Titel: | Sollen Realgewerbsgerechtigkeiten durchaus nicht bestehen können? |
Autor: | Dr. Ludwig Wirschinger [GND] |
Fundstelle: | Band 1, Jahrgang 1820, Nr. XXI., S. 212 |
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XXI.
Sollen Realgewerbsgerechtigkeiten durchaus nicht bestehen können?
Ein Beitrag zu den polytechnischen Eroͤrterungen.
Mit besonderer Rücksicht auf deutsche Staaten, und vorzuͤglich auf Baiern.
Von Dr. Wirschinger , Koͤnigl. Baierschen Regierungs-Rathe und Commissaͤr der Stadt Augsburg.
Decipimur specie recti.
Wirschinger über Realgerechtigkeiten.
Vieles sehen wir in unsern Tagen wiederkehren, was einst
gewesen ist: feierlich wird Manches, wegen nun gepriesener Nuͤzlichkeit, in
die Stelle zuruͤckgefuͤhrt, aus welcher dasselbe durch entgegengesezte
Ansichten – mit unerbittlicher Strenge – mit stuͤrmender Eile
verbannt worden war.
Gleichwie die lezten Jahrzehente allenthalben sich erschoͤpft haben –
in gewaltsamen Reformen die Wurzel zahlloser Institutionen zerstoͤrend, so
lenkt die Gegenwart geschaͤftig vom verschrienen Systeme ab, das Reformirte
reformirend. Fuͤr verdienstlich achtet es auch die gebildete Klasse, den
raschen Schritt der Vergangenheit durch unbedingte Wiederverehrung des Alten gut zu
machen, wohl auch demselben Vorzuͤge einzuraͤumen – blos nach
dem Rechte der Erstgeburt; waͤhrend Andere,
bestrickt durch eigenthuͤmliche Ansichten, nur im Reiche des Idealen Vollendung suchen und finden wollen.
Was hier im Allgemeinen gesagt ist, bewaͤhret sich beinahe uͤberall
auch im Einzelnen. Manche lehrreiche Beziehung gewaͤhrt ein hochgehaltener
Gegenstand des buͤrgerlichen Lebens, das Handwerkswesen, welches seit Jahrhunderten in gleichem Maaße getadelt und
gelobt, verfolgt und beguͤnstiget worden ist, und neuerdings bei den
Sprechern der Volks-Repraͤsentanten, wie bei den Schriftstellern
Theilnahme erweckt hat. – Schrankenlose Freiheit
oder widernatuͤrliche Gebundenheit sind die
Postulate, welche in einem und dem naͤmlichen Augenblicke in einem und
demselben Staate vorgetragen werden.
Es ist hier nicht der Plaz, die Zuͤnfte in ihrer Nuͤzlichkeit, als
Anstalten zur Vervollkommnung der Industrie, darzustellen, oder die Hindernisse aus
dem Verhaͤltnisse der Innungen gegen die Entwicklung individueller
Thaͤtigkeit zu schildern. Die speciellere Eroͤrterung, ob und in wie ferne Realgewerbsgerechtigkeiten bei den
bestehenden Verhaͤltnissen der Gewerbe in einem bestimmten Staate
gerechtfertiget werden koͤnnen, – eine Eroͤrterung,
welche fuͤr das Interesse des Staates und des Privaten nicht unwichtig ist,
soll versucht werden; abgesehen von jeder andern Ruͤcksicht, giebt die
Wahrnehmung, daß durch diese Frage neuerdings die widersprechendsten Urtheile hervorgerufen worden sind, ein geltendes Motiv
fuͤr eine solche Unternehmung.
Die Vergleichung der modernen Theorien mit den Ansichten der
Gesezgebung in verschiedenen Perioden duͤrfte am leichtesten dahin
fuͤhren, die Berichtigung und die Feststellung des wahren Gesichtspunktes zu gewinnen.
So vieles auch uͤber Innungen und Handwerke schon wegen
der Popularitaͤt des Gegenstandes geschrieben worden ist, so wurde
doch uͤber die Natur der sogenannten
Gerechtigkeiten, uͤber die neuerdings zur Sprache gebrachten
Vorzuͤge der Realgerechtigkeiten im Gegensaze persoͤnlicher
Gewerbsgerechtigkeiten weniger ausgeholt, als man dies erwarten sollte.
Beyer, Struvius, und einige
andere Zeitgenossen haben hieruͤber einzelne bestimmtere Eroͤrterungen
gelegenheitlich gemacht; moͤglich, daß in dieser Hinsicht wahr ist, was der zum Tadel gegen den
wissenschaftlichen Mann stets fertige Praktiker behaupten will, als sey in dieser
Erfahrungssache das wirkliche Leben noch zu wenig
begriffen worden.
Deswegen soll hier eine Uebersicht der neuesten
Entwicklungen vorangehen.
Dr. Mayer46) sezt das Entstehen der Handwerksgerechtigkeiten
in die Zeiten der Zunftentstehung, was sich jedoch nicht
vertheidigen laͤßt. Ausgehend von der Meinung, daß das Tributfordern bei
neuen Meister-Aufnahmen, die Anmaßung, auf Kosten der Nachwelt Kapitalien zu
schaffen, und das Monopolisiren die erste Veranlassung zu dieser Schoͤpfung
geboten habe, und hieraus selbst das Emportreiben des Werthes mancher
Gerechtigkeiten47) erklaͤrt werden koͤnne, widerspricht Mayer nicht, daß es wirklich reelle und persoͤnliche Gerechtigkeiten gebe; er haͤlt
dafuͤr, daß das Gruͤnden von Kapitalien auf blos persoͤnliche
Gerechtigkeiten noch schaͤdlicher sey, daß es uͤbrigens im Ganzen
fuͤr Theorie und Praxis gleiche Schwierigkeit habe, die Mittel zur Aufhebung
der Gerechtigkeiten zu finden.
