der Pferde
in den Weg werfen, und diese und den Kutscher mehr blenden, als daß sie denselben
leuchten.
Der Kasten ist mit dem Gestelle mittelst 8 Armen so verbunden, daß die der
Laͤnge nach laufenden vier Arme, Fig.
I. 8, den Kasten tragen,
und mit dem Vorder- und Hintergestelle vereinigen.
Die vier Querarme, 9 und 10, welche auf der Kranzfelge und auf der Hinteren Querfeder
zusammenlaufen, so wie die hinten damit verbundene Querfeder, Nr. 11, und die auf
der vordem Achse befindliche, Nr. 12, sind bloß zum Auffangen der Seitenbewegungen
(Stoͤße), und zum Schuze der Hauptfedern angebracht. Die beiden erstern
helfen zugleich auch die Kranzscheibe in wagerechter Lage erhalten, zu welchem Ende
auch die leztere einen Durchmesser von 2 Schuh 3 Zoll bekam, und mit 2 eisernen
Reifen beschlagen ist, in deren unteren 3 staͤhlerne Haken (Krampen)
eingreifen, wovon 2 zu beiden Seiten auf dem Achsstoke, der dritte aber auf den
Deichsel-Armen befindlich ist, wodurch der Kranz auf seinem Ruhepunkte
geschlossen bleibt, der Reibnagel gegen allen weiteren Nachtheil geschuͤzt,
und das Ausheben des Vordergestelles unmoͤglich gemacht wird.
Zu groͤßerer Dauerhaftigkeit sind die Deichselarme inwendig durchaus, so wie
auch die Deichsel selbst an ihrem Hintertheile, zu beiden Seiten mit eisernen
Spangen beschlagen.
Die daran befindliche Wage ist beweglich, und kann mittelst eines Triebwerkes durch
einen Schluͤssel (Fig. 1, 13) augenbliklich
entweder mehr rechts oder links gestellt werden. Hiedurch wird nicht nur der Wagen
in seinem geradelinigen Gange erhalten, welcher durch die feststehenden Wagen so oft
gehindert wird, sondern, ha die Pferde in Folge ihres verschiedenen Temperamentes
etc. selten gleich stark ziehen, eine zwekmaͤßige und gleiche
Kraft-Anwendung derselben hervorgebracht. Zugleich kann auch, mittelst dieses
Schluͤssels, nach der Hoͤhe der Pferde die Deichsel hoͤher und
tiefer gestellt werden, und durch eine, hinten und unten an derselben angebrachte
Feder, Fig. 1,
14, ist
die so haͤufige Gefahr des Abspringens der Deichsel, wo die Kutsche
uͤber jaͤhe abfallende Vertiefungen hin muß, leicht und sicher vermieden werden.
Das Deichselblech, an welchem die Aufhaͤlter befestigt werden, hat hier seine
Biegung nach Abwaͤrts, statt, wie bisher, nach Aufwaͤrts, damit es die
Pferde weniger beschaͤdigt. Es schließt sich von selbst durch eine Falle, um
schnell und sicher
einspannen zu koͤnnen; denn man wird gestehen, daß das Einschnallen des
Riemens, welcher das Abgleiten der Aufhaͤlter hindern soll, theils langweilig
ist, theils von den Kutschern, zur groͤßten Gefahr der Fahrenden, nur zu oft
und zu sehr vernachlaͤssigt wird.
Die laͤngs der Chaise liegenden vier Federn (Fig. 1. 15) tragen den Kasten
wagenrecht, und verbinden die beiden Gestelle mittelbar eben so gut, als es
unmittelbar durch die Langwied geschehen kann.
Obgleich diese Federn einige Aehnlichkeit mit den elliptischen englischen Federn
besizen, so sind sie doch in ihrer Wirkung zwekmaͤßiger, als die rein
convexen, oder aus zwei gleich großen auf einander gesezten Kreisboͤgen
gebildeten Federn, in dem diese bei zu starker Belastung zu sehr auf einander
dritten, wodurch dann alles freie Spiel aufhoͤrt. Diese Federn sind hier
convex-concav, und schließen bei starker Beladung nur etwas von Aussen
herein, nie aber, auch nicht bei der staͤrksten Beladung, vollkommen ganz, so
daß. ihre Elasticitaͤt niemals gaͤnzlich aufhoͤrt. Da diese Art
von Federn zwei gegen einander wirkende, durch Gewerbe oder Scharniere verbundene,
Federn bilden, so koͤnnte man sie mit Recht liegende Gegenfedern, oder
(wollte man in der Sprache der heutigen Philosophen sprechen,) horizontale
Vertical-Federn nennen.
Die Laͤnge der hintern zwei Haupt-Federn, Fig. 1, 15, betraͤgt 4
Schuh; ihr Durchmesser von einem Ruhepuncte zum anderen im Lichten 6 Zoll, und jeder
Theil derselben besteht aus drei Federblaͤttern. Die vorderen zwei Haupt-Federn sind 3
Schuh, 5 Zoll lang, und haben nur 5 Zoll im Lichten, und eben so viele, jedoch
schwaͤchere, Blaͤtter.
Die Querfedern sind so lang, als die Entfernung der Haupt-Federn es gestattet:
haben aber nur zwei, hoͤchstens drei Blaͤtter an jedem Theile, in dem
sie nicht tragen, sondern nur die Haupt-Federn gegen die Seitenbewegungen
schuͤzen sollen. Diese Querfedern vermindern nicht bloß die Stoͤße,
sondern verwandeln dieselben in ein sanftes Spiel.