Das jus quaesitum respektirend, will dieser
Schriftsteller zwischen den urspruͤnglichen und
jezigen Inhabern solcher Gerechtigkeiten
unterscheiden, und jede Aenderung durch die in Handwerkssachen unbeschraͤnkte
gesezgebende Gewalt moͤglich machen; Abloͤsung dieser urspruͤnglich nicht wohl
erworbenen Rechte koͤnne demnach nicht gehindert werden; Aufhebung der
Radikalverbindung zwischen Gerechtigkeit und Grundstuͤck,
Veraͤußerung der getrennten Gerechtigkeit, Verleihung personeller
Gerechtigkeiten, im Falle fuͤr ein festzustellendes Maximum her Ankauf
nicht moͤglich waͤre, und zwar gegen Bezahlung eines Kanons,
dessen Betrag den landesuͤblichen Zinsen des bezeichneten Maximums gleich
kommen, die hiedurch moͤgliche Bildung eines Fonds zur Auskaufung der
Realgerechtigkeiten, sollen die vorzuͤglichen Mittel seyn, um den
wahren Zweck zu erreichen48) .
Aufsehen hat eine neuere Schrift erregt, unter dem Titel: „
uͤber die Vorzuͤge der
Realgewerbsgerechtigkeiten im Gegensaze der Nachtheile der Verwandlung
derselben in bloße Personalrechte
49) .“
Die vorherrschende Behauptung ist, daß die Erklaͤrung der Realitaͤt der
um bestimmte Preise in fruͤhern Zeiten unter der
Garantie der Obrigkeiten und der obersten Staatsgewalt erworbenen
buͤrgerlichen Nahrungszweige ein Postulat des Rechtes sey, den Wohlstand des
Gewerbmannes begruͤnde und erhoͤhe, den Nationalfond vermehre, und die
Kraͤfte der Staats-Finanzen steigere, nicht minder die Industrie
belebe. Die Schrift selbst behandelt diese Momente zunaͤchst in Beziehung auf
Baiern.
Bis zum Jahre 1804 seyen die buͤrgerlichen Nahrungszweige nach
Verhaͤltniß mittelst aller gesezlichen Rechtstitel erworben worden, folglich
Eigenthum geworden, waͤhrend durch obrigkeitliche Aufsicht Unwuͤrdige
ausgeschlossen worden. Das stehende Kapital sey wie bei Grund und Boden real; Entwerthung durch
Qualitaͤts-Aenderung nicht rechtlich; jede Forderung der Politik
(Polizei) den Forderungen des Rechtes untergeordnet, Restituirung des Eigenthumes, des Heiligsten,
nothwendig.
Das stehende, im Gewerbe liegende Kapital, dem Grundkapitale des Landmannes gleich,
koͤnne nur bei reeller Gewerbseigenschaft gleiche Vortheile geben durch
Sicherung des Kreditors, durch Gewaͤhrung außerordentlicher Huͤlfe,
bedeutender Unternehmungen fuͤr das Gewerb.
Durch das blos intelligible, mit der Person verloͤschende, Personalgewerb
gewinne der Staat kein stehendes Gut, und doch wachse der Nationalreichthum mit dem
Nationalfonde, mit diesem Reichthume das steuerpflichtige Kapital, und damit die
Kraft der Staats-Finanzen in gleicher Progression.
Jeder achtsame Spekulant suche dauernden Gewinn, und wage
bei Sicherheit fuͤr die Dauer Kostenaufwand, welcher uͤber die
Lebensgraͤnze ziele; es liege also hierin Ermunterung, waͤhrend das
Prekaͤre eines Gewerbes diese nie zu geben vermoͤge50) .
Dagegen versichert Reingruber in einer Abhandlung: „ uͤber die Natur der
Gewerbe, uͤber Gewerbsbefugnisse und Gewerbsfreiheit
51) , die Schule mit dem Leben zu
versoͤhnen.“
Eine Vergleichung des Landbauers und Produktenveredlers, deren Ersterer durch
Anwendung der Thaͤtigkeit auf Grund und Boden sich Eigenthum schaft, Lezterer
dasselbe durch Anlegung kostspieliger Gebaͤude, Werkstaͤtten Gleiches
bezweckt, fuͤhrt auf die Wahrnehmung, daß Gewerbsuͤbung zum Theil
schlechterdings nur durch eigene, hievon nicht zertrennliche Gebaͤude
moͤglich sey, oder doch ein solcher Besiz zur Gewinnung groͤßerer
Vortheile verhelfe, oder, daß auch die Gerechtigkeit und die Mechanik der
Haͤnde mit leicht beweglichem Apparate zureiche; hierauf stuͤzt Reingruber eine Klassifikation der Gewerbe nach vier Hauptabtheilungen, und fixirt, freilich etwas
sonderbar, das zu Gewerbs-Gebaͤuden und Vorrichtungen nothwendige Kapital, und zwar nach einem, auf die Gewerbe
der Provinzial-Staͤdte passenden, Mittelanschlage, wobei das angesezte Minimum und Maximum als
Regel gelten koͤnne52) .
An diese Entwicklung reihet sich die Folgerung, daß bei jedem Gewerbe die Gewerbsfaͤhigkeit, bei
den Gewerben I. und II.
Klasse neben dieser Faͤhigkeit auch der Besiz der
Gewerbs-Gebaͤude und des Kapitals nothwendig bleibe, und somit in Hinsicht
auf Faͤhigkeit eine Pruͤfungs-Kommission bestehen solle: vergleiche man diese
Darstellung mit der Vertheidigung der Realgerechtigkeiten
oder bloßer Personalgerechtigkeiten, so zeige dieser Kampf
blos Trennung der Schule vom Leben, – eine Vermischung der verschiedenen
Gewerbs-Natur. – So wie der Staat das Recht der
Pruͤfung habe, so nehme derselbe auch durch den Aufnahms-Kontrakt (?!) die Pflicht auf
sich, dem Gewerbtreibenden seine Erwerbsthaͤtigkeit, die Fruͤchte
seines Fleißes durch
eine weise Leitung der arbeitenden Kraͤfte zu sichern, was nach dem unabaͤnderlichen Geseze der Ordnung dann
geschieht, wenn gesezlich so viele Familien erhalten werden, als sich nach der
verschiedenen Lokalitaͤt und Konkurrenz ihr ehrliches Auskommen zu erwerben
im Stande sind. Diese veranlaßt auch den Verfasser, zu eifern gegen jene
Misanthropen, welche in allgemeiner Gewerbe-Freiheit das Heil aufsuchen.
Befaͤhigung zum Gewerbe, Radizirung der Befugnisse bei
den ersten zwei Gewerbe-Klassen, ohne daß diese Befugnisse zu Kapital
angeschlagen werden duͤrfen, und Uebertragung derselben an
gepruͤfte Kaͤufer bei Gantguͤtern, Gewaͤhrung der
Fortsezung durch gewerbfaͤhige Kinder und durch Wittwen, Ertheilung der
Gewerbs-Befugnisse nach den Grundsaͤzen einer weisen
Konkurrenz, wofuͤr das Forum bei der Orts-Polizei, und dem
Gemeinde-Vorstande, jedoch mit Wuͤrdigung der keineswegs
entscheidenden Erinnerung der Genossenen des Gewerbes seyn soll, und die Erholung der Erklaͤrung, daß das unentgeltlich
ertheilte Meisterrecht in den Kapitalwerth nicht eingerechnet worden sey, sollen
die Grundlagen dieser, die Schule und das Leben versoͤhnenden, Theorie
seyn.
Die Grundsaͤze des fuͤr Baiern unterm 1. December 1804 (Regierungsblatt
1805 S. 43), in Beziehung auf Handwerke gegebenen Gesezes, werden als zu beschraͤnkend erklaͤrt; und die durch die
Verordnung vom 2. Oktober 1811 (Regierungsblatt vom Jahr 1811 Nro. 1502.)
eingefuͤhrten Bestimmungen als nicht entsprechend
dargestellt.
Ruͤckblicke auf das, ehehin besezte, Tuchhaus in Ingolstadt, auf den Handel der
Phoͤnizier, Aegypter etc., auf die vermeintlichen Wirkungen, welche durch
das, im Jahr 1784 fuͤr Boͤhmen ausgesprochene, Einfuhr-Verbot
in Beziehung auf Weberei erzwungen worden seyn sollen53) , liefern Stoff zu weitern Reflexionen; eine Ruͤge uͤber die
Art der Verfassung des Gewerbs-Katasters in der Stadt Landshut, wo man wegen
des Ausdruckes: „ Herrengunst, alle Gewerbe
als persoͤnlich bezeichnet hat, verdient gleichfalls speciell bemerkt zu
werden.“
Gegen beide Schriften hat Dr. Nibler kraͤftige Erinnerungen gemacht: Gewerbs-Freiheit vertheidiget derselbe mit Waͤrme; nur
derjenige, welcher ein Haus, worauf bisher ein Gewerb
ausgeuͤbt wurde, zur gleichen Gewerbs-Uebung eigenthuͤmlich
an sich bringt, soll hieran nicht gehindert werden
54) .
Die Vertheidigung der neuern Gesezgebung uͤber das Gewerbwesen in Baiern hat
vor Kurzem Dr. Wiesend mit
Sachkenntniß unternommen55) . Reluirung der Realgerechtigkeiten, und Begruͤndung einer
Amortisations-Kasse, durch Beitraͤge des, bisher unter dem Drucke der
Realgewerbe leidenden, Publikums fuͤr diese Absicht, gehoͤrt zu den
vorzuͤglichen Wuͤnschen, welche in dieser Abhandlung
ausgedruͤckt sind.
Aus den bisherigen Anfuͤhrungen, welche noch bedeutend vermehrt werden
koͤnnten56) , gehet zur Genuͤge hervor, daß die Akten uͤber diesen
Gegenstand nicht geschlossen seyen, und die Vertheidiger der allgemeinen
Gewerbs-Freiheit eben so gut der Vorwurf wegen vorgefaßter Meinung treffe,
als die Vertheidiger der Gewerbe-Beschraͤnkung, und insbesondere der
Realgewerbgerechtigkeiten getadelt werden koͤnnen, daß es ihren Behauptungen
an Konsequenz gebrach, daß unter der Form von
Vermoͤgens-Klassifikationen die Wiedererhaltung der vormaligen realen
Gewerbsrechte in ihrer vollen Bedeutung bezielt werde, waͤhrend man in den
erfundenen Wendungen zu erkennen giebt, daß man die Vertheidigung offen nicht wagen
wolle.