Man hat zur Bewegung dieser Kutsche hohe Raͤder gewaͤhlt, die nur um
Einen Schuh im Durchmesser abweichen: die Hinteren halten 4 1/2, die vorderen 3 1/2
Schuh im Durchmesser: sie hat also, wie man sagt, den ganzen Rang, und man kann die
Deichsel bis an das Hintere Rad umdrehen.
Das Spiel der Raͤder ist durch eine auf das Minimum verminderte Reibung
erleichtert, in dem die Spindeln der Achse nicht die gewoͤhnliche, ringsumher
zweklos sich reibende, walzenfoͤrmige Form besizen, sondern vierekig, und auf
1/32 ihrer Peripherie abgerundet und so befestigt sind, daß eine Eke (Fig. III.) nach
Unten kommt: sie reiben sich also nur da, wo es unvermeidlich ist, und die
Flaͤchen 2,2,2,2, fodern nicht nur keine Schmiere, sondern nehmen dieselbe
auf62) ). Das, bei dem bisherigen Baue der Achsen und Raͤder unvermeidliche
Ein- und Auswaͤrtstreiben an der Scheibe, Spindel, und
auswaͤrts an der Schmier-Mutter, wo haͤufig keine, oder bloß
die herausgelaufene, mit Sand und Koth gemengte Schmiere sich befindet, ist hiedurch
vermieden: es hat, sowohl ein als auswaͤrts, nur innenwendig in der Nabe Statt, folglich bei
gleicher Schmiere der uͤbrigen Spindeln und an einer kleineren Peripherie,
indem durch den Ansaz (Fig. III. 3), und durch
das an der Mutter befindliche Rohr das Rad an der Spindel gehalten, und die
Schmiere, welche sich sonst durch die Flaͤchen an der lezteren, und die in
der Buͤchse befindlichen, doppelten, stachen Schraubengaͤnge verlieren
wuͤrde, eingeschlossen wird.
Diese Schrauben-Gaͤnge sind aber nicht bloß deßwegen in der
Buͤchse, um die Schmiere aufzunehmen, sondern auch um die Reibung zur
Haͤlfte zu vermindern, in dem sie immer so viel Raum zwischen dem Kerne
uͤbrig lassen, als dieser einnimmt. Diese Kerne bilden in den an der rechten
Seite befindlichen Radbuͤchsen ein linkes, und an der linken Seite ein
rechtes, flaches Gewinde, wodurch die Schmiere in dem abwaͤrts stehenden
Kegel immer nach Hinten geschafft wird. Durch diese Einrichtung der Spindeln und
Buͤchsen wird es nun moͤglich, mehrere Wochen ununterbrochen mit einem
solchen Wagen zu reisen, ohne daß es noͤthig waͤre, denselben frisch
schmieren zu lassen, in dem eine solche Buͤchse ein Viertel-Pfund
Schmiere aufnimmt, und durch die aͤußerst verminderte Reibung nur wenig
verzehrt; daß, bei der angebrachten Verwahrung derselben, keine verloren gehen kann,
wurde bereits bemerkt.
Da die Consistenz der Schmiere mit der Last der Reibung in Verhaͤltniß stehen
muß, so ist ein fluͤßiges Fett selbst fuͤr leichte Fuhrwerke
unbrauchbar, und es koͤnnte, wo man sich nicht der gewoͤhnlichen
Wagenschmiere bedient, bei großer Hize selbst Wachs als Schmiere zu empfehlen
seyn.
Zu den weiteren Vortheilen dieser Art von Chaisen kommt noch, 1tens daß sie nicht so
leicht wie andere umfallen, in dem hier der Schwung nicht so nachtheilig wirkt;
2tens daß, bei einer Verbindung von acht Armen, nicht so leicht ein Brechen Statt
hat, und selbst im Falle, 3tens daß ein Arm bricht, darum nicht, wie bei dem Verluste eines
Schwanenhalses oder der Langwied, sogleich alles weitere Fahren sein Ende hat. Man
kann auch dann noch seine Fahrt sicher fortsezen, wenn eine oder die andere Feder am
Blatte oder Gewerbe Schaden gelitten haben sollte.
Noch verdient bemerkt zu werden, daß die Deichsel hier so hoch zu stehen kommt, daß
sie an dem leibe der Pferde hinlaͤuft, und dieselben nicht, wie
gewoͤhnlich, an den Hinterfuͤßen, wo sie so empfindlich sind,
belaͤstigt; daß die Straͤnge, durch die gleichfalls in
gehoͤriger Hoͤhe gehaltene Wage, so ziemlich in horizontaler Richtung
laufen, wodurch nicht bloß die Kraft der Pferde zwekmaͤßiger angewendet,
sondern auch die Gefahr des Ueberschlagens der Pferde uͤber Strange und
Deichsel nicht so leicht zu befuͤrchten wird.
Man wird ferner nicht laͤugnen koͤnnen, daß die hier angegebenen
Achsen-Spindeln und Federn leichter puͤnktlich zu verfertigen sind,
als die gewoͤhnlichen, obschon nicht in Abrede gestellt werden kann, daß
alles Neue dem gewoͤhnlichen Handwerksmanne schwer faͤllt.
Tafeln