Auch die in den angefuͤhrten Schriften oͤfters beruͤhrte Gesezgebung verkuͤndet die Verschiedenheit der
Ansichten verschiedener Zeitalter. Heftige Erklaͤrungen gegen das Zunftwesen, oder etwa besser gegen das, was bei
Zuͤnften als Unwesen erscheinet, finden sich schon
in der „ Gemeinlandpot und Ordnung fuͤr
Baiern “ vom Jahre 1516, eine gleiche merkwuͤrdige
Sprache fuͤhrt die Landes-Ordnung vom Jahre 1553, nicht minder
wiederholen dasselbe die
Deklarationen vom Jahre 155757) . Daß aber auch aller dieser Ausspruͤche ungeachtet die Innungen mit
frischer Kraft um sich gegriffen haben, daruͤber belehret das
Gemaͤlde, welches in den Beschwerden des Baierischen Landtages vom Jahre 1605
mit so vieler Lebendigkeit gegeben ist. Merkwuͤrdig ist eine Erscheinung vom
25. Januar 1771, welche von der Einzelnheit des Falles Gelegenheit nimmt, den
moͤglichst generellen Ausspruch zu thun58) .
Eine Generalverordnung vom 20. Maͤrz 1783 umfaßt die wichtigsten Momente der
Innungs-Angelegenheiten; dieselbe bestimmt §. 11.: „das Meisterrecht soll beharrlich niemal
durch das Geld, sondern blos
durch erprobte Kunstgeschicklichkeit fortan erworben werden
59) .“
Hierauf nun, und auf das alte deutsche Sprichwort: „ Kunst erbt nicht,“ stuͤzet sich die so wichtige
Verordnung vom Jahre 1804, welche die schwierige Aufgabe zu loͤsen hatte, wie Gewerbfreiheit vernuͤnftig zu schuͤzen sey,
und doch moͤglichen Reklamationen uͤber erworbene Rechte
gruͤndlich begegnet werden koͤnne.60)
Betrachtet man daher den gegenwaͤrtigen Zustand des
Gewerbwesens in Baiern, einem der groͤßten, kraͤftigsten Staaten Deutschlands, so findet
sich, daß man daselbst die gaͤnzliche Freigebung der Gewerbe bisher nicht
fuͤr raͤthlich geachtet, dagegen die ehemalige Alleinherrschaft der
Zuͤnfte im buͤrgerlichen Leben gelaͤhmt, und uͤberhaupt
die Nachtheile beider Extreme vermeidend, ein gemaͤßigtes System bezielt habe; obgleich die bei
Besteuerung der Gewerbe vorzuͤglich, mit Beruͤcksichtigung der
Einwohnerzahl in den Ansiedlungs-Orten der Handwerker, aufgestellten
Grundsaͤze in Hinsicht auf Abstufung der Steuer-Quoten manche Schwierigkeiten
erzeugen, und dies besonders in Gegenden, wo Staͤdten aͤhnliche
Doͤrfer mit gleichen Gewerbsgenossen uͤberfuͤllt, große
Staͤdte umschließen, indem da die geringern Steuerbeitraͤge des
Dorfbewohners demselben einen Vorsprung vor den hoͤher besteuerten
Staͤdtern sichern.
Folgenreich sind manche Grundsaͤze der angefuͤhrten Verordnung vom
Jahre 1804: die Beschuͤzung der oneroͤse
erworbenen Gewerbrechte und Radizirung
der Gewerbe bei Brauereien und Muͤllern(§. 17.)
enthaͤlt selbst das Prinzip zur Ableitung der Moͤglichkeit fuͤr
Beibehaltung reeller Gewerbsrechte; und das Gesez vom 20.
Maͤrz 1783 schließt in der ausgehobenen Stelle §. 11. die
Realitaͤt nicht als undenkbar aus. Kunstgeschicklichkeit erscheint als geforderte Vorbedingung: und wer
moͤchte behaupten, daß diese Voraussezungen nicht auch neben einander bestehen koͤnnen? Aus dem Saze: „ Kunst erbt nicht,“laͤßt sich eben
so gut deduziren, daß Kunst, die hoͤchste
Bluͤthe des industriellen Produzirens, an und fuͤr sich dem Begriffe
nach dem gewoͤhnlichen Gewerbe nicht einmal zusagend, anders, als das
sogenannte Handwerk zu wuͤrdigen sey, – daß der Handwerker, dessen
Vorzuͤglichkeit in seiner Art sich bis zur Kunstmaͤßigkeit erhebet,
diese Gewandtheit, wenn auch das Recht zum
Forttreiben des Gewerbes an Andere uͤbergehet, nicht
vererben koͤnne. Erfasset man, ohne Vorliebe fuͤr eine oder
die andere Ansicht, diesen Geist, welchen das Gesez
bewahret, so duͤrfte in dieser Angelegenheit, wo so Viele mittelst der
beliebten heroischen Durchhauung des Knotens Rath zu schaffen geneigt sind, wirklich
manches zu versoͤhnen seyn, ohne Gewaltschritte, zum Vortheile des Staates,
der Gewerbtreibenden und des Publikums.
Auch hierin muß die Geschichte – die Geschichte der
Ausbildung des Handwerkwesens in Deutschland – nach allen bekannten
Beziehungen uͤber die noch bestehenden Zweifel zu belehren
vermoͤgen.
Als wuͤnschenswerthe Institute erhoben sich die Zuͤnfte; von dem
Vorwurfe der schaͤdlichsten Monopolsucht und der gefaͤhrlichsten
Unordnung begleitet, sollten sie durch Machtgebote verschwinden, um – nach
kurzer Zeit wieder zu erscheinen. Man fuͤhre immerhin Amerika an; das Beispiel eines werdenden
Staates, unter seinen individuellen
Verhaͤltnissen,
paßt nicht auf die Lage deutscher Staaten. Wer von Frankreichs Anordnungen in diesem Punkte spricht, haͤngt an den
Erscheinungen der Gegenwart, ohne zu erwaͤgen, daß Turgot als ein Opfer des Versuches fuͤr die fruͤher bezielte
Reform61) gefallen ist, daß es einer blutigen Revolution
bedurfte, um auch das Zunftwesen zu loͤsen, und daß doch nicht Alles errungen
sey, was die Vertheidiger uneingeschraͤnkter Gewerbsfreiheit sich hievon
versprochen haben, oder noch versprechen moͤgen62) . Was fuͤr Stimmen in Preußen von ruhigen
Maͤnnern erhoben worden sind, verkuͤndigen mehrere Schriften63) .
Dagegen entscheiden daher die Praͤjudize der neuesten Zeit in Nassau etc. nicht.
Offenbar ging manches nachtheilige Urtheil uͤber Zuͤnfte und alle dahin
bezuͤglichen Attribute von der Wahl des
Standpunktes aus; und doch sollte unter den geaͤnderten
Umstaͤnden nur die Ruͤcksicht auf Technik,
nicht die ehemalige politische Seite bestimmen.
Allenthalben ist die Staatskunst so weit voran geschritten, um das Gute der
Vergangenheit den Forderungen der Gegenwart anzupassen, um das Ziel des Gesammtwohles zu erringen.
So schwer es in Frankreich seyn moͤchte, nach den
tiefgreifenden Erschuͤtterungen die ehemaligen,
nun groͤßtentheils begrabenen, Handwerksrechte wieder zu erwecken, so schwer
wuͤrde es auch in Deutschland werden, ohne außerordentliche Ereignisse,
Institute und deren Attribute zu vernichten, welche sich unter
dem Staatsschuze aus den Stuͤrmen der Zeit gerettet haben.
Nach dieser verzeihlichen Digression in das Allgemeine der Sache, soll nun die
Eroͤrterung der speciellen Frage folgen:
A. Laͤßt sich das Bestehen der so betitelten
Realgerechtigkeiten, und allenfalls unter welchen Beschraͤnkungen,
rechtfertigen?
B. Welche Resultate wuͤrden sich im bejahenden
Falle ergeben?
Ad A.
Vor Allem ist nothwendig, die eigentliche Bedeutung dessen, was Realgerechtigkeit im Sinne des Gewerblebens ist oder seyn soll,
festzustellen. Ein Recht zur bestimmten Gewerbsuͤbung, welches diesen Charakter haben soll, ist nicht als losgebunden
vom Besizthume anzunehmen; erst die Voraussezung des Besizthumes scheint die Realitaͤt solcher Gerechtigkeiten auf eine vernunftgemaͤße Art zu begruͤnden, und der
Realitaͤt des Gewerbrechtes praktischen Sinn zu schaffen. Moͤglich, daß auch hier ein
Ruͤckblick auf einzelne alte vaterlaͤndische Anordnungen in
Deutschland zu Spuren leiten koͤnne, welche beitragen, den eigentlichen Gang
der Sache aufzuhellen.
Eine Wirthschaft, Taferne, Mezgerei, Baͤckerei, getrennt oder vereiniget, eine
Badeanstalt, eine Schmiede etc. waren die sogenannten Ehehaften
64) im einfachen Dorfe: der Begriff der Dinglichkeit erklaͤrt die
Moͤglichkeit des Uebertragens durch Lehen, Erbrecht etc., die Verbindlichkeit
zu besonderen Leistungen, die Einwirkung der Vogtey der Grundherrlichkeit etc., und
so Manches, was nicht selten in unsern Tagen schnelle Abfertigung findet, als
grundlos oder anmaßlich. Dieselbe Anficht mochte auch in vielfacher Beziehung bei
dem staͤdtischen Gewerbwesen einwirken65) ; einem Zusammenflusse von Umstaͤnden gelang es freilich, nicht selten das Gepraͤge
der Dinglichkeit, wenn auch widernatuͤrlich, fast
jedem, oder doch der Mehrzahl der Gewerbe aufzudruͤcken, beim Mangel der
richtigen Ausscheidung und durchgreifender Grundsaͤze, wohl selbst gegen
klare Prohibitivgeseze das Alte zu beschirmen.
Erwaͤgt man nun im Allgemeinen, daß es der Rechte und sogenannten
Gerechtigkeiten viele giebt, welche ein schaͤzbares Objekt fuͤr den Besizer sind, und wirklich
dessen Vermoͤgens-Summe erhoͤhen66) , so laͤßt sich auch mit dergleichen Gruͤnden vertreten, daß in
derselben Art das Recht oder die Gerechtigkeit zu einer
bestimmten Gewerbsuͤbung, als einem Grundstuͤcke anklebend,
als hierauf radizirt, – denkbar, – daß diese Gerechtigkeit selbst ein
schaͤzbarer Vermoͤgenstheil seyn koͤnne, wenn schon die
wirkliche Ausuͤbung von der Kundigkeit des Besizers abhaͤngig ist und
bleibt, oder, was dasselbe sagt, daß bei den Gewerben eine Realgerechtigkeit doch einen vernuͤnftigen Sinn haben moͤge,
ohne daß dadurch ausgesprochen oder erwiesen werden wollte, als wenn jedes Recht zum Gewerbsbetriebe nur
diese Eigenschaft haben duͤrfe oder solle.
Es wuͤrde daher vorzuͤglich darauf ankommen, richtige Prinzipien aufzustellen, um eine konsequente Klassifikation zu bewirken.
Bei Gewerben, deren Ausuͤbung durch den Besiz eines
hiefuͤr technisch aptirten bedeutendenGrundstuͤckes, oder eines, durch seine Bedeutung nach
den Lokalverhaͤltnissen einem solchen Grundstuͤcke gleich zu
achtenden dauernden Apparates, bedingt ist, rechtfertiget sich die Radizirung
und die Realitaͤt der Gerechtigkeit zum Gewerbsbetriebe; bei Gewerben,
welche ruͤcksichtlich ihrer Ausuͤbung durch solchen Besiz nicht
bedingt werden, deren Ausuͤbung lediglich von der persoͤnlichen
Kundigkeit des Gewerbetreibenden abhaͤngt, soll die Befugniß nur an
dessen Persoͤnlichkeit geknuͤpft seyn.
Bei der ersten Voraussezung tritt begreiflich die Gewerbskundigkeit des Individuums hinzu, um auf dem bestimmten Boden
Bluͤthen und Fruͤchte in das Leben zu rufen; bei der zweiten
Voraussezung beruhet die Zweckerreichung ausschließend auf der persoͤnlichen Faͤhigkeit, welche in der gewoͤhnlichen
buͤrgerlichen Wohnung ihren Siz aufschlaͤgt67) .
Groͤßer sind die Anforderungen in beiden Hinsichten fuͤr
Staͤdte, als fuͤr das platte Land, – verschieden wieder nach
Verschiedenheit des
Ortes, – anerkannt ist dieses auch z.B. in Baiern durch die Verschiedenheit
der Steuerklassen; aber auch klar ist hiedurch, daß der Maaßstab fuͤr reelle
Gewerbsgerechtigkeiten unter solchen Umstaͤnden nur
lokal seyn koͤnne, daß dieser Maaßstab fuͤr
Werthschaͤzung sich selbst bei wichtigern Reformen, welche tiefer in das
Gewerbverhaͤltniß eingreifen, aͤndere68) .
Wenn es demnach erlaubt ist, auch von der allgemeinen Sprachfreiheit gegen die nicht
selten einseitige und anmaßliche eigne Meinung Gebrauch zu machen, um nach
leidenschaftloser Ueberzeugung zu behaupten, was ehehin schon behauptet worden ist,
so wird hier nach der gegebenen Entwicklung der angefeindete Saz wiederholt, daß die
Beibehaltung der Innungen unter vernuͤnftiger Leitung den zu versuchenden
Reformen durch Freigebung der Gewerbe in Staaten, wo die Innungen noch bestehen,
vorzuziehen, daß auch selbst das Bestehen von Realgerechtigkeiten im Gegensaze
persoͤnlicher Rechte nicht unmoͤglich, sondern selbst einer
Rechtfertigung faͤhig sey, uͤbrigens hiebei weder jene zu allgemeinen
Deduktionen, deren sich viele in den oben angefuͤhrten Schriften befinden,
noch auch des mit Waͤrme nach Wahrheit strebenden Reingrubers Expediens, durch bestimmte
Taxations-Summen lediglich fuͤr Haͤuser und Apparate,
welchen die sinnige Praxis doch die vergoͤnnte Beifuͤgung einer
foͤrmlichen Taxe fuͤr die angeblich nicht zu berechnende reelle
Gerechtigkeit zu geben wissen wird, Schule und Leben zu
verbinden, hinreichen69) .
Der gebildete Apotheker, im Besize vorzuͤglicher Kenntnisse, vermag diese erst
dann mit Vortheil anzuwenden, wenn er die erforderlichen Laboratorien etc., die
nothwendigen Vorraͤthe etc. besizt. Diese Objekte sind schaͤzbares
Vermoͤgen: sie erhalten aber einen eigenthuͤmlichen Werth, wenn sie
als Komplex bestehen, welchen man unter Apotheke
verstehet. Daß nun noch eine Gerechtigkeit zur Ausuͤbung in der
Realeigenschaft vorhanden seyn koͤnne, und das Hinzutreten derselben das
ganze Werthverhaͤltniß hoͤher steigere, waͤhrend es der
oͤffentlichen Vorsorge uͤberlassen ist, Bestimmungen zu geben, welche
die Erwerbung solcher Komplexe und solcher reellen Gerechtigkeiten nur Individuen
von erprobten Kenntnissen einraͤumen: wer moͤchte dies fuͤr
Unmoͤglichkeit oder fuͤr Unsinn halten70) ?
Dieselben Betrachtungen lassen sich auf geeignete Art bei Brauereien, Muͤhlen,
Eisenhaͤmmern, Fabriken und zahllosen andern Gewerbsanstalten machen; die
einzelnen Bestandtheile erhalten durch die technische Vereinigung71) einen eigenthuͤmlichen Werth, und der ganze Komplex gibt die
Buͤrgschaft der Fortdauer des noch hoͤhern Werthes, wenn eine reelle
Gerechtigkeit hinzu kommt; waͤhrend selbst diese Gerechtigkeit analog dem
Saze: „ accessorium sequitur
principale,“ als auf einem nach den technischen Anforderungen
zur Gewerbsuͤbung vollkommen aptirten Grundstuͤcke radizirt, die reelle Eigenschaft
annimmt, und hiedurch selbst eine ausgezeichnete Werthschaͤzung gewinnen
kann. Wer in einer seit Jahrhunderten bluͤhenden Gewerbstadt das Einzelne
pruͤfen will, wird entdecken, daß von diesen Anordnungen die
gluͤckliche Ausbildung wichtiger Gewerbsunternehmungen herruͤhre.
Was ist eine wohl eingerichtete große Detailhandlung, wenn
ihr Leben nur an die Tage des, derselben vorstehenden, Kaufmanns geknuͤpft
ist72) ? Was ein mit Sorgfalt hergestellter Gasthof, ein mit den Vorzuͤgen
des modernsten Geschmackes ausgestattetes Kaffehaus73) , wenn mit einemmale die Gewerbebefugniß vom Gebaͤude getrennt wird?
Wie viel geringer ist der Werth, wie viel schwaͤcher der Muth fuͤr
große Etablissements, wenn nicht die Realitaͤt des Benuͤzungsrechtes
kuͤhnere Berechnungen fuͤr die Nachkommen beguͤnstiget? Wie
sehr sichert das Bestehen einer reellen Gerechtigkeit die Fortdauer wichtiger,
fuͤr die Vortheile oder die Bequemlichkeit des Publikums selbst
wuͤnschenswerther Gewerbe74) ?
Persoͤnliche Befaͤhigung ist und bleibt
unerlaͤßliche Forderung; dieses hat ja aber auch die Baierische Verordnung
vom 1sten December 1804 klar ausgesprochen; Fehler der Praxis ist es, wenn in der
Erfahrung die strenge Beobachtung dieser Regel nicht nachzuweisen waͤre. Daß
durch eben dieses Gesez die Transferirung erschweret, und
von hoͤherer Genehmigung abhaͤngig
erklaͤrt wird, dies beurkundet die Sorge fuͤr Aufrechthaltung des
entscheidenden Prinzipes, auf welches sich bei folgerechter Wuͤrdigung das
Bestehen der Realgerechtigkeiten stuͤzen kann, stuͤzen muß75) .
Dagegen wuͤrde sich das Bestehen oder Begruͤnden realer Gerechtigkeiten
zum Betreiben des Gewerbes eines Schuh- und Kleidermachers, Borten-
oder Bandmachers, Obsthaͤndlers, Friseurs, Kaminkehrers, Zimmermannes,
Maurers etc. mit Consequenz nicht vertheidigen
lassen76) ; es bedarf nur der persoͤnlichen Gewandtheit. Spricht das Gesez in manchen Staaten
auch dabei fuͤr die oneroͤse erworbenen
Rechte, so beweiset dieses, daß Eigenthum als Heiligthum beschuͤzet sey.
Wenn daher aus den Handwerks-Protokollen vormaliger deutscher
Reichsstaͤdte darzuthun ist, daß Gewerbleute, welche blos der
persoͤnlichen Befugniß beduͤrfen, vor dem Gewerbs-Antritt
amtlich vorgeladen, und ihnen speciell eroͤffnet worden, daß die
Gewerbsrechte mit der Person erloͤschen, so ist dies als Beweis
empfehlungswerther Vorsicht zu betrachten. Wollte man aber bei gegenwaͤrtiger
Entwicklung Anlaß zu dem Vorwurfe finden, als involvire dieselbe auch die
Feststellung der bestimmten Gewerbezahl fuͤr jede
Ortschaft, so koͤnnte entgegnet werden, daß dies der Fall nicht sey77) ; die Leitung, welche der Regierung zustehet, wird nie so beschraͤnkt
werden duͤrfen, daß das uͤbrige, durch Beduͤrfnisse
abhaͤngige, Publikum dem Handwerker zinsbar werde; haben ja doch die
vormaligen Reichsgeseze schon fuͤr Minderungs- und Mehrungsrechte in
Zunftsachen entschieden.
Es bewaͤhret sich hier, wie uͤberall, daß Alles
auf besonnener Leitung beruhe: das Gute zu behalten, das Nachtheilige zu
entfernen, gehoͤrt zur Aufgabe, welche geloͤst werden
soll78) .
Ad B.
Werden aber wirklich Realgerechtigkeiten angenommen, so
erwachsen daraus allein keine bedenklichen Folgen;
denn
1) die technische Ausbildung der Gewerbe wird dadurch
nicht nur allein nicht gehindert, sondern vielmehr durch die Sicherung des Genusses
aus besonderer Vervollkommnung fuͤr das Gewerb zu groͤßern
Unternehmungen ermuntert, waͤhrend die Befaͤhigung zum
Gewerbs-Betriebe stete Vorbedingung bleibt, die Erwerbung der
Realgerechtigkeit selbst Vermoͤgens-Erwerbung ist, und jeder
Monopolsucht durch die Staatsgewalt entgegengewirkt werden kann. Und haben sich bei solchen Voraussezungen, was in groͤßern
Staͤdten wohl oft der Fall ist, Familien seit Jahrhunderten im Besize solcher
Gewerbe erhalten, so beweiset dieses lediglich, daß die Industrie, auf solche Weise
geschuͤzt, dem Staate gute, wohlhabende Familien, auch fuͤr mehrere
Menschenalter, zu erhalten faͤhig sey, – daß gerade in dieser
Sicherheit ein Reiz fuͤr Ausbildung zum bestimmten Geschaͤft liegen
muͤsse.
2) Ist dem Gewerbsmanne durch die Realitaͤt des Gewerbrechtes allerdings ein
Mittel fuͤr Kredit und Huͤlfe in außerordentlichen Faͤllen
gegeben, waͤhrend das Publikum durch einen bemittelten Gewerbsmann solidere
und selbst billigere Arbeit erhalten kann.
3) Ist in dem Falle, wenn die Realgerechtigkeiten unter den bemerkten Voraussezungen
bestehen, nichts Widernatuͤrliches vorhanden; das Nationalvermoͤgen
erweitert sich wirklich durch die Erhoͤhung des Gebaͤudewerthes
sowohl, als durch den Werth der Gerechtigkeiten, welche also im wahren Sinne
Vermoͤgenstheile sind, und steuerbare Objekte
werden.
4) Kann gegen das Vorhandenseyn solcher
Realgerechtigkeiten im
Gegensaze von Personalbefugnissen keine gegruͤndete Beschwerde bestehen. Der
Personalist hat eine geringere Vorauslage, und traͤgt eine mindere
Steuerquote; denn sey man billig; was will bei strenger Pruͤfung eine
Gewerbsteuer-Reichniß von jaͤhrlichen 5-10 fl. fuͤr die
Befugniß, welche den Lebensfond bildet? Uebrigens kann Sorge fuͤr
sachgemaͤße Konkurrenz das Publikum gegen jede Art von
Willkuͤhrlichkeit der Handwerker sicherstellen.
5) Aendert die Respektirung der Realgerechtigkeiten bei einer
geordneten Gewerbs-Polizei durchaus nichts in Beziehung auf die
einzelnen Innungs-Glieder unter sich oder im Ganzen, oder auch in politischer Beziehung auf den Staat; denn die Regelung der allgemeinen
Staatsbuͤrgerrechte durch foͤrmliche Konstitutionen und umfassende
Geseze hat diesen, ehemals gefuͤrchteten,
Korporationsgeist gebrochen, sohin das Ziel des ehemaligen Strebens von selbst
geaͤndert.
Dieses Bild stellt sich einer ruhigen Beschauung dar; und was auch in hinreißender
Sprache uͤber die Vortheile aus der gaͤnzlichen Aufhebung bestehender
Institute, insbesondere uͤber Abschaffung der Realgerechtigkeiten bei
Gewerben durch Reluirung, durch angebliche Zerstoͤrung wuchernder
Auswuͤchse etc. geschildert wird: es erheben sich maͤchtige Bedenken
gegen die zauberischen Verschoͤnerungs- und
Verbesserungs-Gemaͤlde, welche die bekannte Schrift: „ das Interesse des Menschen und Buͤrgers
bei den bestehenden Zunftverfassungen “
79) liefert. – Warum sollte nicht mit schonender Hand gebessert werden,
was zu verbessern ist? Warum will man Gebaͤude, in welchen Jahrhunderte
hindurch die Hand des buͤrgerlichen Fleißes friedlich wirkte, fuͤr
sich und Andere, vom Grunde
aus zerstoͤren, um – die gefaͤhrliche Erfahrung zu wagen, ob und wie nach einer solchen Aenderung die Industrie sich gestalten
werde? Warum soll das Experiment, welches weder vom Publikum noch vom
Gewerbsmanne begehrt wird, doch gemacht werden, weil Theorie hieraus eins neue Aera
fuͤr das Buͤrgergluͤck verkuͤnden will, dieselbe jedoch
nicht verbuͤrgen kann80) ? –
Sollte es nicht mehr fruchten, wenn in deutschen Staaten, wie Baiern, welche sich
schon lange durch umsichtsvolle Verordnungen uͤber das Gewerbwesen
auszeichnen, und viele Gebietstheile erhalten haben, die durch das Bluͤhen
der Gewerbe Beruͤhmtheit hatten, was besonders von den ehemaligen, nun zu
groͤßern Territorien hinzugekommenen, Reichsstaͤdten gesagt werden
kann, die Gewerbsverhaͤltnisse durch tuͤchtige und sachkundige Maͤnner
vorerst revidirt, und hierauf die gerechten Antraͤge zu definitiven
Einrichtungen, auf denen das Wohl von Tausenden ruhet, vorbereitet wuͤrden? Dadurch waͤre der Anlaß gegeben, auch
das Verhaͤltniß der Gewerbs-Befugnisse uͤberhaupt81) , die Anwendbarkeit der reellen und personellen Rechte unbefangen und
naͤher zu pruͤfen, gleichzeitig ein festes
System zu schaffen, und jeder Beaͤngstigung des gewerbtreibenden
Buͤrgers ein Ende zu machen. – Salvo
meliori!